36. Kapitel: Die inneren Dämonen
Aliena:
Im äußeren Bereich der Arena herrschte das absolute Chaos und es war sehr schwer, hier nicht den Überblick über als diese Drachen und Krieger Johanns zu verlieren. Trotzdem stemmten wir alle uns tapfer gegen die Übermacht an Drachenjägern und teils auch wilden Drachen, die uns einfach mit Johanns Männern verwechselten. Schließlich kam es dann jedoch soweit, dass ich ihn direkt vor mir sah, meinen Bruder Atreus, oder wohl eher Drachenkralle, wie er sich wegen des Fluchs nun selbst nannte. Bei seinem Anblick, wie er sich ohne jede Gnade oder Zurückhaltung, fast schon genießend, durch all seine Feinde regelrecht schlachtete, konnte ich einfach nicht mehr anders. Ich stieg schleunigst auf Aylas Rücken und erklärte ihr kurz flüsternd meinen Plan, oder wohl eher spontanen Einfall, ehe sie sich leicht mürrisch in die Luft erhob. Das war ihr aber auch nicht zu verübeln, immerhin hatte ich schon deutlich bessere Ideen gehabt, aber auf der anderen Seite... meine schlechteste Idee war diese hier dann auch nicht. Trotzdem war es riskant, als Ayla auf Drachenkralle zu hechtete, ihn über den Haufen rempelte, mit ihren Vorderbeinen umschlang und schließlich mit ihm aus der Arena flog. Bei dieser Aktion verlor Drachenkralle zudem seinen Morgenstern, was ich zwar nicht geplant hatte, aber mir definitiv gelegen kam. „Lasst mich frei, ihr Furien!", forderte unser Feind, der eigentlich ja mein Bruder war, und versuchte sich um jeden Preis zu befreien, zu unserem Glück ohne Erfolg. „Lieber nicht, ist ein langer Weg nach unten...", gab ich zurück, was mein Mädchen doch glatt zum Kichern brachte.
Einen Moment später riss Drachenkralle aber plötzlich ein kurzes Messer oder so vom Gürtel und stach damit nach Ayla, die ihn vor Schreck fast fallengelassen hätte. Zu meiner Erleichterung konnte sie das gerade noch verhindern, obwohl sich ihr Griff kurz doch etwas lockerte, wodurch Drachenkralle seine Waffe versehentlich fallenließ. Leider nicht bevor er meiner Kleinen noch einen flachen Schnitt am rechten Vorderbein zufügen konnte. Zunächst nahmen wir beide diese recht oberflächliche Wunde nicht ernst, doch auf einmal wurde Ayla ganz schlapp und müde, ehe sie schließlich abstürzte. Vor Verzweiflung völlig außer Atem gelang es mir nur gerade so kurz vor dem Boden abzuspringen, mich über den Schild an meinem linken Arm abzurollen und so halbwegs sicher aufzukommen. Mein armes Mädchen hingegen hatte nun wohl vollkommen das Bewusstsein verloren und landete krachend in einer Art Marktstand am Rand des Wegs. „Immer noch besser, als wenn wir in ein Gebäude gestürzt wären", tröstete ich mich selbst irgendwie, während ich zu ihr hechtete und panisch versuchte sie wieder wach zu bekommen. „Spar dir das... Sie würde sowieso nicht rechtzeitig wieder zu sich kommen, um dein Leben zu retten...", hörte ich ohne Vorwarnung die kalte Stimme von Drachenkralle hinter mir, woraufhin ich mich auf dem Absatz umdrehte. Dort stand er, schräg hinter ihm lag sein komischer Maskenhelm, der den Aufprall wohl nicht heil überstanden hatte, und in der linken Hand hielt er sein kurzes Schwert. „Hallo... Atreus", gab ich leise zurück und verstärkte unbewusst den Griff um meinen Schild. „Bitte, ich will nicht gegen dich kämpfen... oder dich verletzen...", flehte ich verzweifelt, vermutlich hätte ich mir vorher Gedanken darüber machen sollen, wie ich meinem Bruder in ihm erreichen könnte. „Dann stirbst du", meinte Drachenkralle völlig kalt und stürmte mit erhobener Waffe auf mich zu.
