Kapitel 28

Die Tage die folgten waren unerwartet anstrengend, denn ich schief kaum eine Nacht in Ruhe durch. Ständig wachte ich schweißgebadet mitten in der Nacht auf und versuchte mein Herz wieder unter Kontrolle zu bringen.

Manche Nächste stand ich stundenlang vorm Fenster und blickte hinaus. Dort konnte ich sehr oft Venom beobachten, der durch die Nacht streifte und rauchte. Er schien ebenfalls nicht sonderlich gut schlafen zu können, doch zumindest wirkte er wesentlich ausgeruhter, als ich.

Meine Eltern, die ich jeden Abend anrief, versuchten mich zu beruhigen, doch es half nicht viel. Sie dachten es wäre die Nervosität vor den nächsten Stunden, denn ich verriet ihnen nichts über meine Albträume. Ich wollte sie nicht unnötig beunruhigen. Allerdings waren sie es, die mich beunruhigten. Sie verhielten sich seltsam. Waren teilweise sehr kurz angebunden und nahmen sehr spät ab. Ich machte mir Sorgen und wollte sie heute danach fragen. Es war einer meiner unterrichtsfreien Tage und so streifte ich ziellos durch den Garten, der mich seltsamer Weise sehr beruhigte.

Ich hielt das Handy in der Hand und wählte die Nummer, die mir so bekannt war, dass ich sie selbst im Schlaf beherrschte. Dann wartete ich, doch es hupte nur und schließlich ging die Mailbox ran.

Ich seufzte. Na ja, vielleicht waren sie noch nicht wach. Es war ja doch recht zeitig am Tag, redete ich mir ein, doch ich spürte ein leichtes Unwohlsein. Sie waren doch bisher immer rangegangen. Selbst zu dieser Stunde. Waren sie auf Arbeit? Hatte Dad vielleicht veränderte Schichten? Oder eine neue Arbeit? Waren Mom und Dad wieder umgezogen und deshalb so kurz angebunden gewesen?

Ich wusste es nicht genau und ließ mich auf meiner Bank nieder, um die Morgensonne zu genießen. Dabei wählte ich immer wieder die Nummer meiner Eltern und wartete auf eine Reaktion. Erneut nichts und die Angst begann mir die Kehle zuzuschnüren, während ich versuchte mich nicht davon beeinflussen zu lassen. Ich würde es einfach in ein paar Stunden nochmal probieren.

Einige Stunden später hielt ich das Handy in der Hand und die erste Träne tropfte darauf, während sich in meinem Magen ein Knoten breit machte.

Erneut wählte ich mit zittrigen Händen die Nummer, doch erneut erklang nur das Hupen und dann die Mailbox.

Ich schluckte und versuchte mir einzureden, dass alles in Ordnung war und mein Dad einfach nur auf Arbeit war, doch da auch meine Mom seit mehreren Versuchen nicht rangegangen war und bisher auch noch keiner zurückgerufen hatte, konnte ich diese Tatsache einfach nicht mehr abtun.

Was, wenn etwas passiert war? Was wenn sie einen Autounfall hatten?

Mom hatte mir eine SMS geschickt, dass sie gut angekommen waren und auch sonst hatten sie doch um diese Uhrzeit immer auf meine Anrufe reagiert. Keiner der beiden hatte eine Andeutung gemacht, dass sie vielleicht nicht da waren.

Ich schluckte und wollte erneut mit zittrigen Fingern wählen, als plötzlich Kians besorgte Stimme erklang und mich innehalten ließ.

„Aurora, ist alles in Ordnung?", fragte er leise und ich hob den Kopf.

Die Tränen machten es mir schwer zu sehen und ich musste sie erst bei Seite wischen, bevor ich Kian erkennen konnte.

Ich schluckte und weil ich meiner Stimme nicht traute, schüttelte ich den Kopf.

Kian setzte sich zu mir auf die Bank und nahm mich sanft in den Arm, während ich nicht mehr an mir halten konnte und meinen Tränen freien Lauf ließ.

„M... Meine Eltern...reagieren nicht", brachte ich schniefend hervor und wühlte in meiner Tasche nach einem Taschentuch. Ich hasste es, dass mir immer die Nase lief, wenn ich weinte.

Kian schluckte und drehte mich zu sich. Ich erkannte seinen ernsten Blick nur schwer, aber er machte mich noch panischer.

