Muttertag

Hicks saß im Clubhaus und arbeitete an seiner Skizze zur Verbesserung seines Feuerschwertes. Er war völlig in seine Arbeit vertieft, sodass er nicht mitbekam, wie Astrid zu ihm trat. „Hey, Hicks!", meinte sie fröhlich. Der abgelenkte Junge erschrak zuerst, als das Mädchen plötzlich hinter ihm stand, doch entspannte sich auch schnell wieder: „Oh, Astrid, du bist es! Hallo". Selbige kicherte. Ihr war bewusst, dass Hicks bei seiner Arbeit öfter mal aus der Realität verschwand und alles um sich herum ausblendete. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken", entschuldigte sie sich daher. „Erschrecken? Mich? Nicht doch!", leugnete es der Braunhaarige. „Hach, wie du meinst. Ich will dich auch gar nicht lange stören, aber wir wollten gerne wissen, wann wir nach Berk aufbrechen?", vermied sie eine Diskussion. „Ähm ... Nach Berk?", verstand Hicks nicht, worum es ging. „Na, morgen ist doch Muttertag! Wir haben alle schon etwas geplant, was wir mit unseren Müttern unternehmen wollen ... Du hattest doch vor uns für diesen Tag frei zu geben, oder etwa nicht?", war die Blondine leicht verunsichert. „Oh, ja klar! Selbstverständlich habt ihr morgen frei! Ich meine, wer würde schon verlangen, dass ihr am Muttertag arbeitet?! Ich war wohl gedanklich noch bei der Arbeit und konnte dir deshalb nicht ganz folgen. Äh, jedenfalls fliegen wir nach dem Mittagessen los", meinte Hicks verlegen. „Super, ich sag es den Anderen", freute sich Astrid und verließ gut gelaunt die Gemeinschaftshütte. Seufzend ließ Hicks seinen Kopf auf den Tisch fallen. Die Wahrheit war, dass er gar nicht an den Muttertag gedacht hatte. Und wenn, dann hatte er sicher nicht geplant nach Berk zu fliegen, um zu sehen, wie alle Kinder mit ihrer Mutter einen schönen Tag verbrachten. Aber seinen Freunden zu befehlen, wegen ihm auf der Drachenklippe zu bleiben, damit er nicht vor Augen geführt bekam, dass er als Einziger keine Mutter mehr besaß, konnte er ihnen dann doch nicht abverlangen.

Als sie schließlich losflogen, waren alle sehr guter Laune. Alle bis auf Hicks. Er saß missmutig auf seinem Drachen und versuchte nicht daran zu denken, dass er morgen ganz alleine sein würde. Jedoch war das alles andere als leicht, immerhin redeten seine Freunde pausenlos von ihren Plänen. „Muttertag ist wirklich schön, wenn man bedenkt, dass man selbst keine Geschenke kriegt", war Rotzbakke der Meinung. „Dreht sich bei dir denn immer nur alles um Geschenke?", hinterfragte Fischbein diese Aussage. „Es ist einfach der perfekte Tag, um meiner Mom zu zeigen, wie dankbar ich für alles bin, was sie immer für mich getan hat", fand Astrid. „Oder als Entschuldigung für all den Stress und die Probleme, die wir verursacht haben", meinte Taffnuss. „Und wir haben uns definitiv für eine Menge Dinge zu entschuldigen! Unglaublich, dass sie uns noch nicht zur Adoption freigegeben hat", setzte Raff nach. „Das wundert so ziemlich jeden auf Berk", behauptete der Jorgenson. „Mütter lieben ihre Kinder bedingungslos! Selbst wenn sie so viel Unruhe stiften wie die Zwillinge. Mütter sind einfach immer für einen da, wenn man sie braucht", war Astrid überzeugt. Das wurde Hicks nun wirklich zu viel. Er spürte, wie sich Wasser in seinen Augen sammelte. Zu seinem Glück spürte Ohnezahn die Trauer seines Reiters und legte an Geschwindigkeit zu, sodass sie an den anderen Drachenreitern vorbeisausten. Um Hicks abzulenken flog der Nachtschatten kurz darauf einige Loopings und schaute mit seinem unverwechselbaren Grinsen zu seinem besten Freund. „Danke, Kumpel", lächelte dieser zurück und streichelte ihn.

