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„Severus?", fragt Dumbledore, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu bekommen. Snape dreht sich mit einem unwilligen Blick zu ihm um und Dumbledore blickt ihm entgegen. Dumbledore sitzt mit verschränkten Händen an seinem Schreibtisch und blickt zu dem schwarzgekleideten Mann vor sich. Er hatte nicht mit der heftigen Reaktion von Severus gerechnet, wo er doch schon seit längerem wusste, dass dieser Tag kommen wird.
„Ich weiß, was du denkst, Severus. Und du hast Recht damit. Es tut mir leid.", sagt Dumbledore und Snape lacht spöttisch. Er kann nicht glauben, dass Dumbledore diese Worte gerade wirklich gesagt hat. Eigentlich hätte er den alten Mann klüger eingeschätzt.
„Sie haben mir gerade gesagt, dass ich Sie heute umbringen soll! Das können Sie nicht mit einem einzigen „es tut mir leid" gut machen.", sagt er und Dumledore seufzt.
„Du musst es tun, damit Draco es nicht tun muss.", fügt Dumbledore noch hinzu, doch bekommt Snapes Aufmerksamkeit damit nicht zurück. Es wundert ihn wirklich, dass sich Snape so schwer mit der Neuigkeit tut. Er hatte erwartet, dass der finstere Zauberer mit dem Kopf nicken würde und das Thema dann erledigt wäre. Doch irgendwas ist passiert, dass Snape jetzt zögert diesen Schritt zu gehen. Albus weiß, dass er es tun wird. Doch er weiß plötzlich, dass es ihm nicht so egal ist, wie Dumbledore es erwartet hätte.
Dann allerdings gerät ein Paar blaue Augen in seinen Kopf und plötzlich ergibt alles Sinn. Natürlich, wie hatte er das vergessen können?! Snape und Amelia hatten über die Jahre eine Freundschaft aufgebaut und Albus ist sich sicher, dass Severus mehr für die Hexe empfindet, als er zugeben will. Und plötzlich versteht er auch, weshalb Severus so zögert seinen Mord zu begehen. Weil er weiß, dass er Amelia damit augenblicklich verlieren wird. Also hatte sein Plan zwar geklappt, doch jetzt unangenehme Nebenwirkungen erzeugt. Eigentlich wollte Dumbledore nur, dass Snape einen weiteren Grund hat, weiterzumachen. Und zwar einen lebenden Grund. Doch soll ihm ausgerechnet das jetzt zum Verhängnis werden? Nein...
Dumbledore formt in seinem Kopf sofort einen neuen Plan und nickt innerlich zufrieden. Er muss Severus noch auf den richtigen Weg führen... diese eine Sache muss er für Severus noch tun, bevor er stirbt. Als Wiedergutmachung für alles, was er ihm angetan hat.
„Severus... Du musst Amelia deine Erinnerungen zeigen. Du musst ihr zeigen, dass du nicht der Böse hier bist.", sagt er und Snape fährt herum. Was zur Hölle will der alte Mann denn damit bezwecken?! Wie kann er es wagen ausgerechnet jetzt Amelia zu erwähnen? Jetzt, wo er gerade versucht sich damit abzufinden, dass Amelia ihn in wenigen Stunden hassen wird.
„Und warum sollte ich das bitte tun?!", fragt Snape skeptisch und sieht den Mann vor sich fragend an. Dumbledore seufzt. Ihm war bewusst, dass er Snape erst auf den richtigen Weg führen muss, da sich dieser niemals eingestehen würde, was so offensichtlich ist. Doch er weiß auch, dass Snape in der nächsten Zeit mehrmals Dinge tun werden muss, die Amelia niemals gutheißen würde. Und Amelia würde Snape auch nicht einfach so davonkommen lassen, da ist er sich sicher. Sie wäre außer sich vor Wut und würde Rache wollen, aufgrund des Verrates ihres Freundes. Da ist er sich sicher. Auch, wenn Amelia nicht dem Stereotypen einer Feuerbändigerin entspricht und auf der guten Seite kämpft, so ist sie doch manchmal gefüllt von Rachsucht. Und diese würde Amelia gegen Snape nutzen.
