I

                                   ♕ Snow ♕

Das Blut gefror mir in den Adern und ich erstarrte beim Anblick des Umschlags mit dem pechschwarzen, unheilverkündendem Siegel. Nein. Nein, es konnte nicht wahr sein, es durfte nicht wahr sein.

Übelkeit breitete sich in mir aus, als ich mich auf den Stuhl sinken ließ, nach dem scharfen, schwertförmigen Brieföffner und mit einer einzigen fließenden Handbewegung das Pergament trennte. Zitternd nahm ich den Brief heraus.

Sehr geehrte Snow White,
als offiziell anerkannte Nachfahrin der Schneewittchen, ehemalige Monarchin des dritten Königreiches, freuen wir uns, Ihnen hiermit mitteilen zu dürfen, dass Sie die Chance bekommen, das hochgeschätzte Amt ihrer Vorfahrin Schneewittchen nun, drei Jahre nach deren Ableben, selbst antreten zu können.
Aus diesem Grund bitten wir Sie, sich traditionsgetreu am Freitag, den 13. Januar auf dem offiziellen Sammelplatz vor dem Nihil einzufinden, von wo aus ein Page sie abholen und Ihnen alles Weitere erklären wird.
Pünktlich um 0.00 Uhr werden alle Teilnehmer der Heritage~Games an verschiedenen Punkten das Nihil betreten.
Die Teilnahme ist verpflichtend.
Viel Erfolg
Hochachtungsvoll
Der Rat

Alles in mir schrie dannach, den Brief zu zerreißen und zu rennen, egal wohin, hauptsache raus aus meinem verdammten Leben, weg von alldem, was ich so sehr hasste. Und vor allem weg von den Heritage~Games.

Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Ich, als Einzige noch lebende Nachfahrin meiner Urgroßmutter Schneewittchen. Früher oder später hatte es wohl so kommen müssen. Ein weiteres Mal verfluchte ich diese gottverdammte Kronenfamilie, die ich mir ganz sicher nicht ausgesucht hatte.

Wütend rammte ich den Brieföffner in den weichen Pflaumenholztisch und nagelte das Stück Pergament somit fest. Ich hätte es jetzt tun sollen, in diesem Moment. Ich hätte wegrennen sollen, mich verstecken, irgendwo tief im Wald leben. Doch sie hätten mich gefunden. Sie würden mich überall finden. Den was der Rat wollte, das bekam er auch. Ausnahmslos.

                                 ♕ Ella ♕

Mein erster Gedanke, als ich den unheilverkündenden schwarzen Briefumschlag sah, war, dass sie uns gefunden hatten.

Sie, die Leute in den mittelalterlichen Adelsklamotten. Sie, die mir einmal in der Stadt aufgelauert hatten, als ich sie für eine Gruppe durchgedrehter Hippies gehalten hatte. Sie, die mir erzählt hatten, ich wäre eine direkte Nachfahrin von Aschenputtel.

Selbst wenn man mal ignorierte, dass Aschenputtel eine Märchenfigur war, gäbe es wohl kaum jemanden, der weniger in die Rolle einer Prinzessin war als ich. Ich meine, welche Prinzessin versteckt sich mit der einzigen Familie die sie noch hat, ihren beiden kleinen Cousins, in einer Hütte am Waldrand, ernährt sich von weggeworfenen Supermarktlebensmitteln und das alles nur, um nicht vom Einzigen, was ihr in ihrem Leben noch etwas bedeutet, getrennt zu werden?

Denn wenn irgendjemand davon erfahren würde, dass hier zwei Kinder unter Aufsicht einer Minderjährigen lebten, würden die drei entweder getrennt in ein Kinderheim gesteckt werden oder, höchstens die beiden kleinen Jungen gemeinsam, zu einer Pflegefamilie abgeschoben.

Beim Anblick der friedlich mit zwei kleinen Spielzeugautos spielenden Jungen wurde mir warm ums Herz und gleichzeitig lief mir ein Schauder über den Rücken bei dem Gedanken, sie zu verlieren.

Mein zweiter Gedanke war, dass uns irgendjemand gefunden hatte und wir jetzt getrennt zu irgendwelchen Pflegefamilien abgeschoben wurden.

Ja, vor den Leuten in den mittelalterlichen Klamotten hatte ich Angst, aber diese Angst war nichts im Vergleich dazu, dass ich vielleicht meine Cousins verlieren würde.

Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Niemals, schwor ich mir, werde ich zulassen, dass ich von den beiden getrennt werde. Niemals.

