21. Kapitel: Ein kleines Teil im Puzzle
Astrid:
Ein unangenehmer Schrei übertönte beinahe das hässliche Knacken, als Aliena die Schulter ihres Bruders mit einem kräftigen Ruck wieder einrenkte. „Danke Schwesterherz", stöhnte er und drehte seine Schulter einige Male probeweise. „Geht es dir ansonsten soweit gut, hast du noch irgendwo Schmerzen?", fragte Aliena besorgt und betrachtete Atreus noch einmal genau. Bedachte man, zu was er eigentlich fähig war, sah er wirklich nicht mehr allzu gut aus. Ein blaues Auge und eine aufgeplatzte Lippe zeugten von den Schlägen, die er ins Gesicht bekommen haben musste, dazu natürlich noch die ausgekugelte Schulter. „Wer hat dich so zugerichtete?", fragte ich vorsichtig und legte die Augenbrauen schief, wofür ich sofort einen strafenden Blick von Aliena bekam. „Eine dieser Drachenkrallen, von denen ich neulich erzählt hatte, genauer gesagt Auge, der Scharfschütze aus ihrer Gruppe", antwortete Atreus dennoch. „Ein Scharfschütze hat dich in einem Nahkampf so übel zugerichtet?", hakte ich leicht misstrauisch nach. „Was willst du ihm hier unterstellen?", ging Aliena diesmal mit Worten dazwischen. „Fürs Erste rein gar nichts, aber ich finde es doch etwas seltsam, dass sich dein Bruder, welcher zu den besten Kämpfern im Inselreich zählt, von einem einfachen Scharfschützen so zurichten lässt", erklärte ich ihr und blickte wieder zu Atreus.
„Nun, erstens vergisst du, dass ich im Ruhestand bin und zweitens... ist Drachenauge nicht einfach nur ein Scharfschütze. Zwar ist das zielgenaue Schießen auf extreme Distanzen zweifellos sein Fachgebiet, aber es ist trotzdem auch ein herausragender Nahkämpfer, genau wie alle Drachenkrallen", erwiderte Atreus und blickte mich dabei eiskalt an. „Hm, also für jemanden, der scheinbar nichts Genaues über diese Drachenkrallen weiß, kennst du aber nun aber doch einige Details über sie", bemerkte ich und sah ihn dabei misstrauisch nach. „Das geht jetzt aber zu weit!", meinte Aliena und stellte sich schützend vor ihren Bruder. „Das tut es nicht, wenn er nichts zu verbergen hat", gab ich bloß zurück und hielt ihrem Blick stand. „Ist schon gut, falls es sich wirklich so sehr interessiert... Als ich damals Teil von denen war, wollten sie mich ebenfalls zu einer dieser Drachenkrallen machen", erklärte er daraufhin. „Sie wollten das?", hakte ich interessiert nach. „Ja, aber es hat nicht so gut geklappt... Ein gutes Herz zu haben, ist wie schon gesagt ein ziemlich nützlicher Vorteil, wenn es darum geht diesem Fluch zu widerstehen", fügte er hinzu. „Na gut, ich entschuldige mich für diese kleine Befragung, aber ich war einfach nur ein wenig verwundert", entgegnete ich anschließend und ließ meinen Blick sofort wieder weicher werden. „Entschuldige dich am besten damit, dass du sowas ihm gegenüber niemals wieder ansprichst", schlug Aliena ein geschnappt vor und drehte sich zu Atreus um, welcher einige Male durchatmete, bevor er mir kurz eine dankbaren Blick zuwarf.