„Wir wissen beide, dass du mehr für diese Frau empfindest, als du zugeben willst.", sagt Dumbledore und Snape seufzt. Er geht tief in sich und würde sich am liebsten immer noch nicht eingestehen, dass Dumbledore damit Recht hat. Snape will nicht, dass er Gefühle für jemanden hat. Er will nicht, dass Amelia seine Schwachstelle ist und er will auch nicht, dass er ihr seine Gefühle und Erinnerungen zeigt und sich ihr komplett offenbart. Doch tief in ihm drinnen weiß er, dass dies der einzige Weg ist, um Frieden mit Amelia zu haben. Auch, wenn er sich sicher ist, dass Amelia das, was er tun wird, trotzdem nicht gutheißen wird. Sie wird den tieferen Sinn dahinter verstehen, doch wahrscheinlich wird sie alles daran setzen, den Schaden dabei so gering wie möglich zu halten. Und das ist eine Sache, die Snape nicht unbedingt im Sinn hat. Schließlich muss er seine Rolle überzeugend genug spielen und dabei darf nicht Mal Amelia im Weg stehen, so schwer ihm das vielleicht auch fallen mag.
Snape seufzt erneut, als er realisiert, dass ihm diese Gedanken durch den Kopf gehen und er sie nicht mehr abstreiten kann.
„Sind Sie sich sicher, dass ich es ihr sagen sollte?", fragt er trotzdem noch einmal nach und Dumbledore nickt energisch.
„Ja, solltest du! Sie wird dich sonst persönlich jagen und dann hast du ein großes Problem. Amelia wird dieses Geheimnis hüten können. Vertraue ihr.", redet Dumbledore ihm gut zu und Snape seufzt erneut. Ihm ist bewusst, dass Dumbledore Recht mit seiner Aussage hat. Amelia hätte gute Chancen ihn zu finden und würde wahrscheinlich nicht zögern, Dumbledores Mord zu rächen. Und wenn er so überlegt, dann ist es ihm schon wichtig, was sie von ihm als Mann hält.
„Was ist, wenn die Todesser sie bekommen und den Plan herausfinden?", fragt Severus und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Sie würde uns niemals verraten.", beteuert Albus und Snape schnaubt.
„Das weiß ich selbst, Dumbledore! Aber du weißt, wie unglaublich gut die Todesser darin sind, Informationen aus ihren Opfern zu bekommen.", meint Snape nachdenklich und schreckliche Bilder formen sich in seinem Kopf, die er sofort wieder verdrängt.
„Amelia wird von ihren Feuerbändigerkräften im Notfall geschützt. Auch, wenn ich nicht glaube, dass sie sich schnappen lässt. Wir wissen beide, dass sie eine außergewöhnliche Hexe ist, die deinen Fähigkeiten in nichts nachsteht.", vergnügt gluckst Albus, als er den minimalen Ausdruck von Stolz in Snapes Auge sieht, als Dumbledore die Worte sagt.
„Ihre Verbindung zur dunklen Seite macht sie stark und das weißt du.", fügt er dann noch hinzu und Snape schnaubt.
„Wenn Amelia gegen dich ist, dann hast du ein gutes Problem. Sie hat genug Einfluss im Orden, den sie momentan nie ausnutzt. Aber glaube mir, wenn sie dich tot sehen will, dann wird sie ihren Einfluss das erste Mal ausnutzen und der gesamte Orden wird Jagd auf dich machen, mein Junge. So kann sie den Orden vielleicht davon abhalten, dich zu töten." Snape streicht sich ein Mal frustriert durchs Gesicht und Albus sieht, wie sehr er mit sich hadert. Er spürt, dass ich alles in Snape dagegen wehrt zuzugeben, was er fühlt und dies Amelia mitzuteilen, doch er weiß auch, dass sie es erfahren sollte. Albus weiß, dass es unmöglich ist, allen Ordensmitgliedern zu erzählen, dass Snape auf ihrer Seite bleiben wird, denn nicht alle haben so eine Kampferfahrung wie Amelia und würden den Snape den Plan zu Ende führen lassen, das weiß er. Die meisten würden entweder versuchen ihn aufzuhalten, oder eine zu große Gefahrenquelle darstellen, wenn sie mit diesem Wissen frei herumlaufen. Und das weiß Snape ebenso.