Auf Berk

Müde öffnete Hicks seine Augen und stand aus seinem Bett auf. Die Drachenreiter waren sehr spät in der Nacht auf Berk eingetroffen und hatten sich daher einfach müde in ihre Betten fallen lassen. Doch nun war es Morgen geworden. Obwohl Hicks nicht viel Schlaf gehabt hatte, gelang es ihm nicht noch länger liegen zu bleiben, denn von draußen hörte man dutzende Wikingerinnen mit ihren Kindern lachen und reden. Deprimiert von der fröhlichen Stimmung, die im Dorf vorherrschte, trottete Hicks nach unten. Wie bereits angenommen war sein Vater schon bei der Arbeit und er somit alleine. Wie immer, an diesem von allen Leuten so hochgelobten Tag, war er allein. Er setzte sich an den Esstisch und kaute lustlos auf seinem Frühstücksbrot herum. Ohnezahn kam zu ihm, doch Hicks kraulte ihn nur instinktiv ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Erst als der Drache besorgt gurrte kam der Junge aus seiner Gedankenwelt zurück in das Hier und Jetzt. „Tut mir leid, ich stehe wohl heute etwas neben mir", gestand der Braunhaarige und seufzte traurig. Aufmunternd stupste Ohnezahn in an und entlockte seinem Freund tatsächlich ein kleines Lächeln. „Was hältst du davon, wenn wir einen Spaziergang machen?", erkundigte sich der Reiter. Natürlich war sein Drache einverstanden und kurz darauf waren sie schon unterwegs.

Als Ersten liefen sie zur Arena, danach zum Strand und schließlich machten sie noch einen kurzen Abstecher in den Wald. Doch wo sie auch hingingen, überall waren glückliche Mütter mit ihren noch glücklicheren Kindern, die die gemeinsame Zeit genossen. Es war für ihn kaum noch auszuhalten. Man könnte ja meinen, dass er nach 18 Jahren daran gewöhnt sein sollte, diesen einen Tag im Jahr nicht zu feiern, aber auf Berk war Muttertag - sowie auch Vatertag - eine ziemlich große Sache. In so einem kleinen Dorf waren Traditionen und Feiertage etwas unglaublich Bedeutsames. Es war daher ziemlich schlimm für Hicks, dass er nie an diesem Feiertag teilhaben konnte. Natürlich wurde die ganze Sache noch dadurch verschlimmert, dass er so ziemlich der Einzige auf ganz Berk war, der keine Mutter hatte. Denn entweder waren andere Kinder, die wie er ihre Mutter verloren hatten, schon erwachsen und feierten ihren eigenen Muttertag - beziehungsweise genossen den ruhigen Tag mit den anderen Männern, während ihre Frauen mit den Kindern weg waren - oder lebten nicht mehr auf Berk. Oder aber, falls sie noch jung waren, hatten ihre Väter erneut geheiratet, sodass sie den Tag mit ihrer Adoptivmutter verbrachten, um die Verbindung zu stärken. Und seit dem Frieden mit den Drachen vor drei Jahren hatte kein Kind mehr seine Mutter verloren. Eigentlich kam Hicks ganz gut damit klar, nur seinen Vater zu haben, doch am Muttertag wurde ihm einfach vor Augen geführt, was er niemals hatte und niemals haben würde und das setzte ihm ziemlich zu. Um dieser ernüchternden Einsicht aus dem Weg zu gehen, kehrte er in sein Haus zurück. Doch selbst da hatte er keine Ruhe, denn ausblenden konnte er die Geräusche aus dem Dorf nicht. Hicks war kurz davor durchzudrehen.

