Kapitel 4


Kapitel 4:

Ich starrte das Fenster an und hoffte das Pferd noch einmal zu sehen, um meine Theorie, dass es sich um ein Einhorn handelte, zu bestätigen, doch nichts geschah. Mein starrender Blick rief lediglich meine besorgte Mom auf den Plan.

„Bist du müde, mein Schatz?", erklang ihre besorgte Stimme und ich wusste nicht genau, was ich ihr sagen sollte.

War ich müde? So betrachtet war müde nicht der richtige Ausdruck. Ich hatte das Gefühl, dass meine Glieder bleischwer waren und mein Geist einfach auf Durchzug geschalten hatte, weil er im Sparmodus war.

Das musste es sein. Vielleicht war es ein Ast, oder eine Strähne der Mähne, die im Wind geweht hatte und mein Gehirn hatte mir nur etwas vorgespielt, weil es schon schlief. Auf diese Entfernung war das immerhin logisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass mein Gehirn mir einen solchen Streich spielte, wenn ich müde war.

„Ja, die Autofahrt war anstrengend", verkündete ich schleppend. Ich fühlte mich nur ausgebrannt, nicht wirklich müde und daher klang ich wahrscheinlich auch nicht so. Dennoch war es die Wahrheit. Die Autofahrt war anstrengend gewesen.

Dieses weiße Pferd hatte mich irgendwie wach gerüttelt und nun schien mein Gehirn doch wieder seine Funktion aufzunehmen. Manchmal war es echt anstrengend. Die wichtigen Dinge hatte ich natürlich nicht mitbekommen. Am Rande nur etwas von einer Schuluniform, die mir empfohlen wurde. Irgendwie so, aber ich erinnerte mich nicht mehr. Jetzt konnten sie gern noch einmal über diese langweiligen Dinge reden, vielleicht schlief mein Gehirn dann wieder ein, so dass ich später auch schlafen konnte.

Was nicht hieß, dass ich mich nicht jetzt schon gerne zurückziehen wollte. Allerdings wollte ich auch gleichzeitig nicht, dass meine Eltern gingen. Es war eine blöde Situation und ich wusste, dass ich mich entscheiden musste. Hier bleiben, oder mit meinen Eltern zurückgehen?

Innerlich rang ich schon die ganze Autofahrt über mit diesem Problem, auch wenn ich es wohl die meiste Zeit über erfolgreich verdrängt hatte. Darin war ich wirklich sehr gut! Allerdings lag das eher an der jahrelangen Übung.

Eigentlich war ich es meinen Eltern schuldig hier zu bleiben. Ohne mich würden sie endlich einmal ein paar ruhige Tage verbringen können. Ohne mit mir im Krankenhaus zu sein, oder bei irgendeinem Direktor vorgeladen zu werden, oder sich Beschwerden von anderen Eltern anhören müssen. Sie konnten in Ruhe die Probleme mit der Polizei und dem Jugendamt aus der Welt schaffen und wenn ich wieder zuhause war, würde alles wieder ruhiger sein und dann konnte ich endlich meinem geplanten Job nachgehen. Ich war mir noch nicht sicher, was genau ich machen wollte, doch etwas von Zuhause aus, was so wenig Kontakt mit anderen Menschen erforderte, wie nur möglich!

Außerdem war es nur für ein Jahr. Dann würde ich meinen Abschluss endlich haben und das letzte Jahr konnte ich auch noch hier durchziehen. Ich war nicht die Beste in der Schule, aber da ich, aus Ermangelung an einem Sozialleben, meine Zeit oft mit dem Schulstoff verbrachte, war ich zumindest auch nicht schlecht.

Die Direktorin erhob sich. „Es wird spät. Sie sollten aufbrechen, wenn sie noch vor der Abenddämmerung wieder Zuhause sein wollen", sagte sie und ich konnte meiner Mom ansehen, dass sie wiedersprechen wollte. Doch ich musste der Direktorin zustimmen. Selbst wenn sie jetzt los fuhren, war es wahrscheinlich, dass es dunkel war, wenn sie ankamen.