Ich schaffte es gerade noch Lichtklinge zu ziehen und meinen Schild hochzureißen, ehe der erste Schlag kam. Mit einem metallischen Geräusch schrammte die Klinge über meinen Schild, ehe Drachenkralle mit seiner Stahlfaust nach meinem Kopf hieb. Nur mein Helm verhinderte, dass ich dadurch ernsthaften Schaden nahm, aber auf lange Sicht rettete mich meine Rüstung natürlich nicht, auch wenn sie das leider würde tun müssen. Denn nach wie vor war mir Drachenkralle körperlich um einiges überlegen, obwohl seine Kräfte mehr als offensichtlich durch die zuvor von ihm provozierte Bruchlandung erschöpft waren. Trotzdem hatte er mich innerhalb von nur wenigen Sekunden weit zurückgedrängt und schließlich mit einem gezielten Faustschlag zu Boden gerungen. Keuchend landete ich also auf dem harten, gepflasterten Weg und bemerkte da erst, dass dicht hinter mir eine niedrige Mauer, vor einer Art natürlichen Klippe war. Schon beim Anflug war mir aufgefallen, wie diese Stadt auf Johanns Insel so ziemlich alles darauf über- oder umbaut hatte, aber jetzt erst realisierte ich es im Ganzen. „Diesmal stirbst du!", brüllte mich auf einmal die laute Stimme von Drachenkralle an, als ich schon schnelle Schritte hinter mir hörte. Instinktiv duckte ich mich unter der ohne jeden Zweifel nahenden Klinge weg, welche nur Sekunden später auch tatsächlich folgte und mich sicher einen Kopf kürzer gemacht hätte. Jedoch schaffte ich es nicht diese Kampfinstinkte rechtzeitig wieder zu zügeln, weshalb ich zur Seite wich und Drachenkralle meinen Schild direkt unters Kinn stieß. Dadurch taumelte er leicht benommen zurück und stürzte zu meinem Entsetzen über die schmale Mauer vor dem Abgrund hinunter zur unteren ebene der Stadt. Erst im allerletzten Moment schaffte es Drachenkralle noch seine Schwertklinge in die Mauer zu rammen und sich so gerade noch einen sehr tiefen Fall ersparen.
„Nein!", schrie ich erschrocken über meine eigene Tat und hetzte zu der Mauer und warf dabei meinen Schild weg, um meinen Bruder aus dieser Situation zu retten, würde ich ihn wohl nicht brauchen. Lichtklinge dagegen schon, denn Drachenkralle hing zu weit unten, als dass ich ihn einfach erreichen konnte, weshalb ich mein Schwert zur Absicherung oben in die Mauer rammte. Anschließend hielt ich den Griff der Waffe so fest umklammert, wie ich es nur konnte und lehnte mich anschließend gefährlich weit über die Mauer hinweg. „Nimm meine Hand!", rief ich und hielt ihm meine Linke hin, allerdings versuchte Drachenkralle nur sie mit seinen Stahlklauen zu zerfetzen, was ich nur knapp verhindern konnte. „Atreus", schrie ich anschließend, „nimm meine Hand oder stirb!" Es war mehr als ersichtlich, dass er sich wohl nicht mehr lange würde halten können, weshalb ich nur hoffte, er würde seinen Auftrag mich zu töten zumindest kurz vergessen können. Ganz leise knurrte Drachenkralle, aber tatsächlich packte er danach meine linke Hand mit seiner Rechten und ließ sich zurück über die Mauer ziehen. Erschöpft sah ich daraufhin zu ihm hinüber und zog dabei unbewusst Lichtklinge wieder aus dem Stein. „Komm schon, du kennst mich doch", redete ich auf meinen Bruder ein, der sich gerade wieder aufrichtete. „Nein, das tue ich nicht!", schrie er zurück und stieß mich mit seiner metallenen Hand von sich weg, als ich Anstalten machte ihm zu helfen.
