Neuanfang

Es war düster. Die Fackeln, die vorher noch ein flackerndes Licht erzeugt hatten, waren längst erloschen. Kein Mensch war mehr da. Es war Nacht geworden. Sein Kopf pochte heftig und unerträgliche Schmerzen durchfuhren seinen gesamten Körper. Nicht gerade ein tolles Gefühl, aber er lebte! Entkräftet richtete er sich auf und versuchte in der undurchdringlichen Dunkelheit etwas auszumachen, doch es war vergebens. Das Mondlicht hatte keine Chance zu ihm zu dringen. Unbeholfen stolperte er einige Schritte vorwärts. Neben ihm begann sich etwas zu bewegen. Da ertönte ein elektrisches Geräusch. Die kleinen Blitze, die seinen Freund umgaben spendeten nicht sehr viel Licht, doch es reichte aus, um den Ausgang zu finden. Zu gerne hätte er sich auf seinem Begleiter abgestützt, doch dessen elektrische Ladung hätte seinen ohnehin nur schwer zu ertragenden Schmerzen nur noch weitere hinzugefügt. Endlich war er draußen. Das Mondlicht empfing ihn und er konnte sich gerade keinen schöneren Anblick vorstellen. Dankbar für die Hilfe senkte er seinen Kopf und auch sein neuer Freund machte es ihm nach, bevor er blitzschnell in den Wolken verschwand. Der Zurückgebliebene sah ein Schiff am Steg, welches wohl zurückgelassen worden war. Dies spielte ihm sehr in die Karten. Mit seinen letzten Kraftreserven schleppte er sich dorthin. Natürlich gab es Medizin an Bord des Schiffes und so konnte er seine Wunden versorgen. Geschwächt legte er sich schlafen und konnte nur hoffen, dass er aufwachen würde, bevor man ihn fand. Sobald es ihm etwas besser ging, würde er aufbrechen. Er kannte nur einen Ort, an den er gehen konnte. Dort würde er sicher sein. Doch die Fahrt war weit und es würde lange dauern, bis er ihn erreichte, aber es war die einzige Möglichkeit.

Auf Berk

Seit einigen Wochen wohnten die Drachenreiter nun wieder auf Berk. Sie waren direkt nach dem gewonnenen Kampf gegen Krogan und Johann aufgebrochen. Es war alles sehr schnell gegangen. Fast etwas zu schnell für einige aus der Truppe, doch Hicks hatte schnellstmöglich zu seinem kranken Vater zurück gewollt, was ihm wohl keiner übel nahm. Auf dem Heimweg waren sie dann noch kurz bei Dagurs Hochzeit gewesen. Als sie am nächsten Tag Berk erreicht hatten, hatte auf Hicks eine wundervolle Überraschung gewartet. Sein Vater war vor dem Haus gestanden. Sofort war der Braunhaarige von seinem Drachen gesprungen und seinem Vater in die Arme gelaufen. Es war schwer zu sagen gewesen, wer erfreuter über den Anblick des Anderen war. Für Haudrauf war es ein riesen Schock gewesen, nach seinem Erwachen zu erfahren, dass sein Sohn gerade in den alles entscheidenden Kampf gezogen war und er nicht in der Lage war, Hicks beizustehen. Er hatte riesen Angst gehabt, dass er seinen Jungen nie mehr sehen würde. Doch Thor sei dank war es anders gekommen. Auch Hicks, der ebenfalls die Verlustangst auszustehen gehabt hatte, hätte nicht glücklicher über das Wohlbefinden seines Vaters sein können. Selbstverständlich hatte Hicks seinem Dad erstmal unter die Arme gegriffen, um ihn zu entlasten. Zusammen war die Arbeit ja eh viel leichter. Aber jetzt war Haudrauf wieder ganz der Alte und Hicks hatte sich entschlossen, noch einige der vorerst auf der Klippe gelassenen Sachen zu holen. Seine Freunde waren wiedermal zu beschäftigt, um ihn zu begleiten, da sie sich nun wieder als Unterhalter für das Volk beschäftigten. Die Drachenrennen waren ein voller Erfolg und sie hatten vor das auszubauen. Die Zwillinge, die das Drachenrennen ja auch erfunden hatten, hatten den Vorschlag für verbesserte Ausstattungen gemacht und da sowohl Rotzbakke als auch Fischbein neuerdings versuchten bei Raffnuss zu landen, wollte keiner von ihnen mit ihm gehen.

