26. Kapitel: ...doch das muss ja nicht schlecht sein.
Heidrun:
„Glaubst du, sie wird schlafen können, nach all dem, was heute passiert ist?", fragte Rowin vorsichtig, nachdem wir die Treppe von Gästezimmer wieder nach unten gingen. „Schwer zu sagen... Aber als ich damals meine Eltern verloren hatte, da habe ich die nächsten paar Nächte kaum ein Auge zumachen können", antwortete ich betrübt. „Na ja und als ich aus dem Seelenreich verbannt worden war, da habe ich auch fast eine Woche lang jede Nacht die meiste Zeit wachgelegen", fügte Rowin noch hinzu. „Machst du dir deswegen so viele Sorgen? Weil du fürchtest, sie könnte tiefer verletzt sein, als wir es uns im Moment vorstellen?", erkundigte ich mich vorsichtig. „Ja... Außerdem will ich auch nichts falsch machen, was sie angeht, es ist nur...", er brach ab, bevor er den Satz beenden konnte, aber ich dachte mir schon, was er sagen wollte. „Ich nehme mal an, dass du deshalb immer so nervös warst, wenn du mit Nel geredet hast, richtig?", hakte ich nach, er nickte wieder nur. „Hey, mein Lieber. Du wirst das schon hinkriegen, vertrau mir", heiterte ich ihn ein wenig auf. „Woher willst du das denn wissen? Ich habe doch keine Ahnung, wie man mit einem Kind umgehen soll, weil... Na ja, du weißt schon", erwiderte Rowin betrübt. „Ja, das weiß ich... Aber sieh es doch mal so, immerhin machst du dir Sorgen um die Kleine und damit bist du deinen Eltern schonmal einen großen Schritt voraus", erläuterte ich und legte ihm dabei eine Hand auf die Schulter. Eine flüchtige Träne rollte über seine Wange, als Rowin leise schniefte und mich wieder ansah, ein schmales Lächeln stand auf seinen Lippen.
„Danke", murmelte er und umarmte mich daraufhin sachte, aber doch liebevoll, was ich sehr gerne erwiderte. „Legen wir uns hin, morgen wird bestimmt ein anstrengender Tag", schlug ich vor und klopfte ihm sachte auf den Rücken. „Da hast du vermutlich Recht, meine Liebste", stimmte er mir zu und küsste mich sanft, bevor wir uns wieder voneinander lösten und ins Schlafzimmer gingen. Schnell hatten wir uns daraufhin umgezogen und in dem weichen Daunenbett aneinander gekuschelt, wo endlich die Anspannung des Tages von uns abfiel. Endlich konnten wir uns entspannen und uns erholen. Zumindest dachte ich das, aber aus irgendeinem Grund konnten wir einfach nicht so richtig einschlafen, als würde uns etwas ganz Bestimmtes wachhalten. Etwa eine Stunde, nachdem wir uns hingelegt hatten, erwies sich dieser Gedanke mehr oder weniger als tatsächlich zutreffend, denn auf einmal hob Rowin seinen Kopf uns schien angestrengt zu lauschen. „Was ist denn los?", fragte ich müde, aber doch ein wenig alarmiert. Zwar konnte ich selbst nichts hören, aber da Rowin als Seelenkrieger über ein deutlich besseres Gehör verfügte, musste das nicht unbedingt etwas heißen. „Nel kommt die Trepper herunter, ich kann die Stufen leicht knarren hören", antwortete er und setzte sich leicht auf. „Verstehe", erwiderte ich, bevor ich aufstand und zur Tür ging. Genau in dieser Sekunde klopfte es zaghaft an dieser und als ich sie vorsichtig öffnete, sah ich dahinter die kleine Nel stehen, mit Finsterflug fest im Arm. „Hey meine Kleine, was ist denn los?", fragte ich mit ruhiger Stimme und beugte mich zu ihr hinunter. Das Knarzen des Holzbodens hinter mir machte mich darauf aufmerksam, dass Rowin ebenfalls zu uns kam.
