Die Wahrheit kommt ans Licht
Es war finsterste Nacht. Das Schiff schaukelte über den Ozean. Haudrauf saß unter Deck und genoss die gute Stimmung, die dort herrschte. Sein 8 Jahre alter Sohn saß in der Ecke und schaute dem ganzen Treiben zu. Er liebte es seinen Vater so fröhlich zu sehen, denn nach dem Tod seiner Mutter war das ziemlich selten der Fall. Diese kleine Bootsreise schien ihm daher gut zu tun. Hedrig, ein großer, blonder Wikinger, nahm Haudraufs Becher und schenkte noch etwas Met nach. Hicks schaute kurz bei dem Wikinger vorbei. Doch als dieser Haudrauf den Becher gab, begab er sich ebenfalls zu seinem Vater und wurde sogleich auf den Schoß genommen. Hicks war für sein Alter noch ziemlich schwach, aber schon sehr schlau. Leider aber auch ein wenig ungeschickt, denn er kippte prompt den Becher mit Met um, aus dem sein Vater noch kaum etwas getrunken hatte. „Tut mir leid, Dad", entschuldigte er sich sogleich. „Schon gut. Geh doch mal an Deck, dort müsste noch ein Gefäß sein. Würdest du das für mich holen? Schaffst du das?", fragte ihn sein Vater mit einem spielerisch-herausfordernden Ton. Sogleich nickte Hicks eifrig und machte sich auf den Weg.
Unten feierten die Wikinger unbeirrt weiter. Haudrauf fand es schade, dass Grobian nicht mitgekommen war, aber irgendwer musste ja auf Berk die Stellung halten. Wenigstens war Hedrig dabei. Hedrigs Großvater, Helmisch der I, war früher das Oberhaupt Berks gewesen. Doch da Hedrigs Vater, Helmisch der II, sehr früh verstorben war und Hedrig zu der Zeit selbst noch ein Kind gewesen war, hatte Haudraufs Vater das Amt des Häuptlings übernommen. Damit wurde die Haddock-Dynastie ins Leben gerufen. Hicks war nun schon der Dritte dieser Reihe. Daher auch sein Name, Hicks der Hüne der III Haddock. Haudrauf war sehr froh, dass er sich so gut mit Hedrig verstand, immerhin hätte er anstelle von ihm Oberhaupt werden sollen. Und nun hatte Hedrig selbst einen Sohn, der ebenfalls in Hicks Alter war. Daher war Hedrig auch die Idee für diese kleine Reise gekommen. Eine ruhige Reise mit ihren beiden Söhnen. Endlich mal den harten Häuptlingsalltag hinter sich lassen und entspannen. Anfangs war Haudrauf gegen diesen Vorschlag gewesen, aber nun war er unglaublich froh darüber, eingewilligt zu haben. Die Stimmung war grandios und die Meisten waren sicherlich bereits betrunken. Haudrauf hatte sich jedoch etwas zurückgehalten, da er als Vater kein schlechtes Vorbild sein wollte. Zumindest hatte er sich das so gedacht. Doch der Abend sollte eine schreckliche Wendung nehmen! Dank der Musik und den grölenden Wikingern konnte man den Sturm, der draußen wütete, fast völlig überhören. Doch als ein lauter Hilferuf ertönte, wurde sogleich alles still.
„AHHH! ... HILFE! ... WAH! ... VATER! ... WAH! ... DAD!", schrie jemand so laut er konnte. Eins war sogleich klar, es war die Stimme eines kleinen Jungen. Und nicht die irgendeines kleinen Jungen, es war Hicks! Sogleich eilte Haudrauf hinaus. Zumindest versuchte er es. Anscheinend hatte ihn das Met doch betrunkener gemacht als er es gedacht hatte. Jedenfalls stolperte er die Treppe eher hinauf und wirklich schnell war er auch nicht. Als er oben ankam und über Bord schaute, glaubte er lediglich den kastanienbraunen Haarschopf in den tosenden Fluten untergehen zu sehen. „HICKS!", schrie er und wollte sich in die Fluten stürzen, um ihn zu retten. „Nicht, Haudrauf! Er ist fort! Das Meer hat ihn längst verschluckt. Das Unwetter ist zu stark. Er ist längst hinabgesogen worden. Du kannst nichts mehr für ihn tun! Wenn du jetzt rein springst, stirbst du auch noch", hielt ihn Hedrig zurück. Haudrauf war ohnehin nicht dazu im Stande viel zu unternehmen. Seine Sicht war benebelt durch die starken Getränke und das Unwetter trug seinen Teil dazu bei, dass er total orientierungslos war. Alles in ihm schrie danach, seinen Sohn nicht aufzugeben, aber sein Körper wollte ihm nicht gehorchen. So musste er sich schließlich geschlagen geben.