„Atreus bitte... du kennst mich schon seit wir noch Kinder waren", versuchte ich es erneut und bekam dafür nur einen weiteren Schlag mit Drachenkralles Metallfaust. Nur knapp konnte ich dem Angriff ausweichen und so eine ernsthafte Verletzung vermeiden. „Dein Name ist Atreus... Sohn von Goliath", fuhr ich anschließend unbeirrt fort. „Halt endlich deine verlogene Klappe!", brüllte mein Gegenüber und schlug nochmal auf mich ein, was mich ein gutes Stück zurück und obendrein fast von den Beinen schleuderte. Allerdings brach dieser Schlag auch den Gesichtsschutz meines Helmes sauber aus Selbigem heraus, was ich aber kaum merkte. „Bitte, ich... ich werde dir jetzt nicht mehr weh tun... Nein, nie wieder...", murmelte ich kraftlos und warf Lichtklinge einfach achtlos weg, „immerhin bist du mein Bruder..." Ein weiterer Schrei entwich der Kehle von Drachenkralle, als er mich daraufhin zum Boden rang und mir mit seiner Metallfaust ins Gesicht schlug. „Du bist nur mein nächstes Ziel! Du! Bist! Nur! Ein! Ziel!", schrie er und begleitet wurde jedes seiner letzten Worte mit einem weiteren Schlag. Nachdem er seine Ansage schließlich beendet hatte, hob Drachenkralle seine rechte Hand und spreizte die Metallklauen daran, als wolle er mir das Gesicht wegfetzen. „Dann lösch das Ziel aus...", murmelte ich leise und schloss die Augen, „ich bin... für dich da..."
Rowin:
Ächzend richtete ich mich langsam wieder auf und versuchte wieder zu Atem zu kommen, Dragonas Tritt hatte mich leider genau unterhalb des Brustpanzers getroffen. Trotzdem sah ich mich suchend in der Arena um und stellte dabei erfreut fest, dass sich die Kämpfe zwischen Johanns Männern, meinen Freunden sowie den wilden Drachen bereits nach außerhalb verlegt hatten. Dafür schockte es mich umso mehr, als ich sah, dass Sigfrid scheinbar schwerverletzt vor Dragona am Boden lag und dieser sein silbriges Schwert bereits zum letzten Schlag erhoben hatte. „Hey, Dragona!", schrie ich ohne weiter nachzudenken aus voller Kehle und brachte ihn damit tatsächlich dazu innezuhalten, um den Kopf zu mir zu drehen. Ehrlich gesagt wusste ich nicht genau, was ich hier eigentlich tat, aber ich musste Dragona auf jeden Fall irgendwie von Sigfrid ablenken, ansonsten wäre das wohl sein Tod. „Ich habe Kelbek umgebracht, schon vergessen?! Also kämpf gefälligst mit mir!", forderte ich ihn mit lauter Stimme auf. „Hm... Ganz wie du es wünschst, Nachtschattenkrieger", meinte Dragona und dehnte das letzte Wort spöttisch in die Länge. Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da stürzte er sich auch schon mit erhobener Waffe direkt auf mich, mehr als offensichtlich mit der Intention, mich direkt umzubringen. Ich auf der anderen Seite zog mich wie üblich hinter meiner Verteidigung zurück und wartete darauf, dass mir Dragona eine Gelegenheit gab zurückzuschlagen. Leider arbeitete diese Strategie ebenso gut, wie zuvor auch schon, nämlich gar nicht. Dummerweise hatte ich ja weiterhin nicht sonderlich viel Übung im Kampf gegen jemanden hatte, der im Punkt der körperlichen Eigenschaften mit mir auf einer Stufe steht. Zusammen mit der Tatsache, dass Dragona schon mit uns Seelenkriegern mithalten konnte, bevor er den Nachtschattenring an sich gebracht hatte und jetzt... Jetzt hatte ihm dieser Ring in allen Punkten die körperlichen Fähigkeiten eines Seelenkriegers verliehen, womit er mir nun absolut ebenbürtig war.