„Ist das der einzige Angreifer, den ihr gefangen nehmen konntet?", fragte ich etwa eine Stunde nach meinem Gespräch mit Atreus an Alvin gewandt. In der Zwischenzeit hatte ich mich vor allem um die vielen Verletzten gekümmert, darunter zu meinem Entsetzen auch Hicks. Plötzlich wurde ich jedoch von einigen der ehemaligen Verbannten überraschend in den Haupttrakt des Gefängnisses gerufen, um bei einem der Verhöre dabei zu sein. „Leider ja. Die anderen haben sich vorher alle mit einer Giftkapsel, die in die Anfänger an ihren Halsketten eingelassen waren, umgebracht. Nur bei ihm hier konnten wir das gerade noch rechtzeitig verhindern", erklärte Alvin und blickte mürrisch zu unserem Gefangenen. Dieser war natürlich entwaffnet, sowie mit eisernen Handschellen gefesselten worden und kniete nun mit ausdrucksloser Miene vor uns auf dem Boden. „Also schön, wie ist dein Name?", fragte ich ihn schließlich, erhielt aber keine Antwort. Es schien sogar so, als würde er nicht einmal darauf reagieren, dass ich ihn angesprochen hatte. „Hörst du schlecht? Sie hat dich gefragt, wie du heißt!", blaffte Alvin ihn an, doch der noch immer in seinen schwarzen Mantel gehüllte Mann rührte darauf weiterhin keinen Muskel. „Hey, hör mal zu, wir können das hier auf zwei Arten machen... Eine davon würde aber bedeuten, dass wir dir eine Menge Schmerzen zufügen müssten, also überleg es dir lieber gut!", stellte Alvin klar und tatsächlich reagierte unser Gegenüber auf diese Ansage. Allerdings hob er nur ein wenig den Kopf, blickte den Herrscher dieser Insel eiskalt an und spuckte ihm schließlich ins Gesicht.
„Na schön, aber mach nicht mich verantwortlich dafür, wenn du später um Gnade winselst!", meinte Alvin und wollte den Mann schon mit sich schleifen, doch ich hielt ihn zurück. „Warte noch kurz...", murmelte ich dabei und sah mir unseren Gefangenen nochmal ganz genau an. Auf den ersten Blick schien er keinerlei Emotionen zu zeigen, als wäre es ihm völlig egal, was um ihn herum geschah, was Alvin ihm antun wollten... Aber nach einigem Hinsehen erkannte ich, dass sich da noch etwas anderes in seinen Augen versteckte. „Was ist denn?", erkundigte sich Alvin überrascht. „Siehst du es nicht? Unser Freund hier... hat Angst", erklärte ich ihm. „Na die sollte er auch lieber haben, spätestens wenn ich meine ältesten Werkzeuge wieder entstaube, um ihn zu ein paar Antworten zu überreden!", entgegnete Angesprochener zornig. „Ich meinte nicht vor dir, oder vor mir selbst, Alvin. Viel mehr glaube ich, dass unser Freund hier Angst vor demjenigen hat, für den er arbeitet", berichtigte ich ihn. Als ich den Mann dabei aus den Augenwinkeln genau beobachtete, bemerkte ich ein minimales Zucken seiner Wimpern, was mir zur Bestätigung reichte. „Ich habe doch Recht, oder? Ehrlich gesagt könnte ich mir sogar gut vorstellen, dass ganz egal was dir Alvin oder seine Leute antun werden, du niemals auch nur ein Wort sagen würdest, richtig?", fragte ich ihn und lächelte dabei wissend, dass ich damit ins Schwarze trat.
