Kapitel 16


„Da bist du ja wieder Schlafmütze", begrüßte mich Kians Stimme und ich blinzelte, ehe ich die Augen auf schlug. Fahles Licht erhellte den Raum und sorgte dafür, dass ich nicht geblendet wurde. Wie angenehm.

Das erstes, was mir auffiel war der Geruch: Mein Bett.

Dann blickte ich zu Kian und weiter.

Mein Zimmer.

Ich atmete erleichtert auf. Ein Traum! Es musste einfach ein Traum gewesen sein. Alles andere war viel zu surreal.

„Ist sie aufgewacht? Ich will was sehen", beklagte sich eine weibliche Stimme und ich blickte zur Seite. Auf meinem Schreibtisch stand der weiße Spiegel.

Es überkam mich wie eine kalte Briese: Kein Traum.

Ich schloss kurz die Augen, um nicht wieder zusammenzureißen. Ich musste wohl oder übel mit der Wahrheit leben, nur wusste ich nicht, ob ich dafür bereit war.

Mein Gehirn fing wieder an zu arbeiten und ich fragte mich, wie ich hier her gekommen war.

Ach ja, ich war zusammengebrochen.

Gott war das peinlich. Aber irgendwie war ich sehr wohl fertiger gewesen, als angenommen.

Ich blickte erneut zu Kian und dann zu dem Drachen im Spiegel. Ich verstand noch immer nicht ganz, was hier los war. Aber das konnte mir auch keiner übel nehmen. Jeder würde in meiner Situation so reagieren, oder?

Wir waren Kinder aus einer magischen Welt? Das war ein wenig... seltsam.

Aber das erklärte zumindest alles. oder eher vieles.

„Frage", sagte ich und erhielt Kians Aufmerksamkeit. „Haben wir Hauskobolde?"

Mir fiel keine bessere Frage ein, aber diese Frage beschäftigte mich nun schon eine ganze Weile. Warum sie nicht also stellen?

Kian lachte plötzlich auf. „Oh ja. Sie sind fasziniert von dir. Sie sagen, du hättest ihnen ein Geschenk gemacht", erklärte er und musste erneut lachen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass man meine Verwirrung deutlich an meinem Gesicht ablesen konnte. Es dauerte etwas, bis mir einfiel, was er vielleicht meinen könnte.

„Die Kekse", sagte ich nüchtern und hätte mir am liebsten die Hand auf die Stirn geschlagen. Wie konnte ich nur so vergesslich sein?

Kian schien sich ein wenig zu beruhigen.

„Geschenke zu bekommen heißt für Hauskobolde, dass sie ihre Aufgabe gut gemacht haben. Aber verwöhne sie nicht zu sehr, sonst werden sie faul", warnte mich Aurelania und es fühlte sich mittlerweile nicht mehr komisch an mit ihr zu sprechen.

„Was heißt das alles jetzt für mich? Ich verstehe nicht ganz was los ist und was von mir erwartet wird", sagte ich und sprach schneller als sonst, weil ich mich irgendwie verloren fühlte.

„Du wirst mehr über deine Vergangenheit lernen und du wirst lernen müssen, wie du mit diesem Spiegel umgehen musst", erklärte Aurelania und klang unglaublich liebevoll. Als wäre sie eine Mutter die mit ihrem Kind sprechen würde.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Wie war wohl meine echte Mutter? War sie auch so wundervoll und liebevoll wie meine Mom? Ich würde es gerne wissen und hatte gleichzeitig Angst davor es heraus zu finden.

„Warum soll ich das lernen?", wollte ich leise wissen.

„Es ist wichtig, dass du dich verteidigen kannst. Wir wissen nicht wann die Magie in dir erwacht und das ist gefährlich für dich und deine Umgebung. Daher wirst du es lernen. Auch für den Fall, dass die Mächte, die unsere magische Welt zerstört haben, auf die Erde kommen", erklärte Kian und wirkte angespannt. Wie sie kamen auf die Erde?

Woher wusste er das eigentlich alles?