Dieser seufzt gerade erneut und Dumbledore ist sich sicher, dass er Snape noch nie so oft hatte seufzen hören. Dann dreht er sich vollständig zu Dumbledore um und sieht diesen mit einem beinahe schon entschlossenen Blick an.
„Okay, ich werde ihr meine Erinnerungen zeigen."
+++++
Als Amelia im Gemeinschaftsraum der Slytherins sitzt und in ihrem Buch blättert, um die Zaubertrankrezeptur der Hausaufgabe nachzuschauen (und dabei völlig versagt, da sie in ihren Augen keinen Sinn ergibt...), sinkt sie immer weiter in ihren Sessel. Um sie herum herrscht viel zu viel Lärm und sie kann sich nicht konzentrieren. Zudem kommt noch, dass sie die Lösung für die blöde Hausaufgabe von Professor Slughorn nicht finden kann, aber sie diese bis morgen haben muss. Und sie hat schon Harry und Hermine gefragt, die haben beide auch keinen blassen Schimmer. Selbst Hermine nicht, was Amelia sehr stutzig gemacht hat. So etwas war ihr bei Professor Snape nie passiert, da hatte sie immer alle Aufgaben hinbekommen und er hatte ihr sogar mehrmals ein Ohnegleichen und ein Erwartungen übertroffen auf ihre Hausaufgaben gegeben, was Amelia sehr gefreut hat.
Doch diese eine Hausaufgabe von Professor Slughorn, will einfach keinen Sinn ergeben und Amelia beginnt langsam an der Richtigkeit der verdammten Aufgabenstellung zu zweifeln. Zudem kommt noch, dass es schrecklich laut ist und sie scheinbar die einzige hier ist, die etwas lernen möchte. Dazu muss man aber auch sagen, dass es schon kurz vor der Abendbrotzeit ist und die meisten Schüler schon fertig sind mit ihren Aufgaben, während Amelia noch bei Dumbledore war.
Amelia hört, wie sich die Tür erneut öffnet, doch sie sieht nicht von ihrem Buch auf. Sie wird hier nicht weggehen, bis sie diese Aufgabe nicht hinter sich hat! Sie wirft einen erneuten Blick auf die Aufgabenstellung und beginnt wieder in ihrem Buch zu blättern. Dabei bemerkt sie nicht, dass Snape - leise wie immer - hinter sie getreten ist und ihr über die Schulter sieht, weil er bemerkt hatte, dass sie sich scheinbar gerade ziemlich aufregt. Als er sich die Aufgabenstellung durchgelesen hat, stellt er fest, dass sie so, wie sie da steht keinen Sinn ergibt und er kann sich vorstellen, warum Amelia, die in seinem Unterricht immer sehr kompetent gewirkt hatte, so aussieht, als würde sie ihr Buch gleich durch den Gemeinschaftsraum schmeißen. Er sieht, dass sie den richtigen Trank aufgeschlagen hat, der mit einer korrigierten Aufgabenstellung Sinn ergibt und realisiert in diesem Moment erst wieder, weshalb er die junge Frau so schätzt.
„Zwei Bohnen, statt einer.", ertönt es plötzlich hinter Amelia und sie lässt beinahe ihr Buch fallen, da sie nicht gehört hatte, dass Snape hinter sie getreten war. Sie weiß nicht, was sie davon halten soll, dass er plötzlich hinter ihr steht, dann allerdings sieht sie wieder auf die Aufgabenstellung und merkt, dass diese mit zwei Bohnen plötzlich Sinn ergibt. Also hatte sie mit der aufgeschlagenen Trankrezeptur doch Recht! Schnell schreibt sie die Korrektur der Aufgabe auf und kritzelt dann die Antwort, die sie im Kopf hatte und die jetzt auch Sinn ergibt, auf ihr Pergament. Sie vertraut Snape vollkommen, dass er es wüsste, wenn die Aufgabenstellung auch so Sinn ergeben würde. Als sie die Antwort niedergeschrieben hat, klappt sie das Buch zu und dreht sich zu Snape, der aus seinen dunklen Augen zu ihr herunterschaut.
