20
Zum dritten Mal in dieser Nacht wacht Amelia schweißgebadet und mit tränenverschleiertem Gesicht wieder in Hogwarts auf. Frustriert streicht sie sich ihre Haare aus dem Gesicht und schwingt die Beine aus dem Bett. Der Boden unter ihren Füßen ist kalt und sie widersteht dem Drang diesen mit ihrem Zauberstab zu erwärmen. Sie wirft einen Blick auf die Uhr und seufzt. Sie hatte gerade mal eine halbe Stunde geschlafen, seitdem sie das letzte Mal aufgewacht war.
„Das wird doch sonst eh nichts mehr.", meint sie mehr zu sich selber, als zu irgendwem anders und zieht sich eine schwarze Jeans und einen grauen Pullover an. Ihre Haare kämmt sie ein Mal durch, dann schlüpft sie in ihre weißen Sneaker und steckt sich den Zauberstab in den Hosenbund. Sie weiß ganz genau, dass sie nicht mehr ohne Hilfe einschlafen kann. Drei Mal hatte sie es diese Nacht versucht, doch jedes Mal war sie davon aufgewacht, dass sie gesehen hatte, wie ihre Mutter getötet wurde. Und das jedes Mal von jemand anderem und auf eine andere Art und Weise. Der letzte Traum war für sie der Schlimmste, denn sie hatte geträumt, dass sie selbst es war, die Rolanda getötet hatte - und das mit bloßen Händen.
Natürlich hatte sie nie das beste Verhältnis zu ihrer Mutter und das war wahrscheinlich auch allen hier Anwesenden klar, die Amelia und Rolanda jemals zusammen gesehen hatten, doch trotzdem ist Rolanda immer noch ihre Mutter gewesen und selbst Amelia kann diese Tatsache nicht einfach verdrängen, egal was man ihr vorwirft. Sie durfte sich von Schülern schon anhören, dass es nicht so aussieht, als wäre sie traurig und wie herzlos sie ist. Amelia hatte dann nur die Augen verdreht und war weiter gegangen. Sie weiß, dass sie ihre Gefühle nicht gerne zeigt, aber davon auszugehen, dass ihr egal wäre, ist eine sehr dumme Annahme.
Ein Schüler hatte tatsächlich die Dreistigkeit zu ihr zu kommen und ihr zu sagen, dass es doch nicht so schlimm ist, da ihre Mutter sowieso eine schreckliche Lehrerin war. Amelia war außer sich und der Schüler hat es wahrscheinlich nur Minerva zu verdanken, dass er nicht mit einer Schweinenase oder ähnlichem herumrennt. Denn diese kam genau dann um die Ecke und hatte dafür gesorgt, dass Amelia lieber schnell geflohen ist, bevor sie sich eine weitere Mitleids-Rede anhören musste. Denn Mitleid hatte sie in den letzten Tagen viel zu viel bekommen. Und besonders dann, wenn sie nicht darum gebeten hatte.
Nachdem sie gemeinsam mit Snape und dem Leichnam ihrer Mutter zurück ins Ordensgebäude appariert ist, hatten sofort alle auf sie einreden wollen und sich um sie kümmern wollen. Dass Amelia allerdings einfach nur fort wollte und einen Moment Ruhe für sich selbst gesucht hat, bekam scheinbar niemand mit. Dumbledore hatte sie gefragt, ob sie ihre Mutter beerdigen möchte und nachdem sie nur traurig genickt hatte, ist sie gemeinsam mit Snape zurück ins Schloss gefloht. Dort hatte sie sich nicht mal von ihm verabschiedet, dann ist sie auf ihr Zimmer gegangen und hatte sich dort versteckt, damit sie von niemanden gestört werden kann. Und seitdem schläft sie in keiner Nacht mehr richtig.
Amelia schleicht sich aus dem Slytherin-Dorm und geht dann auf direktem Weg in Dumbledores Büro. Dieser ist nicht mal überrascht, als Amelia eintritt und sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen lässt. Er schiebt ihr eine Tasse Tee entgegen, welche Amelia dankbar annimmt. Eilig setzt sie diese an ihre Lippen und trinkt einen großen Schluck. Ihre Hoffnung, dass Beruhigungstrank in dem Tee ist, schwindet sofort wieder, als sie bemerkt, dass es keinen Unterschied macht, nachdem sie den Tee getrunken hat. Es vergehen beinahe fünf Minuten in denen die beiden hier sitzen. Dumbledores Augen ruhen die ganze Zeit über auf der Slytherin, doch trotzdem drängt er sie nicht zum Sprechen. Er kann sich denken, weshalb sie hier ist und genau deshalb weiß er, dass er sie am besten nicht drängen sollte, zu Sprechen. Doch als weitere fünf Minuten vergangen sind, in denen Amelia noch kein einziges Wort gesprochen hat, räuspert er sich leicht.