Tränen der Verzweiflung tropften auf das Pergament und ließen die Tinte an einigen Stellen undeutlich, aber dennoch leserlich verschwimmen.

Mein Atem ging schneller und schneller, je länger ich den Brief las, ich konnte kaum mehr etwas durch den dicken Tränenschleier erkennen. Zitternd ließ ich mich auf eines der Gartenmöbel sinken. Auf einmal kam ein unangenehmer Schauder über mich herein, den ich schon einmal gespürt hatte. Ich erstarrte. Dann ertönte wie aus dem Nichts ein schweres, lautes Klopfen von der Tür.

                                ♕ Rose ♕

"Ich danke Euch.", meinte ich und setzte ein geziertes Lächeln auf. Vorsichtig nahm ich das Stück Pergament heraus.

Die Heritage~Games. Ich musste schlucken. Dann noch einmal. Ein Dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich blinzelt. Und noch einmal. Und noch einmal. Das ist nur ein böser Traum, es ist alles in bester Ordung, versuchte ich mir einzureden.

Aber meine bösen Träumen sahen im Grunde so aus, dass es einmal kein köstliches Dessert gab. Sogar für einen Albtraum schien der Brief also zu unwirklich.

„Zofe?", fragte ich mit zittriger, brüchiger Stimme, doch niemand reagierte. „Zofe? Meine Zofe möge sich bitte augenblicklich hier einfinden!", wiederholte ich etwas lauter.

Kurz darauf stand eine hektische Zofe vor mir, die einen schnellen Knicks machte und anschließend ungeschickt verschiedene Stoffstücke aus einer Tasche hervorzog. „Verzeiht, Majestät, aber die Schneiderin wünscht ihre Auswahl bezüglich der Stofffarbe des Festkleides zu wissen, dass sie bei den Eröffnungsfeierlichkeiten zu tragen wünschen."

Ich nahm in meiner Trance überhaupt nicht wahr, was die Zofe mir sagte, sie wiederholte es, erkundigte sich besorgt nach meinem Wohlbefinden. Übelkeit breitete sich in meiner Magengegend aus. Die Neuigkeit hatte sich im Schloss offenbar schnell herumgesprochen, doch sie sickerte erst jetzt schmerzhaft zäh ib mein Bewusstsein.

Ich würde in mein erstes und zugleich letztes blutiges Gemetzel geschickt werden, vollkommen hilflos brutalen Gleichaltrigen ausgeliefert. Ohne Palast, ohne Koch, ohne Zofen. Nur ich und eine Horde blutrünstiger, machtgieriger Erben.

Ich wurde von Sekunde zu Sekunde blasser und zeitgleich grüner im Gesicht. Meine schwitzigen Finger verkrampften sichschmerzhaft um den Stoff des Kleides, dass ich trug. Warum hatte mein wunderbares Leben so schnell beendet werden müssen? Hätte ich nicht auch einfach so, als einzige Erbin von Dornrösschen's ehemaligem Königreich, den Thron besteigen können?

                              ♕ Mirror ♕

"Nein, das werde ich NICHT! Ich bin kein Mörder!", brüllte ich mit zornesrotem Gesicht den verdutzten Holzfäller an. "Ich bin. Verdammt noch mal. Kein. Mörder.", ergänzte ich mit vor unbändiger Wut bebender Stimme.

" 'tschuldige, wusste ja nich dass du so empfindlich bis' " - "ICH BIN NICHT EMPFINLICH SIE ALTER BAUMTROTTEL" - "Hmh" - "Was hmh?!" - "Ach nichts, is halt nich allzu häufig, dass 'n junger Kerl mit 'nem Brief aus 'm Wald gestolpert kommt un' mich anschreit, weil ich gesagt hab', was ich nebenbei erwähnt gut gemeint hab', er soll die anderen Teilnehmer fertigmachen un' mich dannach als Baumtrottel beleidigt."

Verdutzt hielt ich einen Moment inne. Gut gemeint? Dieser Kerl hatte mir gerade eben geraten, alle anderen Teilnehmer dieser verdammten Spiele wie ein gewissenloses Monster einfach abzuschlachten!

"WISSEN SIE EIGENTLICH MIT WEM SOE SPRECHEN?" Der Holzfäller rümpfte die Nase, kratzte sich am Bart und wuchtete sich die schwere Axt, die zuvor an der Hauswand gelehnt hatte, auf die Schulter. „Hmpf. Joa, is' mir schon klar dass ich mit dem Kandidaten spreche, der als erstes rausfliegen wird weil er physisch und psychisch zu schwach is', um sich zu wehr'n."

