1. Bonusteil: Das Seelenreich

Heidrun:
Seit dem Angriff der Seelenkrieger war nun etwa ein halbes Jahr vergangen. Ein halbes Jahr in dem ich Rowin viele meiner Lieblingsorte gezeigt hatte, die ich in den mir bekannten Inselreichen gefunden hatte. Unteranderem hatten wir auch Berk einen kleinen Besuch abgestattet, damit Rowin Haudrauf kennenlernen konnte. Natürlich hielten wir dabei unsere Verwandlung zur Sicherheit vor dem größten Teil des Dorfes geheim, lediglich Haudrauf selbst und seinen besten Freund Grobian weihten wir ein. Ansonsten verlief unser kleiner Ausflug ohne weitere Schwierigkeiten, was uns mehr als genug Zeit gab, die vielen Momente der Zweisamkeit zu genießen. Jetzt jedoch waren wir an einem Wendepunkt unserer Reise angelangt, denn nun wollten wir dem Seelenreich einen kleinen Besuch abstatten. Dies war natürlich Rowins Idee gewesen, da er mir nach der Reise durch meine Welt nun die seine zeigen wollte. Aus diesem Grund standen wir nun auf einer Felsenklippe, die an eine hohe Felswand anschloss und in der ein dunkler, schmaler Höhleneingang aufklaffte. „Hier ist es?", fragte ich vorsichtig. „Ja", antwortete er mir, „zugegeben es sieht nicht nach viel aus, aber am Ende dieser Höhlen liegt unser Ziel." „Höhlen?", erkundigte ich mich, „Ich dachte es wäre nur eine Höhle, die zum Seelenreich führt?" Ein leises Lachen verließ den Mund meines Freundes, bevor er antwortete: „Das stimmt auch, theoretisch ist es nur eine Höhle, aber es gibt drumherum noch sehr viele andere Höhlen, die ein ziemlich verwirrendes Labyrinth bilden."

„Ein Labyrinth? Habt ihr das erbaut, oder war es bereits so, als ihr es gefunden habt?", wollte ich nach dieser Aussage wissen. „Nein, tatsächlich haben wir Seelenkrieger dieses Höhlensystem zu dem gemacht, was es heute ist, um unseren Rückzugsort besser sichern zu können. Das Ganze geht auf meinen Vorgänger, den Nachtschattenkrieger von vor 200 Jahren zurück. Er sagte es wäre besser, wenn weder wilde Drachen, noch Menschen einfach so den Eingang zu unserer Welt erreichen könnten", erklärte Rowin. „Dein Volk war damals wirklich besorgt darum, dass die Menschen es nochmal entdecken könnten, oder?", fragte ich etwas unsicher, immerhin war ich ja auch ein Mensch, zumindest gebürtig. „Oh ja, aber du musst bedenken, dass die Menschen zu jener Zeit mein Volk auslöschen wollten, heute sieht die Situation selbstverständlich ein Wenig anders aus", gab er Auskunft. „Ja, aber nur dank dir", bemerkte ich lächelnd. „Nicht ganz, dein Bruder hat auch mitgeholfen, zusammen mit Hicks, Astrid, den Berserkern und nicht zuletzt auch dir", fügte er hinzu. „Danke für die Blumen", erwiderte ich geschmeichelt. „Wollen wir dann Liebes?", erkundigte sich Rowin lächelnd. „Wenn es sein muss", lenkte ich gespielt enttäuscht ein. „Begeisterung", murmelte Rowin, bevor er noch hinzufügte: „Hier geht es lang." Mit den letzten Worten hatte er ohne Vorwarnung meine Hand genommen und war in Richtung der Höhle gegangen, wobei er mich natürlich mitzog. Jedem anderen, den ich kannte, hätte ich dafür wahrscheinlich die Hand gebrochen und eine übergezogen, aber bei Rowin sah die Sache ganz anders aus.

