6. Kapitel: Die Jagd

Atali:
Ein unangenehmes Pochen in meinem Kopf war das Erste, was ich nach meinem Erwachen spürte. Danach merkte ich ein schmerzhaftes Einschneiden in meinen Handgelenken, welches ich am ehesten auf Eisenfesseln zurückführen würde. Ansonsten fiel mir für den Moment bloß auf, dass ich aufrecht auf einer Art Steinboden saß sowie dass die Umgebung recht kühl war. Unter einem gequälten Stöhnen öffnete ich dann schließlich meine Augen und bemerkte sofort, dass ich ganz sicher nicht mehr im Lager, sondern in einer kleinen Felshöhle lag. Zumindest soweit ich es erkennen konnte. Mehrere Male blinzelte ich daraufhin, um meine verschwommene Sicht zu klären, was aber nicht wirklich funktionierte. „Wo... Wo bin ich?", fragte ich stockend, obwohl ich nicht wirklich eine Antwort erwartet hatte. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit bekam ich jedoch eine, denn nach einem leicht verrückten Lachen meinte eine spitze Stimme auf einmal: „Na, du bist hier bei mir." Vor Schreck laut schreiend blickte ich dorthin, von wo die Stimme kam, und erblickte ein Wesen, welches direkt aus einem Albtraum hätte entspringen können. Seine schemenhafte Gestalt wirkte auf mich zwar annähernd menschlich, jedoch hatte sie unnatürlich lange sowie spitze Ohren und, zu meinen Entsetzen, scheinbar auch zerfledderte Flügel. Seine Haut schien mir zum Teil schwarz und zum Teil rot gefärbt zu sein, aber mehr erkennen konnte ich nicht. „Hm, ich fürchte niemand wird dich draußen hören. Weißt du, diese Wände sind ziemlich... dick", fügte mein geisterhafter Gegenüber dann noch hinzu und kam näher auf mich zu.

„Wer... Nein, was bist du?", fragte ich schließlich, während ich versuchte ein Stück zurückzuweichen, was jedoch nicht gelang. Die eisernen Handschellen hielten meine Hände über meinem Kopf unangenehm fest an die Felswand gefesselt. „Für solche wie euch? Ein Monster... Und ganz nebenbei auch derjenige, der bereits all eure sieben Vorgänger gnadenlos getötet hat. Aber nur um ganz ehrlich zu sein, ich hatte um einiges mehr von euch erwartet, nachdem der Letzte eure Fertigkeiten so hoch gelobt hat", erklärte er mir, jedoch warf das Gesagte unzählig viele Fragen mehr auf, als dass es sie beantwortet hätte. „I- Ich habe keine Ahnung von wem du da redest...", stotterte ich nur verwirrt. „Lüg mich nicht an", sagte er mit beunruhigend kontrollierter Stimme und war mit einem Satz bei mir, um mein Kinn mit seiner einen Hand unsanft zu packen. „Leugnest du, dass du und deine Alliierten insgesamt mindestens sieben Spione auf meine Insel entsendet habt, um sie auszukundschaften?", wollte er mit Nachdruck wissen. „Ja, das tue ich...", gab ich so trotzig, wie es mir unter den gegebenen Umständen möglich war, zurück. „Ich verstehe... Mal sehen, ob ich dich nicht doch umstimmen kann, indem ich einen deiner vielen Begleiter ebenfalls zu mir einlade", erwiderte die schemenhafte Gestalt zu meinem Entsetzen, ehe sie sich umdrehte und die Höhle verließ. Damit blieb ich allein im Dunkeln zurück.

Minden:
So ruhig und entspannend wie heute hatte ich lange nicht mehr geschlafen, es fühlte sich schon fast so an, als würde ich auf einer Wolke schweben und- Auf einmal traf mich ohne Vorwarnung eine Eiseskälte im Gesicht, eine ziemlich nasse Eiseskälte um genau zu sein. Schlagartig war ich hellwach und richtete mich kerzengerade auf, neben mir hörte ich Terek laut prusten, offenbar ging es ihm wohl ähnlich wie mir. „Na, ausgeschlafen?", fragte Gunnar aus heiterem Himmel, ehe ich ihn auch schon vor mir erkennen konnte, mit einem Eimer in der Hand. „Sag mal, was ist denn in dich gefahren?", wollte Terek nur minimal angefressen von ihm wissen. „Also diesmal ist Gunnar ziemlich unschuldig, es war nämlich die Idee von uns allen, nachdem wir euch so vorgefunden haben. Seht es als eine kleine Strafe dafür, dass ihr während eurer Wache eingeschlafen seid", schaltete sich Rowin dazwischen, den ich nun auch neben dem grinsenden Gunnar erkennen konnte. Mehr als offensichtlich kam der Seelenkrieger in der blauen Rüstung gerade ganz auf seine Kosten. „Sind wir das?", fragten Terek und ich fast synchron, woraufhin wir uns nur verständnislos ansahen. „Ja, das seid ihr... Aber nichts für ungut, ihr Zwei", versuchte Heidrun scheinbar uns zu trösten, meinte es aber auch mehr neckisch. „Schön, dass ihr euch so amüsiert... Aber können wir vielleicht das Thema wechseln? Immerhin müssen wir ja noch darüber reden, wie der Plan für heute aussieht, nachdem uns Atali gestern nichts darüber erzählt hat", lenkte Terek das Gespräch in eine ganz andere Richtung, wofür ich ihm aber auch sehr dankbar war. „Hm, an sich keine schlechte Idee... Wo wir gerade davon reden: Hat jemand eine Ahnung, wo genau Atali steckt?", fragte Rowin und sah sich im Lager um, was ich ihm aus reinem Instinkt gleichtat.

