4. Kapitel: Unterricht bei einem Seelenkrieger

Heidrun:
Der nächste Morgen kam für meinen Geschmack viel zu früh, weshalb ich mich noch einmal im Bett umdrehte, bevor ich aufstand. Gähnend kämpfte ich mich auf die Beine, zog mir etwas Ordentliches an und ging zum Clubhaus, um uns allen ein kleines Frühstück zuzubereiten. Nur war Rowin in diesem Punkt ein Wenig schneller gewesen, denn als ich den Raum betrat, stand er schon mit einem Schwung Teller, sowie Besteck in der Hand dort und war dabei den Tisch zu decken. „Guten Morgen", meinte er, als er mich bemerkt hatte. „Morgen", stöhnte ich noch immer vollkommen verschlafen zurück, „wie kannst du nach gestern Abend so früh schon so wach sein?" Ein lautes Lachen entwich Rowins Kehle bevor er mir antwortete. „Das ist ein weiterer Moment, der einmal mehr deutlich zeigt welche Vorteile ein Seelenbund bieten kann", meinte er immer noch grinsend, „Nachtschatten haben nämlich grundsätzlich einen erholsameren Schlaf als Menschen. Diese Fähigkeit hat sich durch meine Vereinigung mit Feuerblitz jedenfalls auch auf mich abgefärbt. Somit brauche ich nicht mehr ganz so viel Schlaf wie du zum Beispiel, eigentlich bleibe ich nur wegen der Bequemlichkeit so lange im Bett wie ihr."

„Also je mehr ich über die Vorteile deines Seelenbundes höre, desto lieber wäre ich selbst auch so wie du", kommentierte ich verträumt. „So perfekt, wie du denkst, ist es aber nicht", gab er zurück, „du vergisst, dass der Drache, mit dem man sich verbindet, all deine Gedanken einsehen kann, selbst wenn er es gar nicht möchte. Somit kannst du niemals wirklich etwas für dich behalten, denn dein Seelenpartner wird immer genau wissen, was du weißt, denkst und fühlst." Diese Worte brachten mich doch dazu meine Meinung über den Seelenbund noch einmal zu überdenken. „Na gut, vielleicht ist es besser, wenn ich so bleibe, wie ich bin", erwiderte ich kleinlaut. „Schön gesagt, einmal davon abgesehen, dass du vermutlich sowieso nicht zu einer Seelenkriegerin werden könntest, ist es immer das Beste mit der Person zufrieden zu sein, die man nun mal ist", meinte Rowin lächelnd. Nach dieser kleinen Unterhaltung herrschte vorerst Schweigen zwischen uns, erst als die Anderen dazukamen, liefen wieder einige Unterhaltungen an. Trotzdem wechselte ich kaum ein Wort mit Rowin, zumindest solange bis wir alle unsere Mahlzeit beendet und uns von unseren Plätzen erhoben hatten.

„Hast du das Kapitel schon durchgelesen?", fragte er mich dann ohne Vorwarnung. „Allerdings, wieso?", fragte ich überrascht zurück. „Na ja, ich dachte mir nur, wenn du diese Kampfform so unbedingt erlernen möchtest, würdest du mich ja vielleicht gerne bei meinem morgendlichen Training begleiten", erklärte Rowin mit einem leicht verlegenen Lächeln. „Schön, wenn du so sehr darauf bestehst", scherzte ich ebenfalls lächelnd zurück. Ein paar Minuten später stand ich mit meiner Axt, etwas Proviant und einer Feldflasche Wasser vor Rowins Hütte und wartete auf Selbigen. Wenig später öffnete sich auch schon wieder die Tür und der Seelenkrieger trat in seiner anscheinend üblichen Trainingsmontur hinaus. „Wollen wir dann?", fragte ich allein des Spaßes halber. „Gerne, das heißt solange du Schritt halten kannst", antwortete Rowin grinsend. Ehe ich die Gelegenheit hatte etwas darauf zu entgegnen, war er auch bereits in Richtung des Waldes losgejoggt. Augenrollend nahm ich die Verfolgung auf, allerdings stellte sich schon sehr bald heraus, dass er weitaus schneller und ausdauernder war, als ich. „Warte Rowin! Könntest du dein Tempo vielleicht ein wenig abbremsen?", bat ich schließlich, nachdem mir mein Stolz vor Erschöpfung egal geworden war. „Das habe ich schon längst gemacht und wenn ich noch langsamer werde, dann laufe ich rückwärts", antwortete Rowin und ich war mir sicher, ein leises Lachen von ihm zu hören. „Verstehe", gab ich nur zurück.