Als sein Magen grummelte, machte er sich auf den Weg zur Großen Halle, um dort etwas zu essen. Seine Stimmung heiterte sich etwas auf, als er seine Freunde sah, die sich eben ein Gericht aussuchten. In der Hoffnung, dass der Tag vielleicht doch noch besser werden würde, machte er sich auf den Weg zu ihnen. „Hey, Leute!", begrüßte er sie. „Hallo, Hicks!", sagten sie, als sie ihren Anführer erblickten. „Hier, das musst du probieren", meinte Astrid und drückte ihm einen Teller in die Hand. Für einen Moment war alles in Ordnung. Sie unterhielten sich über völlig andere Dinge und zum ersten Mal an diesem Tag ging es Hicks richtig gut. Doch die schöne Zeit nahm ein jähes Ende. Die kleine Gruppe lief gerade mit ihrem Essen in Richtung der Tische, da verabschiedete sich Fischbein plötzlich von ihnen: „Okay, ich muss dann, guten Appetit". Verwirrt schaute Hicks ihm hinterher und wunderte sich, wo sein Freund denn nun hinging. Allerdings erging es nur ihm so, denn alle anderen Truppenmitglieder waren nicht im Geringsten verwundert. „Wir gehen jetzt auch mal", meinten die Zwillinge. „Ich besser auch", schloss sich Rotzbakke an. „Bis später, Hicks", verabschiedete sich schließlich auch Astrid. Und als Hicks so ganz allein und verlassen mitten im Raum stand und seinen Freunden hinterherschaute, wusste er wieder, was heute für ein Tag war. Seine Freunde hatten sich an verschiedene Tische begeben, an denen bereits ihre Mütter auf sie warteten, um gemeinsam zu essen.

Traurig setzte sich Hicks alleine an den ganz hintersten Tisch. Doch all sein Appetit war bereits vergangen. Lustlos stocherte er in seinem Essen herum. Schließlich sah er ein, dass er wohl keinen Bissen davon runterkriegen würde und brachte seinen immer noch vollen Teller zurück. Dort begegnete er auch wieder seinen Freunden, die ihre leeren Teller wegbrachten. Dieses Mal konnte das Hicks jedoch nicht auf bessere Laune bringen. „Hast du gar nichts gegessen?", wunderte sich Astrid, als ihr Hicks voller Teller auffiel. „Oh, ich hatte keinen Hunger", log dieser. „Und wie du Hunger hattest, das haben wir doch vorher deutlich gehört", lachte Rotzbakke. „Hat sich geändert", murrte der Braunhaarige bloß. Und ab diesem Moment konnten die Teenager sicher sein, dass etwas mit Hicks nicht stimmte. Denn so sprach er eigentlich nie zu ihnen! „Ist alles in Ordnung?", erkundigte sich Fischbein besorgt. „Ja klar, was sollte denn los sein?", meinte Hicks in einem ungewollt schnippischen Tonfall. „Du hast doch etwas!", stellte Raff fest. „Ach, lasst mich doch einfach alle in Ruhe!", keifte Hicks seine Freunde urplötzlich an und stürmte aus der Großen Halle hinaus. „Was war das denn?", wunderte sich Taffnuss. „So verhält sich Hicks doch sonst nie", stellte Astrid fest. Von dem merkwürdigen Verhalten ihres Anführers beunruhigt entschlossen sich die Jugendlichen dazu, Grobian einen Besuch abzustatten, bevor sie ihre geplanten Tagesausflüge fortsetzen würden.

Dieser befand sich ebenfalls in der Halle, weshalb sie schnell zu seinem Tisch liefen. „Grobian", riefen sie aus einiger Entfernung. Dieser wendete sich von einigen anderen Männern ab, mit denen er sich unterhalten hatte: „Ay, was macht ihr denn hier? Solltet ihr nicht mit euren Müttern unterwegs sein? Ich hab gehört, dass ihr so einiges geplant hattet" - „Ja, hatten wir auch, aber wir haben gerade Hicks getroffen. Er hat sich wirklich merkwürdig verhalten", erzählte Fischbein. „Das ist auch kein Wunder", war Grobian nicht überrascht. „Wieso? Was hat er denn? Wieso ist er plötzlich so zu uns?", wollte Astrid aufgewühlt erfahren. „Nehmt es ihm nicht übel. Es liegt nicht an euch! Es ist einfach dieser Tag, der ihn fertig macht", erklärte Grobian bedauernd. „Heute ist Muttertag, na und? Den verbringt jeder mit seiner Mutter, wo liegt das Problem?", verstand Rotzbakke es nicht. „Ich dachte, er hätte keine Mu ... Aaah!", erkannte es Raffnuss. „Oh nein! Wie konnten wir das nur vergessen?!", ging Astrid ein Licht auf. „Ja, Muttertag ist immer nicht leicht für ihn. Ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass er überhaupt nach Berk kommen würde. Alle so glücklich zu sehen ist für ihn unerträglich", seufzte der Schmied. „Das ist mir vorher nie wirklich aufgefallen. Naja, aber mir fällt ja auch generell nicht so viel auf", zuckte Taff mit den Schultern. „Macht euch keine Sorgen, Hicks vermisst seine Mutter heute wirklich sehr, aber morgen ist er wieder ganz der Alte", versicherte der blonde Mann ihnen. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wäre ohne eine Mutter aufzuwachsen, die einen in den Arm nimmt, wenn man traurig ist", gestand Rotzbakke. „Die einem das Essen vorkaut", setzte Raff nach. „Die ein Schlaflied singt, wenn man aus Angst nicht schlafen kann", fügte Taff hinzu. „Die einen mit selbstgemachtem Essen empfängt, sobald man das Haus betritt", erweiterte Fischbein die Liste. „Die mit einem Axtwerfen übt", ergänzte Astrid. Sogleich schauten ihre Freunde sie komisch an. „Hey, Raffnuss sagte was von Essen vorkauen, aber mich komisch anschauen!?", beschwerte sie sich daher.