Somit hatte er mich binnen weniger Sekunden überwältigt, indem er meine Schwertklinge einfach mit seiner nach unten gedrückt und mir anschließend den Knauf seiner Waffe in den Bauch geschlagen hatte. Zwar schützte mich meine Rüstung etwas, aber der Schlag traf mich trotzdem in einem Bereich, der nicht direkt gepanzert war, weshalb es eben dennoch sehr hart traf. Während mich Dragona so also ein weiteres Mal durch die halbe Arena schleuderte, verlor ich zu allem Überfluss auch noch mein Schwert, was deutlich außerhalb meiner Reichweite landete. „Also ich muss ja zugeben... Du bist sehr viel widerstandsfähiger, als so manch ein anderer, der gegen mich angetreten ist... Allerdings fürchte ich, dass du eine sehr zentrale Sache in diesem Spiel noch nicht begriffen hast, genauer gesagt... Solange ich diesen Ring an meinem Finger trage, bist du des Todes!", stellte er daraufhin noch klar und lachte hämisch. „Solange er den Ring... am Finger trägt...", wiederholte ich in Gedanken, „verdammt, ich bin diese Sache von Anfang an falsch angegangen!" Schwer atmend richtete ich mich wieder auf und sah Dragona mit einem herausfordernden Blick in den Augen an. „Du verstehst einfach nicht, wann du am Ende bist, oder?", fragte er fies grinsend. „Eins meiner Probleme...", gab ich nur leise zurück. „Mehr als offensichtlich", entgegnete Dragona scharf und stürmte danach wieder auf mich, während ich vorerst ruhig stehenblieb. Ich musste mich zugegebenermaßen sehr zusammenreißen, um nicht in Panik zu geraten, als ich ohne Waffe darauf wartete, dass Dragona mit erhobenem Schwert in meine Reichweite lief. Mein Plan könnte riskanter wohl kaum sein, aber es war auch meine einzige Chance, um ihn irgendwie noch besiegen zu können. Das heißt solange die Wut der Nachtschatten sich nicht doch in allerletzter Sekunde noch zeigte und meinen Hintern rettete, worauf ich mich aber nicht unbedingt verlassen wollte.
Stattdessen wartete ich also, bis Dragona ziemlich genau vor mir stand und mir mit einem einzigen, waagerechten Schwerthieb den Kopf von den Schulter schlagen wollte. Erst immer allerletzten Augenblick duckte ich mich nach hinten unter dem Angriff hinweg, um mich im nächsten Moment auch schon auf meinen Feind zu stürzen. Damit Dragonas Schwert mir nicht gefährlich werden konnte, klemmte ich es dabei so geschickt wie möglich zwischen unseren Körpern ein, was ihn hoffentlich auch etwas ablenken würde. Natürlich ließ sich mein Gegenüber das nicht sehr lange gefallen, ehe er mich wieder von sich zurückstieß und ein weiteres Mal durch die gesamte Arena schleuderte, wobei ich mehr als nur einmal schmerzhaft auf dem Boden auftraf. „Und du bezeichnest dich selbst tatsächlich als einen Nachtschattenkrieger... Ich glaube, Onyx würde sich schämen", spottete Dragona, während ich nur erschöpft nach Atem rang und mir den Helm vom Kopf riss. Nun bemerkte ich auch, dass ich ziemlich genau neben meinem Schwert gelandet war und hob Selbiges schwach auf, ehe ich mich wieder aufrichtete und zu Dragona starrte. „Du lernst einfach nicht dazu...", meinte dieser nur abfällig und trat auf mich zu. „Ach ja?", fragte ich nur zurück, hob meine linke Hand und hielt ihm damit präsentierend den Nachtschattenring hin. Offenbar hatte Dragona tatsächlich nicht gemerkt, wie ich ihm dieses Kleinod bei unserem kleinen Handgemenge heimlich vom Finger gezogen hatte, jedenfalls nach seinem erschrockenen Gesicht nach zu urteilen. Ungläubig starrte er daraufhin noch erst auf den Ring und dann auf seinen rechten Zeigefinger, was mir nur ein schmales Lächeln abrang. „So... und jetzt wollen wir doch einmal sehen wie gut du ohne gestohlene Kraft kämpfst", stellte ich klar und steckte mir gleichzeitig den Ring auf meinen rechten Zeigefinger. Augenblicklich flutete neue Energie durch meinen Körper, so als hätte er sich in Sekundenschnelle wieder von den Strapazen des Kampfes erholt und wäre bereit von vorne anzufangen.