„Ich... Ich kann nicht schlafen... Immer wenn ich die Augen schließe, d-dann... dann bin ich wieder...", Tränen strömten über ihre Wangen und der Rest ihrer Worte ging im Schluchzen unter. Sofort umarmte ich sie fest und streichelte ihr ganz sachte über den Rücken, während ich sie ein wenig in meinen Armen wiegte. „Ist schon gut, ich verstehe dich. Sowas habe ich auch schon einmal erlebt und obwohl du es vielleicht nicht hören willst, aber vertrau mir, irgendwann wird es besser", versuchte ich sie ein wenig zu trösten. Nel schluchzte aber nur und drückte sich noch enger an mich, was Rowin dazu veranlasste sich neben uns zu knien, um der Umarmung beizuwohnen. Eine ganze Weile lang blieben wir einfach nur so und hielten uns gegenseitig fest in den Armen. „D-Darf ich... Darf ich heute Nacht hier bei euch bleiben?", fragte sie schließlich, woraufhin Rowin sie nur ein wenig schockiert ansah. „Bitte, ich... Ich will einfach nicht allein sein. Nicht, wenn ich ständig diese Männer sehen muss, wie sie...", wieder ging der Rest ihrer Aussage im Weinen unter, aber sie hatte schon genug gesagt, damit er verstand und sie etwas fester umarmte. „Natürlich darfst du bei uns schlafen, wenn es dir hilft", antwortete Rowin und ich nickte zustimmend. „Danke!", entwich es Nel freudig, während sie uns nochmal fest an sich drückte. Diese Umarmung hielten wir noch eine Weile, bevor wir sie doch auflösten und uns wieder ins Bett legten. Rowin und ich jeweils links und rechts am Rand des Betts, während Nel sich sicher zwischen uns beiden eingekuschelt hatte.
Ein leichtes Stöhnen weckte mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf und als ich langsam die Augen öffnete, wurde mir ganz warm ums Herz. Nel lag noch immer friedlich schlafend in unseren Armen und hielt dabei Finsterflug noch immer an sich gedrückt. Nach einigen Minuten ließ ich meinen Blick zu Rowin schweifen, welcher genau wie Nel noch schlief und dabei sanft lächelte, erneut wurde mir warm ums Herz. Es war irgendwie schön ihn so glücklich zu sehen, obwohl es keineswegs so war, als hätte ich ihn in letzter Zeit eher unglücklich gesehen, ganz im Gegenteil. Trotzdem war das hier irgendwie... anders. Es war eine ganz andere Form von Glück, viel unterschwelliger, familiärer und aus irgendeinem Grund auch schöner, wie ich fand. Wenn ich jetzt genauer darüber nachdachte, dann erinnerte es mich sehr an das Gefühl, was mir meine Adoptiveltern damals immer gegeben hatten. Sicherheit, Geborgenheit und Liebe. An ihrer reinen Anzahl gemessen nicht sehr viel, würden manche vielleicht behaupten, aber für ein heranwachsendes Kind waren dies die wohl größten Schätze. Sicherheit und Geborgenheit. Hallte es leise in meinem Kopf wider. Vermutlich waren dies die zwei Dinge, für die Eltern am meisten sorgen wollten, wenn es um ihre Kinder ging. Traurig musste ich nun daran zurückdenken, dass Nels Eltern diese Rolle leider nicht erfüllen konnten, weil andere sie daran gehindert hatten, ähnlich wie es meinen Adoptiveltern damals passiert ist. Rowin wiederrum... Na ja, bei ihm waren seine Eltern zwar nicht von außen verhindert worden, doch scheinbar war er ihnen einfach egal, was ich fast noch schlimmer fand. Irgendwie wurde mir gerade erst so richtig bewusst, dass wir alle durch ein gewisses Leid in Bezug auf unsere Eltern geeint waren, wodurch ich mich irgendwie noch mehr mit Nel verbunden fühlte.
