13
Schmerz. Das war das erste, was ich nach meinem aufwachen wahrnahm. Schmerz und ein tosendes Geräusch. Aber war ich überhaupt wach? Ich wusste es nicht. Alles, was ich sah, war Dunkelheit. Ich versuchte mich zu bewegen, aber es gelang mir nicht. Es war beinahe so, als wäre mein Körper betäubt, nur der Schmerz strafte diese Gedanken lüge. Erst nach einer Weile bemerkte ich, dass ich meine Augen geschlossen hatte. Ich versuchte sie zu öffnen, was mir nach mehreren Anläufen schließlich gelang. Über mir sah ich nur Felsen. Auch der Boden, auf dem ich lag, schien hart zu sein. Mühevoll versuchte ich mich hochzustemmen, allerdings gelang es mir nur, in eine sitzende Position zu kommen. Gänzlich aufstehen wagte ich mich noch nicht. Allein diese Bemühung hatte mich schon Kraft gekostet und mir ein Schwindelgefühl verpasst. Erst als mein Kopf aufhörte sich zu drehen, sah ich, dass ich mich in einer Höhle befand und ich war nicht allein.
Ein Drache mit weißem Fell saß am Eingang und starrte auf den Wasserfall, der vor der Höhle hinabfiel. Ich erinnerte mich, dass ein solcher Drache den dunkelblauen angegriffen hatte. Hatte der Weiße etwa gewonnen und mich als Trophäe mitgenommen, fragte ich mich. Andererseits wäre ich sonst wohl kaum hier. Jedoch drängte sich mir die Frage auf, warum ich noch lebte. Ich musterte den Drachen genauer. Während der dunkelblaue einen langen Spitzzulaufenden Schwanz hatte, hatte dieser hier drei buschige Schweife. Die Federn der Flügel wirkten wie flüssiges Silber. Seine Kopfform war auch nicht wirklich der eines Drachen, sondern eher der eines Wolfes. Auch besaß er nicht solche Klauen, sondern Pranken mit langen scharfen Krallen.
Ich wusste durch meine Ausbildung, dass dies ein Wolfsdrache war. Sie waren in den Büchern immer als wunderschön und sehr gefährlich beschrieben. Diese Drachen spuckten kein Feuer. Sie lockten mit ihrem Heulen die Seelen der Menschen aus deren Körper und vernichteten sie. Zurück blieb nichts, als eine seelenlose Hülle, die nicht selten zum Mörder wurde. Allerdings galten diese Drachen auch mittlerweile als ausgestorben. Aber offenbar war das eine Fehlinformation. Meine Seele schien noch vorhanden zu sein, zumindest fühlte ich mich nicht anders als vorher. Ich versuchte aufzustehen, hielt aber mitten in der Bewegung inne.
»Du solltest lieber noch nicht aufstehen«, sprach der Drache, ohne sich zu mir umzudrehen.
Überrascht blickte ich zu ihm. »Du – Du kannst sprechen?«, fragte ich ihn ungläubig.
»Natürlich. Ihr Menschen habt die Sprache von uns gelernt.« Das hörte ich zum ersten Mal. Ich hatte viele Schriften und Bücher über Drachen gewälzt, aber in keinem davon stand, dass diese Wesen sprechen konnten, geschweige denn, dass wir das von ihnen gelernt hatten. Außerdem töten Drachen uns, wieso also sollten sie uns was beibringen? Das war doch bestimmt bloß eine Lüge, dachte ich bei mir.
»Willst du mir jetzt meine Seele nehmen und sie auslöschen, Wolfsdrache?«, wollte ich nun von ihm wissen und legte in das letzte Wort so viel Verachtung rein, wie ich nur konnte.
»Ihr Menschen habt scheinbar jeden Anstand verloren. Oder ist das eure Art euch bei eurem Lebensretter zu bedanken, in dem ihr diesen beleidigt?«
Lebensretter? Sollte das heißen, dass dieser Drache den anderen angegriffen hatte, um mich zu retten? Nein das war unmöglich. Drachen waren kaltblütige und brutale Kreaturen, die nur Tod und Zerstörung brachten. Sie waren sicher keine Retter. Erst als ich wieder zu dem Wolfsdrachen sah, bemerkte ich, dass er sich mir zugewandt hatte. Der Blick seiner eisblauen Augen, ließ mich erstarren.
Einst hatte mir meine Mutter einmal erzählt, dass die Augen der Spiegel zur Seele seien. Darin würde man erkennen, ob das Leben von jemandem voller Freude und Liebe war, oder ob Leid und Schmerz überwogen hatten. In den Augen des Wesens vor mir, sah ich so viel Schmerz und Trauer, dass es mir beinahe das Herz zerriss.