Doch genauso fühlte ich auch, wie wenig Kontrolle ich über diese Kraft hatte, zwar verstärkte der Ring nur die Fähigkeiten, die ich ohnehin schon besaß, aber... Ich hatte natürlich keine Ahnung wie weit das im Detail ging oder über welche Kraft ich nun genau verfügte, weshalb ich doch ziemlich Angst hatte, mich selbst zu übernehmen. Ein wütendes Knurren von Dragona riss mich wieder zurück in die Realität und als ich den Blick hob sah ich ihn eine mir zwar unbekannte aber definitiv für den Angriff gedachte Eröffnungsstellung einnehmen. Meine Augen zu Schlitzen zusammengezogen nahm ich meine bevorzugte Eröffnungshaltung ein und versuchte abzuschätzen, wie mein Gegenüber zuerst angreifen würde. Tatsächlich gelang mir dies auch, als Dragona den Kampf nur Sekunden später auch schon fortführte und einen Schlag gegen die rechte Seite meines Körpers versuchte. Zwar konnte ich das recht einfach abwehren, aber schon dabei merkte ich die Auswirkungen des Rings, da ich deutlich zu viel Kraft in meine Parade gesteckt hatte. Man sollte ja meinen, dass einem solch ein die eigene Kraft verstärkendes Artefakt helfen sollte, doch da ich nun meinen eigenen Körper nicht mehr richtig verstand, stellte es doch eher ein Hindernis für mich dar. So überraschte es mich auch eher weniger, wie leicht sowie schnell mich Dragona doch wieder zurückdrängte und ich schließlich wortwörtlich mit dem Rücken zur Wand stand. Zwar konnte ich diese Situation halbwegs entschärfen, indem ich meinen Gegner von mir wegstieß, aber dieser Erfolg hielt nicht sehr, lange an. Dragona hatte sein Gleichgewicht praktisch sofort bereits wiedergefunden und stürzte sich mit zum Stich erhobenem Schwert erneut auf mich. Es schien mir für einen kurzen Moment vollkommen hoffnungslos zu sein, doch aufzugeben war keine Option, wenn ich das tun würde, dann würden sie alle sterben.
Meine Freunde Astrid, Aliena, mehr oder weniger auch Leyla, Sigfrid, den ich gerade erst vor Dragonas Klinge bewahrt hatte, und natürlich Heidrun. Sie alle setzten ihre ganze Hoffnung in mich und erwarteten, dass ich diesen Kampf hier gewinnen würde, also würde ich mich auf keinen Fall unterkriegen lassen. Es war nur ein kurzer Moment, der mir zum Reagieren verblieb, aber irgendwie reichte er doch noch aus. Blitzartig riss ich also meinen linken Arm hoch und versuchte mit der Panzerschiene daran Dragonas Stich so umzulenken, dass er mich nicht mehr traf. Gleichzeitig streckte ich meinen rechten Arm nach vorne, sodass die Kline meines Schwertes genau auf meinen Gegenüber zeigte. Schon im nächsten Moment passierte es, Dragona hatte den Abstand zwischen uns nun überbrückt und führte seinen Stich aus. Danach war es erstmal für einige Sekunden lang still, kaum einer wagte es zu atmen, oder sich gar zu bewegen, wir starrten dem jeweils anderen einfach nur wie gebannt in die Augen. Die Anspannung zwischen uns war so stark, ich konnte sie fast greifen, aber schlussendlich löste ich mich von Dragonas rotglühenden Augen und sah zu dessen Schwert. Es dauerte nicht sonderlich lange, da folgte er meinem Blick und starrte nur ungläubig auf seine Waffe. Selbige hatte mich tatsächlich verfehlt, abgelenkt durch meine linke Armschiene hatte sie sich nur fast bis zum Griff in der Steinwand hinter mir versenkt, aber ich selbst war unverletzt. Beide ließen wir unseren Blick kurzzeitig auf dem silbrigen Schwert ruhen, ehe diesmal Dragona seinen als Erster verlagerte und auf mein Schwert sah. Anders als seine Klinge hatte meine nämlich sein Ziel gefunden... Sie hatte seinen Brustkorb ziemlich sauber durchschlagen und ragte auf der anderen Seite sicher wieder aus seinem Rücken heraus. Ich erwartete fast schon, dass Dragona nun schreien oder seinem Schmerz sonst irgendwie Ausdruck verleihen würde, aber das tat er zu meiner großen Überraschung nicht.