Ganz langsam hob ich meine Hand und strich eine Strähne ihres braunen Haars ganz sanft hinter ihr Ohr. Unterbewusst stellte ich mir auf einmal vor, wie es wohl wäre, wenn Nel dauerhaft bei uns bleiben würde, wenn wir sie großziehen würden, als wäre sie meine und Rowins eigene Tochter. Eine einsame Träne huschte über meine Wange, als ich dadurch wieder an meine Adoptiveltern denken musste und gleichzeitig spürte ich einen leichten Stich in meinem Herzen. Nicht unbedingt nur wegen all der alten Erinnerungen, sondern auch wegen der Erkenntnis, dass Nel vermutlich nicht sehr lange bei uns bleiben würde. Sobald wir eine bessere Lösung gefunden hatten, wo sie dauerhaft leben konnte, würde sie gehen und wir könnten sie höchstens noch von Zeit zu Zeit besuchen. Wieder war da dieser leichte Stich in meinem Herzen, diesmal bei dem Gedanken daran, wie Rowin und ich uns kurz nach unserer Hochzeit einmal darüber unterhalten haben eigene Kinder zu haben. Eine ganz eigene Familie zu gründen, doch leider war uns dieses Glück bisher verwehrt worden. Dann machte mein Kopf plötzlich eine Pause und mir schwebte nur noch eine einzige Frage vor. Was wäre denn, wenn Nel gar nicht weggehen würde? Eigentlich würde es doch kaum einen Unterschied machen, ob sie nun bei uns oder irgendwo anders blieb, in jedem Fall würde sie ihre Pflegeeltern nicht kennen. Vielleicht wäre es ja sogar besser, wenn sie bei uns blieb, immerhin konnten wir sie auf jeden Fall beschützen und nachdem wir sie in Fornberg gefunden hatten, fühlte sie sich bei uns bestimmt sicherer. Mein Gedankengang wurde jedoch ziemlich unverhofft davon unterbrochen, dass Rowins Atmung auf einmal ein wenig unregelmäßiger wurde und er schließlich aufwachte. Schnell schob ich meine Überlegungen also zur Seite und wandte ihm meine ganze Konzentration zu.
„Na, gut geschlafen?", fragte ich flüsternd, um Nel nicht aufzuwecken. „Sogar erstaunlich gut, wenn man den letzten Tag und die neuen Umstände bedenkt", antwortete er ebenfalls flüsternd und streichelte beim letzten Teil Nel ganz sanft. Dabei lächelte Rowin genauso warm, wie ich es zuvor schon getan hatte und ich wurde das Gefühl nicht los, das er am liebsten niemals wieder aufstehen würde. Schließlich spürte ich aber, wie mein Magen sich meldete und nach etwas zu essen verlangte. Zwar knurrte er noch nicht, wie ein verärgerter Drache, was ich schon oft gehört hatte, um es beurteilen zu können, aber ich wusste, dass es bis dahin nicht mehr allzu lange dauern würde. „Ich glaube, ich stehe dann mal lieber auf und mache uns ein kleines Frühstück. Bleibst du solange hier bei Nel, damit sie nicht allein ist, wenn sie aufwacht?", erkundigte ich mich flüsternd an Rowin gewandt. „Natürlich, aber lass uns bitte etwas übrig", antwortete er scherzhaft und strich ganz sachte nochmal über Nels Haare, welche ein wenig bis über die Schultern reichten. „Na gut, wenn du mich so lieb bittest", witzelte ich zurück, bevor ich mich ganz vorsichtig aus dem Bett erhob und so leise wie möglich durch die Tür in den großen Hauptraum trat. Von dort ging ich in den Vorratsraum neben unserem Schlafzimmer, aus dem mir sofort ein kleiner Schrecklicher Schrecken entgegengetrottet kam, dessen Bauch sich merklich wölbte. Ein gewöhnlicher Wikinger hätte sich jetzt wohl tierisch über den kleinen Drachen aufgeregt, aber ich lächelte nur und hob ihn auf. „Wie ich sehe, war deine Jagd heute Nacht sehr erfolgreich", meinte ich nur schmunzelnd, während ich ihn ganz sanft krauelte.