»Ihr Menschen habt vergessen, was früher war. Es herrschte Frieden zwischen uns, ihr habt uns sogar als Götter verehrt. Nie hätte einer von uns euch je Leid zugefügt. Doch dann kam dieser Tag, der alles verändert hatte.«
Konnte das stimmen? Tatsache war, dass wir nichts über die verlorene Zeit wussten und er hatte keinen Grund sich eine solche Geschichte auszudenken. Wenn er also die Wahrheit sprach, was hatte sich geändert? Wieso fingen die Drachen an uns anzugreifen? »Was ist an diesem Tag passiert?«, fragte ich ihn neugierig.
»Das ist jetzt unwichtig. Du solltest dich nun lieber ausruhen. Tut die Wunde noch weh?« Seine besorgt klingende Stimme überraschte mich aufs neue.
Doch noch mehr verwunderte mich die plötzliche Wärme und Güte in seinen Augen. Waren die Drachen tatsächlich nicht so böse, wie ich immer gedacht hatte? Ich wusste, dass es als Kriegerin eigentlich meine Aufgabe war, Drachen zu töten. Doch dieser hier hatte den Tod nicht verdient, er hatte mir das Leben gerettet. Und das, obwohl er gewusst haben musste, dass ich zu den Kriegern gehörte. »Wie heißt du eigentlich?«
»Naluth. Das bedeutet soviel wie Silberschweif in der alten Sprache«, erklärte er mir. Als ich mich vorstellen wollte, unterbrach er mich sofort. »Ich weiß, wer du bist Elyscia. Dein Ruf hat mich zu dir gelockt.«
»Mein – Mein Ruf?«, fragte ich ungläubig. »Wie meinst du das?« Gebannt schaute ich zu ihm auf. Daraufhin wollte er von mir wissen, ob man mir nie gesagt hätte, was es mit Drachen förmigen Mal auf meinem Körper auf sich hatte. Tatsächlich hatte ich ein solches auf meinem linken Oberschenkel, knapp unterhalb der Hüfte. Man hatte mir immer gesagt, dass dies ein seltsam geformtes Muttermal sei. Dies teilte ich Naluth auch mit. Dabei fragte ich ihn auch, wie er das wissen konnte.
»Nun, dieses Mal gehört zu einer alten Königsfamilie deren Geschichte ebenfalls verloren ging. Alle weibliche Nachkommen wurde mit diesem Mal geboren. Es verleiht euch die Macht uns Drachen zu rufen, wenn von irgendwo her Gefahr droht. Deine Mutter wusste das, jede Generation wurde von einem Drachen beschützt. Sie hätte dich eigentlich über deine Gabe aufklären müssen.«
Mit jedem weiteren Wort von ihm drehte sich mein Kopf mehr. Ich sollte von königlichem Blut sein? Das war doch unmöglich. Mein Vater war nur ein einfacher Bauer und meine Mutter eine Weberin. Wir kamen aus durchschnittlichen Verhältnissen. Und eine Gabe sollte ich auch noch besitzen. Wenn das wahr wäre, wieso hatte sich das dann nicht früher bemerkbar gemacht? Als er meine Mutter erwähnte, krampfte sich mein Herz zusammen. Hätte sie lange genug gelebt, hätte sie mich sicher eingeweiht. Auch wenn ich noch immer nicht wirklich glaubte, dass Naluth die Wahrheit sagte.
»So ist das also«, sprach er plötzlich. Irritiert sah ich ihn an. »Es tut mir leid, dass deine Eltern getötet worden. Ich hatte keine Ahnung, dass ihr Wächter ebenfalls infiziert wurde.« Noch immer konnte ich ihn nur irritiert anstarren, während ich mich fragte, woher er das nun wieder wusste. Der Wolfsdrache seufzte resigniert. »Du hast nicht nur die Fähigkeit uns zu rufen, sondern auch deine Gedanken mit uns zu teilen. Außerdem kannst du auch unsere lesen und sogar noch einiges mehr, aber das würde jetzt zu weit führen. Du hast mich gerade an deinen Gedanken und Erinnerungen teilhaben lassen. Dadurch konnte ich auch den Drachen sehen, der euer Dorf angegriffen hat. Es war eigentlich seine Aufgabe euch zu beschützen.« Ein trauriger Ausdruck legte sich in seine Züge.
Ich stand vorsichtig auf und ging zu ihm herüber. Zögernd streckte ich meine Hand nach ihm aus. Er beugte seinen Kopf zu mir herunter und ich berührte die Stelle zwischen seinen Augen. Sein Fell fühlte sich unglaublich weich an. Mir kam wieder in den Sinn, was über Wolfsdrachen in unseren Büchern stand. Grausam und gefährlich. Naluth hingegen schien überhaupt nicht so zu sein. Vielleicht war wirklich nicht alles richtig, was wir während unserer Ausbildung lernten. Ich bat ihn, mir zu erzählen, was an jenem Tag geschehen war, doch was er mir daraufhin erzählte, füllte mein Herz mit Trauer.
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