Er stand einfach nur da, stöhnte von Zeit zu Zeit leise und ließ schließlich den Griff seiner Waffe los, um etwas zurück zu trotten, wobei ich ihm unbewusst mein Schwert aus der Brust zog. Dieses Mal würgte er leise und ein schmaler Faden Blut lief ihm aus dem Mundwinkel, ehe er sich an die Wunde fasste und wohl versuchte die Blutung irgendwie zu stillen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, wie mir sofort bewusst wurde, Dragonas Schicksal war schon längst besiegelt. Wenige Sekunden später brach er auch schon in sich zusammen, landete wohl unsanft auf dem Rücken und blieb nur noch reglos liegen, vermutlich hatte er seinen Tod nun akzeptiert. Leise wimmernd drehte Dragona anschließend den Kopf und schaute zu Kelbek, oder eher dessen totem Körper, hinüber, was meine Aufmerksamkeit doch noch einmal auf sich zog. Als er seinen Blick einige Augenblicke später wieder zu mir drehte, erkannte ich leise aufatmend, wie das Glühen in seinen Augen flackerte und stetig schwächer wurde. Zur gleichen Zeit fasziniert und auch irgendwie traurig sah ich zu, wie Dragona einmal schwach blinzelte, wobei das Rot in seinen Augen endgültig erstarb und durch ein ruhiges Braun ersetzt wurde. Ein schwaches Lächeln schlich sich daraufhin auf seine Lippen und er holte ein letztes Mal noch Luft, ehe er sein letztes Wort sprach. „Danke...", hauchte er mir nur entgegen und eine kleine Träne lief ihm dabei aus dem linken Auge, bevor das Leben seinen Körper vollkommen verließ. Ich wiederum sah ihn nur unschlüssig an, da ich nicht genau wusste, was ich als nächstes tun sollte. Nach etwa zwei Monaten hatte ich nämlich endlich verstanden, was mir Onyx damals im Tempel der Nacht über den Orden des Ewigen Feuers erklären wollte.
Sie waren auch nur Opfer, nur Puppen unter der Kontrolle des Dämonenkönigs. Dragona hatte zweifellos viel Leid verursacht und das auch noch für 400 lange Jahre, aber nichts davon war seine freie Entscheidung gewesen, ihn traf keine Schuld. Somit konnte ich ihn dann einfach nicht so liegen lassen, stattdessen zog ich sein Schwert aus der Wand, kniete mich zu ihm runter und legte ihm den Griff der Waffe auf die Brust. Zwar hatte ich nicht sonderlich viel Ahnung von der Bestattungsart der Wikinger, aber ein paar Sachen wusste ich schon, weshalb ich Dragonas Hände anschließend um den Griff schloss. Zu guter Letzt strich ich ihm noch sachte die Augenlider zu, damit es mehr den Anschein hatte, als würde er schlafen und murmelte leise: „Möge dein Gott deiner gepeinigten Seele in einer anderen Welt gnädig sein." Kaum hatte ich diese Worte gesprochen stand ich schon wieder auf und rannte zu Sigfrid rüber, so falsch es auch gewesen wäre Dragona einfach so zurückzulassen, sodringend brauchte mein alter Freund doch nun meine Hilfe. Das heißt, solange man ihm bei seiner Wunde noch helfen könnte...
Atreus:
Wie gelähmte starrte ich auf das Mädchen herab, was ich eigentlich töten sollte. Viel müsste ich auch nicht mehr tun, ich müsste einfach nur meinen rechten Arm mit den bereits gespreizten Krallen auf ihren Kopf niedergehen lassen und dann wäre sie Geschichte. Aber aus irgendeinem Grund konnte ich es nicht, nein... ich wollte es einfach nicht, aber warum? Hatte das etwas mit diesem letzten Satz zu tun, den sie zu mir gesagt hatte? Irgendwo hatte ich den doch auch schon einmal gehört, nur das Wo dazu wollte mir gerade nicht einfallen. Scharf dachte ich nach und durchwühlte alle meine Aufträge und Besprechungen desselbigen, bis mir plötzlich etwas einfiel. Diese Bilder, die ich nach meinen letzten Auftrag, wo ich diesem Mädchen auch schon begegnet war, gesehen hatte und wegen denen mich Dragona nochmal hatte in Tiefschlaf versetzen lassen. Mit aller Kraft versuchte ich mich zu erinnern und tatsächlich, in dieser ersten Szene auf dem Langschiff, da hatte ich diese Worte gesagt, zu ihr. Mit einem Mal fiel mir auch wieder ein, was das Mädchen zu mir während unseres Kampfes gerade zu mir gesagt hatte, dass wir Geschwister wären. Konnte... Sollte das tatsächlich sein? Ein Teil tief in mir fauchte mich an, ich solle meinen Auftrag endlich zu Ende bringen und sie töten, aber ich hörte nicht mehr auf ihn. Stattdessen grub ich weiter in den Tiefen meines Geistes und versuchte noch mehr von diesen Bildern zu finden, was mir schließlich auch gelang. Darin sah ich mich selbst, zwar hatte ich natürlich noch nicht meine Armschiene aus Metall und auch eine andere Frisur sowie einen anderen Kleidungsstil, aber ich war es. Ich lief durch ein kleines, recht friedliches Dorf und grüßte so ziemlich jeden, dem ich begegnete, ich schien einfach so... glücklich.