Irgendwie hatte es durchaus etwas Reizvolles, mir von ihm diese neue und völlig fremde Welt zeigen zu lassen. Es erinnerte mich stark an die Zeit, die wir auf der Drachenklippe miteinander verbracht hatten und als er mir gezeigt hatte, wie ich mit meinen Fähigkeiten als Seelenkriegerin umgehen musste. Eine Zeit, die wir denke ich mal beide sehr genossen haben. Ungefähr eine halbe Stunde wanderten wir durch die dunklen Gänge des Höhlenlabyrinths und ohne meinen Fremdenführer, würde ich hier vermutlich nie mehr herausfinden. Zu meiner mittleren Überraschung benutzten wir keinerlei Fackeln oder andere Lichtquellen, denn unsere durch den Seelenbund geschärften Augen waren mehr als genug, um sehen zu können. „Wie lange dauert es denn noch?", fragte ich schließlich. „Nicht mehr lange, nur noch einmal Links, dann Rechts, Links, noch zweimal Rechts und ein allerletztes Mal Links", erklärte Rowin. „Langsam, wie kannst du dir das überhaupt merken?", wollte ich nur noch wissen. „Ganz einfach", antwortete er, „als meine Vorfahren diese Tunnel angelegt haben, haben sie die Abfolge der Gabelungen so gestaltet, dass sie mit der Schrittfolge eines traditionellen Tanzes der Seelenkrieger identisch ist." „Echt jetzt, ihr tanzt euch also hier durch?", erkundigte ich mich überrascht. „Wenn du es so sehen willst, ja", meinte Rowin mit einem Lachen, „Aber am Boden der Gänge befinden sich außerdem haarfeine Ablagerungen eines bestimmten Minerals, das bei völliger Dunkelheit leuchtet. Mittels dieses Minerals haben wir den Weg durch die vielen Höhlen markiert, da Menschen sich hier ohne Licht ja nicht zurechtfinden würden. Außerdem können, menschliche Augen nach unseren bisherigen Erkenntnissen das Licht des Minerals überhaupt nicht sehen, zumindest können auch wir das nicht vor dem Eintritt in den Seelenbund."

„Also in Sachen Vorsicht geht ihr Seelenkrieger wirklich kein noch so kleines Risiko ein", merkte ich staunend an, „Aber wieso kann ich diese Ablagerungen nicht sehen? Zumindest ist mir bisher nichts in der Art aufgefallen." Über diese Frage dachte Rowin eine ganze Weile nach, bevor er antwortete: „Vielleicht besteht dein Seelenbund mit Windfang noch nicht lange genug, um dir sowas zu erlauben. Immerhin trainieren wir Seelenkrieger unsere Fähigkeiten meistens über mindestens ein Jahr hinweg, damit wir sie vollkommen entfaltet haben." „Könnte sein", meinte ich nur und war etwas enttäuscht darüber, dass es etwas gab, was die anderen Seelenkrieger mir voraushatten. Solange sich meine Augen nicht auch weit genug entwickelten, um dieses Mineral sehen zu können, war ich auf jemanden wie Rowin angewiesen, der mich durch die Tunnel führt. Und wenn es eine Sache gibt, die ich hasse, außer zu verlieren, dann war es jemanden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Offensichtlich war ich nicht besonders gut darin, meine schlechte Laune zu verstecken, denn mitten in meine Gedanken platzte plötzlich Rowin ohne Vorwarnung hinein. „Alles gut?", fragte er vorsichtig und ehrlich besorgt. „Nicht ganz", antwortete ich, „bis eben dachte ich nur, ich hätte alles gelernt, was es über die Fähigkeiten eines Seelenkriegers zu wissen gibt. Jetzt frage ich mich nur was ich wohl noch alles nicht weiß."

„Vielleicht siehst du das Ganze zu negativ", meinte Rowin dann, „vielleicht musst du versuchen es mehr als eine Art von Abenteuer zu sehen." Eine Weile lang dachte ich über diese Aussage nach und schließlich musste ich zugeben, dass das durchaus helfen könnte. „Gute Idee", erwiderte ich dann. Für mehr Worte hatte ich auch keine Zeit, denn schon standen wir in einer großen, unterirdischen Halle, die von einem gewaltigen Loch im Boden dominiert wurde. „Ich nehme mal an, das Seelenreich liegt dort unten und dass unten hier ganz unten bedeutet, oder?", fragte ich, obgleich ich mir die Antworten schon denken konnte. „Allerdings", bestätigte Rowin, „sofern man nicht fliegen kann, kommt man dort auch niemals lebendig hinunter. Dafür haben meine Vorfahren gesorgt." Diese Aussage warf in mir automatisch die Frage auf, wie tief dieser Abgrund denn war, weshalb ich etwas näher an ihn herantrat. Doch zu meinem großen Entsetzen konnte ich den Boden nicht mal erahnen, stattdessen sah ich nur gähnende Schwärze. „Wie tief ist das hier eigentlich?", fragte ich mehr mich selbst. „Keine Ahnung, das hat niemand von uns jemals gemessen, aber sicherlich tiefer als fünf Schiffslängen aus Viggos Drachenjägerflotte", antwortete Rowin trotzdem, wobei mir die Kinnlade runterfiel. 

