II

                              ♕Valentin♕

Zufrieden strich ich über die scharfe Klinge des Schwertes. Ich betrachtete meinen blutigen Finger. Dann, ohne mit der Wimper zu zucken, fuhr ich hoch und hieb der Vogelscheuche mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung den aus goldgelben Stroh gefertigten Kopf ab.

Ja, ich war bereit. Mit einem diabolischen Grinsen kickte ich den Kopf zu den anderen und sah mich anschließend nach meinem nächsten Opfer um.

Es gab keine Vogelscheuchen mehr. Na toll.

Aber als ob diese Tatsache mir, dem zukünftigen Herrscher dieses und aller anderen Königreiche, etwas anhaben konnte.

Nichts und niemand störte mich beim Training- außer dieser gewisse jemand brachte mir den Brief, auf den ich bereits viel zu lange gewartet hatte.

Ein kurzer Seitenblick genügte und ich sprintete mit wenigen Schritten zurück. Wo zum... Was... Wie...

„DIENER!", brüllte ich mit zornesrotem Gesicht und augenblick tauchte ein ängstlicher Mann auf.

„Ja, Majestät?" Ich schnaubte vor Wut und sagte bedrohlich leise: „Stellt auf der Stelle einen Suchtrupp zusammen und FINDET DEN VERDAMMTEN BRIEF!"

„Verstanden, Majestät." Mit einer kleinen Verbeugung verschwand er hastig, während ich vor Wut mein Schwert in den Boden rammte. Niemand, ich betone niemand stahl mir etwas ungestraft.

                                ♕Medih♕

Es war vorbei. Niemand war mehr für mich da. Sie hatten mich alle verlassen und ich stand als der Schuldige da. Alleine.

Ich sah den Brief, ignorierte ihn. Tränen hatte ich längst keine mehr. Stumm stieß ich die Cola von mir, die ich kein einziges Mal angerührt hatte.

Wortlos knallte ich das Geld auf den Tisch, bahnte mir einen Weg zwischen den anderen Gästen des Fast-Food Restaurants hindurch und stürzte auf die Straße.

Neonfarbene Leuchtreklame überall, durchbrachen unbarmherzig die Dunkelheit der Nacht. Autos fuhren auf den Straßen, vereinzelte Fußgänger und Fahrradfahrer waren unterwegs.

Es gab keinen Ort mehr, an den ich zurückkehren konnte. Keine Menschen mehr, denen ich vertrauen konnte. Nichts und niemand blieb mir mehr.

Der Brief in meiner zitternden Hand war zerknüllt, der Mist darin interessierte mich nicht. Nichts interessierte mich mehr.

Ich starrte auf das helle Display meines Smartphones, während ich ziellos durch die Stadt streifte. Mein Blick blieb an der Gruppe hängen, ich öffnete sie ein letztes Mal, versuchte die vorherigen Chats auszublenden.

Mit zittriger Hand klickte ich auf das Sprachnachrichten-Symbol.

„Lasst mich doch alle alleine, klar, macht mir nichts aus. Kümmert euch um euch selbst, was auch sonst. Wir waren noch nie befreundet, verdammt noch mal, neeein. Lasst mich einfach alle im Stich und beschuldigt dann mich. Mir geht's gut, danke der Nachfrage.", zischte ich ins Mikrophon, sendete die Nachricht ab und löschte ein für alle Mal die Nummern meiner ehemalig sogenannten besten Freunden.

Plötzlich entdeckte ich einen Schatten hinter mir, den ich dank der Straßenlaterne erkennen konnte. Nein, nicht ein Schatten- mehrere, mindestens ein Dutzend.

Langsam drehte ich mich um und hob den Kopf. Und da standen sie.

♕John♕

"Ja, irgendwie schon- irgendwie aber auch nicht, es ist ganz... ganz, ganz kompliziert!", murmelte ich und versuchte mich somit recht zu fertigen.

