Heimkehr
Als wir das Ende der Treppe erreichen, blendet mich das grelle Sonnenlicht und ich muss mehrfach blinzeln. Nachdem ich mich an die Helligkeit gewöhnt habe, schaue ich mich um. Im Dorf herrscht reges treiben, Menschen, oder eher gesagt Drachenmenschen, eilen durch die Straßen, lachen. Zielstrebig laufe ich zu unserem Haus. Es ist eines der Größeren im Dorf des glühenden Feuers und schon seit vielen Generationen im Familienbesitz. Alle Häuser hier sind schon ziemlich alt, wirken aber meist nicht heruntergekommen. Aber nicht heruntergekommen bedeutet auch noch lange nicht, dass sie sonderlich schön sind. Nur am Rand des Dorfes gibt es ein paar mit abbröckelnder Fassade und zerstörten Fenstern, die aber unbewohnt sind.
Einige Dorfbewohner bemerken mich, halten an und deuten lächelnd auf mich. Sie denken, dass ich jetzt ein vollwertiger Drache bin, weil ich einen anderen Drache getötet habe. Was sie wohl sagen würden, wenn sie die Wahrheit kennen würden? Verbannung. Vielleicht sogar Tötung. Manche würden sicherlich für letzteres stimmen.
Manuel runzelt die Stirn, als ich so schnell wie möglich auf unser Haus zusteuere, statt den anderen von meinem Tag zu erzählen. Aber das ist mir jetzt gerade relativ egal und ich renne halb auf das alte Backsteinhaus zu. Als ich das Tor zu unserem Vorgarten öffne, stolpere ich fast über Jackie, meine fünfjährige Australian Shepherd Hündin, die schwanzwedelnd auf mich zu rennt und an mir hoch springt. "Ist ja gut." Lachend beuge ich mich zu ihr hinunter und sie schleckt mir liebevoll über das Gesicht. "Ihh! Jackie, aus!" Immer noch lachend wische ich mir das Gesicht mit dem Handrücken ab. Auch über Manuel fällt sie her, als er zu uns kommt und sie wirft durch ihr Schwanzwedeln mehrere frisch bepflanzte Blumenschälchen um.
"Was soll das? Die habe ich gerade eingesetzt! Macht, dass Jackie da weggeht!" Meine Tante Amelie reißt die Haustür auf und wirft uns gespielt wütende Blicke zu. Auf dem Arm trägt sie meinen Cousin Jacob, der lachend auf den Hund deutet. "Jackie bekommt Ärger!" Verkündet der dreijährige Junge verknügt und klatscht in die Hände. Ich stehe auf und gehe zu Amelie, die mich, nachdem sie Jacob auf dem Dielenboden abgesetzt hatte, in die Arme schließt. "Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht", flüstert sie mir ins Ohr und versucht ausgelassen antworte ich: "Brauchst du doch nicht. Du weißt doch, ich hatte eine der besten Ausbildungen, die man sich wünschen kann!" Es gelingt mir wohl, denn sie lächelt. "Dein Vater wird sich freuen, dass du es geschafft hast."
Wir betreten das Haus und sofort empfängt mich ein süßer Duft nach Apfelstrudel mit Vanillesoße, meinem Lieblingsessen. Ich renne in die, wie immer etwas chaotische, gemütliche Küche und noch bevor die anderen bei mir sind, schnappe ich mir einen Teller und belade ihn mit Apfelstrudel. Ich setzte mich auf meinen Stuhl und bin so ins Essen vertieft, dass ich gar nicht mitbekomme, wie mein Vater den Raum betritt. "Lucia Blaze! Ich wusste doch, dass du es schaffen würdest!" Seine haselnussbraunen Augen strahlen mich an und er umarmt mich herzlich. "Ich hoffe es ist okay, dass ich Amelie gesagt habe, sie soll einen Apfelstrudel für dich machen." "Mehr als okay!", antworte ich mit vollem Mund und er lacht zufrieden. "Ich muss gehen und mit den Dorfältesten die Feier planen! Bis später!" Und schon ist er wieder verschwunden. Amelie, Jacob und Manuel sitzen nun ebenfalls am Küchentisch und essen. "Helena hat seit du weg warst schon mindestens fünf mal angerufen. Du sollst ihr sofort sagen, wenn du wieder da bist!" Ich nicke. Natürlich werde ich Helena sofort anrufen, sie ist schließlich meine beste Freundin. Ich weiß nur nicht, was ich ihr sagen soll.
Alle werden Fragen haben. Was, wenn ich sie nicht beantworten kann?