„Wie dem auch sei, Hicks hatte das alles nicht und heute wird ihm das einfach vor Augen geführt", brach Grobian die Diskussion ab, bevor sie in Streit ausarten konnte. „Wir hätten nicht nach Berk kommen sollen", sagte Astrid schuldbewusst. „Wir hätten Hicks nur nicht mitnehmen sollen", fand Rotzbakke. „Geht's noch?", war die Blondine empört. „Was denn? Meine Mutter wäre enttäuscht, wenn ich den Muttertag vergessen würde! Ich musste kommen", rechtfertigte er sich. „Und was machen wir jetzt?", wollte Fischbein erfahren. „Am Besten wir gehen zu ihm und leisten ihm etwas Gesellschaft", überlegte Astrid. „Und was wird aus unserer Mutter? Wir können sie doch heute nicht vernachlässigen!", warf Taff an seine Schwester gewandt ein. „Wir könnten Hicks doch einfach mitnehmen", schlug Raffnuss vor. „Kinder, ich finde es wirklich toll, wie ihr Hicks helfen wollt, aber das würde nichts bringen! Er würde nie zulassen, dass ihr eure Mütter versetzt, nur um Zeit mit ihm zu verbringen. Außerdem wäre er ganz sicher dagegen sich in eure Ausflüge reinzudrängen, mal ganz davon abgesehen, dass ihn das möglicherweise nur noch trauriger machen könnte", redete Grobian ihnen ins Gewissen. „Aber was sollen wir denn dann machen?", war Fischbein ratlos. „Ich fürchte ihr könnt nichts für ihn tun. Das ist eine Sache, die muss er ganz alleine durchstehen. Lasst ihn einfach in Ruhe nachdenken. Er braucht das! Und was euch angeht, verbringt einen schönen Tag mit euren Müttern. Hicks würde es nicht wollen, dass ihr seinetwegen die Köpfe hängen lasst", riet der Schmied. Seufzend, aber einsichtig entfernten sich die Teenager. Hicks tat ihnen unglaublich Leid, doch wirklich helfen konnten sie ihm nicht. Also kehrten sie zu ihren Müttern zurück, um den Tag mit ihnen zu genießen.

Auf dem Dorfplatz

Hicks war einfach aus der Halle gerannt. Einfach fort. Ohnezahn, der neben dem Eingang zur Halle mit Sturmpfeil gespielt hatte, war dies natürlich aufgefallen. Mit einem perplexen Blick schaute er Hicks nach. Hatte sein Reiter ihn etwa vergessen? Der Nachtschatten entschied sich dazu, dem Jungen einfach zu folgen. Erst auf dem Dorfplatz blieb Hicks schließlich stehen. Ohnezahn stellte sich neben ihn und Hicks stieg sofort auf dessen Rücken. „Lass uns ne Runde fliegen, ja?", bat er. Nickend hob dessen schuppiger Begleiter ab. Doch sie waren nicht die Einzigen, die sich gerade auf einen Rundflug begaben. Jetzt, wo jeder einen Drachen hatte, war es nur logisch, dass viele Mütter mit ihren Kindern auch einen Drachenflug unternahmen. Überall flogen Leute umher. „Das kann doch wohl nicht wahr sein! Habe ich denn nirgends meine Ruhe?", regte sich Hicks auf. Ohnezahn schaute ihn mitleidig an. Hicks atmete tief ein und aus, um etwas runterzukommen. „Okay, lass uns hier verschwinden!", ordnete er dann an. Ohnezahn verstand und beschleunigte umgehend. Auf einer kleinen abseits gelegenen Insel landeten sie schließlich. In der Ferne waren die Umrisse ihrer Heimatinsel gerade noch erkennbar. Jedoch war es hier friedlich und Hicks konnte endlich entspannen. „Würdest du mich einen Moment alleine lassen? Ich muss über einiges nachdenken", meinte Hicks. Ohnezahn schaute etwas besorgt, willigte aber ein und verschwand tiefer im Wald.