Sie stand nicht bei den anderen, die mich und Terek so freundlich geweckt hatten, und auch nicht bei Venatrix, Nadia, Liv und Eira, unseren beiden übrigen Kriegerinnen, welche sich am Rand des Lagers unterhielten. Auch bei Blitzgeist und Windfang, welche am Strand außerhalb des Lagers ein wenig miteinander spielten, wie es Drachen gerne mal taten, konnte ich meine Anführerin nicht ausmachen. „Vielleicht schläft sie ja noch in ihrem Zelt", warf Heidrun die wahrscheinlichste Option in den Raum. „Hm, kann sein...", meinte Rowin und ging anschließend zum Zelt von Atali hinüber. „Bist du schon wach Atali?", erkundigte er sich und klopfte vorsichtig gegen die Zeltplane. Dadurch rutschte diese zur Seite und mit überraschten Lauten starrten wir auf das zerwühlte Innere des Zeltes und den kleinen Baby-Klingenpeitschling, der scheinbar völlig verängstigt nach Atali suchte. Sofort sprang ich alarmiert auf und griff nach meinem langen Speer, den ich gestern Abend noch im Sand neben mir abgelegt hatte. „Ganz ruhig, was ist denn los Minden?", fragte Terek und stand nun ebenfalls auf. „Das... Das ist der Klingenpeitschling, um den sich Atali kümmert... und sie würde ihn niemals einfach so allein lassen, niemals", erklärte ich, was wohl auch die anderen vom Rand des Lagers aus mitbekommen hatten, jedenfalls kamen sie kurz darauf zu uns. „Also, dann willst du uns damit sagen, dass Atali irgendetwas zugestoßen sein muss?", hakte Gunnar mit einem Gesichtsausdruck nach, bei dem man meinen könnte, er würde schon im Stillen einen fertigen Schlachtplan ausbrüten. Sehr wahrscheinlich tat er das sogar. „Anders könnte ich es mir auch nicht erklären, warum sie weg ist. Wir sollten sie besser schnell finden", meinte Nadia und blickte entschlossen in die Runde.

„Gut, zumindest kann Atali ohne den Kleinen hier nicht so schnell von der Insel runter, also müssen wir nur suchen. Ich schlage vor, wir teilen uns dafür auf, um so ein größeres Gebiet abzudecken", unterbreitete uns Rowin seine Idee, woraufhin wir alle nur nickten. „Perfekt, dann bleib du am besten hier und kümmere dich um den Jungdrachen, Nadia. Der Ärmste ist ja jetzt schon völlig von der Rolle", schlug der Seelenkrieger daraufhin vor und zeigte auf den kleinen Klingenpeitschling, welcher sich in einer Ecke des Zeltes zusammengekauert hatte. „Gut, einverstanden", lenkte die Blondhaarige sofort ein und ging schonmal zu dem doch sehr süßen, aber noch immer blinden Drachenjungen, um es ein wenig zu trösten. „Wir anderen bilden kleine Gruppen, in denen wir dann die Insel absuchen. Terek, Blitzgeist und Venatrix, ihr durchsucht das Küstengebiet auf dieser Seite der Insel. Heidrun, Windfang und Gunnar, ihr nehmt euch solange die andere Seite vor. Währenddessen suchst du, Minden, mit den anderen beiden Flügelmädchen, tut mir sehr leid, aber ich kann mir einfach keine Namen merken, den Wald im Inneren der Insel. Ich werde in der Zwischenzeit sehen, was ich aus der Luft erkennen kann und euch ein Signal geben, wenn ich etwas gefunden habe", teilte Rowin uns fertig ein, woraufhin wir alle zustimmten und uns für den Aufbruch bereitmachten.