Mein Blick war sicherlich verwirrt, aber seine Erklärung hob meine Verwirrung nicht auf.

„Noch bist du nicht bereit dafür mehr zu erfahren", sagte er und es klang endgültig. Ich verzog unwillig das Gesicht und war irgendwie wütend auf ihn. Aber wahrscheinlich hatte er auch seine Befehle. Wer konnte schon sagen was er mir erzählen durfte und es nicht.

Ich ging einfach mal davon aus, dass er tiefer in die Sache verstrickt war, als ich und wahrscheinlich hatte er irgendeinen Lehrer, oder die Direktorin im Nacken, die ihm sagte, was er erzählen durfte und was nicht.

Ich war mir ziemlich sicher, dass Aurelania niemanden Rechenschaft schuldig war, aber auch sie schwieg. Schien als wäre sie derselben Ansicht.

„Wie wird das laufen?", fragte ich unsicher. Irgendwie war ich noch nicht so sonderlich angetan davon, dass ich magisch war. Was auch immer das hieß. Kian sprach von Magie. Wie nutzte man diese? Was machte sie mit meinem Körper und warum spürte ich davon überhaupt nichts?

Venom hatte seine Augen und Daliah sah wohl angeblich Geister. Aber ich war doch ziemlich normal, oder?

Es war schon irgendwie cool nur vertrug es sich nicht mit meinem Wunsch ein normales Leben zu führen.

„Das wird dir Sarah dann erzählen. Ich bin mir sicher auch Venom und Daliah haben Fragen", sagte er und musterte mich nachdenklich.

Irgendwie dachte ich, dass die anderen ihre Fragen schon gestellt hatten. Aber wahrscheinlich hatte niemand Lust, die gleichen Fragen drei Mal zu beantworten. Daher klang es irgendwie logisch, dass wir alle zusammen zur Direktorin sollten.

Ich musste über mich selbst schmunzeln. Meine Eltern hatten es tatsächlich geschafft mir einzubläuen, dass man Dinge immer erst logisch betrachten sollte. Das hatte schon oft geholfen, auch wenn es schwer war die Emotionen zu unterdrücken und erst zu denken, dann zu handeln. Es gelang mir in 4 von 5 Fällen jedoch ganz gut.

Kian lächelte plötzlich und reichte mir eine Hand. „Komm wir gehen in die Mensa essen. Du siehst aus, als könntest du was vertragen."

Leicht irritiert, aber dankbar für die Ablenkung ließ ich mich von ihm hoch und aus dem Bett ziehen.

Ich trug noch meine Kleidung, aber sie war sauber.

Ich fragte nicht. Wahrscheinlich waren es die Kobolde gewesen, die sie gereinigt hatten.

Irgendwie klang das schon ziemlich toll. Mit Magie einfach so Kleidung reinigen zu können würde eine ganze Menge Arbeit sparen.

Während Kian mich durch die Gänge Richtung Mensa führte, sinnierte ich darüber, was man mit dieser Fähigkeit anfangen könnte.

Schließlich betraten wir einen Raum, der auf mich riesig wirkte.

Er war in hellen Farben gehalten und man erkannte gut den Versuch, es ein wenig griechisch wirken zu lassen.

An den Ecken gab es Säulenornamente, doch das täuschte nicht darüber hinweg, dass es eine Mensa war. Es gab eine recht große Essensausgabe und eine ganze Menge Tische und Stühle.

Mein Blick schweifte über die Schüler. Es war reger Betrieb, obwohl ich glaubte, dass gerade Unterricht war.

Vorrangig die jüngeren Jahrgänge waren hier.

Ich fühlte mich zwischen so vielen Menschen nicht wirklich wohl, trotzdem folgte ich Kian an die Essensausgabe. Mein Hunger siegte über meine Nervosität.

Es gab eine kleine Auswahl an Speisen und ich entschied mich für Kartoffelsuppe.

Diese war nahrhaft und machte satt.

Mit einem Tablett und einer Cola folgte ich Kian zu einem Tisch und ließ mich nieder.

Kian grinste mich an und setzte sich mir gegenüber.

