15. Kapitel: ...starrt sie irgendwann zurück

Rowin:
„Verdammt, was sind das nur für völlig sinnlose Kritzeleien?", fragte Astrid entnervt und ließ ein altes Notizbuch zurück auf den Kartentisch fallen. Ich hatte derweil einige der Karten in den Regalen genauer unter die Lupe genommen und sah nun zu der blonden Wikingerin. „Lass mich einmal sehen", bat ich, trat zu ihr hinüber und schlug das Buch auf. „Das sind keine Kritzeleien, das sieht mir eher aus, wie eine alte Form von einer Verschlüsslungstechnik meines Volkes", erklärte ich und sah nochmal genauer hin. „Willst du damit sagen, dass du das lesen kannst?", erkundigte Astrid sich. „Nicht ohne etwas Zeit und Ruhe. Es ist eine sehr alte Form, die ich in dieser Weise nie zuvor gesehen habe", gab ich zurück. „Leider scheint alles hier drin mit dieser Verschlüsselung aufgeschrieben worden zu sein", bemerkte sie und sah sich frustriert um. „Dann lass uns so viel wie möglich einpacken und es zuhause auf der Klippe übersetzen", schlug ich vor. „Gute Idee", lenkte Astrid ein und begann einige lose Pergamente und Karten in ihre Tasche zu stopfen. Ich tat dasselbe bis ich beim besten Willen nichts mehr einpacken konnte und sah dann zu Astrid, die schon anfing ihre Arme mit Schriftstücken zu beladen. Diese Aktion bedachte ich nur mit einem Kopfschütteln und sah stattdessen zu einer der Statuen. Irgendwie faszinierten sie mich und ich wollte unbedingt wissen, was für eine Art das war. Wenn diese Figuren maßstabsgetreu waren, dann mussten die Drachen eine Schulterhöhe haben, die einem normalen Menschen in etwa bis zur Brust reichte. Dazu hatte er nur zwei Beine und stützte sich somit auch auf seine Flügel, außerdem schien er eine Art Panzer aus Knochenplatten zu haben.

Eine kleine, meiner Meinung nach sehr gelungene, Zeichnung von SkyVelo. Alle Rechte liegen bei ihr, ich habe nur die Erlaubnis, dieses Bild hier zu verwenden. Die Drachenart selbst stammt jedoch von mir, womit mir alle Rechte daran gehören.

„Kommst du?", fragte Astrid schließlich. „Ja, gleich", antwortete ich und sah sie ganz kurz an, ehe ich meinen Blick zurück auf die Statue warf. Erschrocken sprang ich zurück, die Augenlider der Skulptur, eben noch geschlossen, als würde der Drache schlafen, waren nun plötzlich geöffnet und dahinter lagen lebende, gelb-rote Augen. Ehe ich reagieren konnte, bewegte sich auch schon die ganze Statue, knackend und steif aber trotzdem bewegte sie sich. Als ob das allein noch nicht schlimm genug gewesen wäre, hörte ich hinter mir genau dieselben Geräusche nochmal, also war auch die andere Statue in Wahrheit lebendig. Fauchend schnappte der Drache nach mir und ich schaffte es geradeso nach hinten auszuweichen, wobei ich gegen Astrids Rücke stieß. Die vielen Schriftstücke hatte sie fallengelassen und stattdessen hielt sie nun ihre heißgeliebte Axt in den Händen, während unsere Feinde ihre Plätze verließen, um uns zu umkreisen. „Das sind Höllenwächter! Die Legenden sind wahr!", rief ich verzweifelt. „Du wusstest von diesen Dingern?!", fragte Astrid erschrocken und gleichzeitig vorwurfsvoll. „Nicht direkt, aber... als Kind habe ich seltsame Geschichten gehört. Etwas über lebendige Drachenstatuen, die geheime Verstecke meines Volkes bewacht haben sollen", antwortete ich. „Und du hast nie daran gedacht, mir vielleicht einmal davon zu erzählen?!", erkundigte sich Astrid wütend. „Ich dachte, das wären nur Ammenmärchen, mit denen man Kinder erschreckt, aber wie es aussieht habe ich mich getäuscht", gab ich zu und blickte die Drachen an. „Ja, ganz offensichtlich!", meinte Astrid nur. 