„Danke, mit einer logischen Aufgabenstellung war das einfacher als gedacht.", grinst sie ihn an und ihr Blick wird fragend, als er sie immer noch mit dem gleichen Gesichtsausdruck ansieht. Sie kann sich nicht vorstellen, dass er hier hergekommen ist, um Smalltalk zu betreiben. Betreibt ein Severus Snape überhaupt Smalltalk? Wahrscheinlich eher nicht. Und wenn, dann sicherlich nicht im Gemeinschaftsraum vor sämtlichen Schülern, die hier gerade sitzen. Und die erstaunlich ruhig geworden sind, wenn sie so drüber nachdenkt. Sie spürt mehrere Blicke auf sich und hört Getuschel, während andere erwartungsvoll in die Richtung der beiden sehen, als würden sie erwarten, dass Amelia jetzt wieder Probleme bekommt.
„Ich muss mit dir sprechen.", sagt Snape so leise, dass die anderen es nicht hören können und Amelia erhebt sich sofort, als sie hört, dass er sie duzt. Scheint wohl etwas Wichtiges zu sein, dass nichts mit dem normalen Schüler-Lehrer-Verhältnis zu tun haben wird, sonst würde er sie nicht duzen. Snape und Amelia haben sich bisher ausschließlich geduzt, wenn sie alleine waren oder Dinge für den Orden erledigen mussten, sonst achteten die beiden immer penibel darauf sich vor den anderen zu siezen. Bis jetzt.
Snape muss nichts sagen, als er losgeht, denn er weiß, dass auch Amelia die Ernsthaftigkeit der Situation erkannt hat und ihm folgt, ohne Fragen zu stellen. Er weiß, dass sie ihn so gut kennt, dass sie darauf wartet, dass er ihr erzählen wird, was los ist, wenn sie in einem geschützten Rahmen sind.
Dumbledore persönlich hatte ihm angeboten das Denkarium für diese Zwecke zu nutzen, weshalb Snape sich jetzt gemeinsam mit Amelia auf den direkten Weg in eben genanntes Büro macht. Sie sagen keinen Ton und Amalia würde gerne sagen, dass ihr das unangenehm ist, doch sie fühlt sich komplett wohl dabei. Snape tritt wortlos in Dumbledores Büro ein und schließt die Tür, nachdem Amelia eingetreten ist. Er bedeutet ihr sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch zu setzen, während Snape sich auf Dumbledores Stuhl setzt und die Hände auf dem Tisch verschränkt. Einen Moment überlegt er, wie er dieses Gespräch anfangen soll, doch er findet nicht die richtigen Worte. Amelia sieht ihn geduldig an, denn sie weiß, dass Severus Snape keine Person ist, die man zu etwas drängen sollte. Sie erkennt, dass er sich schwer tut mit dem, was er ihr sagen will, was sie nur noch gespannter macht.
„Amelia, ich will, dass du Hogwarts verlässt. Noch heute Abend.", sagt er dann nach einem Moment der Stille und Amelia sieht ihn geschockt an. Hatte sie sich verhört?
„Bitte?", fragt sie deshalb noch Mal nach und hofft, dass er einfach nur einen Witz gemacht hat, doch er sieht sie immer noch völlig ernst an.
„Ich möchte, dass du gehst. Es ist hier nicht sicher.", sagt er und Amelia sieht ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
„Es könnte nicht sicherer hier sein, von was redest du bitte?", möchte sie völlig verwirrt von ihm wissen und Snape hätte beinahe ein Seufzen herausgelassen.
„Heute Abend werden Todesser nach Hogwarts kommen und das Schloss erobern.", beginnt er und Amelia sieht ihn eindringlich an. Wie konnte er so etwas sagen und dabei so ruhig bleiben?
„Dumbledore würde niemals zulassen, dass Todesser nach Hogwarts gelangen!", beteuert sie und Snape sieht sie mit einem Blick voller Trauer an. Er weiß, dass sie Dumbledore sehr nahesteht, besonders, da er sie immerhin privat unterrichtet hatte, doch er muss ihr einfach die Wahrheit sagen. Es geht nicht anders, das ist nur fair ihr gegenüber.