Da ich selbst bemerkte, wie lächerlich das klang, schnaubte ich und lehnte mich zurück, während meine beiden besten Freunde sich vor Lachen krümmten.

„Ah ja, jetzt wissen wir's!", grinste Niklas und griff in die Chipsschüssel- wobei sich darin nur noch Krümel befanden.

„Was schauen wir jetzt an?", wechselte ich das Thema und deutete fragend auf den Berg DVDs, die wir bereits angeschaut hatten, während der Fernseher in Louis' Zimmer noch den Abspann des letzten Filmes spielte.

Die anderen beiden zuckten mit den Schultern. „Mir egal.", meinte Louis und nahm einen weiteren Schluck von seiner Cola.

Ohne jegliche Vorwarnung war plötzlich ein lautes Klirren zu hören und im nächsten Moment landete ein großer Stein in der Chipsschüssel.

„Was zum...?", fragte ich und wich ein Stück zurück, während Niklas nur noch mehr zu kichern begann: „Vielleicht ist das ja deine Irgendwie-auch-nicht-Freundin, die Sehnsucht nach dir hat!"

Louis schluckte und hob den Stein an. Wortlos wieß er mit dem Finger auf einen schwarzen Briefumschlag, der daran festgebunden war.

„Uhh und noch ein Liebesbrief?", fragte Niklas und konnte nicht mehr aufhören, sich vor Lachen den Bauch zu halten.

Gemeinsam öffneten wir den Brief- mal im Ernst, das musste doch ein dummer Scherz sein, vielleicht sogar von Niklas oder Louis selbst.

Langsam standen wir alle gleichzeitig auf, und nach einem Blick aus dem Fenster verstummte Niklas' Lachen endgültig.

♕Hope♕

„Okay, heute Abend um neun also, perfekt! Byeee, ja, bis dann!", rief ich betont fröhlich in den Hörer, ehe ich ihn schließlich auflegte.

Das künstliche Lächeln auf meinem Gesicht erstarb, ich verließ die Telefonzelle und wickelte die Jacke fester um meinen Körper.

Meine kalten, klammen Hände umfassten wieder das Pergament in meiner Jackentasche. Ich machte mir eindeutig zu viele Gedanken. Warum auch sollte ich eine Nachfahrin von... nein, nein, nein. Es war schlicht hinrissig, diesen Streich auch nur im Entferntesten ernst zu nehmen.

Ich bog um einige Ecken, kickte Müll weg, starrte auf die Themse und versuchte mit aller Kraft, mich auf das Treffen mit meiner besten Freundin heute Abend zu freuen.

Nur noch ein paar Straßen bis zum Heim.

Ich lief schneller, mit jedem Schritt hastiger und wurde aus unerfindlichen Gründen von Sekunde zu Sekunde nervöser.

Zu Recht, wie mir beim Anblick der Gestalten, die mich umringten, im nächsten Moment bewusst wurde.

♕Aydon♕

Ich ließ die Spraydose fallen, grinste und zerriss den Brief vor den Augen der anderen. „Wer hat sich den Mist ausgedacht? Ist euch ernsthaft nichts Besseres eingefallen?", fragte ich lachend, warf einen letzten Blick auf die zu Boden gleitenden Schnipsel uns griff erneut nach der Farbe.

Ein paar Striche noch, hier und da ein paar Hilights... Die Stunden schier endloser Arbeit hatten sich endlich ausgezahlt.

Ich beendete das Werk. Beifallheischend drehte ich mich den anderen um- dachte ich, denn keine Menschenseele war mehr zu sehen.

Ich schnaubte und verdrehte die Augen. „Euer Ernst? Guys, nicht witzig. Eure Streiche werden echt immer dämlicher."

Dann sah ich sie zum zweiten Mal. Sie standen da. Ich schluckte- lachte im nächsten Moment jedoch wieder nervös auf.