Jackie stupst mit ihrer feuchten Nase gegen mein Bein und schaut mich aus ihren blauen Augen an. "Du bekommst nichts!", lache ich und streichle ihr über den Kopf. Sie ist eine unglaublich verfressene Hündin und man kann in ihrer Nähe wirklich kein Essen unbeaufsichtigt lassen. Ich spreche aus Erfahrung, sie hat schon einmal eine ganze Schüssel Nudeln gegessen, während ich schnell ins Bad ging.
Manuel wendet sich an mich. Jetzt geht die Fragestunde wohl los. "Und? Aus welchem Stamm war er?" Wie recht ich hatte. Ich unterdrücke ein Seufzen. "Hat er mir wohl kaum gesagt. Wir haben gekämpft und nicht geredet!" Eine glatte Lüge, zumindest was letzteres betrifft, denn aus welchem Stamm Armando kommt, weiß ich schließlich wirklich nicht. "Oh stimmt. Hab ich total vergessen. Du weißt ja, mein erster Kampf liegt schon etwas zurück." Er grinst und ich muss daran zurückdenken, wie er vor etwas mehr als drei Jahren an meiner Stelle war. Mit vielen Wunden kam er von seinem Kampf zurück und ich musste davor stundenlang um ihn bangen. "Hast du eigentlich noch Schmerzen?", wirft meine Tante ein. Die Wunden hatte ich schon ganz vergessen, denn ich denke viel mehr an den Grund, wieso meine Wunden nicht echt sind, als an die Verletzungen selbst. Vorsichtig begutachte ich ein Körperteil nach dem anderen. "Schon verheilt." Ich zucke mit den Schultern. Meine Verletzungen heilen schon immer sehr schnell, wie es für uns Drachen üblich ist.
Als ich zu Ende gegessen habe, stehe ich auf und räume mein Geschirr in die Spühlmaschiene. "Ich geh mich duschen, bevor ich zu Helena rübergehe, okay?" Amelie und Manuel nicken. "Bis nachher."
Ich steige die Treppen ins Obergeschoss hinauf. Endlich etwas Ruhe zum nachdenken. Ich gehe durch den hellen Flur und will gerade meine Zimmertür öffnen, als die Tür direkt daneben aufgeht und meine jüngere Schwester heraustritt. Grinsend umarmt mich Emilia. "Hab nicht damit gerechnet dich nochmal wiederzusehen, Schwesterherz!" Plötzlich wird mir bewusst, dass ich mich heute Nacht, als ich aufbrach, gar nicht von ihr verabschiedet hatte. "Noch alles Gute zum Geburtstag." Sie schüttelt mir die Hand, dann geht sie wieder in ihr Zimmer. Wie angewurzelt bleibe ich an Ort und Stelle stehen. Ich hatte schon ganz vergessen, was für ein Tag heute ist. Mein sechzehnter Geburtstag. Wie konnte ich das nur vergessen? Schließlich werde ich seit 13 Jahren darauf vorbereitet heute zu kämpfen oder zu sterben! Natürlich kenne ich den Grund. Niklas.
Ich gehe in mein Zimmer und werfe mich auf mein Bett. Dort verharre ich. Sekunden, Minuten, vielleicht auch Stunden. Ich weiß nicht, wie lange ich hier liege und an gar nichts denke. Mein Kopf fühlt sich an wie ein Luftballon. Groß, rund und leer. Irgendwann kommt Jackie in den Raum und legt sich neben mich auf mein Bett. Abwesend streichle ich sie.
Nach einiger Zeit stehe ich auf, gehe ins Bad, das meinem Zimmer gegenüberliegt und dusche. Eigentlich hatte ich doch geplant, heute zu sterben. Warum lebte ich also noch? Ich könnte jetzt bei Niklas sein, wo auch immer das ist. Stattdessen habe ich jetzt haufenweise Probleme am Hals und keine Lösung parat. Was, wenn herauskommt, dass ich Armando gar nicht getötet habe?
Frisch geduscht setze ich mich auf den Schreibtischstuhl in meinem Zimmer und starre vor mich hin. Als mein Handy klingelt überlege ich erst, nicht ranzugehen, doch ich weiß, dass das keine Lösung ist. Also mache ich mich auf die Suche und finde mein Handy nach ein paar Augenblicken auf meinem Nachttisch. Fett steht auf dem Display: "Helena ruft dich an." Ich gehe ran. Vielleicht kann meine beste Freundin mich ja aufheitern. "Hey", murmle ich und auf der anderen Leitung wird es kurz Still. Dann jubelt Helena: "Du lebst noch! Ich wusste es. Ich wusste, du würdest zurückkommen. Mit wem hätte ich sonst stundenlang reden sollen?" Ich grinse in mich hinein. "Ich kann dich doch nicht allein lassen. Wer sorgt dann dafür, dass du nicht zerfetzt wirst?" "Wohl war. Ich überlebe keine drei Tage ohne dich!" Ich kann förmlich spühren, wie Helena in sich hineingrinst.
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