Hicks hingegen lief in die entgegengesetzte Richtung. Schließlich hatte er den Waldrand erreicht und sah die Klippe, an welche er sich setzen wollte, um nachzudenken. Doch als er aus dem bewaldeten Gebiet hervortrat bemerkte er, dass er nicht der Einzige auf dieser Insel war. Dort am Rand der Insel saß eine braunhaarige Frau, die um die 40 Jahre alt zu sein schien. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet. Da es so aussah, als ob sie ebenfalls alleine wäre, wagte sich Hicks näher. „Darf ich?", fragte er, als er neben ihr stand. Die Frau schaute ihn erschrocken an, doch nickte. Also setzte Hicks sich neben sie. „Ich wollte dich nicht erschrecken", entschuldigte er sich. „Schon gut, ich war nur in Gedanken versunken und hatte nicht erwartet, dass noch jemand hier sein würde", lächelte sie ihm beruhigend zu. „Ja, damit hatte ich auch nicht gerechnet", gestand der Junge. „Was machst du eigentlich hier? Würdest du die Zeit nicht lieber mit deiner Mutter verbringen?", erkundigte sich die Frau. „Kann ich nicht. Meine Mom ist bereits gestorben. Und du? Hast du keine Kinder?", gab Hicks die Frage zurück. „Doch, einen Sohn. Aber der Kontakt ist schon vor langer Zeit abgebrochen", gestand sie traurig. „Es ist hart diesen Tag alleine zu verbringen, nicht?", verstand Hicks den Schmerz. „Ja, ich kann nicht aufhören an ihn zu denken. Wie es wohl wäre den Muttertag mit ihm zu verbringen?", grübelte sie. „Geht mir auch so. Gibt es für dich nicht vielleicht doch eine Möglichkeit? Ich meine, du hast doch noch die Chance ihn wiederzusehen ... Anders als ich", fügte Hicks bitter hinzu. „Es geht nicht. Es ist zu viel Zeit vergangen. Wir leben in ganz anderen Welten. Außerdem habe ich ihn im Stich gelassen. Dafür würde er mich hassen!", bedauerte sie es. „Er ist dein Sohn. Ich bin sicher, dass er dich verstehen wird!", ermutigte der Junge die Fremde. „Das wäre schön ... Doch es ist leider unmöglich", weigerte diese sich.

Einen Moment lang herrschte Stille. Beide schauten nur in die Ferne. Berk war kaum mehr als ein dunkler unförmiger Fleck am Horizont. „Du bist ein toller Junge, deine Mom schaut sicher von Valhalla aus zu dir hinab und ist stolz auf dich", sagte die Fremde schließlich. „Danke, das ist eine schöne Vorstellung", lächelte der junge Wikinger. Erneut wurde es ruhig. Da fiel dem Jungen ein, dass er den Namen seiner neuen Bekanntschaft noch gar nicht kannte. „Ich bin übrigens Hicks", stellte er sich daher vor und erhoffte, dass er auch ihren Namen erfahren würde. Als die Frau ihn mit großen, geschockten Augen ansah, überlegte er, ob er etwas Falsches gesagt hatte. „Das ... Das ist unmöglich", raunte die Frau schließlich. „Was ist los?", wunderte er sich. „Hicks?", wiederholte sie mehr an sich selbst gewandt. Sie stand auf und lief auf und ab. „Ja, toller Name, ich weiß ... Stimmt etwas nicht?", fragte Hicks und stand ebenfalls auf, da die Unbekannte sich einfach nicht beruhigte. Die Frau blickte ihn mit Tränen in den Augen an. Noch bevor Hicks es realisierte, hatte die Frau ihn in eine Umarmung gezogen. Für einen Augenblick hatte er keine Ahnung, wie er sich nun verhalten sollte. Sollte er die Fremde von sich stoßen? Sollte er einfach warten, bis sie sich beruhigt hatte? „Ich bin deine Mutter", schluchzte die Frau ihm plötzlich ins Ohr. Mit diesen wenigen Worten war sein Kopf wie leergefegt. Er konnte nicht denken, nicht handeln und auch kein klares Gefühl drang zu ihm. Er war schlichtweg überfordert.