„Coole Verkleidung, Bro's, aber es reicht dann auch mal...", meinte ich und das nervöse Lächeln auf meinem Mund zuckte und war im nächsten Moment wie weggewischt.

♕Luca♕

Tränen liefen unbarmherzig meine Wange hinab, ich zog meine Beine an und stürzte meinen Kopf in die Hände.

Diese verdammten Mobber- jetzt dachten sie sich sich schon dumme Briefe aus, um mich komplett in den Wahnsinn zu treiben.

Reichte es denn noch nicht mir das Leben zur Hölle zu machen? Haltlos schluchzend zerknüllte ich das Papier und warf es in einen der Putzeimer des Raumes.

Da ertönte ein Klopfen und ich wischte mir hastig die Tränen aus dem Gesicht. Diese Erniedrigung würde ich mir nicht geben.

Entschlossen drückte ich die Klinke herunter.
Doch was ich dahinter entdeckte war schlimmer als die Mobber.

Es war schlimmer als alles, was mir je zuvor begegnet war.

♕Jasper♕

Ich starrte auf den Brief, der langsam im brodelnden Sumpf versank. Ich strich mir eine Strähne des widerspenstigen Haares zurück. Ich konnte im Moment wirklich nichts Unpassenderes als den Brief vorstellen, auch wenn ich gewusst hatte, dass er irgendwann kommen musste.

Die Steine hatten es mir gesagt- beziehungsweise, ich hatte es aus ihnen gelesen.

Seufzend ließ ich mich zurückfallen. Dann lag ich einfach nur da, dachte über meine Bestimmung nach.

Ich hatte bereits aus den Steinen gelesen, welche Rolle ich bei den Heritage~Games spielen würde.

Und das würde nicht einfach werden.

♕Ella♕

Der Dolch, gefolgt von zehn anderen, landete direkt auf dem Ast, auf den ich gezielt hatte. Zufrieden rammte ich eine weitere Fahne in den Boden und strahlte den Brief in der Vitrine, die eine erschöpfte Zofe trug, an.

Ja, die diesjährigen Heritage~Games würden mir eine glorreiche Zukunft verschaffen. Und eine grandiose Chance, endlich mein Talent zu beweisen.

Ich klatschte in die Hände und augenblicklich erschien eine weitere Zofe. Mit einer Handbewegung wieß ich auf die Dolche im Baum und die Zofe machte sich mit zusammengebissenen Zähnen ans Klettern, um die Waffen zurückzuholen.

Ungeduldig wartete ich, griff nach einem Bogen, spannte einen Pfeil ein und feuerte ihn auf den selben Ast ab wie zuvor die Dolche.

Vorfreude packte mich. Endlich, endlich würde ich mich beweisen können.

♕Guinevere♕

Einatmen. Ausatmen. Ein Schritt. Noch ein Schritt. Ruhig bleiben. Atmen.

Nein, verdammt noch mal, ICH KONNTE NICHT RUHIG BLEIBEN.

Ein gellender Schrei entwich meiner Kehle, Tränen strömten über meine Wangen, ich zerriss den Brief und rannte hysterisch im Dorf herum.

„Nein, nein, verschont mich, VERSCHONT MICH!", kreischte ich, raufte mir die Haare und klammerte mich an verstörte Dorfbewohner.

Eltern zogen ihre Kinder in die Häuser, verschlossen die Türen um sie vor mir, einer Verrückten zu schützen.

Dabei war ich adelig, wichtig, aber doch nicht-

Ich sackte in mir zusammen. Ich konnte das alles nicht mehr.

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So, und damit wäre auch das zweite Kapitel vorbei...

Eine kleine Frage: Welchen Charakter findet ihr bisher am sympathischsten/unsympathischsten/interessantesten?

Wie fandet ihr das Kapitel allgemein?

Was glaubt ihr, wie sich die Geschichte weiter entwickeln wird?

LG Léa

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