Auf Berk
10 Jahre waren seit dem schrecklichen Unfall ins Land gezogen. Haudrauf saß in der Großen Halle. Um ihn herum saßen viele Wikinger, sowie auch Astrid, Rotzbakke, Fischbein und Raff und Taff. Sie konnten sich leider nur noch vage an den braunhaarigen Jungen erinnern, der vor so vielen Jahren von ihnen gegangen war. Es herrschte eine gute Stimmung und viele Wikinger tranken Met und feierten. Denn vor einigen Tagen hatte ein Sturm dazu geführt, dass ein einbeiniger Junge auf einem Nachtschatten eine Notlandung auf der Insel einlegen hatte müssen. Sogleich war der junge Mann wegen Verrat vors Gericht gestellt und verurteilt worden. Vorhin hatten sie ihn - unter Aufsicht - zur Vollstreckung seines Urteils auf die Insel der Verbannten segeln lassen. Mit Alvin hatte Haudrauf sich vor einigen Jahren mehr oder weniger vertragen, weshalb dieser die Vollstreckung der Gerichtsurteile durchführte. In dem Fall des namenlosen Jungen hieß dieses Tod. Er war sogleich verschifft worden und sein schwarzer Drache war auf Berk eingesperrt worden, damit es keine Fluchtgefahr gab. Die erfolgreiche Verurteilung des Verbrechers sorgte für eine ausgelassene Stimmung. „Willst du nicht auch etwas trinken?", hielt ein Wikinger Haudrauf fragend einen Becher Met hin. „Nein, möchte ich nicht", lehnte Haudrauf bitter ab. Seit jener schrecklichen Nacht, wo er zu betrunken gewesen war, um seinem Sohn rechtzeitig zur Hilfe zu kommen, hatte er dem Met abgeschworen. „Ach, komm schon! Wieso machst du nicht mal ne Ausnahme?", gab der Wikinger nicht auf. „Hör schon auf! Du weißt, dass er seine Gründe dafür hat", schritt Grobian schnell ein. Einsichtig verzog sich der Wikinger, doch die Teenager waren neugierig geworden. Sie hatten nie erfahren, was damals vorgefallen war. Das Einzige, was ihnen gesagt worden war, war, dass ihr Freund weg war und auch nicht mehr zurückkommen würde. Den Grund dafür hatte man ihnen vorenthalten. Doch nun wollten sie es endlich wissen.