„Willst du dich erstmal beruhigen, bevor wir da runterspringen, oder bist du bereit?", fragte Rowin. „Sagtest du gerade springen?", erkundigte ich mich leicht erschrocken. Er konnte doch nicht ernsthaft dort hinunterspringen wollen. Ich hatte zwar nichts gegen etwas Adrenalin einzuwenden, aber in einen Abgrund zu springen von dem wir nicht wussten wie tief er war, war für mich dann doch grenzwertig. „Natürlich", antwortete Rowin, „ich habe dir doch schon erklärt, dass man nur ins Seelenreich gelangt, sofern man auch fliegen kann, also ist es selbstverständlich, dass wir hier runterspringen werden." „Gut", erwiderte ich mit klopfendem Herzen, „dann los." „Sicher?", fragte Rowin. „Nein, aber wenn ich es jetzt nicht tue, werde ich es niemals tun", gab ich wahrheitsgemäß zurück.„Dann genieße den freien Fall", meinte er plötzlich und ehe ich reagieren konnte, hatte er meine Hand schon wieder gegriffen und war in die Tiefe gesprungen.

„Bist du wahnsinnig?!", schrie ich aus voller Kehle. „Du hast doch gesagt, dass es losgehen kann", erwiderte Rowin. „Ja, aber doch nicht SO", erklärte ich mürrisch, allerdings brachte das meinem Freund nur ein breites Grinsen ab. Daraufhin verwandelte er sich in seine Nachtschattengestalt, bevor ich noch etwas sagen konnte, und legte die Flügel an, um noch schneller zu fallen. Kopfschüttelnd tat ich es ihm gleich und staunte anschließend darüber, wie lange wir trotz des schnellen Sturzes doch fielen. Irgendwann stellte Rowin dann schließlich seine Flügel auf und manövrierte sich so zu einer kleinen Höhlenöffnung in der Wand des Schachtes. Dank unserer inzwischen etwas größeren Flugerfahrung schafften Windfang und ich es fast problemlos dem Nachtschatten zu folgen und auf dem steinernen Boden zu landen. Dort nahmen wir wieder unsere menschlichen Formen an, woraufhin ich mich staunend umsah. Zugegeben, die Kammer in der wir standen, war nicht sehr groß, aber an ihrem Ende befand sich ein gewaltiges, aus dem Fels gehauenes Tor, das mit der Zeichnung eines Krieger in voller Rüstung verziert war. „Ist das der Nachtschattenkrieger von vor 200 Jahren?", fragte ich staunend über die unfassbar genaue Darstellung. „Allerdings", bestätigte Rowin. 

„Wow, und wie kommen wir da rein?", erkundigte ich mich, als ich wieder klar denken konnte. „Ganz einfach", meinte er und trat näher an das Tor heran, „ich zeige es dir." Mit diesen Worten legte er seine rechte Hand flach auf die zur Faust geballte Linke der Zeichnung, die sie sich vor die Brust hielt. Ehe ich mich fragen konnte, was das sollte, begannen die Linien, welche den Krieger bildeten, hellorange aufzuleuchten und kurz darauf versank der Torbogen ganz einfach im Boden. Staunend versuchte ich meinen Mund geschlossen zu halten, während sich mir der Blick auf eine wirklich gewaltige, unterirdische Halle eröffnete. Nein, das war eher eine komplett andere Welt, die hier unter der Erde versteckt lag. Aus den Wänden ragten Unmengen an orange-roten Kristallen, die alles in ein merkwürdig exotisches Licht tauchten. „Es ist größer, als ich es mir vorgestellt hatte", sagte ich schließlich, nachdem ich meine Sprache wiedergefunden hatte. „Und dabei ist das hier nur die Eingangshalle, das Meiste und meiner Meinung nach auch Beste kommt erst noch", entgegnete Rowin. „Dann freue ich mich schon darauf den Rest zu sehen", meinte ich weiterhin staunend. 