„Wie dem auch sei, die Tätowierung eines Seelenkriegers müssten diese Viecher ja eigentlich kennen", erwiderte ich und zog meinen rechten Handschuh aus, um einem der Drachen mein Tattoo vor die Schnauze zu halten. Zu meinem Unglück hatte das nicht den gewünschten, sondern eher einen gegenteiligen Effekt, als die falsche Statue nach meiner Hand schnappte. Gerade rechtzeitig konnte ich meine Hand noch zurückhalten, bevor sie als kleine Zwischenmahlzeit für den Drachen geendet wäre, trotzdem spürte ich noch die scharfen Zähne an meinem Fingern. „Verdammt, offenbar sind sie schon wild geworden", fluchte ich, streifte den Handschuh schleunigst wieder über und zog mein Schwert. Meine kleine Theorie bestätigte sich umgehend, als mich einer der Drachen ansprang und versuchte mir das Gesicht wegzubeißen. Gerade so noch schaffte ich es meinen Kopf zur Seite zu bewegen und steckte ihm die Klinge meines Schwertes zwischen die Zähne. Wütend biss der Höllenwächter kraftvoll zu, doch glücklicherweise hielt das Metall stand und brach krachend einige der Fänge ab. Währenddessen schien Astrid es auf ähnliche Art und Weise mit dem anderen Drachen zu tun zu haben, zumindest nach der Geräuschkulisse zu urteilen. Jedoch kam zu dem Fauchen und Knurren relativ schnell noch ein schmerzgepeinigtes Kreischen, welches mir einen Schock durch den Körper jagte. Zornig biss ich die Zähne zusammen und schlug dem Höllenwächter den Knauf meines Schwertes kräftig gegen die Schläfe. Die darauffolgende Benommenheit nutzte ich aus, um seinen Schädel gegen die nahe Wand zu schmettern, was ihn wenigstens kurzzeitig ausschalten würde. Schleunigst rappelte ich mich danach auf und blickte zu Astrid hinüber, die mit einem blutüberströmten, rechten Oberschenkel unter dem zweiten Drachen lag. 

Dieser wollte ihr wohl gerade die Kehle durchbeißen, als ich reagierte, indem ich den Kartentisch mit einer schnellen Bewegung umstieß und ihn damit gegen die Wand donnerte. „Das hält sie sicher nicht lange auf, also bloß schnell raus hier", bemerkte ich, als ich Astrid beim Aufstehen half und sie stützte. „Gute Idee!", meinte sie und versuchte so gut es ging zu laufen. Trotzdem kamen wir nur langsam voran und bald schon hörte ich wieder das Fauchen der Drachen hinter uns, weshalb ich noch einen Zahn zulegte. „Warte, nicht so schnell!", bat Astrid, die deutlich Mühe hatte mit mir Schritt zu halten. „Willst du gefressen werden?!", fragte ich zurück. „Gutes Argument, lauf so schnell du kannst", gab sie zurück. Ich wollte noch etwas erwidern, aber bevor ich die Gelegenheit dazu hatte, erblickte ich plötzlich zwei weitere Höllenwächter im Gang vor uns sah. „Die Statuen in der Vorkammer...", stotterte Astrid erschrocken. „Dachte ich auch gerade, aber keine Sorge... ich habe da einen Plan", erwiderte ich. „Weihst du mich noch ein?", fragte Astrid. „Keine Zeit, hau einfach drauf!", erklärte ich schlicht und warf sie dank meiner übermenschlichen Kraft über den ersten Drachen hinweg. Als sie sich dann über dem Zweiten befand, erwachte sie endlich aus ihrer Schockstarre und schlug ihre Axt mit einem lauten Klirren seitlich gegen dessen Schädel. Ich tauchte indessen einfach unter dem schnappenden Kiefer des Vorausgehenden hindurch und schmetterte ihn gekonnt gegen die Decke des Tunnels. Anschließend sprang ich über den anderen Höllenwächter hinweg, fing Astrid wieder auf und trug sie weiter durch den Gang, wie ein frisch verheirateter Mann wohl seine Gemahlin tragen würde. „Wenn du das auch nur irgendjemandem erzählst, bringe ich dich um", meinte sie mürrisch. „Verstanden, meine Lippen sind versiegelt", gab ich zurück und lief noch etwas schneller. 