„Amelia, mein Kind. Ist alles in Ordnung?", fragt er sanft. Diese hebt ihren Kopf und blickt endlich von ihrer Teetasse auf. Ihr Blick ist leer, doch trotzdem erkennt Albus einen winzig kleinen Funken Belustigung in ihrem Ausdruck. Er kann sich nicht denken, woher dieser Ausdruck kommt, doch er beschließt, dass er sie besser nicht darauf anspricht.
„Natürlich nicht. Aber danke, dass du genug Taktgefühl hattest, nicht zu sagen, wie fertig ich aussehe.", lächelt Amelia schwach und Albus versteht, was das Funkeln ihrer Augen zu sagen hatte. Doch trotzdem verkneift er sich jeglichen Kommentar dazu und lehnt sich ein Stück näher nach vorne. Er widersteht dem Drang ihr beruhigend eine Hand auf den Unterarm zu legen, denn er weiß, dass sie dann wahrscheinlich direkt aufstehen und wieder verschwinden würde.
„Was führt dich dann zu mir?", fragt er sie deshalb nur sanft und mit einem gewissen Unterton, der ihr die Chance gibt, sich zu weigern ihm eine Antwort zu geben.
„Hast du schon Hinweise darauf gefunden, wer sie getötet hat?" Amelia rückt direkt raus mit der Sprache, denn sie weiß schon ganz genau, dass es wahrscheinlich genau das ist, weshalb Albus mit ihr rechnet. Er wird wissen, was sie mitten in der Nacht in seinem Büro will. Und auch, wenn der alte Mann genug Taktgefühl hat, es nicht zu zeigen, sondern sich zuerst als Freund anbietet, mit dem sie reden kann, über das, was sie bedrückt, weiß Amelia, dass er sich seine Antwort auf ihre Frage schon lange zurechtgelegt hat.
„Nein, habe ich nicht... aber ich habe meine besten Leute an der Sache dran und wenn wir etwas herausfinden, dann bist du die erste, die es erfährt, versprochen.", versichert er ihr und Amelia nickt dankbar. Sie zögert kurz, dann erhebt sie sich. Auch, wenn es unfair ist, direkt nach seiner Antwort wieder zu verschwinden und sich der Schulleiter bestimmt über etwas Gesellschaft freuen würde, vor allem, wenn er scheinbar mitten in der Nacht noch Recherchen anstellt, kann sich Amelia nicht dazu durchringen noch länger von seinem mitleidigen Blick angesehen zu werden.
„Ich werde versuchen noch ein wenig zu schlafen... danke, Albus.", sagt sie und dreht sich zur Tür um.
„Gute Nacht, Amelia."
+++++
Amelia geht auf direktem Weg in den Kerker und schleicht sich dort in den Unterrichtsraum für Zaubertränke. Sie weiß ganz genau, dass sie diese Nacht sowieso nicht mehr ohne Hilfe einschlafen kann, weshalb sie beschließt, dass sie versucht sich einen Traumtrank zu brauen. Damit hat sie vielleicht wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf in dieser Nacht. Ein Blick auf die Uhr verrät ihr, dass sie nach der Zubereitung des Trankes noch gute vier Stunden Schlaf bekommen könnte, was sie von innen heraus motiviert schnell mit dem Brauen anzufangen.
Sie betet bei allen Göttern, dass sie ihre Ruhe hat und ihr meistgehasster Lehrer sich nicht plötzlich entscheidet, einen weiteren nächtlichen Wachgang durchzuführen. Auch, wenn sie Snape momentan nicht so sehr hasst, wie sie es einst getan hatte. Er lässt sie immerhin in Ruhe und kümmert sich nicht um sie - eine nette Abwechslung zu all den anderen, die ständig fragen, wie es ihr geht und sich Sorgen machen.
Amelia kennt die Zutaten, die sie für einen Traumtrank braucht auswendig und kramt sie bedacht leise aus dem Schrank. Dann legt sie sie auf den Tisch und schnappt sich ein Messer, ein Schneidebrett und einen Messbecher. Das ist alles, was sie für den Trank braucht und das ist ihr gerade auch nur recht. Je weniger Aufwand sie betreiben muss, desto besser ist das Ganze natürlich. Auch, wenn heute Samstag ist - es war nun genau eine Woche her, dass sie ihre Mutter gefunden hatte - fehlt ihr eine Menge Schlaf der letzten Woche. Und dieser sorgt dafür, dass ihre Konzentration schon Mal besser war. Sie hatte gemerkt, dass sie sich nicht so gut konzentrieren kann, wie sonst und das stört die junge Hexe massiv.