Hicks hatte ja damals schon angefangen zu überlegen, wie wir Menschen friedlich mit Drachen zusammenleben könnten, aber da die Seelenkrieger mit ihnen reden konnte, erreichte das ganz neue Höhen. So hatten wir hier auf der Klippe zum Beispiel mit vielen der Schrecklichen Schrecken die Übereinkunft getroffen, dass sie die Mäuse und Ratten aus unseren Lagern fraßen. Im Gegenzug beachteten sie die Bestände daraus nicht weiter und bekamen von uns auch immer wieder ein paar kleine Leckerbissen, wenn welche übrigblieben. Ein leises Krächzen war alles, was der Kleine auf meine vorige Aussage erwiderte, als er sich scheinbar sehr zufrieden an mich kuschelte. Offensichtlich gab es heute Nacht einiges an Arbeit für ihn, die er erstmal in Ruhe verdauen musste. Also setzte ich ihn sanft auf einem der Fensterbretter ab und öffnete das dazugehörige Fenster noch, damit der Kleine jederzeit losfliegen konnte. Dort streckte sich der kleine Drache erst einmal ausgiebig und rülpste leise, aber für so ein winziges Wesen doch laut, bevor er schlussendlich zu einem Schläfchen ansetzte. Ich ging in der Zwischenzeit zurück in die Vorratskammer und suchte alles Nötige für ein üppiges Frühstück heraus, darunter natürlich Brot, Käse, Wurst und etwas Honig, aber auch ein paar Eier und etwas Speck. Schnell stellte ich alles auf den Tisch, bevor ich mir die letzten beiden Dinge nahm, mit ihnen zur Feuerstelle ging und diese so leise wie möglich entzündete. Mit geübten Handgriffen setzte ich einen Kessel Wasser auf und schob den flachen Stein, den wir zum Braten verwendeten, in die Nähe der Flammen.
Auf ihm briet ich den Speck, bis er schön brutzelte und kochte gleichzeitig die Eier im Kessel, sodass man sie gut essen konnte. Natürlich hätte ich für Ersteres auch eine Pfanne benutzen können und ehrlich gesagt tat ich das auch viel lieber, aber so konnte ich beides zur gleichen Zeit zubereiten. Ich war gerade dabei die Eier in eine Schüssel zu geben und auf den Tisch zu stellen, als ich plötzlich hörte, wie sich die Tür zum Schlafzimmer wieder öffnete. Rasch blickte ich auf und erkannte, dass es Nel war, die gerade mit Finsterflug im Arm das Zimmer betrat, Rowin folgte ihr nur wenige Schritte danach. Augenblicklich ließ ich von meiner Arbeit ab und kam ihnen beiden entgegen, wobei sich direkt wieder ein herzliches Lächeln auf meine Lippen schlich. „Na meine Kleine, konntest du denn einigermaßen gut schlafen?", fragte ich sanft. „Oh ja, ich weiß zwar nicht wie, aber ich habe fest durchgeschlafen", antwortete sie und umklammerte meine Beine, was mich bloß zum Schmunzeln brachte. „Das freut mich, das Frühstück ist auch gleich fertig", erwiderte ich und beugte mich zu ihr hinunter, um sie kurz in den Arm zu nehmen. Daraufhin löste ich mich ganz vorsichtig wieder von ihr und wandte mich zum Tisch, um ihn fertig einzudecken, nur um festzustellen, dass Rowin das unbemerkt von mir bereits getan hatte. „Oh, danke Liebster", meinte ich kichernd und suchte schnell noch die Kissen zusammen, die wir gestern auf Nels Stuhl gestapelt hatten, damit sie an den Tisch kam. Schnell waren sie gefunden und wieder da, wo sie hingehörten, ehe wir uns alle gemeinsam setzten, nachdem Rowin noch den Teller Speck dazugestellt hatte.
