Kapitel 2

Kapitel 2:

Felder, Felder, Felder, oh ein Strauch, Felder, Felder...

Seufzend wandte ich den Blick von den ewigen Feldern meiner Umgebung ab und hing meinen Gedanken nach, während ich mit den Fingern meine braunen Haare eindrehte und ein wenig damit spielte.

Während ich die letzte Stunde, die ich auf einer öffentlichen Schule verbracht hatte, rekapitulierte, fragte ich mich, ob meine bloße Gegenwart vielleicht die Gewaltbereitschaft meiner Umgebung steigerte. Ob ich vielleicht irgendeine bescheuerte Superkraft hatte.

Bei diesem Gedanken musste ich schon fast lächeln. Es war freundlos und eher resigniert, weil ich mich über mich selbst lustig machte. Ja eine Superkraft wäre schön! So wie in den Filmen. Aber es waren nur Filme. Ich hatte mich schon früh damit abgefunden, dass ich nichts Besonderes, nur anderes war. Dabei wollte ich so gern normal sein.

Dafür war ich sogar bereit gewesen, einen Psychologen aufzusuchen. Mit dem Ergebnis, das es noch schlimmer wurde und wir die Stadt erneut hatten wechseln müssen.

Damit hatte ich, außer Irrenanstalt, schon alles ausprobiert, was ich ausprobieren konnte und was mir einfiel.

Mein Blick glitt ein wenig verstohlen auf meine kleine Handtasche, die zwischen meinen Beinen stand und ich hoffte, dass ich diese Tabletten, die darin verborgen waren, nicht brauchte.

Ein Überbleibsel meines Psychologenbesuches. Antidepressiva. Zum Einschlafen!

Wunderbar! Schon alleine das klassifizierte mich als Problemkind, wie es doch so schön gesagt wurde.

Damit war ich auf diesem Internat auch wunderbar aufgehoben.

Ein Internat für Problemfälle, die nirgendwo rein passten. So wie mich.

Ich hatte es selbst im Internet herausgesucht und meine Eltern waren nicht begeistert gewesen. Immer wieder hatten sie betont, dass es nicht an mir lag, sondern an meiner Umgebung. Doch ich war mittlerweile so weit, dass ich das nicht mehr glauben konnte.

Es hatte mich lange Zeit und harte Arbeit gekostet, sie zu überreden, mich dort einzuschreiben und nun war es endlich so weit.

Nur war ich mit dem Nerven am Ende und völlig panisch, auch wenn ich es gut versteckten konnte. Zumindest waren meine Eltern noch nicht wieder umgedreht!

Was würde dort auf mich zu kommen? Würde sich mein Leben dadurch ändern? Konnte ich hier einen Neubeginn wagen? Würde ich diese Zeit ohne meine Eltern überhaupt überstehen? Ich war, wenn ich mich richtig erinnerte noch nie so lange von ihnen getrennt gewesen. Nicht seit dem...

„Aurora?", erklang die Stimme meiner Mom und ich sah dankbar vom Fenster auf und hackte den Gedanken ab. Wann hatte ich eigentlich wieder damit begonnen, aus dem Fenster zu starren?

„Ja?", fragte ich unsicher und sie reichte mir ein belegtes Brot.

„Iss etwas, wir sind noch eine Weile unterwegs", meinte sie mit einem schiefen Lächeln. Sie war besorgt um mich und ich wusste, dass ich sie jeden Tag anrufen musste, damit sie nicht vor Sorge starb. Was gut war, denn so konnte ich auch mein Verlangen nach ihrer Nähe stillen. Etwas, was die Psychologin als ‚Verlassensängste' definiert hatte. Und als sie gefragt hatte, ob es vielleicht mit den Ereignissen zusammenhing, als ich sechs Jahre war, war ich aus dem Zimmer gestürmt und nie wieder zu ihr gegangen. Es gab einfach Themen, die in meiner Gegenwart Tabu waren.

Und weil ich nicht schon wieder in diese Gedanken, die ich für immer verschlossen geglaubt hatte, versinken wollte, nahm ich das Brot entgegen.

„Danke", sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln, dass von meiner Mom erwidert wurde. Käse, Putenbrust und Salat. Eine Zwischenmalzeit, die ich gerne aß, also öffnete ich den Mund und biss hinein. Der Geschmack lenkte mich eine Weile ab und genüsslich kauend drehte ich mich wieder dem Fenster zu und ließ meine Gedanken kreisen. Versucht auch einmal ein paar schöne Dinge zu sehen, wie die Urlaube mit meinen Eltern.

Kauen erinnerte ich mich an den Urlaub zurück, in dem wir im Delphinarium gewesen waren und ich auf einem Delphin reiten durfte. Eine meiner liebsten Erinnerungen.

An der nächsten Kreuzung links abbiegen, ertönte die Stimme unseres Navis und das Auto wurde langsamer.

„Hier ist doch gar keine Kreuzung", meinte mein Dad und klang besorgt.