„Aurora, ich muss dir etwas erklären", sagte er leise und mit ungewohnten Ernst in der Stimme.

Meine Schultern sackten herab und die Panik schnürte mir fast die Kehle zu.

„Ihnen ist etwas passiert?", fragte ich heißer und wahrscheinlich erriet er es mehr, als er es hörte, denn ich war verdammt leise.

Mühsam blinzelte ich die Tränen weg und sah, wie er den Kopf schüttelte.

Doch die Erleichterung, die ich nun verspüren müsste kam nicht. Sein ernster Blick ließ das nicht zu.

„Ich muss dir etwas erklären und ich möchte, dass du mir zuhörst und mich nicht unterbrichst", sagte er weiterhin so ungewohnt ernst. Ich nickte, wusste aber, dass ich es nicht versprechen konnte.

„Deine Eltern sind... keine Menschen. Eigentlich sind sie nicht einmal lebendige Personen", erklärte er und ich versuchte zu verstehen. Nicht lebendig? Was meinte er? Was sollte das heißen?

Ich hatte nicht damit gerechnet, doch die Panik wurde so schlimm, dass ich kaum noch Luft bekam.

Kian hörte allerdings nicht auf zu erklären: „Als klar wurde, dass die Drachenkinder keine Überlebenschance hatten, wenn sie in der magischen Welt blieben, schlossen sich die Wesen ihrer Drachen zusammen und erschufen einen Zauber. Aus diesem Zauber wurden zwei Wesen geboren, welche die Drachenkinder in die Welt der Menschen begleiten sollten. Sie sollten über das Kind wachen und für es da sein. Das war alles, was man ihnen mitgab. Du erinnerst dich vielleicht noch daran, dass die in einem Heim gelebt hast. Ein Heim, dass für dich die Hölle war."

Ich fragte mich nicht, woher er wusste, dass ich in einem Heim gewesen war und ich wollte es auch gar nicht wissen. Zu sehr kämpfte ich gegen die Erinnerungen an, die ich versuchte seit Jahren zu leugnen. Die ich verdrängt und in die hinterste Ecke meines Bewusstseins gedrängt hatte.

Ich war keine Sechs gewesen, als mich der Mann, der das Kinderheim leitete, auf eine Art angefasst hatte, wie er kein Kind anzufassen hatte.

Es war schon vorher passiert und ich erinnerte mich, dass ich mich immer im Schrank versteckt hatte, wenn er da war. Doch an diesem Tag hatte er mich gefunden.

Mühsam versuchte ich Luft zu holen, während ich mich daran erinnerte, dass ich bereits halb nackt gewesen war, als plötzlich SIE auftauchten.

In meinen Erinnerungen waren sie immer von einem hellen Schein umgeben gewesen und hatte geleuchtet wie es Engel tun sollten.

Der Heimbesitzer war erschrocken zurückgewichen und dann hatten sie mich adoptiert.

Ich hatte es immer gewusst, doch ich war mit ihnen so glücklich gewesen, dass ich es vor mir selbst geleugnet hatte.

„Sie sollten sein, was immer du dir wünschst", sagte Kian nun sanfter und ich schnappte hektisch nach Luft, als ich spürte, dass mein Kopf begann zu schmerzen, weil ich meinem Hirn zu lange die Luft verwehrt hatte.

„Was?", brachte ich keuchend hervor.

„Das was du dir gewünscht hast, waren dich liebende und verstehende Eltern", beendete er und ich spürte einen stechenden Schmerz in der Brust.

Sie waren nicht real? Es hatte sie nie wirklich gegeben?

In diesem Moment brach für mich eine Welt zusammen und meine Tränen ergossen sich ungehindert über meine Wangen und ich weinte ungehemmt.

Mir gingen so viele Gedanken durch den Kopf, doch der, der mich am meisten mitnahm, war die Frage, warum ich mich nicht noch länger und intensiver von ihnen verabschiedet hatte. Warum hatte ich sie so schnell weggeschickt? Warum hatte ich die Zeit nicht genossen? Warum war ich auf dieses verfluchte Internat gegangen?

Ich wollte doch nur normal sein und jetzt auf einmal war ich das genaue Gegenteil und zu allem Überfluss waren auch noch die Personen verschwunden, die für mich das einzige Licht in der Dunkelheit darstellten!

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Würde mich sehr über eure Meinung dazu freuen.

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