Endlich konnte ich das Ende des Tunnels erkennen und rief so laut ich konnte: „Sturmpfeil, mach die bereits zu feuern und zu verschwinden, wir kommen in Begleitung!" Kurz darauf konnte ich den blauen Nadder am Ausgang sehen, der sich tatsächlich zum Feuerspeien bereit machte. Gleich nachdem wir draußen waren, fühlte sie dann den Tunnel mit ihrem unfassbar heißen Magnesiumfeuer, das unter unseren Verfolgern für lautes Jaulen sorgte. Zeit um dem auf den Grund zu gehen nahmen wir uns aber nicht, stattdessen hasteten wir weiter durch die Höhle in die Freiheit. Kaum hatten wir es geschafft, hörte ich wie die Höllenwächter ebenfalls den engen Gang verließen und in die Haupthöhle stürmten. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet mir jedoch, dass sie auf halber Strecke plötzlich innehielten und nur widerwillig Richtung Ausgang starrten. „Wartet, seht mal", machte ich sie darauf aufmerksam, blieb stehen und wandte mich ganz zur Höhle, Sturmpfeil tat es mir gleich. „Was ist los, wieso folgen sie uns nicht mehr?", fragte Sturmpfeil verwundert, während Astrid einfach nur verdutzt dreinblickte. „Ich glaube, ich weiß wieso. Immerhin leben diese Kerle schon seit Jahrhunderten im Dunkeln, somit dürfte ihnen das helle Sonnenlicht jetzt so gar nicht gefallen", erklärte ich. „Das ist gut möglich, aber leider wird das nicht mehr lange so bleiben", meinte Astrid und zeigte in Richtung der bereits tiefstehenden Sonne. „Dann sollten wir vielleicht von hier verschwinden, aber erst nachdem wir uns um dein Bein gekümmert haben", gab ich zurück und legte die Wikingerin auf dem Boden ab. Schnell holte ich ein paar Verbände aus meiner Tasche und begann die Verletzung zu verbinden. „So, damit solltest du wenigstens nicht verbluten, bis wir die Drachenklippe erreicht haben", stellte ich schlussendlich fest und half ihr beim Aufstehen, sowie Aufsteigen in den Sattel ihres Drachens. „Danke", meinte sie schlicht und klammerte sich fest. „Ja, danke dass du meine Reiterin gerettet hast", stimmte Sturmpfeil ebenfalls ein. „Keine Ursache, aber verschwinden wir lieber, bevor unsere Freunde da hinten noch munter werden", schlug ich vor und nahm meine Drachengestalt an. „Dem stimme ich zu", entgegnete der Nadder und hob gemeinsam mit mir vom Boden ab.