Wie gebannt suchte ich nach weiteren dieser Erinnerungen, denn was sollten sie sonst sein, bis ich schließlich auf eine stieß, wo ich mich mit diesem Mädchen sah. Es musste am Morgen des Tages gewesen sein, wo dieses Dorf angegriffen wurde, wir standen vor einer kleinen Hütte, meinem Elternhaus, was ich von irgendwoher wiedererkannte und... umarmten uns. Ich hatte meine Metallklauen schon längst nicht mehr zum Schlag erhoben und jetzt endlich verstand ich auch, woher ich das Mädchen, Aliena, gekannt hatte, denn sie hatte recht gehabt. „Sch... Schwester?", fragte ich stockend, es fühlte sich irgendwie seltsam an dieses Wort so auszusprechen. „Aliena", sprach ich nochmal mit Nachdruck und rüttelte etwas an ihr, sie reagierte nicht. Entsetzt fasste ich an ihren Hals und fühlte den Puls, hatte ich sie etwa unter Kontrolle von diesem Fluch, oder was es auch war, getötet? Nein, ihr Herz schlug noch und wenn ich genau hinhörte, dann hörte ich sie auch noch atmen, sie war also nur bewusstlos. Bevor ich mir weitere Gedanken darüber machen konnte, hörte ich ein Grummeln hinter mir und als ich den Kopf drehte, sah ich diesen Tagschatten sich wieder aufrichten. Das Gift hatte wohl an Wirkung verloren, aber noch müssten ihre Sinne zu stark benommen sein, um ihre Umgebung ganz zu erfassen. Noch könnte ich Aliena hochheben und mit ihr in Sicherheit flüchten, aber... Nachdem ich sie vor nicht mal fünf Minuten fast getötet hatte, bezweifelte ich, dass sie bei mir sicherer wäre, als bei ihrem eigenen Drachen.
Dieser wurde immer munterer, weshalb ich mich nun wirklich entscheiden musste, mich vor allem richtig entscheiden musste. Mein Herz sagte mir, dass ich einen Fehler machte, doch ich konnte mir selbst nicht vertrauen, also ließ ich meine Schwester dort liegen und versteckte mich hinter dem nächstbesten Haus. Von dort aus beobachtete ich, wie der Tagschatten sich noch immer etwas desorientiert umsah, schließlich aber meine Schwester, ihre Reiterin, erblickte. Sofort eilte sie so schnell es ihr eben noch möglich war zu ihr und versuchte sie wohl zu wecken, indem sie ihr mehrfach übers Gesicht schleckte. Als das nichts brachte jaulte sie einmal kurz, rollte sich danach um ihren Körper zusammen und versuchte sie so vor allem Weiteren zu beschützen, zum Fliegen musste sie noch zu schwach sein. Für mich wurde es hier zunehmend riskanter, denn ich wusste nur zu gut, was für einen herausragenden Geruchssinn die meisten Drachen hatten. Aus diesem Grund wand ich nach einigen Minuten meinen Blick ab und schlich mich hinunter zum Hafen, um mir dort ein Schiff zu besorgen. Es wäre wohl besser für mich, wenn ich nicht mehr aus Insel war, sobald die Freunde meiner Schwester sie eingenommen hatten.
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