Ich wollte gerade anfangen zu essen, als ein Schatten über mich fiel.

„Ey, Kleine. Du sitzt auf meinem Stuhl", erklang eine verärgerte Stimme und ich legte den Kopf in den Nacken.

Die wasserstoffblonden Haare waren wie immer von Wind zerzaust und die schwarze Sonnenbrille saß dort, wo sie zu sitzen hatte.

Sein Gesicht bedrohlich genug, um andere zu verscheuchen. Aber nicht mich.

„Wirklich?", fragte ich, als wäre ich wirklich bestürzt. Dann zuckte ich die Schultern. „Musst du dich wohl wo anders hin setzen. Es sei denn du bist zu schwer und hast diesen Stuhl spezialanfertigen lassen", sagte ich ruhig, als würde ich mich geschlagen geben.

Kurz schien Venom so, als wäre er zufrieden, bis er realisierte was ich gesagt hatte und unwillig das Gesicht verzog.

„Ich würde sagen verloren", meinte Kian und versteckte sein Lächeln eindeutig hinter dem Glas Fanta das er an den Mund gehoben hatte.

„Weißt du, du wirkst so süß und unschuldig, bist du den Mund auf machst", sagte Venom und wirkte angepisst.

Er drehte sich zum Nachbartisch und packte einen Stuhl. Das darauf noch eine Tasche stand war ihm völlig egal. Er schubste sie einfach herunter.

Dann stellte er sich den Stuhl zu uns an den Tisch und setzt sich.

„Ich hab jemanden gefunden, für unsere Band", erklärte er schlicht an Kian und dieser hob eine Augenbraue. Ich horchte interessiert auf. Band?

„Hast du im Moment nichts Besseres zu tun?", fragte Kian ein wenig unschlüssig. Venom schnaubte. „Ich stelle doch nicht mein ganzes Leben um. Das wäre doch die Krönung", empörte er sich und ich musste grinsen. So etwas ging auch mir im Kopf herum.

Mochte sein, dass wir nicht ganz menschlich waren, aber davon würde ich mich nicht abhalten lassen so normal wie möglich zu sein.

„Was ist das für eine Band?", wollte ich wissen und hatte sofort die Aufmerksamkeit der beiden Männer.

„Wir versuchen schon seit einiger Zeit eine Band zu gründen, aber uns fehlt es an Talenten", versuchte es Kian freundlich auszudrücken.

„Die meisten hier sind einfach schrecklich und können nicht einmal ein Instrument spielen", erklärte Venom sichtlich verärgert.

„Verstehe", meinte ich und musste mir ein Grinsen verkneifen. Ich konnte es mir irgendwie gut vorstellen wie beide als Jury da saßen und sich Schüler anhören. „Wie oft ist Venom aus dem Zimmer geflüchtet?", wollte ich von Kian wissen. Dieser grinste.

„Nur einmal mehr als ich", erklärte er und ich riss die Augen auf. Das hatte ich nicht erwartet. Nun dann waren die Leute wohl wirklich so schlecht. Wenn sogar Kian die Flicht ergriff.

Ob ich erwähnen sollte, dass ich Klavier spielte?

Vielleicht später, wenn ich sie spielen gehört hatte. Möglich, dass beide ebenfalls sehr schlecht waren.

Es interessierte mich wirklich, denn das war normal.

Nicht so surrealistisch wie der Drache im Spiegel.

„Kann man euch denn mal spielen hören?", fragte ich neugierig und blickte Kian an, da ich von Venom keine Antwort erwartete.

Dieser lächelte. „Du bist herzlich zu unseren Proben eingeladen", versprach Kian.

„Aber vorher werden wir uns mit Sarah treffen", fügte er hinzu und ich seufzte innerlich. Auch wenn ich neugierig war wusste ich nicht so recht was ich davon halten sollte.

Venom schnaubte und erhob sich. „Wir sehen uns dort", erklärte er und erst jetzt fiel mir auf, dass er gar kein Essen hatte. War er nur wegen der Band hier her gekommen?


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top