Während ich von der Schönheit und auch schlicht der Größe dieses Ortes vollkommen erschlagen war, dachte ich schließlich wieder an dieses seltsame Tor zurück. „Wie genau funktioniert denn eigentlich dieses Tor?", fragte ich meinen Freund interessiert. „Genau weiß ich es auch nicht", antwortete er, „aber es ist ein weiterer Mechanismus zur Sicherheit unseres Volkes, der von meinem Vorgänger erschaffen wurde. Soweit wir es bisher verstehen, öffnet sich diese Tür nur für einen wahren Seelenkrieger, zumindest funktioniert es nicht bei Mitglieder unseres Stammes, die noch keinen Seelenbund geschlossen haben." Eine Weile lang dachte ich über das Gesagte nach, bis sich mir auf einmal eine Frage stellte, die mir eigentlich schon längst hätte kommen müssen. „Warte, heißt das, dass ich das Tor auch so einfach öffnen, wie du vorhin?", erkundigte ich mich. „Vermutlich schon, ja", gab Rowin zurück, „aber es gibt noch einiges zu sehen und würde heute gerne mit ein paar Orten fertig werden." „Na gut, dann lass uns weitermachen", lenkte ich ein. Mit einem Lächeln auf den Lippen legte Rowin seine Hand auf eine kleine, in den Stein gehauene Rune neben dem offenen Torbogen, woraufhin sich dieser nun wieder schloss. Im Anschluss spazierten wie über eine breite Treppe hinunter in die riesige Kaverne und schließlich durch diese zu einem weiteren Torbogen, an dem zwei Seelenkrieger Wache hielten. 

Als sie uns, oder vermutlich eher Rowin, bemerkt hatten, stellten sie sich sofort übermäßig stramm hin und salutierten. „Lasst den Quatsch", befahl Rowin augenrollend, während er zwischen den Beiden hindurchtrat. Kaum war ich ihm gefolgt, fiel mir schon wieder die Kinnlade hinunter, denn hinter diesem Tor erstreckte sich erneut eine gewaltige, unterirdische Kammer. Zwischen unzähligen von diesen Kristallen erhoben sich ebenso zahllose, aus dem Stein gehauene und teils ausgesprochen große Häuser. Davon stachen mir zwei besonders ins Auge, ein riesiges, palastähnliches Gebilde mit einem gewaltigen Kuppeldach und eine kreisrunde Arena aus weißen Gestein, vermutlich Marmor. „Das ist dein Zuhause?", fragte ich leise mit einem Seitenblick zu meinem Freund, er nickte. „Es ist wirklich wunderschön", fuhr ich fort. „Danke", erwiderte ich und blickte weiter über die vielen Gebäude. „Was möchtest du zuerst sehen, die große Bibliothek in der die größten Geheimisse meines Volkes ruhen, oder die Arena in der fast täglich die verschiedensten Kämpfe ausgetragen werden?", wollte Rowin wissen. „Die Arena natürlich", antwortete ich ohne zu zögern. „Alles klar, dann komm mal mit", meinte er lächelnd. Schweigend sah ich mich weiter um, als wir durch dieses Dorf in Richtung unseres Ziels gingen, überall liefen Seelenkrieger herum, die irgendwelchen Tätigkeiten nachgingen. Ich fühlte mich dabei irgendwie ein klein Wenig unwohl in meiner Haut, alle hier schienen eine festgelegte Rolle zu haben, nur ich wusste nicht genau, was ich hier machen sollte. 