Am frühen Morgen verabschiedete sich Hicks daher nur noch schnell von seiner Verlobten: „In ein paar Tagen bin ich wieder zurück" - „Bist du dir sicher, dass ich nicht doch mitkommen soll?", fragte Astrid. „Hey, es passiert mir bestimmt nichts! Johann, Krogan und Viggo sind tot, wer sollte mich also angreifen? Außerdem hast du deinen Eltern versprochen ihnen zu helfen", zärtlich streichelte er seiner Freundin über ihre Wange. „Schaffst du das denn alleine?", erkundigte sie sich. „Klar! Die paar Sachen zu tragen ist für Ohnezahn gar kein Problem! Langsam kommt es mir aber so vor, als ob du dich um deine Arbeit drücken wollen würdest", lachte Hicks. Astrid musste kichern, da dies zum Teil auch zutraf. „Na schön, aber wenn du meine Hilfe brauchst ..." - „Dann schicke ich dir eine Schreckenspost", mittlerweile hatte Hicks diese Worte schon so oft gehört, dass er genau wusste, was sie ihm als Nächstes sagen würde. „Ich versteh schon ... Ich hör ja auf, aber versprich mir ..." - „Dass ich vorsichtig bin", beendete auch diesmal der Junge den Satz. Seine Freundin seufzte, bevor sie das Thema wechselte: „Ich werde dich vermissen" - „Ich dich doch auch", lächelnd beugte Hicks sich vor und gab ihr einen liebevollen Kuss. Nach einiger Zeit lösten sie sich voneinander und Hicks flog los. Astrid schaute ihm noch nach und widerstand dem Drang ihm nachzufliegen. Als er verschwunden war, drehte sie sich seufzend um und machte sich auf den Weg, um die Arbeit zu erledigen, auf welche sie keine Lust hatte, um die sie sich aber nicht hatte drücken können.

Auf der Drachenklippe

Nach einer langen Flugzeit erreichte Hicks endlich die kleine Insel, die die Drachenreiter fast ein Jahr ihr Zuhause genannt hatten. Für ihn würde das immer ein besonderer Ort sein. Der Ort, der ihn vor eine große Verantwortung gestellt hatte; der Ort, an dem er ganz alleine für ihr Überleben und ihre Sicherheit zuständig gewesen war; der Ort, an dem er mit Astrid zusammengekommen war. Ein Rückzugsort! Immer, wenn ihm sein Leben auf Berk zu viel würde, würde er hierher kommen, um zu entspannen, das war ihm beim Landeanflug bewusst geworden. Wie froh er doch war, diese Insel zu haben, wenn er daran dachte, dass er beim nächsten Streit mit seinem Vater einfach ein paar Tage hier Auszeit machen könnte. Auch wenn die Häuser etwas verkohlt waren, ließ es sich hier noch gut leben. Er steuerte seinen Drachen zu den Ställen, wo Ohnezahn einen Korb Fische erhielt und sich dann zufrieden in einen der Ställe schlafen legte. Lächelnd machte sich Hicks alleine auf den Weg zum Clubhaus, wo er ebenfalls eine Mahlzeit zu sich nehmen wollte. Doch dort erwartete ihn ein Anblick, mit dem er niemals gerechnet hätte!