Ungefähr zehn Minuten später waren wir, oder eher ich bei Rowins Übungsplatz angekommen, er selbst wartete dort natürlich bereits auf mich. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr", bemerkte er lächelnd. Völlig seelenruhig saß Rowin auf einem Baumstumpf und schnitzte mit seinem kurzen Dolch an einem ziemlich geradegewachsenen Ast herum. „Du bist ja auch um einiges schneller als ich", erwiderte ich leicht genervt. „Ich sagte doch schon, dass ich mich extra für dich zurückgehalten habe", wiederholte er. „Trotzdem...", murrte ich. Eigentlich war Rowin ja ziemlich nett und eine Person, deren Gesellschaft ich durchaus genießen konnte, aber manchmal konnte er auch ein wenig überheblich sein. „Ich schlage vor wir überspringen mein übliches Programm zum Aufwärmen und fangen gleich mit dem Schwertkampf an, der Weg hierher dürfte diesen Zweck bei dir ja schon erfüllt haben", schlug Rowin plötzlich vor. „Nein, ich will von dir keine Sonderbehandlung. Das heißt, ich werde genau dieselben Übungen machen, wie du auch", antwortete ich bestimmt. „Selbst wenn ich diese Übungen für die körperlichen Verhältnisse eines Seelenkriegers, die den deinen weit überlegen sind, konzipiert habe?", fragte mein Gegenüber und sah von seiner Schnitzarbeit auf. In seinen Augen lag keinerlei Überheblichkeit, eher Verwunderung und vielleicht auch Besorgnis. „Selbst dann", gab ich zurück, „bisher habe ich schließlich noch jede Herausforderung, die mir auferlegt wurde, bestanden und die hier ist letzten Endes auch nicht anders."

Jedes einzelne Wort dieser Aussage meinte ich todernst, in der Vergangenheit hatte ich jede Prüfung angenommen und noch bei keiner versagt. „Also gut, dann möge es so sein", lenkte Rowin ein. Mit dieser Aussage erhob er sich von seiner provisorischen Sitzgelegenheit und trat zu einem kleinen Stein hinüber, der am Rand der Lichtung lag. Schweigend ging ich zu ihm, als er neben Selbigem stehenblieb, von dort aus führte ein schmaler Trampelpfad tief ins Unterholz des Waldes. „Die erste Übung ist ein kleiner Hindernislauf durch den Wald, folge einfach diesem Pfad, der führt dich am Ende wieder hierher", erklärte Rowin. „Alles klar", erwiderte ich.

Etwas mehr als eine Stunde brauchte ich, um den Hindernislauf abzuschließen. Zwischendurch musste ich einmal tatsächlich eine Pause einlegen, auf ungefähr halber Strecke, lag ein Fluss, den man zwangsläufig überspringen musste. Danach war ich vorerst am Ende meiner Kräfte, auch weil ich vorher unsanft Bekanntschaft mit ein paar Baumstämmen und Felsen gemacht hatte. Als ich keuchend vor Anstrengung wieder auf die Lichtung trat, saß Rowin, der schon vorausgelaufen war, erneut vor sich hin schnitzend auf seinem Baumstumpf. Doch kaum hatte er mich bemerkt, konnte ich gar nicht so schnell gucken, wie er aufgesprungen und zu dem Stein mit unserem Proviant geeilt war. Sofort griff er nach meiner Flasche, öffnete den Verschluss und reichte sie mir herüber. Dankend nahm ich sie an und trank gierig gut die Hälfte des Inhalts in Rekordzeit aus. „Ich sagte doch, dass der Hindernisparcours nicht für dich konstruiert worden ist", meinte Rowin, ohne dabei vorwurfsvoll zu klingen. „Zugegeben, vielleicht hätte ich auf dich hören sollen", gestand ich, noch immer schwer atmend. „Möchtest du eine kleine Verschnaufpause einlegen bevor wir mit dem Schwertkampf weitermachen?", fragte er mit offenkundiger Besorgnis in der Stimme. „Normalerweise würde ich jetzt verneinen, aber nach dieser Tortur sieht das schon anders aus", antwortete ich ihm. „Dann setze dich hin und komm erstmal wieder zu Atem", meinte Rowin und zog einen Apfel aus seiner Provianttasche.

Zunächst dachte ich, er wollte ihn selber essen, aber stattdessen sah er mich an und fragte: „Möchtest du?" Da dies mit das Letzte war, was ich erwartet hätte, brauchte ich eine Weile, um zu antworten. „Ja... gerne", stammelte ich. Kaum hatte Rowin meine Antwort gehört, warf er mir das Obst auch schon zu. Ein wenig ungeschickter als sonst fing ich es auf und biss sofort herzhaft hinein. Schweigend legte ich mich schließlich mitten auf der Lichtung in die Sonne, aß den Apfel auf und genoss die Stille, so gut es nur ging. Die kleine Verschnaufpause dauerte am Ende eine halbe Stunde, in der ich einmal sogar fast weggedöst wäre. Schließlich wuchtete ich mich aber wieder auf die Beine und trat zu Rowin hinüber, der bereits mit einigen Schwertkampfübungen angefangen hatte. „Wollen wir dann anfangen?", fragte ich ihn. „Wenn du möchtest", gab er zurück und legte zu meiner Überraschung sein Schwert zur Seite. Bevor ich jedoch nachfragen konnte, was das denn sollte, hatte er sich zwei etwa einen Meter lange Stöcke geschnappt und mir einen davon zugeworfen. „Was soll DAS denn?", erkundigte ich mich verwirrt. „Das Heidrun ist das Übungsschwert", erklärte Rowin. Jetzt wo er das sagte, viel mir auch auf, dass die Rinde an jeweils einem Ende der Stöcke abschält worden war, die Fläche war ungefähr so groß wie ein Schwertgriff.

