Kapitel 31

Am Morgen erwachte ich mit einem ziemlich erschreckenden Gedanken. Wenn meine Eltern weg waren, wo sollte ich dann hin? Wo sollte ich wohnen und wer wäre für mich da?

Ich schluckte und versuchte nicht schon gleich nach dem Aufstehen wieder anzufangen zu weinen. Stattdessen erhob ich mich zügig und schritt ins Bad, um mir die Haare zu kämmen. Dabei starrte ich in den Spiegel und konzentrierte mich darauf gar nichts zu denken. Das war auch der Grund, warum mir einige Dinge auffielen. Meine Haare waren irgendwie anders. Ich konnte nicht genau sagen wie, aber sie waren nicht mehr so braun wie vor einigen Tagen. Oder doch? Die Farbe sah anders aus, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich mir das nur einbildete war groß.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich atemlos aufkreischte, als es an der Tür laut klopfte. Weil ich nicht reagierte wurde noch einmal geklopft und dann riss jemand die Tür auf.

„Aurora! Bist du hier?", erklang Jacks unverkennbare Stimme. Er klang besorgt.

Ich trat ein Stück aus dem Bad und blickte ihn verwirrt an. „Was machst du denn hier?", wollte ich wissen und Jack musterte mich besorgt.

„Du bist nicht im Unterricht, das hat mir Sorgen gemacht, daher dachte ich, ich schau nach dir", erklärte er und lächelte mich ein wenig schief an. „Warum hast du geweint?", fügte er fragend hinzu und ich wischte mir schnell über die Wangen. Verdammt sie waren tatsächlich nass. Ich musste schrecklich aussehen und was sollte ich ihm jetzt sagen?

„Das ist eine lange Geschichte", sagte ich und hörte wie brüchig meine Stimme eigentlich klang.

Na wunderbar!

„Komm lass uns ein wenig raus gehen, dann kannst du dir deine Probleme von der Seele reden", schlug er vor und streckte auffordernd seine Hand in meine Richtung. Ich überlegte zögernd. Sollte ich mich darauf einlassen? Aber was blieb mir schon übrig? Ich hatte immerhin niemanden mehr.

Er kam so etwas wie einer Familie am nächsten, wenn ich so darüber nachdachte. Und er schien die magische Welt zu kennen. Ich konnte es versuchen. Also nahm ich seine Hand und ließ mich hinaus führen.

Wir liefen erst stumm nebeneinander her und genossen die Umgebung, während wir uns zwischen den Bäumen hinter der Schule einen Weg suchten. Ich liebte dieses Gelände. Einige Teile davon wirkten so verwuchert, dass man das Gefühl hatte in einem magischen Wald zu spazieren. Und die Wahrscheinlichkeit, dass man gesehen wurde, war auch sehr gering. Überall gab es Sichtschutz und so fühlte ich mich schließlich wohl genug, um es ihm zu erzählen. Und ich erzählte ihm wirklich alles. Das mit Aurelania, meinen Eltern und meinen Ängsten vor der Zukunft sowie meine Albträume.

Jack strich sich durch seine braunen Haare, als ich schließlich endete und seufzte frustriert. Dann zog er mich überraschend an sich und strich mir sanft über den Rücken. „Ich würde dir so gerne helfen", murmelte er und in mir stauten sich schon wieder die Tränen und drohten über zu laufen. So viele Gefühle machten sich in mir breit, dass ich mich einfach nur heillos überfordert fühlte.

Schließlich schob er mich ein Stück von sich und blickte mir in die Augen. Ein schiefes Grinsen auf den Lippen. „Wie wäre es, wenn ich dir was tolles zeige?", fragte er und mir war klar, dass er versuchte mich aufzumuntern. Ich wusste nicht, ob es eine große Erfolgswahrscheinlichkeit gab, doch ich nickte. Ich wollte ihn nicht traurig machen und ihm eine Change geben.

Jack grinste weiterhin und führte mich in einen Bereich des Waldes, der definitiv nicht gesehen wurde. Dann zog er sich plötzlich das Oberteil aus und begann seine Hose auf zu knöpfen. Schnell hob ich meine Hände vor die Augen. „Jack", mahnte ich leise, aber eindringlich.

„Keine Sorge ich habe nicht das vor, was du denkst, ich will nur nicht, dass sie kaputt gehen", erklärte er ruhig und das machte mich neugierig. Darum schob ich die Finger ein Stück auseinander, um hindurch schauen zu können.

„Jetzt hab' dich nicht so die Hose lasse ich an", versicherte er mir und ich nahm meine Hände ganz weg.

Eigentlich albern, denn ich hatte ihn beim Baden bereits ohne Oberteil gesehen. Aber es machte Spaß ein wenig zu albern. Es lenkte mich ab.

Dann bemerkte ich etwas, was mich einen Schritt zurück treten ließ und ich schnappte nach Luft. Seine Augen und seine Haut veränderten sich. Oder war das braunes Fell? Ich konnte es nicht fassen. Passierte das hier gerade wirklich?

Jacks Körper begann sich zu verformen und gebannt starrte ich auf das Schauspiel. Sein Kopf verformte sich, dann krümmte sich sein Rücken und seine Arme wurden zu den Beinen eines Tieres.