„Dumbledore wird dann tot sein.", sagt er und Amelia erstarrt. Was redet Snape da eigentlich? Und wieso redet er so, als würde er wissen, dass das alles wirklich mit hundert prozentiger Sicherheit passieren wird?
„Severus, was redest du da? Warum wird Dumbledore tot sein? Woher weißt du all das?", fragt Amelia und Snape registriert, dass ihre Stimme bei weitem nicht so sicher klingt, wie er es von ihr gewohnt ist.
„Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.", sagt er erschreckend sanft und Amelia zögert nicht lange, bevor sie aufsteht und das tut, was er von ihr möchte. Diese ganze Situation hier verunsichert sie so sehr, dass sie alles dafür tun würde, jetzt Antworten zu bekommen. Severus sieht, dass sie ihren Zauberstab unauffällig mit drei Fingern umgreift, sodass sie ihn schnell zur Verteidigung herausholen könnte. Also hatte er sie misstrauisch gemacht... Dumbledore hat Recht, er muss ihr seine Erinnerungen zeigen. Und nicht nur den Teil mit dem Plan, sondern alles. Auch seine Gefühle für sie.
„Wohin gehen wir?", fragt sie und sieht Snape fragend an.
„Ich möchte dir etwas im Denkarium zeigen.", erklärt er ihr und Amelia beobachtet, wie er mit seinem Zauberstab scheinbar einige Erinnerungen aus sich zieht. Sie nickt. Als sie vor dem Denkarium stehen, sieht Amelia erneut zu Snape und ihr fällt auf, dass seine Haltung nicht so sicher aussieht, wie sie es sonst ist. Irgendwas stimmt hier nicht und das weiß sie.
„Sieh dir bitte genau an, was ich dir jetzt zeige, in Ordnung?" Amelia sieht noch ein Mal zu Snape, der sie entschlossen ansieht und sie nickt. Die Art und Weise wie er mit ihr umgeht, zeigt ihr, dass es Ernst ist, aber ihm etwas daran liegt, dass sie das hier erfährt. Snape gibt die Erinnerungen ins Denkarium und tritt dann einen Schritt zur Seite, sodass Amelia dort herankommt.
Amelia atmet noch mal tief durch, dann geht sie die zwei Schritte nach vorne zum Denkarium und steckt ihren Kopf herein. Vor ihr tauchen Bilder auf. Bilder von Dumbledore und Snape, wie sie sich unterhalten. Snape sieht noch sehr jung aus und Amelia weiß, dass diese Erinnerung schon einige Zeit her sein muss. Sie sieht Lily Evans, wie sie gestorben ist und Snape um sie geweint hat. Sie sieht Dumbledore, wie er bei Snape um Verzeihung bittet und Snape am Rande eines Zusammenbruchs steht. Das nächste Bild ist Harry und Amelia sieht plötzlich das erste Mal die Ähnlichkeit zu seinem Vater. Die beiden sahen sich in jungen Jahren sehr ähnlich. Sie sieht Dumbledore, wie er sich einen Ring ansteckt und von einem Fluch getroffen wird, der sich über seine Hand ausbreitet. Severus versucht ihm zu helfen, doch auch er weiß, dass er diese Verletzung nicht heilen kann. Sie sieht, wie Snape neben Voldemort steht und alles, was dieser gesagt hat, bis aufs kleinste Detail Dumbledore erzählt. Sie sieht Draco und Snape, wie er den Jungen dabei unterstützt, seine Aufgaben zu erfüllen. Und sie sieht, dass Dumbledore ihn bittet, Draco die Aufgabe abzunehmen und ihn zu töten. Sie erkennt den tieferen Sinn dahinter, versteht, dass Snape als Doppelagent für Dumbledore arbeitet und sie erkennt, dass die beiden scheinbar einen tieferen Plan verfolgen. Doch als sie erkennt, welcher Plan das ist, würde sie sich am liebsten direkt aus dem Denkarium zurückziehen. Harry ist ein Horkurx?! Harry muss sterben, damit Voldemort besiegt werden kann?! Amelia spürt, dass ihr Tränen in die Augen steigen. Und dann sieht sie plötzlich sich. An ihrem ersten Tag in Hogwarts. Sie spürt den Hass, der von Snape ausgeht. Immer wieder sieht sie sich und irgendwann spürt sie, dass sich der Hass in etwas anderes wandelt. Erst Verwirrung, dann Sympathie... und dann etwas Stärkeres. Sie sieht Snape und sich in so vielen Situationen, in denen die beiden sich unterhalten haben und in so vielen Situationen, in denen Amelia das Gefühl hatte, dass die beiden sich gut verstehen. In denen sie glücklich war... Plötzlich erscheint wieder Dumbledore vor ihr und sie wird Zeuge eines Gesprächs, das scheinbar erst vor wenigen Minuten stattgefunden hatte. Albus besteht darauf, dass Severus sie einweiht. Erst versteht sie nicht warum, doch mit diesem Gefühl muss sie nicht lange leben, denn Dumbledore und Snape führen eine ziemlich eindeutige Diskussion darüber.