Valka bemerkte, wie angespannt er war und ließ ihn wieder los. „Was?", war das einzige Wort, welches Hicks Mund verließ und selbst das erschien ihm wie ein Wunder. Die Frau, welche sich eben als seine Mutter bezeichnet hatte, nickte. „Ja, ich weiß, dass das alles schwer zu glauben ist. Aber ich bin Valka Haddock. Ich hätte nie damit gerechnet dich wiederzusehen. Nach 18 Jahren", konnte sie es ebenfalls kaum glauben. „Du ... Du bist meine Mutter? Aber ich dachte ... Wie ... Was ...", schließlich brach Hicks ab, denn er erkannte, dass die tausend Fragen in seinem Kopf alle gleichzeitig raus wollten, doch sich nur zu unverständlichen Sätzen vermischten, die er momentan nicht zu formulieren im Stande war. „Ich weiß. Alles ist gut! Es tut mir so unglaublich leid", meinte Valka einfühlsam. Hicks atmete tief durch: „Du bist also meine Mutter? Ich ... Ich habe so viele Fragen. Das ... Das macht gerade alles überhaupt keinen Sinn! Wie kann das sein?". Valka nickte traurig. Was hatte sie erwartet? Dass er ihr glücklich in die Arme fiel? Sicher nicht! Eher noch, dass er sie wütend anschreien würde. Im Vergleich dazu war ihr seine jetzige Reaktion dann doch lieber. Und wenn sie ehrlich war, hatte Hicks auch alles Recht dazu verwirrt und ungläubig zu sein. Allerdings hatte sie sich insgeheim schon etwas mehr Begeisterung erhofft.

„Das ist eine lange Geschichte", versuchte sie dem unangenehmen Gespräch zu entkommen. Wie sollte sie ihrem Sohn, welcher in einem Dorf aufgewachsen war, wo Drachen zu töten ein absolutes Muss war und welcher vermutlich selbst einen unbändigen Hass diesen Wesen gegenüber hatte, erklären, dass sie ihre Familie für eben diese Tiere verlassen hatte? „Du hast mich 18 Jahre in dem Glauben lassen, dass du tot wärst ... Ich habe Zeit!", ließ Hicks sich nicht abspeisen. Doch gerade als Valka mit ihrer Erklärung beginnen wollte, raschelte etwas im Gebüsch. Hicks war bewusst, dass sich auf dieser Insel viele gefährliche Tiere rumtrieben. Unbewaffnet auf ein wütendes Wildschwein zu treffen wollte er definitiv nicht. Daher zog er sofort sein Schwert hervor, welches er bei sich trug, entflammte es jedoch noch nicht. Im nächsten Moment trat ein großer, brauner Drache hervor. Die Art war Hicks völlig unbekannt. Der viergeflügelte Drache fauchte den Jungen bedrohlich an. Sogleich entzündete Hicks sein Schwert und näherte sich dem Wesen. „Nein!", schrie Valka panisch. Jedoch näherte Hicks sich bereits mit erhobenem Schwert dem Drachen. Aber entgegen Valkas Erwartungen verletzte ihr Sohn den Drachen nicht. Er schwenkte lediglich sein loderndes Schwert vor dessen Kopf und streckte schließlich seine Hand nach dem Drachen aus. Der braune Drache schnupperte kurz daran, bevor er seine schuppige Haut gegen die ihm dargebotene Hand drückte. Schon ließ Hicks sein Schwert wieder erlöschen und steckte es weg.