Als ich erneut nach Luft schnappte stand ein großer, brauner Wolf vor mir und schüttelten sich etwas.

„Werwolf", hauchte ich und mir blieb die Sprache weg. Das war ja genau wie in den Fantasyfilmen, die ich so liebte!

Trotzdem war es irgendwie furchteinflößend. Jack bewegte sich jedoch nicht. Als würde er es mir überlassen den ersten Schritt zu machen.

Ganz zögerlich und mit wild klopfendem Herzen streckte ich meine Hand aus. Jack schmiegte seinen Kopf leicht dagegen und ich fühlte das Staunen in mir aufkommen, als ich dieses wilde Tier streichelte. Sein Fell war wunderbar weich!

Meine Hand glitt immer weiter durch sein Fell, bis ich mich schließlich komplett an ihn schmiegte und meine Wange in seinem weichen Fell vergrub. Wie wunderbar das war, auch wenn er ein wenig nach nassem Hund roch. Aber nicht so schlimm.

Ich kuschelte wirklich mit einem Wolf und es war so schön, wie ich es mir vorgestellt hatte.

*Willst du mit mir laufen?*, erklang eine Stimme, die sich nur entfernt nach Jack anhörte. Sie erklang irgendwie in meinem Kopf und besaß einen gewissen Hall und ein leichtes Knurren.

Verwirrt blickte ich auf und dann zu Jack nach unten. Ich wusste nicht genau, wie diese Kommunikation funktionierte, also sprach ich einfach normal: „Was meinst du?", wollte ich wissen und ich erkannte wie sich die Lefzen des Tieres hoben. Als würde er grinsen. Dabei entblößte er allerdings seine Zähne, die mich doch ein wenig schaudern ließen. So große Stärke Beisserchen.

Jack bewegte sich ein Stück und sagte dann: „Steig auf."

Ich legte den Kopf schief und musterte ihn kurz, ehe ich kurzerhand auf seinen Rücken kletterte.

Es war ein wirklich faszinierendes Gefühl. Ich fühlte mich plötzlich unendlich mutig und abenteuerlustig. Und dann begann er sich zu bewegen. Zuerst hatte ich das Gefühl gleich zu fallen, doch schnell hatte ich mich an seine geschmeidigen, starken Bewegungen gewöhnt und fühlte den Wind zwischen meinen Haaren.

Jack würde immer schneller und tauchte mit mir durch den Wald, als wären wir bei einem Hinternisslauf.

Ich konnte nicht anders, als laut zu lachen und das Gefühl von Schnelligkeit zu genießen.

Dann wurde er langsamer und hielt schließlich an einen kleinen Teich an, der ziemlich versteckt zwischen massenhaft Büschen lag.

Mir war gar noch klar gewesen, wie groß dieses Gelände eigentlich war. Faszinierend und ein wenig erschreckend.

Jack hielt inne und ich rutschte von seinem Rücken. Mein Herz raste immer noch von diesem Ritt und würde sich wohl auch so bald nicht mehr beruhigen.

Neugierig sah ich zu, wie Jack an den See heran trat und ein wenig Wasser trank.

Ein Werwolf. Jack war tatsächlich ein Werwolf. Dass wollte noch immer nicht so richtig in meinen Kopf. Neben Vampiren waren Werwölfe meine liebsten Geschöpfe der magischen Wesen.

*Du Aurora?*, fragte Jack plötzlich sehr vorsichtig, was mich hellhörig werden ließ. Er war doch sonst nie so vorsichtig. Was war los?

„Ja?", fragte ich neugierig und beobachtete ihn wie er sich auf den Boden legte. Ich setzte mich dazu und streichelte ihn vorsichtig. Auch um ihn etwas zu beruhigen, denn er schien aufgeregt zu sein.

*Ich habe da ein Problem: Mit Meggy*, begann er zögernd. Ich hob eine Augenbraue. Was konnte man mit Meggy schon für Probleme haben?

Ich fragte nicht nach und schwieg abwartend. Es würde nichts bringen ihn zu drängen. Er hatte mit dem Thema angefangen, also würde er es wohl auch weiter besprechen wollen. Aber da war scheinbar etwas, was ihn beschäftigte, weshalb er mit sich rang.

Schließlich holte er laut Atem und stieß ihn wieder aus. *Ich glaube ich habe mich in sie verliebt. Aber ich habe Angst damit unsere Freundschaft kaputt zu machen*, gestand er mir und ich musste grinsen.

„Das ist wunderbar", verkündete ich mit einem Grinsen und Jack wirkte irgendwie niedergeschlagen. Als hätte er irgendeine andere Reaktion erwartet.

„Warum?", fragte er knurrend und ich strahlte ihn an.

„Weil ich weiß, dass sie dich auch gern hat", erklärte ich. Warum sollte ich es verschweigen?

Jack sah mich ein wenig komisch an und ich hatte das Gefühl, dass er mit etwas unzufrieden war. Aber vielleicht lag es nur daran, dass er gerade ein Wolf war. Und die Mimik eines Wolfes zu deuten hatte ich vorher noch nie versucht. Möglichweise lag ich auch mit meiner Annahme komplett falsch.

Schließlich seufzte er und legte seinen Kopf auf seine Pfoten. Ich zuckte die Schultern. Kerle. Wer sollte die schon verstehen?


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