Nach ein paar Minuten erreichten wir schließlich die Arena, sie war viel größer als die bei uns Berserkern oder auf Berk. Imposant erhoben sich die weißen Mauern mindestens zehn Meter hoch der Kammerdecke entgegen. Durch ein breites Hauptportal führte mich Rowin ins Innere des Bauwerks, wobei mir auffiel, dass es eine Art Außenring gab, in dem sich unzählige Tribünen befanden. „Diese hier ist ganz anders als die Arenen bei uns Wikingern", murmelte ich leise. „Liegt vielleicht daran, dass die Euren ursprünglich erbaut wurden, um wilde Drachen gefangen zu halten, während unsere konstruiert worden ist, damit wir Seelenkrieger unsere Kräfte messen können", erwiderte Rowin. „Vermutlich", gab ich zurück. Eine Sekunde später hatten wir den inneren Kreis auch schon erreicht, dort hatten sich mehrere Seelenkrieger um eine kleine, zentral gelegene Fläche versammelt. Zuerst konnte ich zwischen den vielen Körpern nichts erkennen, aber nachdem wir uns ein wenig genähert hatten, hatte ich freie Sicht auf Leyla und Sigfrid, die gegeneinander antraten. Dabei war sie wie üblich in der Rolle der Angreiferin und er zu meiner mittleren Überraschung der Verteidiger. Zwar hatte ich ihn bisher nur einmal kurz im Getümmel auf Berserker Insel kämpfen sehen, aber damals war er mir eher als aggressiver Angreifer aufgefallen. Jetzt erinnerte er mich eher ein wenig an Rowin, so wie die Schläge abblockte und dann auch noch seine schnellen, festen sowie präzisen Schritte zurück, um dem Gegner kein festes Ziel zu geben. 

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, vollführte Leyla plötzlich ein ausgesprochen akrobatisches Kunststück, mit dem sie die Klinge ihres Gegners nach unten schlug. Gleichzeitig brachte sie sich selbst damit hinter seinem Rücken in Angriffsstellung und hielt ihm ihr Schwert an seinen Hals. „Endlich, jetzt bist du erledigt!", verkündete Leyla selbstsicher. „Du aber auch", entgegnete Sigfrid trocken. Denn was Leyla im Gegensatz zu mir und vielen der Umstehenden nicht bemerkt hatte, war dass Sigfrid seine Klinge blitzschnell an seiner linken Körperseite vorbeigeführt hatte, wodurch die Spitze genau auf den Bauch seiner Gegnerin zeigte. „Schon wieder unentschieden?", fragte Leyla offensichtlich mehr als nur leicht frustriert. „Das fünfte Mal in Folge, wenn ich mich nicht verzählt habe", entgegnete Sigfrid trocken lachend. „Eigentlich waren das schon sechs Kämpfe in Folge, die ihr unentschieden beendet habt", meinte ohne Vorwarnung einer aus den Umstehenden. „Falls es euch zwei irgendwie tröstet, das war eines der besten Duelle, was ich je gesehen habe", tröstete Rowin und trat ein paar Schritte nach vorne. „Rowin, seit wann bist du denn hier!", rief Leyla, steckte ihre Waffe wieder ein und kam auf uns zu gelaufen. „Oh, Heidrun, du bist auch hier? Tut mir leid ich hatte dich völlig übersehen", richtete sie sich auf halbem Weg an mich. „Nicht weiter schlimm", beruhigte ich sie, mit einem leicht dunklen Unterton. 

Wirklich mögen konnte ich Leyla nicht, immerhin hatte sie bei unseren bisherigen Treffen fast ausnahmslos versucht mich umzubringen. Mal ganz davon abgesehen, dass sie Windfang mehr oder weniger auf dem Gewissen hatte. Der einzige Grund warum ich darüber hinwegsehen konnte, war dass sie meinem Bruder das Leben gerettet und auch im Angesicht ihres Vaters an ihrer Entscheidung festgehalten hatte. „Um deine Frage zu beantworten Leyla, wir sind gerade erst angekommen", meinte Rowin plötzlich. „Dann nehme ich an, du bist gerade dabei ihr alles hier zu zeigen, richtig?", erkundigte sie sich. „Ganz genau", bestätigte er. „Oh, ich wünschte, ich könnte euch begleiten und dir Heidrun alles bei uns zeigen, aber ich habe noch ein paar staatsgeschäftliche Sachen zu erledigen", entschuldigte sich Leyla mit ehrlichem Bedauern in der Stimme. „Nicht weiter schlimm, eine kleine Besichtigung traue ich mir gerade noch alleine zu", scherzte Rowin zurück. „Dann will ich euch einmal nicht weiter im Weg stehen, viel Spaß noch!", wünschte sie und verschwand mit einem Winken in Richtung Ausgang, Sigfrid war sofort hinter ihr. In der nächsten Stunde zeigte mir Rowin einige wirklich eindrucksvolle Architekturbeispiele der Arena und natürlich auch die Waffenkammer. Dort gab es tatsächlich ALLES! Egal ob Äxte, Schwerter, Sperre oder auch Kriegshämmer, hier fand wirklich jeder Krieger etwas Passendes. 