„Alles gut, ganz ruhig", streichelte er den Drachen. „Du ... Du hast ihm nichts getan", staunte Valka. „Es hat sich herausgestellt, dass ich kein guter Drachentöter bin", stimmte Hicks nur lächelnd zu. Valka war so unglaublich erleichtert, was ihr ein breites Lächeln aufs Gesicht zauberte. Hicks pfiff und nur wenige Sekunden später tauchte ein Nachtschatten auf, welcher sich beschützerisch neben ihn stellte. „Das hier ist Ohnezahn, mein bester Freund", stellte er den Drachen vor. Noch glücklicher hätte Valka wohl kaum sein können. Ihr Sohn war kein Drachentöter! „Wolkenspringer", meinte sie nur und deutete auf den braunen Sturmschneid. „Du ... Du auch?", war Hicks erstaunt. „Ja, anscheinend hast du das von mir", lachte Valka mit Tränen in den Augen. Sie konnte es nicht glauben, ihr Sohn war wie sie! „Bist du deswegen nicht zurückgekommen?", machte sich der Verdacht in Hicks breit. „Ja, ich konnte es nicht aushalten. Sie hätten mich nie verstanden. Es tut mir so leid, dass ich nicht für dich da war, mein Sohn! Wenn ich gewusst hätte, dass du auch kein Drachentöter bist, dann hätte ich dich geholt. Ich hätte bloß nie gedacht, dass du so bist wie ich. Es tut mir so leid!", hatte die Frau enorme Schuldgefühle. „Ist schon gut. Ich weiß, wie es ist, wenn man einen Drachen beschützen will und keiner einem Beachtung schenkt. Und wenn ich ehrlich bin, ich wäre auch fast von Berk weggelaufen, als ich in dieser Situation war ... Ich verzeihe dir!", beschloss Hicks. „Wirklich!? Womit habe ich nur so einen tollen Sohn verdient, nachdem ich als Mutter so versagt habe?", war es Valka ein Rätsel.

Sie war so überglücklich und umarmte ihren Jungen. Für Hicks war es immer noch etwas befremdlich so plötzlich eine Mutter zu haben, nachdem er sein ganzes Leben davon ausgegangen war, dass er keine hatte. Aber er fühlte sich in diesem Moment so geborgen. Sicher, sein Vater hatte ihn auch mal umarmt, aber dennoch war das hier etwas völlig anderes. Seine totgeglaubte Mutter nun bei sich zu haben war ein unbeschreibliches Gefühl für ihn. Es war besser als alles, was er sich jemals vorgestellt hatte. Und sogleich war ihm klar, dass er diese innige Mutterliebe nie wieder hergeben wollte. Glücklich erwiderte er die Umarmung. Keiner der Beiden wollte sich wieder vom Anderen trennen, also blieben sie erstmal so verharren. Die Drachen konnten nur verwirrt zuschauen. Sie wussten nicht wirklich was nun los war. Schließlich lösten sich die Wiedervereinten doch voneinander. Als Valka sah, dass ihrem Sohn eine Träne über die Wangen rann, wischte sie diese sogleich zärtlich mit ihrem Daumen weg. „Es tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe. Aber ich verspreche dir, dass ich ab heute immer für dich da sein werde!", schwor sie ihm. „Weißt du, der Muttertag ist noch nicht vorbei ... Hättest du Lust ihn mit mir zu verbringen?", fragte Hicks. „Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen", willigte die Frau sogleich ein.