Und wenn es andere Umstände wären, dann würde Amelia sich wahrscheinlich sogar freuen, dass Severus Snape ihre Gefühle erwidert. Doch die Umstände bremsen ihre Freude und machen Platz für etwas Schlimmeres: Angst. Und Trauer.
Als Amelia den Kopf wieder aus dem Denkarium hebt, sieht Snape unsicher zu ihr. Und obwohl er diese Unsicherheit verstecken möchte, erkennt Amelia sie sofort. Eine einzelne Träne läuft ihr die Wange herunter, als sie erkennt, was das alles zu bedeuten hat und sie den Schmerz in Snapes Augen sieht.
„Ich will nicht gegen dich kämpfen müssen.", ist das erste, das sie herausbringt und Snape entgleisen beinahe die Gesichtszüge. Er hätte niemals erwartet, dass dies das erste ist, dass sie sagen wird. Er hatte damit gerechnet, dass sie versuchen würde ihn davon abzubringen, ihn dazu zu bringen nicht mehr auf Voldemorts Seite zu kämpfen, wenn auch nur zum Schein. Doch stattdessen reagiert sie sehr gefasst und rational.
„Ich weiß. Aber du bist ein Mitglied des Ordens und dazu gehört auch, dass du die Anhänger Voldemorts jagen musst.", sagt Snape leise und Amelia streicht sich die Träne von der Wange. Sie wünscht sich insgeheim, dass Snape dies gemacht hätte, doch sie weiß, dass dies nur Wunschdenken ist.
„Aber-", beginnt sie, doch Snape schüttelt den Kopf und bringt sie damit direkt zum Schweigen.
„Dumbledore und ich wollten, dass du es weißt. Du wärst in der Lage dazu mich zu finden und den ganzen Plan zu vereiteln. Das können wir nicht zulassen. Du musst mich tun lassen, was ich zu erledigen habe. So sehr es dir auch missfallen wird.", sagt er und Amelia lässt die Schultern hängen.
„Severus, wie bitte soll ich überzeugend so tun, als würde ich dich jagen? Ich kann nicht glaubwürdig gegen dich kämpfen!", sagt sie und Snape seufzt.
„Ich weiß, dass du das kannst, Amelia. Du musst. Dir bleibt nichts anderes über. Wir müssen Dumbledores Plan zu Ende führen, um Voldemort zu vernichten.", sagt er, während er sich wieder an den Schreibtisch setzt, in der stillen Hoffnung, dass Amelia sich auch wieder setzt. Als sie dies auch tut, verspürt er eine Erleichterung in sich drinnen, bei der er sich nicht sicher ist, warum sie da ist.
„Wie wirst du Dumbledore töten?", fragt sie ihn plötzlich und er hebt sofort den Kopf, um sie anzusehen. Er ist sich unsicher was er darauf antworten soll und warum sie diese Frage überhaupt stellt.
„Bitte lass ihn nicht leiden, Severus.", schiebt sie dann noch hinterher und Snape hat das Bedürfnis aufzustehen und sie in seine Arme zu schließen, als er sieht, wie sie reagiert. Er besinnt sich eines Besseren, denn er muss sich jetzt auf den Plan konzentrieren und kann hier nicht irgendwelchen Gefühlsduseleien nachgehen, so gern er es auch tun würde.