„Haudrauf, ich weiß, dass es bestimmt nicht leicht für dich ist und du es vermutlich nicht erzählen willst, aber wir würden wirklich gerne erfahren, was mit Hicks passiert ist. Er war unser Freund! Haben wir nicht irgendwie ein Recht es zu erfahren!? Wir sind auch schon 18 und damit sicherlich alt genug, um die Wahrheit zu verkraften", traute sich Astrid den Häuptling anzusprechen. Haudrauf wollte gerade ablehnen, da begannen die Teenager auch schon ihn anzubetteln. „Na schön, ich glaube es wird Zeit, dass ihr es erfahrt", gab das Oberhaupt schließlich nach. Sogleich setzte sich die Truppe um Haudrauf herum und lauschten der Geschichte. „Es war eine stürmische Nacht. Wir haben unter Deck gefeiert und ich hatte wohl zu viel Met getrunken. Ich habe Hicks rauf geschickt, um noch etwas Met zu holen, nachdem er es versehentlich verschüttet hatte. Das war ein riesiger Fehler. Er ist über Bord gefallen und wurde von den Wellen verschluckt. Ich war zu betrunken, um ihn retten zu können. Ich war zu langsam und zu benebelt. Es war meine Schuld! Ich dachte, ich hätte mich mit nur dreieinhalb Bechern zurückgehalten, aber offenbar war dem nicht so. Aber ich hätte ihn auch gar nicht hinauf schicken dürfen. Ich hätte die Gefahr des Sturmes nicht unterschätzen dürfen", erzählte er bitter. „Aber Hicks war doch nicht so groß. Wie hätte er denn über die hohe Bordwand fallen können?", zweifelte Fischbein etwas. „Das dachte ich auch, aber der Sturm war stärker als wir es angenommen hatten. Das hat leider auch Hedrigs Jungen sein Leben gekostet", berichtete das Oberhaupt. „Hedrig hatte einen Sohn?", wunderte sich Rotzbakke. Mit Hicks waren sie ziemlich gut befreundet gewesen, weshalb sie sich noch ansatzweise an ihn erinnern konnten, aber der Junge von Hedrig war vollkommen aus ihrem Gedächtnis verschwunden. „Ja, der Mast des Schiffes ist durch den starken Wind und Regen abgebrochen und umgekippt und er wurde darunter begraben. Wir haben beide an diesem Tag unsere Kinder verloren. Nur war Hedrig nicht Schuld an dem Tod seines Sohnes. Ganz anders als ich", machte sich Haudrauf Vorwürfe. „Du hast früher mehr als 7 Met verkraftet, ohne dass es dich groß beeinflusst hätte. Ich verstehe sowieso nicht, wie diese 3 Met und ein Angefangenes deine Sinne so geschwächt haben können. Aber der Punkt ist, dass du nicht absichtlich betrunken warst. Du wolltest es vermeiden. Auch wenn das nicht geklappt hat. Du kannst dir nicht die Schuld für seinen Tod geben", versuchte es Grobian, aber Haudrauf sah sich weiterhin als schuldig.
„Aber das macht doch alles keinen Sinn! Für deine Verhältnisse war das offenbar wenig Met, dann, dass Hicks bei seiner Größe über die hohe Bordwand fällt und zuletzt noch die Tatsache, dass gleich zwei Kinder in einer Nacht sterben. Das erscheint mir schon sehr seltsam", fand Astrid. „Ja, schon irgendwie merkwürdig", stimmte Raffnuss ihrer Freundin zu. „Stimmt, ziemlich großer Zufall", unterstützte der männliche Thorstonzwilling die Mädchen. „Hört zu, ich weiß, dass das komisch klingt, aber ...", Haudrauf wollte sie gerade von ihrem Verdacht abbringen, da ertönte plötzlich lautes Gelächter. Was sollte das denn bloß? „Hedrig, was ist los?", fragte das Oberhaupt verwirrt. „10 Jahre! 10 Jahre, in denen du dich mit Schuldgefühlen geplagt hast. 10 Jahre, in denen sich der Tod deines einzigen Sohnes sicherlich immer und immer wieder in deinem Kopf abgespielt hat. 10 Jahre, in denen die Erinnerung an jenen schrecklichen Abend dich heimgesucht hat. Und doch hast du nie in Betracht gezogen, dass etwas daran nicht stimmen könnte? Erst ein kleines Mädchen musste dich darauf hinweisen!", lachte dieser weiter. „Hey!", beschwerte sich Astrid über die Beleidigung. „Was willst du damit sagen?", verstand Haudrauf es nicht. „Hicks Tod war alles andere als ein Unfall!", deckte Hedrig auf. „WAS!? Wie meinst du das?", konnte das Oberhaupt es gar nicht fassen. „Na schön, ich will es dir erzählen, obwohl es doch wohl mehr als nur offensichtlich ist! Du hast den Thron zu unrecht bestiegen. Den Thron, der rechtmäßig meiner Familie zusteht. Das konnte ich nicht akzeptieren", sagte der Blonde. „Haudraufs Vater hat den Thron zugesprochen bekommen. Niemand konnte etwas für den verfrühten Tod deines Vaters. Du warst zu jung, also wurde die Thronfolge nach Wikingerrecht geregelt und die Herrschaft in die Hände der Familie Haddock gelegt. Er war alles rechtmäßig", warf der Schmied sogleich ein.