Ich drehte mich wieder vom Fenster weg, um zwischen den Autositzen hindurch auf die Straße zu schauen. Meine Aufmerksamkeit nun voll auf die Situation gerichtet. Oder zumindest so gut es bei meiner Müdigkeit ging.

Die Straße war gerade und links und rechts waren Felder, die nur ab und an durch einige Bäume unterbrochen wurden. Selbst das Navi zeigte keine Kreuzung in der Nähe an.

„Vielleicht ein Programmierfehler und sie meinen einen Feldweg zwischen den Feldern?", fragte ich kauend und blickte über den Rückspiegel in Dads Gesicht. Ich versuchte mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, denn ich wollte, dass er weiter fuhr. Sonst überlegte ich es mir am Ende noch anderes!

Mein Dad runzelte nachdenklich die Stirn, wie er es immer tat, wenn er abwog, ob das, was ich gesagt habe, Sinn ergab. „Also einfach in den nächsten Feldweg einbiegen, der links ab geht?", wollte er wissen.

„Hmhm", murmelte ich zustimmend und schluckte. „Wenn nicht, wird sich das Navi schon melden."

Dad nickte. Wieder einmal ein Zeichen dafür, wie sehr sich meine Familie doch von anderen unterschied. Wir diskutierten zwar oft, doch noch nie hatte ich das Gefühl, dass meine Meinung nicht zählte. Oder das meine Vorschläge nicht gehört wurden. Es war schon fast gruselig, wie verständnisvoll meine Eltern waren und wie gut sie mich kannten.

Sie sprachen mich nicht an, wenn ich schlechte Laune hatte, oder bedrängten mich, wenn ich nicht dafür bereit war. Und manchmal, wenn ich wütend war, nahmen sie mich einfach in den Arm, als wüssten sie genau, was ich in diesem Moment brauchte.

Ich bekam nicht immer meinen Willen, doch man hörte mir zu und wenn meine Argumente logisch waren, dann waren meine Eltern auch bereit einmal zurück zu treten und ihren Standpunkt zu überdenken. Das hatte ich noch nicht oft in den Familien gesehen.

Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass ich anderes Familienleben nur durch das Fernsehen kannte.

Das war schon seltsam, aber vielleicht hatte ich nur einen verklärten Blick auf die Realität, weil sie mein Licht in der Dunkelheit waren.

Mein Dad bog links in einen Feldweg ein und das Navi reagierte darauf, indem es uns sagte, wir sollen weiter geradeaus fahren.

Dann begannen sich die Felder zu lichten und Wiesen nahmen ihre Plätze ein.

In weiter Ferne konnte ich einen Wald sehen und auch kurz einen Fluss.

Das Auto holperte auf den Erdweg, der recht eingefahren war und von regelmäßiger Benutzung kündete. Doch plötzlich wurde das Holpern schlimmer, als die Erde zu unregelmäßig gehauenem Stein wurde.

Das erinnerte mich irgendwie an die Baukunst vor vielen Jahrhunderten. Als wäre die Zeit stehen geblieben und wir würden durch ein Zeitportal in eine andere Zeiteben fahren.

Wie aufs Stichwort kribbelte mein Körper, doch das war nur Einbildung. Ich hatte solche Erlebnisse oft. Das ich an Dinge dachte, die ich aus Filmen kannte und mein Körper seltsam darauf reagierte. Ich hatte mit der Zeit gelernt ihnen keine Bedeutung mehr beizumessen. Oder anders gesagt: Ich war ihnen entwachsen.

Am Wegrand tauchte ein alter Steinbrunnen auf, der ein wenig mit Efeu bewachsen war und dahinter gab es ein paar Bäume, die ein kleines Wäldchen bildeten.

Dann änderte sich der Weg wieder und wurde zu Kies. Das Holpern wurde ruhiger und die Fahrt angenehmer.

Wer baute denn so einen Weg? Möglich, dass er durch unterschiedliche Bundesländer führte, aber so wirklich logisch war das auch nicht. Wahrscheinlich kümmerte sich einfach niemand darum. Aber er war jedenfalls eine Zumutung für jeden Autofahrer, der hier lang kam. Aber vermutlich gab es hier nicht genügend Verrückte, die sich hier her verirrten, um sich zu beschweren.

Sie haben ihr Ziel erreicht, ertönte es aus dem Navi und Dad wurde langsamer, ehe er stehen blieb.

„Bitte?", fragte ich und blickte mich um. Mein Dad kratzte sich im Nacken, wie er es gerne tat, wenn er ratlos war.

„Ich...", murmelte er, brach dann aber ab, ehe er sich fast schon hilfesuchend zu mir drehte. Das tat er oft und manchmal hatte ich da Gefühl die Erwachsenere von uns zu sein. „Vielleicht geht das Navi nicht", überlegte er, doch das war nicht der erste Gedanke, der mir kam.