Amelia kippt schnell die ersten Flüssigkeiten in den Kessel, den sie schon bereit gestellt hat und verrührt diese gut. Dann beginnt sie die verschiedenen Kräuter mit dem Mörser zu zerstampfen und fügt diese nach der vorgeschriebenen Zeit hinzu. Dann nimmt sie sich das Schneidebrett und das Messer und setzt das Messer an. Vor ihrem inneren Auge blitzt ein Bild auf. Ein Bild aus einem ihrer Albträume. Das, wie sie ihre Mutter mit einem Messer absticht. Sie spürt, dass die Hand, die das Messer hält, zu zittern beginnt und Amelia nimmt einen tiefen Atemzug, um sich selbst zu beruhigen. Erneut setzt sie an, doch sie schafft es nicht. Ihre Hand zittert zu sehr, als dass sie einen geraden Schnitt machen könnte. Klirrend lässt Amelia das Messer auf das Brett fallen und spürt, dass ihr Tränen in die Augen steigen. Sie schiebt das Brett und das Messer weit weg von sich und streicht sich mit den Händen durch das Gesicht. Ein Blick auf ihre Uhr verrät ihr, dass es bereits fast eine Stunde vergangen ist und Amelia seufzt. Sie sollte sich damit abfinden, dass sie auch in dieser Nacht kein Auge zubekommen wird.
Sie lehnt sich frustriert gegen den Tisch hinter sich und blickt auf die brodelnde Flüssigkeit in ihrem Topf. Sie wünscht sich die Zeiten wieder, wo es noch keine Schwierigkeit war, sich einen Traumtrank zuzubereiten... als ihre Mutter noch gelebt hat.
Amelia greift erneut nach dem Messer und versucht ein drittes Mal, die Zutaten zu schneiden, doch als ihre Hand erneut so stark zittert, dass sie sich beinahe in den Finger schneidet, schmeißt sie die Zutaten mit einem kleinen Frustrationsschrei auf die Arbeitsplatte und hält sich daran fest, um nicht völlig durchzudrehen.
Sie hört, dass jemand den Raum betritt und realisiert schnell genug, dass es Snape ist. Schnell flüchtet Amelia aus dem Raum und rennt zurück in ihr Zimmer. Sie will nicht, dass Snape sie außerhalb ihres Zimmers sieht und sie will auch nicht, dass er sie in so einem Zustand sieht. Sie hofft einfach, dass Snape denkt, dass irgendein jüngerer Schüler angefangen hatte, den Trank zuzubereiten und schlussendlich daran gescheitert ist. Das wäre immerhin nicht das erste Mal.
In ihrem Zimmer angekommen, legt sie sich mit ihren Klamotten von eben auf ihr Bett und starrt einfach nur an die Decke. Irgendwann, da muss sie immerhin so müde sein, dass sie einschläft... oder?
Erst als es plötzlich klopft, sieht Amelia das nächste Mal auf die Uhr. Es ist gerade Mal eine dreiviertel Stunde vergangen. Aber wer zur Hölle klopft denn bitte mitten in der Nacht bei ihr an der Tür? Mit gezücktem Zauberstab geht Amelia an die Tür heran und öffnet sie einen winzigen Spalt. Als sie niemanden davor stehen sieht, vergrößert sie den Spalt und sieht sich suchend um. Ihr Blick fällt auf etwas, das vor ihr auf dem Boden steht. Dort stehen fein säuberlich aufgereiht 3 kleine Fläschchen einer lilanen Substanz. Skeptisch sieht Amelia sich um und hebt die drei Fläschchen auf. Sie öffnet eine und riecht daran. Als sie realisiert, was es ist, macht sie große Augen. Das ist perfekt gebrauter Traumtrank. Und genau drei Flaschen - für drei Nächte. Denn Traumtränke dürfen höchstens drei Mal hintereinander genommen werden, danach muss mindestens eine Woche zwischen erneuten drei Flaschen liegen, sonst führt Traumtrank schnell zu heftigen Nebenwirkungen, wie Halluzinationen und einem ständigen Müdigkeitsgefühl.
Sie braucht einen Moment, um zu realisieren, von wem dieser Trank kommen mag, doch dann beginnt sie sanft zu lächeln. Es gibt nur eine Person in Hogwarts, die dazu in der Lage ist, so einen perfekten Traumtrank zu brauen. Und diese Person ist die, die sie eben fast erwischt hätte und bei der sie ihre angefangenen Reste zurückgelassen hat.
Es rührt sie fast schon, dass Snape sich dazu erbarmt hatte, den Trank für sie zu Ende zu brauen.
„Danke.", flüstert sie leise, denn sie ist sich sicher, dass Snape noch irgendwo in der Nähe sein muss, denn er würde den Trank nicht einfach so unbeaufsichtigt vor ihrer Tür herumstehen lassen.
Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen schließt Amelia die Tür, zieht sich um und nimmt dann einen Schluck des Wohl besten Traumtrankes, den sie jemals in ihrem Leben getrunken hat.
Snape braut den Trank für Amelia zu Ende.
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