„Man sagt, dass ein Avada Kedavra nicht weh tut. Etwas anderes kann ich Dumbledore nicht antun. Er war schließlich der Mann, der mir eine zweite Chance ermöglicht hat und der der Grund ist, dass ich nicht immer noch Voldemort und seinen Fantasien hinterherrenne. Ich könnte ihn niemals leiden lassen." Snape sieht Amelia ernst an und schon als sie ihn so sieht, weiß sie, dass er die Wahrheit sagt.
„Wenn wir in das Schloss kommen, Amelia... bitte halte dich fern von uns und komm uns nicht in die Quere. Bellatrix wird da sein und ich will nicht, dass sie dich sieht und sich als Ziel setzt, dich zu töten.", bittet Snape Amelia dann noch und diese nickt, wenn auch zögerlich. Snape weiß, dass dieses Zögern nichts Gutes heißen kann.
„Harry wird da sein.", meint sie dann und Snape hebt eine Augenbraue.
„Mit Potter werde ich schon fertig.", gibt er dann zurück und Amelia zieht einen Mundwinkel in die Höhe.
„Ich mache mir auch keine Sorgen um dich, Severus. Sondern eher um ihn. Wo ich doch weiß, dass du sicher nicht abgeneigt sein wirst, den ein oder anderen Zauber gegen Potter zu verwenden.", schmunzelt sie und an Snapes Gesichtsausdruck erkennt sie, dass sie Recht hat. Wenn Snape einen Zauber an Potter schon rechtfertigen kann, dann wird er mit Sicherheit nicht zögern diesen auch einzusetzen.
„Es wird auffallen, wenn ich nicht sofort zur Stelle sein werde, wo Harry doch genau weiß, dass ich das einzige Ordensmitglied bin, das sich zu der Zeit in der Nähe aufhält und kein Lehrer ist.", sagt Amelia dann noch und Snape scheint zu verstehen, was sie ihm damit vorschlagen will.
„Bellatrix wird in der Nähe sein. Selbst ein Showkampf wird zu gefährlich sein, Amelia.", erinnert Snape sie und Amelia schnaubt. Es ist offensichtlich was sie denkt und Snape weiß nicht, ob er sie dafür bewundern soll, oder sich über ihre Leichtsinnigkeit Gedanken machen sollte.
„Auch Bellatrix ist nicht abgeneigt den Todesfluch zu benutzen! Also halt dich da raus oder ich persönlich hetze dir sämtliche Flüche auf den Hals, die mir einfallen!", warnt er sie noch und Amelia seufzt. Diese Diskussion führt doch zu nichts. Sie wird Snape doch niemals überzeugen können, dass sie dort auftauchen wird. Aber sie weiß auch, dass er sie nicht davon abbringen kann. Auch, wenn sie den Plan jetzt kennt, wird sie nicht einfach so tatenlos rumsitzen und darauf vertrauen, dass sie Harry nicht angreifen. Severus muss sich immerhin mit Todessern umgeben und den überzeugten Todesser spielen.
„Na schön, du hast gewonnen.", sagt sie und ein von sich selber überzeugter Gesichtsausdruck schleicht sich auf Snapes Gesicht. Ha, wenn der wüsste, denkt sich Amelia insgeheim.
Amelia steht auf und sieht, dass auch Snape sich erhebt. Einen Moment lang zögert sie, dann allerdings geht sie wenige Schritte auf ihn zu und bleibt direkt vor ihm stehen. Jetzt hatte sie vielleicht die letzte Gelegenheit überhaupt dazu. Sie hatte eigentlich fest damit gerechnet, dass er zurückweicht und ihr zu verstehen gibt, dass sie ihm nicht so nah kommen soll, doch nichts passiert. Snape sieht ihr nur direkt in die Augen und scheint sich sogar sehr wohl dabei zu fühlen, als sie ihm noch etwas näher kommt. Doch Amelia ist nicht die einzige, die überrascht ist. Auch Severus sieht sie überrascht an, denn er hätte niemals gedacht, dass sie ihm freiwillig so nah kommt und seine Gefühle zu teilen scheint.
