Prolog

Ein groß gewachsener, junger Mann läuft nervös im Flur auf und ab. Er ist blass, ob dies von seiner Aufregung herrührt oder aber an seinen nachtschwarzen Haaren liegt, ist nicht zu sagen. In einem der Zimmer, am Anfang des Flurs erklingt ein Schmerzensschrei. Augenblicklich zuckt der Mann zusammen. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn.

Unaufhörlich läuft er weiter auf und ab, es grenzt wohl an ein Wunder, dass er den antiken, rötlichen Läufer, der den Holzboden ziert, noch nicht vollkommen ruiniert hat, denn er trägt verdreckte, teuer aussehende Stiefel. Anscheinend ist er bei seiner Heimkehr zu hektisch gewesen, um daran zu denken, sie auszuziehen. Dass ihn seine Frau unter normalen Umständen schelten würde, ist ihm egal. Es sind schließlich keine normalen Umstände.

Als aus dem Zimmer ein kraftloses Stöhnen zu vernehmen ist, bleibt der junge Mann stehen. Er lauscht, hofft auf ein Zeichen, dass es geschafft ist. Doch gleich darauf erklingt der nächste Schmerzensschrei und er schreckt zurück. Sofort beginnt er wieder auf und ab zu laufen. Mit dem Handrücken wischt er sich über die Stirn und wischt diesen dann wiederum an seiner Hose ab. Das Schlucken fällt ihm schwer. Immer wieder erschallt ein Schrei und er zuckt zusammen.

Stunden scheinen zu vergehen und trotzdem ist es nach einer gefühlten Ewigkeit gerade einmal Mittag. Es ist, als sei die Zeit stehen geblieben, nur um den schwarzhaarigen Mann noch länger in der Ungewissheit zu lassen. Die Ungewissheit, ob seine Frau und sein Kind die Geburt überleben werden.

Stunden vergehen, die Schmerzensschreie sind noch immer nicht verstummt und der Mann läuft weiterhin immer hin und her. Zur Treppe, neben der das Zimmer ist, und danach zurück zum Fenster am Ende des Flurs. Dabei wirft er jedoch keinen Blick durch das glänzend saubere Glas, sonst würde er bemerken, wie ein alter Mann mit einem kleinen Jungen an der Hand durch den Vorgarten auf das Haus zuläuft.

Er hört auch nicht, als sich die Haustüre öffnet, denn er ist viel zu fixiert auf die Schreie seiner geliebten Frau und die aufbauenden Worte, die die Hebamme ihr zuflüstert. Deshalb ist er schließlich auch vollkommen überrascht, als sein Vater und sein Sohn die Treppe hinauftappen und im endlich gegenüberstehen. Weshalb die beiden hier sind, weiß der Mann nicht. Es ist ihm auch egal, in diesem Moment gibt es bei weitem wichtigeres. Als der schwarzhaarige Mann den verängstigten Blick seines dreijährigen Sohnes bemerkt, wirft er seinem Vater zwar einen vernichtenden Blick zu, sagt aber nichts.

Danach läuft er einfach weiter seine Bahnen. Seine Frau schreit. Sein Sohn beginnt zu weinen. Und er läuft einfach mit neuen Schweißperlen auf der Stirn weiter, auch wenn das in seinem Fall keinesfalls zeigt, dass er ein schlechter Vater ist. Er ist einfach viel zu nervös.

Bis die Türe sich schließlich öffnet.

Die schon etwas ältere, rundliche Hebamme tritt mit schreckgeweiteten Augen heraus. Augenblicklich bleibt der Mann stehen. Vor Sorge ballt er seine schweißnassen Hände zu Fäusten. Die Frau wirkt über den Anblick des alten Mannes und dessen Enkel zwar überrascht, lässt sich aber nicht weiter beirren, als sie sich aufgebracht an den Mann wendet: „Jonathan, kommen Sie schnell! Etwas ist schief gelaufen, das Kind wurde als Ei geboren!“

Einen Herzschlag lang folgt Totenstille, bevor der junge Mann dicht gefolgt von den anderen drei Personen in das Zimmer stürmt. Hitze schlägt ihm entgegen, als er eintritt. Für einen Augenblick wirkt alles wie immer. Es ist ein Raum mit einem großen Doppelbett, zwei Kleiderschränken und mehreren Kommoden. Sein Schlafzimmer. Gleich darauf fallen ihm unzählige winzige und auch weniger kleine Unterschiede auf: Die blutigen Tücher, die auf einem Stuhl gestapelt neben einer Wanne voll Wasser liegen. Seine Frau, die umgeben von blutigen Laken in dem Bett liegt. Ihre hellbraunen Haare, die ihr am Kopf kleben und ihr eingefallenes, erschöpftes Gesicht. Und natürlich das fußballgroße, saphirblaue Ei, das neben ihr liegt und mit Blut überzogen ist.