„Also ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber so langsam wird mir diese Insel ein wenig unheimlich", meinte Liv, als der Tag schon langsam seinem Ende neigte und blickte sich in dem dichten Wald um. Schon vor längerer Zeit war das Blätterdach so dicht geworden, dass kein Strahl des sowieso schon knappen Sonnenlichts mehr hindurchdrang und jetzt mit der einbrechenden Dunkelheit erwachten die Tiere der Nacht und machten sich durch verschiedenste Geräusche bemerkbar. Aus jeder beliebigen Richtung drangen unwirkliche Geräusche, die keiner von uns so recht zuzuordnen wusste. Zusätzlich wurde auch das Buschwerk am Boden immer dichter und unzählige Lianen schlangen sich um die mächtigen Baumstämme neben uns. „Mhm... Also ich kann dir da zustimmen, dass es hier echt nicht einladend aussieht, aber letztendlich ist es doch auch wieder nur irgendein Wald, also musst du dir keine Angst machen", versuchte ich sie zu beruhigen, obwohl es mir selbst nicht unbedingt anders ging.

Liv:
Der Wald hatte sich nicht sonderlich verändert, einmal davon abgesehen, dass die Sonne bereits so gut wie untergegangen war und es somit schon fast dunkel war. Beinahe der ganze Tag war vergangen, doch noch immer hatten wir keine Spur von Atali gefunden. Minden und Eira waren bereits ein gutes Stück vorausgegangen, wobei Letztere einige Meter in der Luft flog, um die Umgebung besser untersuchen zu können. Gerade überlegte ich zu ihnen aufzuschließen, als ich plötzlich ein leises Knacken im Gebüsch neben mir hörte, woraufhin ich mich sofort in die Richtung umdrehte und meinen Speer in eine angriffsbereite Stellung brachte. „Atali, bist du das?", fragte ich bestimmt und machte einen Schritt nach vorne auf das Buschwerk zu. Ein kurzer Moment des Wartens verstrich, aber ich konnte nichts weiter hören, also wollte ich schon weiter voran gehen, als mir plötzlich ein Gleithörnchen aus den Blättern entgegensprang. Flink huschte es an meinem Kopf vorbei und war bereits in der nächsten Sekunde wieder verschwunden. „Ja genau... Das lebensgefährliche und gemeine Nagetier", murmelte ich nur leise schmunzelnd, ehe ich mich wieder zu meinen Freundinnen umwandte. Ohne, dass ich es auch nur für möglich gehalten hätte, wurde ich jedoch mit einem Mal an den Schultern gepackt und in die Büsche gezerrt, wo mir sofort ein dicker Lappen auf den Mund gedrückt wurde. Nach der ersten Schockstarre versuchte ich natürlich krampfhaft mich zu wehren, aber irgendetwas hielt meinen Körper fest und hinderte mich daran. Voller Verzweiflung versuchte ich zumindest einen Blick auf meinen Peiniger zu werfen, aber alles was ich sah, war eine pechschwarze und krallenbesetzte Pranke, welche den Lappen auf meinen Mund drückte. Wenig später wurden meine Augenlider auch schon ohne jeden erdenklichen Grund schwerer, als hätte man mir die Kraft ausgesaugt und ich fiel in einen tiefen, aber traumlosen Schlaf.

Eira:
Der gequälte Schrei eines jungen Klingenpeitschlings brachte sowohl mich als auch Minden fast gleichzeitig dazu uns in die entsprechende Richtung umzudrehen und unsere Waffen hochzureißen. Ein solcher Schrei konnte jetzt gerade nur von einem Drachen stammen, nämlich von dem kleinen Jungtier, über welches unsere Freundin wachte. „Liv", rief Minden in den Wald hinein, „kannst du uns hören?" Wir beide warteten einige Minuten lang, doch es kam keine Antwort, entweder hatte sie uns also nicht gehört, eher unwahrscheinlich, oder sie steckte in Schwierigkeiten. „Im Halbkreis umrunden", meinte Minden leise zu mir, während sie schon ihren Kleinen anwies loszufliegen. Ich nickte daraufhin nur und schlich mich durch das dichte Blattwerk des Waldes, um zu der Stelle zu kommen, wo sich Liv ungefähr befinden müsste. „Hier", hörte ich plötzlich Mindens Stimme und eilte natürlich sofort zu ihr. Sie stand vor einem extrem dichten Busch, der aber ziemlich zerdrückt aussah, jedoch fiel mir das kaum auf, ich hatte nur Augen für den zweiten Speer, den sie in der Hand hielt. „Liv", murmelte ich leise. „Wer auch immer die mitgenommen hat kann nicht weit gekommen sein. Schwärmen wir aus und suchen sie", meinte Minden entschlossen, ich nickte nur. Daraufhin entfernten wir uns wieder etwas voneinander, um einen größeren Bereich abzudecken und durchsuchten systematisch den Wald. Leider ohne eine wirkliche Spur zu entdecken, wohin genau Liv nun verschwunden ist, oder wer sie angegriffen hatte. Mit einem Mal hörte ich ein Rascheln zwischen den Ästen neben mir, aber als ich in entsprechende Richtung blickte, war es bereits zu spät. Das Letzte, was ich noch sehen konnte, war eine schemenhafte Gestalt mit Flügeln, die genau auf mich zukam, und das Letzte, was ich noch hörte, war das verzweifelte Kreischen meines Jungdrachens.

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