„Er würde mich ohne zu zögern umbringen, wenn er hören würde, dass ich geredet habe, im besten Fall... Im Schlechtesten lässt er mich befreien, um mich als Sklave bis zur völligen Erschöpfung schuften zu lassen, bis er mich zum Spaß an seine Drachen verfüttert... Und Lachend dabei zusieht, wie sie mir das Fleisch von den Knochen reißen... Also macht mit mir ruhig, was auch immer ihr wollt, schickt mich durch die dunkelsten Albträume, die euch nur einfallen... Verglichen mit diesem Schicksal sind das rosige Träume zum Einschlafen", erhob der schwarz gehüllte Mann erstmals seine Stimme. Obwohl ich ihn zwar durchschaut hatte, war sie immer noch extrem ruhig und kontrolliert, was ich angesichts seiner Situation nur bewundern konnte. „Also der Dämonenkönig? Du arbeitest für ihn, nicht wahr?", hakte ich lächelnd nach und noch bevor die Gesichtszüge des Gefangenen kurzzeitig entgleisten, wusste ich schon, dass es so war. „Diese Unterhaltung ist... beendet", meinte er anschließend nur noch und senkte wieder den Kopf, darum bemüht seine ausdruckslose Maske wieder auszubauen. „Na schön... Alvin, sende jeweils eine Schreckenspost an jeden unserer Verbündeten. Teile ihnen darüber mit, dass unser neuer Freund hier ausgesprochen kooperativ war und wir ihm im Gegenzug ein verkürztes Strafmaß, sowie extra Komfort in seiner Zelle gewähren", meinte ich an den Anführer der Verbannten gewandt, gestattete mir dabei aber ein leicht teuflisches Lächeln in Richtung unseres Gefangenen. „Was?! Nein! Das ist mein Todesurteil!", rief dieser augenblicklich erschrocken und hob seinen Blick wieder.
„Aber wieso das denn? Es sei denn, wir hätten einige Maulwürfe in unseren Reihen, die diese Information über dich weiterleiten würden... Das wäre dann natürlich unangenehm", erwiderte ich und lächelte weiter. So langsam schien Alvin auch zu verstehen, worauf ich hier hinauswollte und lächelte ebenfalls. „Bitte... Das könnt ihr nicht machen...", meinte der Mann wie entgeistert, von seinem vorherigen Selbstbewusstsein war kaum noch etwas übrig. „Oh, das können und machen wir... Es sei denn, du hast uns noch etwas zu sagen", gab Alvin nur zurück. Daraufhin schwieg unser Gefangener kurz, doch als er schließlich den Kopf neigte wusste ich, dass wir gewonnen hatten. „Möge das Leiden Odins euch alle holen, aber... gut... Wenn ihr mir versprecht mich so zu behandeln, als hätte ich nicht geredet und niemals erwähnt, woher ihr diese Informationen habt, dann... will ich euch alle Fragen beantworten, die ich kann", lenkte er schließlich widerwillig ein. „Fangen wir doch damit an, wieso ihr unsere Insel überhaupt angegriffen habt", schlug Alvin vor. „Um es den Drachenkrallen zu ermöglichen sich heimlich in die Tunnel zu schleichen, warum weiß ich aber nicht", antwortete der Mann. „Willst du uns wirklich weißmachen, dass du nicht wüsstest, was einige der mächtigsten Diener deines Herrn hier wollten?", hakte ich scharf nach, woraufhin er leise lachte. „Ihr habt wirklich keine Ahnung, wie es in der Schattengilde läuft...", murmelte er dabei leise. „Die Schattengilde?", wiederholte Alvin fragend. „Ja... So nennt sich der Kreis an Spionen und Informanten, die euere Inselreiche im Auftrag des Orden des Ewigen Feuers unterwandern haben... Und in dieser Gilde kommt man nicht besonders weit, wenn man zu viele Fragen stellt. Jeder bekommt ganz genau so viel gesagt, wie er wissen muss, um seine Mission abzuschließen, das war es. Wer diese Regel nicht befolgt, der ist tot", erklärte unser Gegenüber.