Somit stiegen sie auf ihre Drachen und machten einen kleinen Erkundungstripp. Natürlich erzählte Valka von ihren unzähligen Drachenrettungsmissionen, ihrem Leben fern ab von Berk und ihren unzähligen Erkenntnissen über Drachen, während Hicks ihr von seiner Kindheit, seinem Treffen mit Ohnezahn, dem Kampf mit dem Roten Tod, der Veränderung im Dorf und der Drachenklippe berichtete. So verging die Zeit wie im Flug. Zuletzt machten sie auf einer neu entdeckten Insel eine kurze Pause und trainierten einige Drachen, die ihnen über den Weg liefen, bevor sie zurück zu der kleinen Insel in der Nähe von Berk flogen. Als sie landeten ging auch schon die Sonne unter. „Ich muss wieder zurück. Vater macht sich sicher schon Sorgen, weil ich so lange weg war", sagte Hicks, als er erkannte, wie spät es bereits geworden war. „Das war der schönste Muttertag, den es überhaupt geben könnte. Ich bin so glücklich, dass ich dich wiedergefunden habe", lächelte Valka. „Mutter, wir sehen uns doch wieder ... Also nicht erst nächsten Muttertag, oder?", war Hicks unsicher. „Ich muss zurück zum Nest, um dort einige Dinge zu regeln. Aber in ein paar Tagen bin ich wieder hier", versprach sie. „Dann überlegen wir uns gemeinsam, wie wir es Vater beichten, okay!?", freute sich Hicks. „In Ordnung", stimmte seine Mutter zu. Obwohl sie nicht unbedingt begeistert war, ihrem Ehemann zu gestehen, dass sie all die Jahre bewusst weg gewesen war, sie freute sich dennoch darauf ihn wiederzusehen. Schließlich hatte sie nie aufgehört ihn zu lieben und wenn er sich geändert hatte, gab es vielleicht doch noch eine Chance, wieder eine glückliche Familie zu werden.

„Mom, ich bin so froh, dass ich dich wiederhabe", gestand Hicks, bevor er Ohnezahn ein Zeichen gab und dieser losflog. Hicks drehte sich nochmal um und wunk seiner Mutter zu. Valka blieb auf der Insel zurück und wunk ihrem Sohn ebenfalls. Doch schließlich war von ihm und seinem Drachen nicht mehr als ein schwarzer Punkt am Horizont übrig geblieben. Zufrieden stieg sie auf Wolkenspringer auf und begab sich auf den Heimweg. Noch nie zuvor war sie so glücklich über einen Ausflug gewesen wie heute. Ursprünglich hatte sie sich nur aus Sehnsucht nach ihrem Jungen auf die Reise begeben. Sie hatte aus sicherer Entfernung die Insel betrachten wollen, wo er lebte. Dass dieser kleine Trip so eine glückliche Wendung nehmen würde, hätte sie nicht zu träumen gewagt. Von nun an würde sich so Einiges zum Besseren verändern. Und Valka konnte es kaum erwarten!

Auf Berk

Ohnezahn landete vor der Großen Halle. Lächelnd stieg Hicks ab und streichelte seinen Freund. „Hicks, da bist du ja!", rief da plötzlich jemand. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht", war Astrid besorgt. „Es tut uns leid, dass wir dich nach Berk geschleift haben", entschuldigte sich Fischbein. „Nein, ich bin euch sehr dankbar, dass ihr es getan habt", entgegnete Hicks. „Ach echt?", wunderte sich Taff. „Sogar sehr", meinte Hicks aufrichtig und ein breites Lächeln zierte sein Gesicht. „Wieso bist du so fröhlich?", war Raffnuss verwirrt. „Weil heute Muttertag ist! Hach, was für ein toller Tag, nicht!?", war der Braunhaarige gut gelaunt. „Okay. Geht es dir wirklich gut?", war Rotzbakke verunsichert. „Besser als nur gut!", lautete die Antwort. „Du hast nicht zufällig zu viel Drachenwurz genascht?", vermutete Fischbein. „Nein", lachte Hicks kopfschüttelnd. Seine Freunde schauten ihn komisch an. Hicks war definitiv viel zu gut drauf! „Würdet ihr mich jetzt bitte entschuldigen, ich hab den ganzen Tag nichts gegessen und riesen Hunger. Wir sehen uns morgen ... Ach, fast vergessen, wir bleiben erstmal hier und machen Urlaub!", rief der Anführer noch, während er bereits mit Ohnezahn verschwand. „Urlaub? Da ist doch definitiv was faul!", war Rotzbakke überzeugt. „Grobian meinte zwar, dass es Hicks nach ein bisschen Nachdenkzeit wieder besser gehen würde, aber das ...", war selbst Astrid sprachlos. „Schon eine sehr heftige Veränderung!" - „Echt merkwürdig", stimmte Raff ihrem Bruder zu. Die Drachenreiter waren mehr als nur verwirrt über diese Verhaltensänderung ihres Anführers. Dieser hingegen war so glücklich wie schon lange nicht mehr. Er konnte es kaum erwarten seine Mutter wiederzusehen. Nur noch ein paar Tage, dann würde seine Familie endlich wieder komplett sein!

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