Im Anschluss schlenderten wir noch ein wenig durch das Dorf, dabei zeigte mir Rowin noch einige eher praktischere Orte, wie zum Beispiel den Marktplatz oder die Schneiderei. Das war zugegeben nicht so interessant, aber die vielen, rötlichen Kristalle verliehen dieser Welt zusammen mit der wundervollen Architektur der Seelenkrieger eine unglaubliche Schönheit. Nach einer Weile erblickte ich zu unserer Rechten ein großes Gebäude mit einem rußgeschwärzten Schornstein. „Das ist die Schmiede, wo all unsere Waffen und auch die meisten unserer Rüstungen hergestellt werden", erklärte Rowin, ehe er plötzlich innehielt. „Außerdem arbeiten meine Eltern hier", fügte er schließlich leise hinzu. Bei diesen Worten wurde mir etwas unwohl im Magen, viel hatte er ja nicht über sie erzählt, aber die Tatsache, dass sie sich nicht besonders viel um ihn gekümmert hatten, als er ein Kind war, reichte mir schon. In den gesamten sechs Monaten, in denen wir uns das Inselreich angesehen hatten, war Rowin diesem Thema stets ausgewichen und um die Stimmung nicht zu ruinieren, hatte ich auch nicht nachgebohrt. „Lass uns weitergehen", bat Rowin und riss mich aus meinen Gedanken. „Sicher?", erkundigte ich mich vorsichtig. „Ja", antwortete er. „Rowin!", hörte ich auf einmal eine Stimme aus der Schmiede rufen. 

Augenblicklich verzog Rowin das Gesicht ein wenig, bemühte sich aber gleich wieder um ein Lächeln. „Hallo, Vater", grüßte er zurück und sah in Richtung eines großgewachsenen Mannes, der mit einer dicken Lederschürze aus dem Gebäude trat. Langsam gingen die Beiden immer näher aufeinander zu und schlossen sich schließlich in eine zaghafte Umarmung. „Ich bin so froh dich wiederzusehen, mein Sohn", meinte der Mann, Rowins Vater. Man musste jedoch kein großartig begabter Menschenkenner sein, um zu bemerken, dass er das nicht so ernst meinte, wie man es erwarten würde. „Ich auch", erwiderte Rowin ebenso gespielt. Daraufhin lösten sie sich wieder und der Vater meines Freundes blickte nun mich an, so als hätte er meine Anwesenheit bisher gar nicht bemerkt. „Hallo, du musst wohl Heidrun, die neue Freundin meines Sohnes, sein", begrüßte er mich. Erneut war seine Stimme viel zu emotionslos, als sie es bei einem fürsorglichen Vater eigentlich sein sollte, weshalb ich nur ein leicht ungläubiges Nicken zustande brachte. „Schön dich kennenzulernen, mein Name ist übrigens Gerold", stellte sich Rowins Vater vor. „Freut mich auch Sie kennenzulernen", entgegnete ich und bemühte mich um ein halbwegs anständiges Lächeln. „Es tut mir leid, aber ich muss wieder zurück in die Schmiede, arbeiten. Ihr kommt alleine zurecht nehme ich an?", erkundigte Gerold sich noch, ehe er ohne eine Antwort abzuwarten, wieder in dem Gebäude verschwand. 