„Mir ist es lieber, wenn ihr im Hellen nach Hause fahrt", sagte ich speziell an meinen Dad gerichtet. „Du weißt doch, wie schlecht es dir fällt, im Dunkeln zu fahren", fügte ich hinzu, weil ich ihm ansehen konnte, dass er widersprechen wollte. „Und ich möchte mir keine Sorgen machen müssen, dass ihr einen Unfall baut." Was der Wahrheit entsprach. Gleichzeitig aber versuchte ich meine Angst, dass sie gingen zu bezähmen. Ich wollte es nicht, doch ich wusste, dass ich mich sonst um entscheiden würde. Also war es das Beste, wenn wir den Abschied hinter uns brachten.

Das brachte meinen Dad endlich dazu die Schultern ergeben hängen zu lassen. Manchmal fragte ich mich wirklich, wer hier wen erzog. Sie mich, oder ich sie?

„Du bist immer so erwachsen", murmelte er und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Das beantwortete dann wohl meine Frage. Aber es war nicht so, als würde ich es nicht bereits kennen. Meine Eltern waren schon eine Sparte für sich.

Der Kuss auf die Stirn vermittelte mir normalerweise ein Gefühl von Sicherheit, doch heute trieb er mir die Tränen in die Nase. Ich wollte nicht, dass sie gingen und gleichzeitig wollte ich, dass sie schon weg waren, denn ich hatte ungemein Probleme mit Abschieden.

Zusammen mit meinen Eltern trat ich hinaus zu unserem Auto. Die Direktorin blieb freundlicher Weise in der Eingangshalle zurück.

Ein Kloß in meinem Hals machte sich bemerkbar und ich versuchte ihn weg zu schlucken, doch es ging nicht. Es war nur eine Weile. Nicht einmal ein halbes Jahr, dann waren die ersten Ferien und ich konnte meine Eltern wiedersehen. Das würde ich schaffen! Es war immerhin nicht das erste Mal, dass ich längere Zeit von ihnen getrennt war.

Während meiner Mom die ersten Tränen kamen, versuchte ich stark zu bleiben, als ich sie fest umarmte und noch einmal ihren Geruch nach Minze in mich aufnahm.

Es würde alles gut gehen. Wenn ich nicht mehr konnte, würde ich sie anrufen und sie würden mich abholen. So wie es bisher immer der Fall gewesen war. Schon damals auf der Schule, die ein Wohnheim besaß, in das die Schüler zu ziehen hatten. Kein richtiges Internat, aber auch keine normale Schule. Eher ein Mischmasch, aber sehr praktisch, da die meisten Schüler, so wie ich, von sehr weit her gekommen waren. Ähnlich wie hier.

Meine Eltern hatten mir bisher sehr viele Möglichkeiten gegeben, zur Schule zu gehen. Sie hatten es geschafft mich an Schulen anzumelden, selbst, wenn ich nicht daran geglaubt hatte, dass das möglich war, weil man ein Stipendium brauchte, oder eine Empfehlung. Es war seltsam, doch ich konnte es mir nicht erklären, daher nahm ich es so hin. Warum sollte ich versuchen ihr Geheimnis heraus zu finden, wenn es mir doch half?

Auch mein Dad zog mich in eine feste Umarmung und wir wechselten kurz ein paar Worte des Abschiedes. Auch er war nicht der Typ, der für lange Abschiede bekannt war.

Wir hatten es nur einmal versucht und das war nach hinten losgegangen. Mom und ich hatten uns heulend in den Armen gelegen und Dad hatte entschieden, dass es das Beste war, wenn wir wieder fuhren.

Es war unglaublich peinlich gewesen, aber ich hatte eh niemanden davon wiedersehen, von daher war es mir egal.

Aber ich wollte dieses Mal wirklich hier bleiben, denn nach dem ersten Unwohlsein, bekam ich langsam ein besseres Gefühl. Als würde etwas in der Luft liegen, dass mich willkommen hieß.

Daher musste ich mich stark zusammenreißen, nicht zu weinen, während meine Mom mich noch einmal knuddelte.

Wir verbrachten nicht so viele Zeit mit dem Abschied, wie es vielleicht andere getan hätten und mein Vater drängte darauf, dass meine Mutter ins Auto stieg und sie fahren konnten. Das half mir dabei, mich ebenfalls von ihr zu lösen und sie sanft in Richtung Wagen zu schieben.

Die Türen gingen zu, der Motor wurde gestartet und ich stand da und blickte dem Auto hinterher, wie es weg fuhr.

Mein Herz wurde schwer, doch ich atmete tief ein. Ich konnte nicht immer an ihnen hängen. Irgendwann musste ich lernen auf eigenen Beinen zu stehen und mich selbst zu verteidigen. Schon um ihrer Willen.