Er beginnt schneller zu atmen und sieht auf sie herunter, da sie ein Stück kleiner ist, als er. Er rechnet fest damit, dass Amelia nun sicher zurückweichen wird, jetzt, wo sie so intensiven Augenkontakt haben, doch nichts. Snape würde ihr gerne sagen, was er empfindet, ihm gehen tausende Gedanken durch den Kopf, als er auf sie herabblickt und ihr Gesicht so nah an seinem sieht.
Ihm geht das Gespräch mit Albus durch den Kopf und sein anschließendes Geständnis, dass er wirklich mehr für diese Frau empfindet, als er sich immer eingestehen wollte. Und plötzlich, da erscheint es ihm doch wieder so einfach, ihr zu sagen, was er fühlt. Es ihr zu zeigen.
Langsam, um ihr immer noch die Chance zu geben, zurückweichen zu können, beugt er sich ein Stück näher zu ihr herunter. Er beobachtet jede ihrer Bewegungen und ist jederzeit bereit dazu, sich wieder zurückzuziehen, doch anstatt, dass sie sich zurückzieht, kommt sie ihm noch entgegen. Snape nimmt noch ein Mal all seinen Mut zusammen, dann legt er seine Lippen auf ihre.
Es ist ein zarter Kuss, unsicher und nach Erlaubnis fragend. Beiden ist bewusst, dass sie das hier eigentlich nicht tun sollten, doch trotzdem scheint beiden das gleiche durch den Kopf zu gehen, denn sie vertiefen den Kuss und nehmen sich etwas Zeit, bis sie sich voneinander lösen.
Mit einem leichten Hauch von Ehrfurcht sehen sich Snape und Amelia in die Augen. Ihr fällt erst jetzt auf wie gut er riecht und wie schön seine dunklen Augen sind.
„Ich will nicht, dass du gehst.", flüstert sie und Snape sieht sie mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck an.
„Ich will auch nicht gehen, aber ich muss.", antwortet er ebenso leise und so sanft, wie Amelia es von ihm noch nie gehört hat. Sie lächelt leicht, doch das Lächeln erreicht ihre Augen nicht.
„Bitte pass auf dich auf, Severus.", sagt sie und er nickt. Noch bevor er etwas erwidern kann, schenkt Amelia ihm noch ein sanftes Lächeln und verlässt dann mit wehendem Umhang den Raum. Snape sieht ihr noch kurz hinterher, dann lässt er sich mit einem Seufzen auf den Stuhl an Dumbledores Schreibtisch fallen. Was ist hier gerade passiert?!
+++++
Völlig verwirrt und mit gemischten Gefühlen läuft Amelia durch die Gänge des Schlosses. Sie will nur noch zurück in ihr Zimmer und verarbeiten, was hier gerade eben passiert ist.
Nicht nur, dass Snape ihr eröffnet hatte, was heute und in nächster Zeit alles passieren wird, nein. Sie hatten sich geküsst und es war kein Kuss der schüchternen Sorte. Es war ein Kuss, der so viel mehr gesagt hat, als tausend Worte.
Es hätte kein vertrauensvolleres Gespräch zwischen den beiden geben könne, dieser Kuss war so viel mehr. Und doch war er so ein kurzer Moment, der sich aber für immer in Amelia eingebrannt hat.
Wie soll sie es nur schaffen diesen Mann zu bekämpfen, wenn auch nur zum Schein?
Niemals hätte sie gedacht, dass so etwas passieren würde und hätte man es ihr vor einigen Jahren noch gesagt, hätte sie diese Person schallend ausgelacht, doch nun war es passiert.
Sie hatte ihren Lehrer für Zaubertränke und für Verteidigung gegen die dunklen Künste geküsst und verspürte keinen Ekel, sondern pures Glück!
Sie hatte den Mann geküsst, der immer wieder versucht hatte, ihr das Leben schwer zu machen und der scheinbar sein Leben glücklicher gestaltete, indem er Schüler so sehr im Unterricht forderte, dass sie Angst vor ihm bekommen.
Amelia beginnt beinahe wahnsinnig zu lachen, als sie all das realisiert, doch dann merkt sie, dass sie sich keinen anderen vorstellen kann.
Und das ist es, was ihr am meisten Angst macht.
Der Kuss.
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