„Wow, was äh... Ist heute vielleicht irgendein besonderer Feiertag bei euch, oder warum macht ihr so viel zum Frühstück?", fragte Nel plötzlich. Beide waren Rowin und ich von dieser Frage erst einmal so geschockt, dass wir nicht antworten, sondern nur kurz einen verwirrten Blick austauschen konnten. „Nein, so essen wir jeden Tag, wobei wir heute natürlich noch etwas mehr aufgedeckt haben, weil du ja mit uns isst", antwortete ich schließlich. „Aber, bei dieser Menge... Davon haben meine Eltern und ich mehrere Tage gegessen", erzählte Nel und sah sich mit großen Augen die verschiedenen Speisen an. In Gedanken versuchte ich mich an die Hütte zu erinnern, in welcher wir Nel damals gefunden hatten und bei der es sich laut ihrer Geschichte um ihr Elternhaus handelte. Konzentriert versuchte ich mich an die einzelnen Einrichtungsgegenstände zu erinnern und mir vorzustellen, wie die Hütte wohl aussah, bevor der Orden dort gewütete. Dabei kam ich bald zu dem Ergebnis, dass sämtliche Möbel und auch alle anderen Dinge dort sehr abgenutzt wirkten, als wären sie schon etwas älter, sowie mehrfach ausgebessert worden. Ein Seitenblick zu Rowin verriet mir, dass er gerade genau das Gleiche getan hatte. „Sag mal, deine Eltern waren nicht unbedingt sehr wohlhabend, oder?", erkundigte er sich dann so vorsichtig wie möglich, worauf Nel nur den Kopf schüttelte. „Nein, das waren sie nicht... Deswegen mussten sie auch immer darauf achten, was sie sich gerade leisten konnten, wenn es ums Essen ging", fügte sie dann noch hinzu. „Ich verstehe... Na gut, hör mal zu Nel. Bei uns musst du dir um sowas keine Sorgen machen, wir haben eigentlich immer mehr als genug, damit alle satt werden können. Also iss ruhig, so viel du nur magst", erklärte ich ihr dann, nach kurzem Überlegen, wie ich es am besten ausdrücken sollte.
Ich war mir zwar immer noch etwas unsicher, ob das nun die richtige Wortwahl war, aber wenn ich damit einen wunden Punkt in Nel gestreift hatte, dann ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Stattdessen nickte sie nach einigen Sekunden schließlich und griff sich eine Scheibe Brot, sowie etwas Käse. Da wir es nicht wagten, dass Schweigen zu brechen, nahmen Rowin und ich uns vorerst auch wortlos ein paar Eier, sowie dazu etwas Speck und eine Scheibe Brot mit passendem Aufschnitt. Sobald Nel jedoch das erste Mal von ihrem Brit abbiss, hellte sich ihr Gesicht schlagartig auf und sie stöhnte leise vor Genuss. „Mhm, lecker", meinte sie beim Kauen und schluckte den Happen schließlich herunter, bevor sie wieder von der Scheibe abbiss. Erleichternd lächelnd blickte ich zu Rowin, welcher ebenfalls aussah, als wäre ihm gerade ein Stein vom Herzen gefallen. Kurz nickten wir uns noch gegenseitig zu, ehe wir uns ebenfalls wieder mehr dem Essen widmeten. Dabei stellte ich zu meiner Freude schnell fest, dass Nel mit der Zeit immer offener wurde und sich Zusehens mehr an unseren Gesprächen beteiligte, was mich beruhigte. Scheinbar konnte sie den Albtraum, welchen sie durchleben musste, langsam aber sicher verarbeiten. Nach dem Essen räumten Rowin und ich schnell ab, bevor wir uns schließlich dem Problem widmeten, was wir schon gestern bemerkt hatten. Nämlich Nels mangelnder Auswahl an Kleidung zum Wechseln. Für das Essen hatte sie jetzt wieder ihre alten Sachen aus Fornberg angezogen, aber auf Dauer war das auch keine Lösung. Zudem hatten wir auf der Klippe noch nie dauerhaften Besuch von einem so kleinen Kind, weshalb wir hier generell keine Kleidung in der passenden Größe hatten.