„Rowin, bitte", meinte ich leicht genervt, „wie man mit einem Stock kämpft, weiß ich doch schon längst." „Das ist mir klar", entgegnete er, „aber bevor wir unsere echten Waffen benutzen und ich dir zeige, wie Die Lehren der Skrills funktionieren, würde ich gerne genau sehen, was du schon kannst." Zwar widerstrebte es mir noch immer, diese ‚Übung' durchzugehen, da ich es für mich einfach eine Zeitverschwendung war, aber irgendwie hatte Rowin ja auch Recht. Also packte ich den Stock mit beiden Händen und griff nach einigen Sekunden direkt an. Wie erwartet, wehrte Rowin meine Angriffe jedoch ohne Mühe, geschweige denn Not, ab. Egal wie schnell ich meine Schläge auch ausführte und was für komplizierte Kombinationen ich mir auch einfallen ließ, er blockte einfach alles ab. Irgendwann tänzelte Rowin schließlich ein paar schnelle Schritte zurück und hob die linke Hand, um zu signalisieren, dass er genug gesehen hatte. „Du bist wirklich gut", meinte er anerkennend, „jetzt weiß ich auch, wie du es so lange geschafft hast, bei den Drachenjägern zu überleben." Bei diesen Worten kamen einige unangenehme Erinnerungen in mir auf, weshalb ich das Gesicht verzog, als hätte ich mich geschnitten. „Alles in Ordnung?", fragte Rowin besorgt. „Ja, ich denke nur nicht besonders gerne an diese Zeit zurück", erklärte ich auf seine Frage hin. „Oh, das tut mir leid. Ich wollte da nichts bei dir wieder aufwühlen", entschuldigte er sich. „Ist schon in Ordnung Rowin, das alles ist Vergangenheit, heute verbringe ich mein Leben umgeben von Freunden und kann mich daran erfreuen", beruhigte ich ihn.

„Schön zu hören, wie gut du mit diesem dunklen Kapitel deiner Vergangenheit umgehst, sowas schafft nicht unbedingt jeder", gab Rowin zurück. Diese Aussage versetzte mir augenblicklich einen Stoß. Dies lag nicht mal wirklich an seiner Wortwahl, sondern vielmehr an der Art, wie er es gesagt hatte. Es klang für mich irgendwie bedrückt und traurig, ganz so als hätte er persönlich Erfahrung damit gemacht. Natürlich wusste ich davon, wie er Astrid nach dem Tod von Hicks wieder auf die Beine geholfen hatte, aber etwas sagte mir, dass er sich nicht darauf bezog. Jetzt wurde mir auch bewusst, wie wenig ich eigentlich tatsächlich über Rowins Vergangenheit wusste. Er hatte nur bei unserem Kennenlernen erzählt, dass er ein Seelenkrieger ist und dass er es bei seinem Volk nicht mehr ausgehalten hat, weshalb er von dort weggegangen war. Doch in diesem Moment fing ich an, diese Geschichte, oder zumindest Teile davon zu bezweifeln. Das brachte mich schließlich wieder zu dem Handschuh, den Rowin immer an der linken Hand trug. Er hatte uns die Tätowierung an seiner Rechten einmal gezeigt und dieses Nachtschattensymbol mit der Spirale an verschiedenen Symbolen faszinierte mich noch heute. Seine andere Hand hatte er uns dagegen niemals gezeigt, tatsächlich schien er stets peinlich genau darauf zu achten den Handschuh zu tragen.

„Du hast selbst ein etwas dunkleres Kapitel in deiner Vergangenheit, oder?", fragte ich vorsichtig. Natürlich war ich ungemein neugierig auf die Antwort, aber ich wollte ihn auch nicht bedrängen, auf keinen Fall. „Ist das so offensichtlich?", fragte Rowin und versuchte sich an einem amüsierten Lächeln. Allerdings gelang ihm das nicht einmal annähernd so gut, wie er es sich erhofft haben musste. „Schon irgendwie", antwortete ich ihm einfach, „dann hatte ich vorhin Recht?" „Ja, das hattest du", gestand Rowin schließlich. „Möchtest du darüber reden?", erkundigte ich mich, ebenso vorsichtig wie zuvor auch schon. „Nein", antwortete er sofort. „In Ordnung, dass das helfen kann, weißt du aber?", hakte ich nach. „Ja, dessen bin ich mir durchaus bewusst", erwiderte Rowin nun ein wenig gereizt. „Gut, ich wollte auch nur sicher gehen, aber wenn du es mir nicht erzählen möchtest, dann akzeptiere ich das", erklärte ich. „Danke", entgegnete er leise. Als ich ihn genauer ansah, bemerkte ich eine kleine Träne, die aus seinem linken Auge lief. „Ich möchte dich nur um eines bitten, wenn du Hilfe oder jemanden zum Reden brauchst, dann sag mir Bescheid. Völlig egal worum es geht, ich werde dir zuhören", versicherte ich. „Ich verspreche es dir", gab Rowin zurück.

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