„Das hilft uns aber nicht besonders weiter...", stellte ich trocken fest, woraufhin er nur wieder schwieg. „Alvin, wie schnell kannst du die Schrecklichen Schrecken losschicken?", fragte ich provokant in dessen Richtung, womit ich sofort wieder die volle Aufmerksamkeit unseres Gastes hatte. „Fornberg!", schrie er daraufhin fast schon, noch bevor Alvin antworten konnte. „Ja?", wandte ich mich wieder an ihn. „Als wir im Hafen losgesegelt sind, habe ich gehört wie einige andere sich auf einem Dock darüber unterhalten haben, dass sie zur Unterstützung einer Einheit des Ordens nach Fornberg entsendet werden. Zwar kann ich mir da nicht ganz sicher sein, aber da sie zur gleichen Zeit losgeschickt wurden wie wir, könnte es da einen Zusammenhang geben. Ich schwöre, ich weiß nicht mehr über diese Sache!", erklärte er und blickte uns zum Ende hin flehend an. „Na schön... Alvin, lass dir alles von ihm geben, was uns sonst noch interessieren könnte, wie zum Beispiel die Standorte dieses Hafens und die Namen aller ihm bekannten Agenten. Danach lass es wie abgemacht so aussehen, als hätten wir zwar versucht ihn zu überreden uns alles zu verraten, er aber den Mund gehalten hat. Das heißt, wenn du einverstanden bist", erkundigte ich mich vorsichtig. „Aber natürlich bin ich das, aber was wirst du solange tun?", fragte er etwas irritiert zurück. „Ich schreibe eine Schreckenspost an Rowins Team, damit sie bei Fornberg nach dem Rechten sehen. Zwar müssten sie sich im Moment noch aufgeteilt haben, aber trotzdem sind sie um einiges schneller dort, als wir es sein könnten. Zumindest, wenn ich die Lage dieser kleinen Insel noch grob richtig im Kopf habe", antwortete ich ihm, während ich schon darüber nachdachte, wie ich die Briefe am besten formulieren sollte.
Drachenschädel:
Schmal lächelnd strich ich über das eingravierte Berserker-Emblem auf der goldenen Gürtelschnalle, die ich mir bei meinem letzten Auftrag genommen hatte. Ein klein wenig verwundert war ich ja schon, dass ich dieses Schmuckstück bei einem der Verbannten und nicht bei einem Berserker gefunden hatte, aber stören tat es mich nicht. Ganz im Gegenteil, immerhin wurde es damit noch viel einzigartiger und somit auch wertvoller für meine Sammlung. Leise schmunzelnd fuhr ich also nochmal mit dem Daumen über den Kopf des Skrills auf dem Metall und blickte anschließend wieder zu der Wand vor mir. Dort befanden sie sich, meine Trophäen, jeweils eine für jede Mission, die ich absolviert hatte, entrissen von seinem der Männer, welche ich dort niedergestreckt hatte. Die vergoldete Gürtelschnalle fand nun ihren Platz zwischen dem mit einem Rubin verzierten Ring von Johann, und der silbrigen Armschiene, die ich diesem Flügelmädchen abgenommen hatte. Anschließend trat ich einige Schritte zurück und betrachtete die mit zahlreichen Schmuckstücken, sowie teils auch Waffen bestückte Wand voller Stolz. „Wie lange stehst du schon dort?", fragte ich schließlich und drehte mich zur Tür hinter mir um, dort stand Fänge.
„Lange genug, um mir ein Bild von deiner wirklich eindrucksvollen Sammlung zu machen", entgegnete sie leise kichernd. „Verstehe. Was ist eigentlich aus deinem Treffen mit diesem Rohling geworden? Wollte er dich nicht sehen?", erkundigte ich mich daraufhin. „Das wollte er in der Tat, aber ich hielt es für das Beste ihn... gehenzulassen", antwortete sie völlig trocken. „Das hättest du nicht tun sollen, er hätte uns vielleicht nochmal nützlich werden können", wies ich sie ein wenig erbost zurecht. „Ach ja? Diese feige Made von einem Wikinger verriet seine Insel, seinen Stamm und seinen eingeschworenen Lehnsherren für was? Ein bisschen Gold und etwas Spaß mit mir. Zu gegebener Zeit hätte er uns mit Sicherheit auch verraten, wenn er sich davon einem Vorteil versprochen hätte", erklärte sie sich. „Und warum musstest du ihn deswegen gleich töten, anstatt ihm nur so viel Angst zu machen, dass er uns bestimmt nicht mehr so einfach verrät?", hakte ich nach. „Na ja, er war ganz schön langweilig", meinte sie einfach nur schulterzuckend.
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