Haudrauf hingegen verstand langsam, was das alles mit dem Tod seines Sohnes zu tun hatte und raunte geschockt: „Du wolltest meinen Sohn umbringen, daher die Reise" - „Nicht doch, Haudrauf! Ich hatte nicht vorgehabt einen kleinen Jungen zu töten, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte. Ich wollte dich töten!", stellte der Verbrecher klar. Natürlich erschraken alle anwesenden Wikinger. Man hatte ihr Oberhaupt umbringen wollen! „Mich? Aber wieso? Und wieso ist dann Hicks ...?" - „Natürlich dich! Dein Sohn wäre zu jung gewesen, also hätte ich meinen rechtmäßigen Platz auf dem Thron zurückerhalten und nach mir mein Junge. Damit wäre dieser Schandfleck, den deine Familie in den Geschichtsbüchern hinterlassen hat, behoben. Ich wollte dich vergiften. Ich hatte alles vorbereitet. Erinnerst du dich an den Becher Met, den ich dir gereicht habe? Da habe ich es reingefüllt. Ein schnell wirkendes Gift, das dich schwach gemacht hat" - „Das heißt, ich war gar nicht betrunken!" - „Nein, das warst du sicherlich nicht! Das Gift hat dir deine Kraft geraubt, doch bedauerlicherweise nicht dein Leben. Und das lag nur an deinem dummen Sohn! Er hat gesehen, wie ich das Gift in deinen Becher geschüttet habe und wusste sogleich, dass etwas nicht stimmte. Diese Nervensäge hat mich sogar darauf angesprochen, doch ich habe ihm versichert, dass alles gut wäre. Ach, es ist so offensichtlich gewesen, dass er das Met absichtlich verschüttet hat! Er hat mir nicht geglaubt und es deshalb getan", regte sich der Wikinger über die Verhinderung seines Anschlags auf. Nun erinnerte sich Haudrauf. Er hatte das Met ziemlich weit entfernt von der Tischkante abgestellt. Wo er jetzt darüber nachdachte, wäre es kaum möglich gewesen, es zufällig umzuschubsen. Nein, sein Sohn musste sich tatsächlich absichtlich zum Becher gebeugt haben. Sein Junge hatte ihm das Leben gerettet!
„Mir war sogleich klar, dass Hicks mir nun nicht mehr vertrauen würde. Es dir möglicherweise sogar sagen würde. Da wurde mir eins bewusst, ich konnte darauf verzichten Oberhaupt zu sein, solange zumindest mein Junge später mal die Nachfolge antreten würde. Also änderte ich meinen Plan. Hicks musste weg! Und du warst so dumm ihn auch noch nach Oben zu schicken. Keiner hat bemerkt, wie ich ihm nachgegangen bin. Dachtest du wirklich, dass Hicks vom Sturm über Bord befördert wurde? Ich bitte dich! Dein Sohn war viel zu schlau dafür. Er hat sich festgehalten und ist immer im windgeschützten Bereich gelaufen. Er wäre niemals von alleine über Bord gegangen! Diesen Gefallen hätte er mir natürlich nicht getan! Da musste ich also etwas nachhelfen ... Hach, du hättest sein Gesicht sehen sollen, als er den Verrat erkannte! Du hast ja keine Vorstellung davon, wie gut es sich angefühlt hat ihn loszuwerden und zu sehen, wie er nach Hilfe schreiend in den Fluten zugrunde ging. Es war befreiend! Und dann noch deine Verzweiflung, als du durch das Gift beeinflusst unfähig warst, etwas zu unternehmen. Es war herrlich! Zu gerne hätte ich dich ihm hinterher in den Tod springen lassen, aber das wäre einfach zu auffällig gewesen. Eine Schande! Bis dahin war der Tag der Beste, den ich jemals gehabt hatte. Es wäre alles so schön gewesen, wäre mein Sohn nicht verunglückt. Er hatte es nicht verdient!", bedauerte Hedrig nur seinen Sohn. „Hicks hatte das auch nicht verdient!", schrie Astrid wütend, aber auch traurig. Zu gerne hätte das Oberhaupt den Verbrecher geschlagen, doch Grobian hielt ihn zurück: „Das bringt doch nichts, Haudrauf! Er wird schon noch die gerechte Strafe bekommen". Schließlich schaffte es der Schmied dann doch irgendwie seinen Freund zu besänftigen.