„Läuft das mit deinen Eltern immer so?", fragte ich Rowin leise, als ich bemerkte, wie betreten er zum Boden sah. „Nein", antwortete er fast schon flüsternd, „für gewöhnlich sind unsere Unterhaltungen nicht so herzlich, wie die eben." Während Rowin diese Worte aussprach, bemerkte ich einen mir wohlbekannten Ausdruck in seinen Augen, es war derselbe, den ich gesehen hatte, als er mir von seiner Vergangenheit berichtet hatte. Leidvoll. Nur diesmal trat dieses Leiden wesentlich deutlicher zutage, als beispielsweise auf der Drachenklippe oder der Berserker Insel. Sofort musste ich an meine Adoptiveltern denken, obwohl ich nicht ihre leibliche Tochter war, hatten sie mich liebgehabt und sich gut um mich gekümmert. Zeitweilig hatte ich damals sogar vergessen, dass ich nur ein adoptiertes Mitglied ihrer Familie war. „Wollen wir mit der Besichtigung heute noch weitermachen, oder möchtest du dir erstmal eine kleine Auszeit gönnen?", fragte ich dann, um Rowin hoffentlich auf andere Gedanken zu bringen. „Machen wir für heute lieber Schluss und gehen zu mir nach Hause", antwortete er. Nickend akzeptierte ich und ließ mich von ihm durch die vielen Häuser zum Rand der Siedlung führen. Von dort aus wand sich ein breiter, gepflasterter Weg zu einem imposanten und architektonisch sehr schönen Gebäude aus dunklem Gestein hinauf. 

„Was ist das den da vorne?", erkundigte ich mich interessiert. „Das ist sogenannte Zitadelle der Nacht, welche vor 400 Jahren für den allerersten Nachtschattenkrieger unsere Geschichte erbaut wurde. Danach bewohnte der Seelenherr dieses Gebäude für die nächsten 200 Jahre, bis schließlich ein neuer Nachtschatten seinen Seelenpartner wählte und dieser unser Volk rettete. Für diese Tat wurde ihm jene Zitadelle als Wohnsitz zugesprochen und er legte fest, dass jeder nach ihm geborene Nachtschattenkrieger dieses Gebäude bewohnen sollten", erzählte Rowin. „Warte, willst du mir damit etwa sagen, dass das dein ‚Haus' ist?", fragte ich ungläubig. „Doch eigentlich schon", entgegnete er und lächelte endlich wieder. „Und ich habe im ersten Moment gedacht, du wohnst noch bei deinen Eltern, wie Hicks", meinte ich lachend. „Ich bin aber nicht wie Hicks", erwiderte Rowin geschauspielert eingeschnappt. „Offensichtlich", stimmte ich zu, während wir uns bereits auf den Weg zur Eingangstür gemacht hatten. Dort angekommen, schloss er die reich verzierte Tür auf und bat mich höflich einzutreten. Lachend nahm ich die Einladung an und fand mich in einer großen Empfangshalle, zumindest sah es wie eine aus, wieder. 

„Kleine Führung gefällig?", erkundigte sich Rowin, nachdem er die Tür verschlossen hatte, und hielt mir den rechten Arm auffordernd hin. Gerne nahm ich das Angebot an und ließ mir von ihm dieses gewaltige Meisterstück der Baukunst zeigen. Es gab wirklich alles, eine große Küche, ein Ess-, sowie ein Speise- und mehrere Schlafzimmer. Eine kleine Bibliothek in der Rowin schon einige Werke gesammelt hatte, was mich nicht sonderlich verwunderte, durfte selbstverständlich auch nicht fehlen. Außerdem gab mehrere Aufenthaltsräume mit gepolsterten Liegen und Sesseln. Das war eines der Dinge, die mich hier am Meisten verwunderten, da wir Wikinger diese Art von Komfort noch nicht entwickelt hatten. Nach der Führung flog Rowin nochmal schnell zum Markt, um einige Lebensmittel zu besorgen, aus denen wir dann ein kleines, aber nicht weniger wohlschmeckendes Abendessen zauberten. Zwar verlief mein erster Tag hier im Seelenreich nicht ganz so, wie ich gedacht hatte, allein schon wegen dem Sturz, aber an sich konnte man hier bestimmt gut leben. Jedenfalls wenn man das wollte, doch auf Dauer hatte ich eigentlich nicht geplant hierher zu ziehen.

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