„Bei Leander! Das ist ja unglaublich! Die Prophezeiung wird wahr!“, haucht der Vater des jungen Mannes ungläubig. Die im Bett liegende Frau stöhnt auf.

Der schwarzhaarige Mann selbst starrt nur ungläubig auf das Ei, das auf seinem Bett liegt. Die Sorge um seine Frau ist vergessen, viel zu einnehmend ist der Schock. Langsam einen Fuß vor den anderen setzend nähert er sich dem saphirblauen Ei. Wie in einer Trace streckt er die Hand danach aus. Hitze schlägt ihm entgegen. Doch das ist nicht das einzige. Macht. Macht und Gefahr das, was dieses Ei verkörpert. Und sein Kind ist in diesem Ei.

„Seien sie vorsichtig. Es muss von selbst schlüpfen“, warnt die Hebamme, während sie sich über seine Frau beugt und ihr mit einem Tuch die Stirn abtupft. Der Mann ignoriert sie, er will das Ei schließlich nur berühren und nicht öffnen.

Schließlich trennen ihn nur noch wenige Zentimeter von dem Saphirei. Aufgeregt schluckend überwindet er sie. Seine Hand berührt das klebrige Blut und gleich darauf das brennend heiße Ei.

Blitzschnell zieht er seinen Arm zurück. Er taumelt überrascht zurück, die Hitze hat ihn vollkommen überrascht. Seine Handfläche fühlt sich an, als würde sie in Flammen stehen. Und das, obwohl Hitze ihn im Normalfall kaum stört! Vorsichtig betrachtet er seine versengte Hand, die bereits rötliche Pusteln bildet.

Verwirrt blickt er auf, den Schmerz ignorierend mustert er das Ei. Ein weißlicher Schimmer geht nun von dem Saphirei aus. Der Mann runzelt verwirrt die Stirn. Was hier vorgeht, ist mit absoluter Sicherheit nicht normal, selbst bei Drachen.

Winzige Risse bilden sich in der Schale des Eis, während er es noch betrachtet. Das weißliche Licht wird allmählich stärker, es beleuchtet den ganzen Raum. Wie gebannt starren alle fünf Personen das Ei an.

Und dann geschieht es. Lautes Knacken erschallt und die Schale bricht. Die saphirblauen Stückchen werden wie bei einer Explosion in alle Richtungen des Raumes davongeschossen. Dampf steigt auf und legt sich wie ein dichter Nebel über das Zimmer. Die Drachenmenschen husten. Jemand, wahrscheinlich die Hebamme, reißt ein Fenster auf.

Gleich darauf können sie ihn sehen, als der Dampf abgezogen ist. Einen kleinen, schneeweißen Drachen mit saphirblauen Augen. Er sitzt auf dem Bett, neben seiner Mutter und blickt sich überrascht um.

Der schwarzhaarige Mann zieht scharf die Luft ein. Das Wissen, das dies seine Tochter ist, trifft ihn wie ein Blitz. Doch es ist nicht dieses Wissen, das ihn nach Luft schnappen lässt. Denn seine Tochter ist nicht normal, das weiß er zu seinem Bedauern mit Sicherheit. Sie ist Teil der Prophezeiung. Das zeigen schon allein ihre Augen. Denn sie sind Saphirblau, wie das Ei, aus dem sie geschlüpft ist.

Und über solche Augen weiß er genug. Seine Tochter würde eines Tages Hoffnung sein. Möglicherweise die Letzte Hoffnung, die sein Volk noch hat.

„Willkommen, Lucia Blaze“, murmelte er ehrfürchtig. Seine Tochter blinzelt als Antwort.

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