Hicks konnte seinen Augen nicht trauen: „VIGGO?!" - „Mein teurer Hicks! Wie ich mich freue, dich zu sehen", meinte dieser aufrichtig und ohne irgendeine Spur vor Ironie. Leicht perplex setzte sich Hicks gegenüber von Viggo auf einen Stuhl. Auf dem Tisch, welcher zwischen ihnen stand, war das Spiel Keule und Klaue aufgebaut. „Hast du Lust eine Runde zu spielen? ... Schon komisch, die ganze Zeit haben wir uns in diesem Spiel gemessen, aber saßen noch nie direkt vor diesem Spielbrett. Was sagst du?", fragte Viggo. „Ähm ... Ja, warum nicht", willigte Hicks ein, nachdem er sich einigermaßen gesammelt hatte. Einige Spielzüge später wollte er dann doch endlich wissen, wie das sein konnte: „Viggo, wie hast du überlebt? Ich dachte du wärst ..." - „Das war ich auch fast, doch der Skrill hat mich gerettet. Kaum zu glauben, aber er ist die ganze Zeit an meiner Seite geblieben, bis ich aufgewacht bin. Danach hat er mich zum Ausgang geführt", berichtete Viggo. „Ich habe ihn gar nicht im Stall gesehen", wunderte sich der Nachtschattenreiter. „Oh, natürlich nicht! Weißt du, ich respektiere Drachen ... Das tue ich wirklich, aber deshalb muss ich noch lange nicht auf einem reiten! Ich habe ihn fortgeschickt und bin mit einem Schiff hierher gesegelt. Das hat allerdings länger gedauert als gedacht. Ich war nicht gerade in der besten Verfassung, um alleine über den Ozean zu segeln. Aber inzwischen habe ich mich wieder erholt", erklärte er gelassen. „Das freut mich! Aber was machst du eigentlich hier?", Hicks führte einen Spielzug aus. „Clever! ... Naja, in Johanns Versteck konnte ich selbstredend nicht bleiben und die Drachenjägerfestung ist ziemlich zerstört, also bin ich fürs erste auf deiner Drachenbasis untergekommen und koordiniere von hier aus. Das erschien mir die einzige und sicherste Lösung. Aber mach dir keine Sorgen, ich bleibe nicht mehr allzu lange! Die Drachenjäger müssten meine Insel bald wieder in Ordnung gebracht und den Schaden repariert haben", nun bewegte auch Viggo eine Spielfigur. „Drachenjäger? Du bist also wieder ihr Anführer!? Ich dachte, du hättest dich geändert!", rief Hicks vorwurfsvoll und stand ruckartig von seinem Stuhl auf. „Mein lieber Hicks, so beruhige dich doch! Ich habe nicht vor nochmals auf Drachenjagd zu gehen!", besänftigte der Schwarzhaarige ihn und Hicks setzte sich, obwohl er immer noch etwas skeptisch war, wieder hin und wartete auf eine genauere Erklärung.