„Du hast meinen Sohn umgebracht! Du hast ihn mir weggenommen und mich glauben lassen, es wäre meine Schuld gewesen! All die Jahre habe ich gelitten, nur wegen dir! Erwarte bloß kein mildes Urteil, sobald du wegen versuchten Mordes und Kindsmord vor Gericht stehst", brachte Haudrauf wütend hervor. „Weißt du was? Das ist mir egal! Verurteile mich ruhig! Ich habe bereits alles verloren. Aber wenigstens weiß ich, dass die Gerechtigkeit gesiegt hat", war der Blonde überzeugt. „Was für eine Gerechtigkeit? Dass ihr nun beide ganz allein seid? Dass dein Sohn ebenso umgekommen ist wie Hicks? Darüber freust du dich? So ein Verrückter!", fand Rotzbakke. „Nein! Der Tod meines Jungen war ungerechtfertigt. Doch heute hat sich alles ausgezahlt", meinte der Verbrecher überlegen grinsend. „Wovon redet der?" - „Das macht ja mal so gar keinen Sinn!", fanden die Zwillinge. „Ihr habt es alle nicht verstanden?! Ach, ihr Narren! In dieser Nacht wurde mir alles genommen!" - „Mir etwa nicht!?", fuhr Haudrauf verletzt dazwischen. „Nein! ... Dein Sohn sollte sterben, nicht der Meine! Aber mein Sohn ist gestorben ... Und deiner hat überlebt!", meinte Hedrig verächtlich. „Was?", mit diesen Worten hatte der Rothaarige am aller Wenigsten gerechnet. „Kastanienbraunes verwuscheltes Haar, leuchtende grüne Augen, Sommersprossen ... Klingelt da was?", spottete der Verbrecher. Haudrauf schüttelte nur verwirrt den Kopf. Worauf wollte Hedrig hinaus? „Eine Narbe am Kinn ... Besitzt einen Nachtschatten. Huh, jetzt vielleicht?", versuchte dieser ihm verhöhnend einen Tipp zu geben. Endlich verstand Haudrauf, dass Hedrig auf den einbeinigen Jungen anspielte. „Wie konntest du es nicht bemerken? Ich jedenfalls habe ihn sofort erkannt! Diese ganzen kleinen Details, die sich damals vor lauter Hass in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Sie waren alle da. Ich habe keine zwei Minuten gebraucht, um dieses mir so zuwider gewordene Gesicht zu erkennen. Ich hatte keinerlei Zweifel daran, als ich ihn in seinem Gefängnis besucht habe. Oh, er wusste zwar nicht, wer ich bin, aber ich konnte in seinen Augen ablesen, dass er tief in sich drin eine unerklärliche Abneigung mir gegenüber hatte. Ja, ganz tief in sich drin erinnert er sich an das, was ich ihm angetan habe. Es war ziemlich schwer ihn zum Reden zu bringen, aber danach war es klar. Ich hatte mich nicht getäuscht! ... Vor dem Ertrinken gerettet. Keine Erinnerung an sein vorheriges Leben. Sein einziger Freund und Beschützer ein Nachtschatten, der ihm es überhaupt ermöglicht hat zu überleben", warf Hedrig einfach einige Bruchstücke aus Hicks Lebensgeschichte in den Raum.