Während ich sie beobachtete, begann das Gefühl von Trauer über den Abschied einem gewissen Unwohlsein zu weichen, das sich jedoch immer wieder mit einer freudigen Erwartung mischte. Ich war in einer komplett neuen Umgebung und kannte hier überhaupt niemanden. Außer die Direktorin. Doch mit dieser würde ich wohl nicht oft zu tun haben. Und wenn doch, sollte ich mir den Nachnamen noch einmal sagen lassen, denn ich konnte mir wirklich nicht an ihn erinnern! Wie ärgerlich. Ich wollte nicht schon an meinem ersten Tag ins Fettnäpfchen treten. Nicht bei den Lehrern.

So wie die Direktorin erklärt hatte, würde ich Essen auf meinem Zimmer bekommen, wenn ich wollte und konnte mich heute noch ausruhen. Sie hatte mir bereits auf einer Karte gezeigt, wo sich die Mensa befand, aber ehrlich gesagt hatte ich nicht genau zugehört. Ich war auch nicht hungrig, so dass ich nicht den Drang verspürte dorthin zu gehen. Schon allein wegen der Tatsache, dass ich die Zeit alleine genießen wollte.

Also stand ich noch gefühlte Stunden im Garten und lauschte den Geräuschen der Natur.

Es wehte ein ziemlich heftiger Wind, der immer wieder vereinzeltes Blätterrauschen an mein Ohr drang. Zusätzlich hörte ich den Bach, oder Fluss in der Nähe und sogar die Stimmen einiger Schüler. Als ich mich jedoch auf die Stimmen der Schüler konzentrierte, waren sie verschwunden und ich hörte nur noch den Wind.

Komm schon Aurora, sagte ich mir. Das schaffst du. Bei dieser wundervollen Umgebung hast du ein Jahr lang genug zu tun, auch wenn du keine Freunde findest! Ich könnte den Wald suchen gehen, den ich hörte und ich könnte den Fluss versuchen zu finden.

Ich wollte es glauben und ich wollte die Dinge positiv sehen, als ich mich wieder auf das Schulgebäude zubewegte. Meine Glieder waren noch immer schwer und meine Beine zitterten. Nicht zwangsläufig vor Müdigkeit, auch ein wenig vor Nervosität.

Es war noch früher Abend, da wir nur kurz nach dem Mittagessen hier angekommen waren. Wahrscheinlich waren die anderen Schüler alle noch in ihren Stunden. Es war immerhin mitten im Schuljahr. Obwohl ich natürlich auch nicht genau sagen konnte, wie lange die einzelnen Stunden gingen. Die Direktorin hatte mir zwar etwas dazu erklärt, doch so richtig zugehört hatte ich nicht. Blödes Einhorn. Die Informationen, wann ich aufstehen sollte, hätte ich wenigstens abspeichern können.

Ich grübelte darüber nach, doch selbst als ich der Eingangshalle schon recht nah war, konnte ich mich nicht daran erinnern, wann ich aufzustehen hatte.

Denn fiel es mir wieder ein und ich blieb kurz stehen, um mit einem Lächeln den Kopf zu schütteln. Manchmal war ich wirklich verpeilt. Die Direktorin hatte mir doch erklärt, dass es hier üblich war, dass neue Schüler von anderen abgeholt wurden und eingewiesen. So eine Art Patensystem, wenn ich es richtig verstanden hatte. Ältere Schüler zeigten den neuen Schülern die Umgebung und die Regeln und die Lehrer mischten sich nicht unbedingt ein.

Ein interessantes System. Ich fragte mich, wie es wohl sein würde.

Als ich die Eingangshalle wieder betrat, bemerkte ich sofort die Direktorin, die auf mich gewartet hatte. Wirklich sehr freundlich von ihr. Das ersparte mir den Weg zurück in ihr Zimmer, um sie zu fragen, wo ich jetzt hin sollte. Auch wenn ich mir fast sicher war, dass sie es mir bereits erklärt hatte.

„Ich werde dich auf dein Zimmer bringen. Morgen früh schicke ich dir eine Schülerin deiner neuen Klasse vorbei. Sie wird dir alles erklären und dich herum führen", erklärte mir Sarah, während ich ihr die Treppe hinauf folgte. Gut das sie das noch einmal wiederholte, auch wenn ich selbst darauf gekommen war. Könnte sie jetzt auch ihren Nachnamen noch einmal wiederholen?