„Allerdings brauche ich eine neue Beschäftigung. Immerhin bin ich dank deiner Lektion praktisch arbeitslos. Jedoch nicht mehr lange, denn ich habe bereits einen Plan. Deshalb habe ich erneut das Ruder über die Drachenjäger übernommen. Selbstredend werden sie schon bald nicht mehr Drachenjäger heißen. Mir ist nur noch kein geeigneter neuer Name für meine Beschäftigten eingefallen ... Schau doch nicht so misstrauisch! Dir ist sicher klar, dass die Drachenjäger unter meinem Kommando keine Gefahr mehr darstellen werden. Ich habe mich dem friedlichen und ehrenhaften Handelsgeschäft verschrieben. Keine Drachen versteht sich! ... Ganz normale Waren. Honig, Fisch, Felle, Weidenrinde. Alles, was ein Stamm so braucht. Nach Händler Johanns ... Naja 'Verschwinden' gibt es einige Völker, die einen neuen Händler benötigen. Berk sicherlich auch!? Vielleicht überlegt ihr es euch ja und wenn ihr trotz allem noch bereit sein solltet, mir eine Chance zu geben, wäre ich erfreut euch als ehrlicher Händler und Verbündeter zur Seite zu stehen", bot Viggo seine Dienste an. „Ich rede mit meinem Vater", versicherte Hicks, der von Viggos Aufrichtigkeit überzeugt war. Das Angebot konnten sie gut gebrauchen und Viggo war offensichtlich ein neuer Mensch. „Was ist eigentlich mit Johann passiert?", erkundigte sich der Schwarzhaarige. Hicks erzählte die lange Geschichte und sein Keulen und Klauen-Kumpel hörte ihm gespannt zu. Kurz nachdem der Braunhaarige fertig erzählt hatte, war auch das Spiel beendet. Hicks hatte die von Viggo erhaltene Figur des Komplizen gezogen und eine der gegnerischen Figuren so geschickt eingesetzt, dass er damit die Partie für sich entscheiden konnte. „Nur mit ihm ist es ein vollkommener Sieg", erinnerte sich Hicks schmunzelnd. „Du hast viel dazugelernt! Kein Wunder, dass du gewonnen hast ... Und wegen Johann ... Ich wusste, du schaffst das! Wenn einer das schaffen konnte, dann du! Du bist wahrhaftig zu etwas Großem bestimmt!", lobte Viggo seinen neuen Freund. „Danke, Viggo! Ich habe aber auch viel von dir gelernt!", gab Hicks das Kompliment zurück. „Gewiss! Unsere Feindschaft hat uns Beiden geholfen uns weiterzuentwickeln. Dennoch bin ich froh, dass sie nun beigelegt ist", meinte Viggo und Hicks nickte zustimmend. „Huach, ich denke ich gehe jetzt schlafen, es ist schon spät und es war ein weiter Flug. Wir sehen uns dann morgen. Gute Nacht", gähnte Hicks müde. „Gute Nacht", verabschiedete sich auch Viggo und verschwand kurz darauf in der Gronckelhütte, welche er sich als Schlafplatz ausgesucht hatte.

Hicks freute sich sehr, dass Viggo noch am Leben war. Nun musste er keine Schuldgefühle mehr haben, weil er ihn damals tatsächlich verlassen hatte, anstatt an seiner Seite zu kämpfen. Oft hatte er sich gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn er trotz Viggos klarem Befehl, zu gehen und ihn alleine zu lassen, geblieben wäre. Aber da ja letztlich alles gut ausgegangen war, war die Überlegung, wie es anders laufen hätte können, unwichtiger geworden und würde Hicks von nun an nicht mehr bedrücken. Denn alles, was zählte war, dass Viggo noch lebte! Und er hatte sich geändert! Es war für ihn ein neuer Anfang! Wenn er nun ein echter Händler würde, könnte das Berk sehr nutzen, denn sie brauchten dringend einen neuen Händler. Einen Drachen würde Viggo jedoch vorerst nicht erhalten, aber das wollte dieser auch überhaupt nicht. Viggo hatte Hicks bereits klar zu verstehen gegeben, dass er zwar seine Ansicht gegenüber den Drachen geändert hatte, aber trotzdem ein Geschäftsmann bliebe. Nicht mehr und nicht weniger! Bald würde Hicks nach Berk zurückkehren und die freudige Botschaft verkünden. Viggo lebte und von nun an konnten sie eine freundschaftliche Handelsbeziehung führen, von der zweifelsohne beide Seiten profitieren würden! Zum Glück war Hicks auf die Klippe zurückgekehrt, denn sonst hätte er Viggo vielleicht nicht mehr gesehen. Doch von nun an würden sie sicherlich öfters die ein oder andere Partie Keule und Klaue spielen, sobald Viggo neue Warenlieferungen an die Küste Berks brachte.

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