Das Aussehen des fremden Jungen sah Haudrauf plötzlich ganz deutlich vor sich. Er schien sich für einen kurzen Moment in einer ganz anderen Welt zu befinden. Vor seinem inneren Auge spielte sich das ganze Treffen erneut ab. Und diesmal erkannte er, was Hedrig gesagt hatte. Ja, es war zweifellos sein Sohn! Als Haudrauf zurück in die Realität kam, hatte der Verbrecher auch schon weiter geredet: „... Damals ist mir ein großes Unrecht zugestoßen, doch heute kann ich fast sagen, dass es das wert war, dass dein Sohn überlebt hat. Denn nach all den Jahren stirbt er nun endlich und das nur wegen dir! Du hast deinem eigenen Sohn das Todesurteil auferlegt und ihn zur sofortigen Vollstreckung auf die Insel der Verbannten geschickt. Er ist verloren, du kannst ihn nicht mehr retten! Und diesmal ist es wahrhaftig deine Schuld! ... Ja, es ist eine enorme Genugtuung für mich zu sehen, dass du derjenige bist, der letztlich Hicks auf dem Gewissen hat. Glaube mir, ich kann damit abschließen, was ich für Taten begangen habe, aber ich bezweifle, dass du das auch kannst. Ich glaube kaum, dass du dir es jemals verzeihen kannst, deinen Sohn zum Tode verurteilt zu haben. Damit hat für mich wahrlich die Gerechtigkeit gesiegt", freute sich Hedrig. Jetzt erst war Haudrauf bewusst, was er angerichtet hatte. Sein Sohn würde sterben! Wegen ihm! Das durfte er auf gar keinen Fall zulassen! Aber wie sollte er das denn nur schaffen? „Versuch es erst gar nicht! Sie sind heute morgen aufgebrochen. Selbst mit dem schnellsten unserer Schiffe holst du sie nicht mehr ein", lachte der Verbrecher ihn aus, als er den Gesichtsausdruck des Oberhauptes richtig deutete. Leider musste Haudrauf einsehen, dass der Blonde recht hatte. Doch da kam ihm eine Idee. Er eilte aus der Großen Halle heraus, wobei er es sich diesmal nicht nehmen ließ, Hedrig beim Vorbeigehen richtig fest ins Gesicht zu schlagen, sodass dieser sein Bewusstsein verlor. Er durfte keine Zeit verlieren, also rannte er so schnell er konnte zu der Arena. Denn dort befand sich das einzige Transportmittel, das schnell genug war, um die Insel der Verbannten zu erreichen, bevor es zu spät war.
In der Arena
Ohnezahn lief unruhig in seinem geräumigen Käfig auf und ab. Sein bester Freund war ihm heute genommen worden. Er hatte es nicht verhindern können und das machte ihn fertig. Ihm war sehr wohl bewusst, dass Hicks nicht mehr zurückkommen würde. Nie mehr! Bei diesem Gedanken zerbrach etwas in dem schwarzen Drachen. Hicks war seine einzige Familie. Nun hatte er niemanden mehr. Er war ganz alleine! Aber er war sich sicher, dass auch er nicht mehr lange zu leben hatte. Entweder, was wesentlich wahrscheinlicher war, würden ihn die Wikinger umbringen, oder aber sie würden ihn freilassen und er würde sterben, da er ohne seinen Reiter nicht fliegen konnte. So oder so, er war verloren! Doch auf einmal hörte Ohnezahn schnelle Schritte. War es soweit? Würde er jetzt getötet werden? Das Holztor wurde geöffnet. Sofort sprang er mit einem großen Satz aus seinem Gefängnis, sodass er nicht mehr eingesperrt werden konnte. Instinktiv begab er sich in eine Kampfposition und fing an zu fauchen, als er das ihm verhasste Gesicht jenen Mannes sah, der ihm seinen Freund entrissen hatte. Der rothaarige Mann vor ihm atmete kurz durch. „Ganz ruhig! Ich ... Es tut mir leid! Ich habe einen Fehler gemacht! Aber um ihn auszubessern brauche ich deine Hilfe! Bitte, wenn wir ihn retten wollen, dann müssen wir zusammenarbeiten", meinte er flehend. Ohnezahn hatte seine Zähne weiterhin ausgefahren. Er traute dem Oberhaupt nicht. Allerdings war das seine Chance, um seinen Reiter zu retten. Die durfte er nicht ungenutzt lassen! Natürlich war das Risiko betrogen zu werden nicht gerade gering, aber bei Thor, er war ein Nachtschatten! Wenn ihm dieser Häuptling blöd kommen würde, könnte er ihn locker abwerfen und könnte danach versuchen seinen Freund schwimmend einzuholen. Doch er musste einsehen, dass er schwimmend viel zu langsam wäre und der Häuptling recht hatte. Sie brauchten einander! Nur zusammen konnten sie den Verurteilten retten. Ohnezahn fauchte ihn erneut an, senkte aber dann doch den Kopf, seufzte und deutete auf seinen Rücken, um dem Mann zu signalisieren, dass er nun aufsteigen durfte.
Fortsetzung folgt ...
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