Mir kam der Gedanke, dass ich vielleicht einem Fake auf den Leim gegangen war. Dass es dieses Internat gar nicht gab. Welche Schule hieß schon ‚Dragon Hill'?

Aber ich hatte tatsächlich einige Schulleiter gefunden, die mir davon erzählen konnten. Es musste also existieren! Ich würde es mir solange sagen, bis ich es glaubte, oder gesehen hatte!

„Lasst uns aussteigen und uns umschauen", meinte meine Mom voller Tatendrang. Sie, sowie mein Vater, würden eher Stunden suchen, als zu sagen, dass ich Mist gebaut hatte. Warum war mir schleierhaft.

Ich atmete tief durch und ärgerte mich über mich selbst, stieg aber zusammen mit meinen Eltern aus.

Die Sonne schien gnadenlos vom Himmel und ich zog mir das Bolero aus dem feinen Stoff über, damit meine Arme keinen Sonnenbrand bekamen.

Von meinen alten Mitschülern wurde ich für den ‚Gardienenstoff' immer wieder gehänselt, doch ich mochte es. Das meine Mom es mir geschneidert hatte, hatte damit überhaupt nichts zu tun!

„Da hinten!", rief mein Vater plötzlich, der ein wenig vor gelaufen war und ich rannte auf ihn zu. Dabei knirschte der Kies unter meinen Füßen und ich hörte das leise Rauschen eines Flusses, sowie das Flüstern eines nahen Waldes. Doch bisher konnte ich nichts davon sehen.

Je näher ich Dad kam, desto lauter wurde das Wasserplätschern und schließlich sah ich, was Dad meinte.

Er stand da und kratzte sich am Kopf, während ich neben ihm zum Stehen kam.

Wir standen auf einem leichten Hang und konnten hinab blicken zu einem... Schloss?

Nun es war nicht wirklich ein Schloss, aber da es eingezäunt war, einen Garten besaß, der die Gärten von Versailles zu imitieren schien und altertümlich anmutete, entschied ich mich dazu, es Schloss zu nennen. Außerdem hatte es so etwas wie einen kleinen Wald im hinteren Bereich und teilweise versteckt hinter dem Gebäude, das eindeutig der Blickfang war.

„Das...", begann ich und suchte nach Worten. „Sieht ja ganz anders aus, als auf den Fotos."

„Wahnsinn", gab meine Mom von sich, die sich neben uns stellte und wir genossen den Anblick.

Auch wenn es noch recht weit weg war und ein riesiges Gelände, war die Schönheit kaum zu übersehen. Alles wirkte unglaublich liebevoll, selbst auf diese Entfernung.

Mein Dad kniff die Augen zusammen, als würde er sich Mühe geben, etwas zu erkennen. Lag wohl an seiner Brille.

Mein Blick glitt über das Gebäude, als plötzlich ein riesiger Schatten hinter dem Gebäude aufstieg und Richtung Himmel verschwand.

Ich hielt die Luft an und ein Schauer lief mir über den Rücken.

Eine Weile starrte ich auf den Punkt und machte mir Gedanken darüber, was es sein könnte, ehe ich mich zu meinen Eltern drehte.

„Habt ihr...", begann ich und erhielt sofort die Aufmerksamkeit meiner Eltern, doch ich verkniff mir die Frage. Das war sicher nur Einbildung. Ein Sonnenstich, oder sowas. Eine Fata Morgana vielleicht. Hätten meine Eltern das gesehen, hätten sie sicher reagiert.

Was war das nur gewesen? Ein so riesiger Schatten, der sich bewegt hatte, wie ein Monstrum war sicherlich kein Schwarm Vögel, oder? Aber mir fiel auch nichts ein, was es sonst hätte sein können. Welches Tier war so groß und unförmig? Vielleicht war es ja ein magisches Wesen?

Aurora Ardelia, Nein! Du wirst nicht noch herumposaunen, wie verrückt du bist!

Ich schüttelte den Kopf. „Habt ihr erwartet, dass es so riesig ist?", fragte ich und tat so, als wäre es das, was ich die ganze Zeit fragen wollte. Aber es stimmte auch. Irgendwie hatte ich etwas anderes erwartet, obwohl der Name schon anmutete, dass es etwas großes sein würde. Dennoch war mir irgendwie ein verschlafenes Städtchen mit einer Schule in den Sinn gekommen. Vielleicht flankiert von Bergen und Wäldern. Aber doch nicht das hier!

Meine Mom zog hörbar die Luft ein. „Nein, ich weiß nicht recht was ich davon halten soll", gestand sie und wir blieben noch eine Weile stehen, bis wir uns wieder abwandten, zum Auto liefen und uns auf den Weg machten, um die Dragon Hill zu erreichen.

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Wenn euch die Geschichte gefallen hat, würde ich mich sehr über einen Vote und ein paar Anmerkungen in den Kommis freuen, was euch denn gefallen und was euch vielleicht nicht gefallen hat. Das würde mir sehr helfen und mich auch motivieren schnell weiter zu schreiben.


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