Astrid:
Gähnend streckte ich meine geschundenen Glieder und zuckte augenblicklich zusammen, als ein gleißender Schmerz durch mein rechts Bein fuhr. Als Rowin und ich gestern Abend wieder zurückgekehrt waren, hatte er nur noch meine Wunde anständig versorgt und die erbeuteten Schriftstücke an sich genommen, ehe wir uns schlafen gelegt hatten. Gerade als ich mich aufrappelte, wurde plötzlich die Tür geöffnet und Aliena trat hinein. „Wo bleibst du denn, wir wollten gleich essen", erkundigte sie sich. „Tut mir leid, aber der Ausflug gestern lief nicht ganz so wie geplant", meinte ich, wobei mir auch wieder einfiel, dass sie und Heidrun bereits geschlafen hatten, als wir zurückgekommen waren. Um mir jetzt eine lange Erklärung zu sparen, zog ich die Decke zurück und enthüllte damit den breiten Verband um meinen rechten Oberschenkel. Zunächst zeigte sich Aliena geschockt, aber dann schüttelte sie den Kopf und lächelte verwegen. „Warum wundert es mich nicht, dass ihr verletzt zurückkommt? Immerhin könnt ihr wirklich nie irgendwo hingehen, ohne in irgendeinen Ärger zu rennen", meinte sie. „Ja, ja", entgegnete ich nur und machte mich daran aufzustehen. Nach etwas Hilfe seitens Aliena schaffte ich es schließlich und ging mit ihr gemeinsam zum Gemeinschaftshaus, wo die anderen Beiden schon warteten. Heidrun zeigte sich ebenso schockiert über meine Verletzung und fragte natürlich sofort, was passiert wäre. Ich antwortete lediglich, dass wir auf eine bisher unbekannte Drachenart gestoßen waren, die uns ganz schön überrascht hatte. Zu meinem Erstaunen verriet Rowin nichts davon, dass wir nach einem alten Versteck seines Volkes gesucht hatten, um etwas zu finden, dass Hicks retten könnte. 

Nachdem wir alle aufgegessen hatten, ging ich erstmal wieder zurück in meine Hütte und ruhte mich aus, um meiner Wunde Zeit zum Ausheilen zu geben. Gegen Mittag jedoch, setzte ich mich doch nochmal auf und ging zu Rowin, um nachzusehen, ob er schon etwas aus den Pergamenten erfahren hatte. Als ich die Hütte dann betrat, wurde meine Hoffnung in diesem Punkt noch ein gutes Stück größer, denn er saß gerade an seinem Schreibtisch und durchforstete Selbige. „Astrid, ich nehme mal an, du bist hier, um dich zu erkundigen, wie weit ich mit unserer kleinen Ausbeute gekommen bin", meinte der Seelenkrieger, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. „Du kennst mich zu gut, also hast du schon was?", fragte ich lächelnd. „Nicht so richtig", antwortete er leicht betrübt, „über den Tempel der Nacht habe ich noch nichts Konkretes finden können, aber dafür über diese Drachen." Diese Nachricht zog meine Stimmung sofort runter, aber wenigstens wusste ich es jetzt mit Sicherheit. „Was hast du denn so über die Drachen gefunden?", fragte ich also. „Nun ja, zunächst einmal heißen sie nicht Höllen- sondern Höhlenwächter. Vermutlich ist das in den Geschichten irgendwann falsch verstanden und so verfälscht worden. Außerdem sind sie in der Lage einen sehr langen Zeitraum ohne Nahrung auszukommen, indem sie sich in eine Art Starre begeben. Diese Starre wird wohl entweder aus Hunger, oder durch Licht unterbrochen, was wir beim Betreten des Verstecks versehentlich getan haben", erklärte er. „Interessant, aber sonst nichts?", hakte ich vorsichtig nach. „Nein, bis auf ein paar alte Berichte über die Zeit, in der die Seelenkrieger damals lebten, aber wie schon gesagt, leider nichts über den Tempel", bestätigter er nochmals, zeigte dann aber auf einen durchaus beachtlichen Stapel Pergamente neben sich auf dem Schreibtisch, „zum Glück habe ich auch noch einiges zu lesen übrig." Bei dieser Nachricht hellte sich meine Miene augenblicklich etwas auf. „Kann ich dir dabei vielleicht irgendwie behilflich sein?", fragte ich schließlich. „Nein, dir zu erklären, wie diese Verschlüsslung funktioniert würde länger dauern, als wenn ich es selbst tun würde", erklärte er, wobei sich ein schmales Lächeln, auf sein Gesicht stahl. „Gut, dann lasse ich dich mal lieber in Ruhe arbeiten", schlug ich vor und wandte mich zur Tür. „Ja, das wäre wohl das Beste", stimmte er zu.

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