Mut diesen Worten knallte er mir die Tür vor der Nase zu, woraufhin ich einen erschrockenen Satz nach hinten machte. Bereits wenige Sekunden später öffnete sich die Tür wieder, der Holzfäller würdigte mich nur eines kurzen Blickes und verschwand mit der hastig gegrummelten Erklärung: „Hab' vergess'n dass ich zu der Tür noch raus muss. Aber ging ja um 'n Auftritt.", zwischen den Bäumen.

Ich starrte auf den Brief in meiner Hand. Verdammter Brief, verdammte Heritage~Games, verdammtes Leben als Erbe.

Und wie hatte mich der Holzfäller doch gleich betrachtet? War das etwa... ein Schauder lief mir über den Rücken... war das etwa Mitleid gewesen?

♕ Lysann ♕

Endlich. Endlich. Wie lange hatte ich nun gewartet? Exakt, mein gesamtes Leben. Ich hatte schon befürchtet, der Brief, auf den ich all die Jahre gewartet, würde niemals kommen, doch jetzt war er da, und das war alles, was zählte.

Ich dachte an die vielen Kampfstunden, das Vorbereitungstraining auf die Chance meines Lebens.

Ein triumphierendes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, während ich den Brief wie einen Schatz musterte. Und das war er auch. Mein Schlüssel an die Macht.

Es gab keine bessere Gelegenheit, all diesen Trotteln von Untertanen und den anderen Erben mein Können, mein Talent zu beweisen.

Denn, und in diesem Punkt war ich mir sicher, ich würde die Heritage~Games gewinnen und somit Königin meines eigenen Reiches werden.

Ich würde gnadenlos herrschen, Respekt einfordern und mein zukünftiges Königreich ganz nach meinen Vorstellungen gestalten.

Königin Lysann- ja, das war es, was meine Zukunft für mich bereithielt. Und die Heritage~Games waren der erste Schritt auf die Startrampe meiner unbeschreiblichen Karriere.

♕ Aaron ♕

„Nein, Louis, hör mir zu- ich will kein König sein, ich will kein Mörder sein, ich will kein Erbe sein und ich will kein Teilnehmer dieser verdammten Spiele sein."

Louis' große Augen glänzten. „Aber- Ron, du kannst mich doch nicht alleine lassen! Ich brauche dich doch! Wie soll ich auch nur einen einzigen Tag ohne dich!"

Tränen strömten unentwegt über seine Wange, tropften auf den Boden der Höhle und der Junge hörte nicht auf, haltlos zu schluchzen.

Es brach mir das Herz, ihn so zu sehen, doch ich war hilflos, was sollte ich schließlich tun? Sie würden uns überall finden, egal wie gut ich mich und ihn versteckte.

Und wenn ich schon nicht mich selbst retten konnte, dann würde ich zumindest Louis retten- er war die Einzige Person, die mir je im Leben etwas bedeutet hatte.

„Louis, du weißt, dass ich dich niemals in Gefahr bringen würde. Ich werde niemals etwas von dir erwarten, das ich nicht für möglich halte- du bist stark, du weißt, wie du dich alleine ernähren kannst. Und du wirst es auch ohne mich schaffen, auch, wenn es am Anfang schwer erscheinen wird."

Mein Gegenüber schüttelte hilflos den Kopf und in seinen Augen spiegelte sich so viel tiefe Verzweiflung, dass ich Angst bekam, ich könnte darin ertrinken.

Ich atmete tief durch und zog ihn schließlich an mich. Nie hatte ich jemanden so sehr geliebt wie Louis, er war im Laufe der Zeit zu der Familie geworden, die ich nie gehabt hatte. Er war der kleine Bruder, den ich mir immer gewünscht hatte.

Es kostete mich Überwindung, so verletzlich zu wirken, denn ich hasste es, angreifbar zu sein. Und doch konnte ich in diesem Moment nicht anders, als den kleinen Jungen im Arm zu halten, als würde ich ihn nie wieder loslassen.

Auch, wenn ich wusste, dass dies nur allzu früh geschehen würde.

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Hi alle die das hier gerade lesen
Ich bin Léa, die Autorin und... habe gerade eigentlich gar nicht so viel zu sagen😅

Was denkt ihr bisher von der Geschichte?

Wie wird es vielleicht weitergehen?

Wen findet ihr bisher am sympathischsten?

Was glaubt ihr, wie der Prolog mit all dem zusammenhängt?

Über Feedbck, Votes & Kommentare allgemein freue ich mich riesig

Das war dann auch schon von meiner Seite, vielleicht lesen wir uns mal wieder😂✨

Byee, LG Léa

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