Wie ich es mir gedacht hatte, kam man über die Treppen im Eingangsbereich hinauf in einen Flur, von dem aus man hinab in die Halle blicken konnte.

Ein wirklich schönes Design, das ich sehr schätzte, da es den Räumen eine Größe verlieh, die mich immer dazu brachte, mich frei zu fühlen. Ich konnte den Ausblick jedoch nicht lange genießen, denn die Direktorin führte mich eine weitere Treppe nach oben.

„In der ersten Etage liegen die Aufenthaltsräume", erklärte sie mir und als wir in die zweite Etage kamen, musste sie mir nicht erklären, dass hier die Klassenzimmer lagen. Ich spürte es sofort an der Atmosphäre. Es war ruhig und dann doch wieder nicht. Eine leichte Betriebsamkeit lag in der Luft. Etwas, was man nur spürte, wenn man alleine in einer Schule im Gang stand, während alle Zimmer mit Schülern gefüllt waren, die fleißig lernten. So wie es mir gerade ging.

Manchmal konnte man sogar die Stimmen einiger Lehrer hören. Ich hätte gerne die Augen geschlossen und etwas gelauscht, doch dies wurde mir verwehrt.

„Diese und die nächste Etage sind für die Lehrräume reserviert", erklärte mir Sarah dennoch. Ich nickte, als hätte ich aufmerksam zugehört, doch meine ganze Aufmerksamkeit galt der Umgebung. Überall fanden sich die goldenen Verzierungen wieder, die es auch schon in der Eingangshalle gegeben hatte. Und auch hier wirkte alles sehr gemütlich und nicht so steril, wie ich es aus einigen Schulen kannte. Generell wirkte diese Schule anders, als das, was mir bekannt war. Selbst die Direktorin vermittelte einen Eindruck von... Familie? Nicht unbedingt so stark wie man das Gefühl hatte, wenn man bei seinen Eltern war. Aber vielleicht wie eine Cousine, die dich in ihrem Heim willkommen hieß? Dieses Gefühl machte mich ein wenig melancholisch, aber es sorgte auch dafür, dass ich meine Eltern nicht so stark vermisste, wie ich es hätte tun sollen.

Aber das war oft so. Oft hielt diese Sehnsucht nach ihnen nur eine kurze Weile und tauchte dann erst wieder auf, wenn ich wirklich sehr in Problemen steckte, aus denen ich nicht alleine wieder heraus kam.

„Jetzt kommen noch einmal Räume, welche für Freizeitaktivitäten genutzt werden. Viele der AGs finden hier statt", erklärte sie weiter und ich nickte, folgte ihr aber weiterhin stumm, bis wir die vorletzte Etage erreicht hatten. „Diese Etage und die Etage darüber sind die Zimmer für die Schüler. Es gibt keine Trennung der Geschlechter, da jeder Schüler ein eigenes Zimmer erhält."

Verblüfft blickte ich zur Direktorin auf. Sie schien den Schülern wirklich sehr zu vertrauen, wenn sie riskierte, dass die Mädchen in der Nacht bei den Jungen lagen und anderes herum. Wobei natürlich die Tatsache, dass es erlaubt war, dem Ganzen ein wenig den Reiz nahm. Gleichzeitig aber hatte ich Angst, dass sich ein Junge vielleicht aufdrängen könnte. Es wäre nicht das erste Mal. Doch ich würde damit fertig werden.

Vielleicht trug dies tatsächlich dazu bei, um hier den Frieden zu wahren. Ich konnte es noch nicht sagen. Soweit ich das beurteilen konnte, gab es viele, gerade jüngere Menschen, die Dinge nur aus dem Grund heraus taten, weil sie verboten waren.

Meine Aufmerksamkeit wurde auf eines der Portraits gezogen, die hier überall herum hingen. Schöne Gemälde von Personen, die mich bisher jedoch nicht interessiert hatten. Doch nun trat ich näher auf das Bild zu und musterte es. Hatte ich mir das nur eingebildet, oder hatte es die Augen bewegt?

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Wenn euch die Geschichte gefallen hat, würde ich mich sehr über einen Vote und ein paar Anmerkungen in den Kommis freuen, was euch denn gefallen und was euch vielleicht nicht gefallen hat. Das würde mir sehr helfen und mich auch motivieren schnell weiter zu schreiben.


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