Also beschlossen Rowin und ich kurzerhand zur Nadel, mit der wir eigentlich unsere eigenen Sachen flickten, zu greifen, um für Nel einen ganz neuen Satz frischer Kleidung zusammenzustellen. Dabei teilten wir uns die Arbeit so gut es ging, indem ich zum Beispiel Nels Maße nahm, während Rowin schonmal alles Nötige an Schafswolle, Stoff und Leder sowie natürlich den Werkzeugen bereitlegte. Nel vertrieb sich indessen so gut es ging die Zeit, indem sie sich in einen der Stühle unserer Sitzecke fallenließ und mit ein wenig mit Finsterflug spielte. Gedanklich machte ich mir eine Notiz, dass wir uns so bald wie möglich noch um ein paar Spielsachen für sie kümmern mussten. Glücklicherweise waren Rowin und ich durch unsere Arbeitsteilung sehr schnell fertig mit dem Nähen, sodass Nel gar nicht so lange warten musste, wie ich kurz befürchtet hatte. „So, du kannst jetzt gerne kommen und die Sachen anprobieren, wenn du möchtest", sagte ich zu ihr und sofort kam sie zu uns gelaufen. Lächelnd drückten wir Nel den Satz Kleidung in die Hand, bevor sie ins Schlafzimmer eilte, um sich dort umzuziehen. Als sie wenige Minuten später wieder herauskam, stockte Rowin und mir fast der Atem, da die Kleine kaum wiederzuerkennen war. Anstatt der groben, abgenutzten Kleidung, trug sie nun eine Weste aus dunklem Leder und darunter als Kontrast ein Hemd aus Schafswolle, während ihre Hose aus hellbraunem Stoff bestand. Nur ihre Schuhe erinnerten noch daran, dass sie aus eher ärmeren Verhältnissen stammte, aber darum würden wir uns auch noch kümmern. Ansonsten war ich mit dem Ergebnis aber sehr zufrieden und bekam auf einmal das Bedürfnis Nels erdig braunes Haar zu einem Zopf zu flechten, da dies meiner Meinung nach ihr Aussehen abrunden würde.
„Und, wie sehe ich aus?", fragte Nel ein wenig schüchtern. „Sehr schön, die Sachen stehen dir", antwortete Rowin und lächelte warm, wobei ich mich nur anschließen konnte. „Danke", antwortete Nel und wenn ich mich nicht ganz täuschte, färbten sich ihre Wangen dabei leicht rot. „Also dann, sollen wir dir vielleicht ein wenig die Insel zeigen?", erkundigte ich mich immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen. „Wirklich?", wollte Nel wissen und kam dabei mit strahlenden Augen auf uns zu. „Natürlich", bestätigte ich ihr, woraufhin sie nochmal zu Rowin blickte, der ebenfalls nickte. Als wir jedoch zur Tür liefen, zögerte sie kurz und blickte uns unsicher an. „Was ist los?", fragte ich ganz sanft. „Na ja... Darf ich Finsterflug vielleicht mitnehmen?", fragte sie zaghaft. „Aber selbstverständlich", erlaubte Rowin sofort und ich nickte ebenfalls zustimmend. „Danke!", rief Nel und lief eilig zurück zur Sitzecke, um den kleinen Plüschdrachen zu holen. „Also gut, dann gehen wir Vier mal", meinte ich und blickte Nel, die Finsterflug im Arm hielt, fast als wäre er wirklich ein Jungdrache, mit einem warmen Lächeln an. Rowin musste bei diesem Anblick ebenfalls leise Schmunzeln, während er die Tür öffnete und höflich Platz machte, damit wir vorgehen konnten.
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