Kapitel 9 -Eulerei und vergessene Briefe-
Alexia:
Der erste Punkt war abgehakt und sie taumelte ein wenig benommen mit ihrer kleinen Miniaturlok und einigen dazugehörigen Schienen ins Freie. Etwas in ihrem Augenwinkel löste sich aus den Schatten und trat zu ihr.
Florentina ging weder auf die Lock in ihren Armen noch auf den verstörenden Gesichtsausdruck, den Alexia trug, sondern übernahm einfach die Führung zu ihrem nächsten Zielort. Mehr als dankbar dafür, da sie wirklich keine Lust hatte, über ihren verstörenden Traum zu reden. Ging sie schweigend neben der etwas Ruppigen Hexer her. Dabei verwischten Traum und Realität ab und an, und sie fragte sich, ob es wirklich nur ein Traum gewesen war, der in ihr diese Gefühle der Unruhen hervorrief oder ob da vielleicht mehr hinter steckte.
Denn dieser Traum kam ihr immer mehr wie eine Art Erinnerung vor. Allerdings stammte sie sicherlich nicht aus ihrer eigenen Vergangenheit. Den bis heute war ihr nie ein junge mit weiß-blondem Haar begegnet. Lag es vielleicht an der Liste, die sie mitführte? Verband dieses Stück Pergament sie mit dem eigentlichen Besitzer? War das wieder nur eine Form von Magie? Darüber nachgrübelnd merkte sie nicht, wie die gute Flora vor ihr einfach stehen blieb, sodass sie einfach an ihrer guten Freundin vorbeilief, direkt gegen die nächste Mauer.
Nun endgültig wieder wach und peinlich berührt von ihrem Fopa (Fehler/ Fauxpas), da dieses aus massivem Stein gehauene Exemplar weder unsichtbar noch mit einem Zauber belegt war. Es war lediglich eine stinknormale Mauer gewesen, gegen die sie einfach so in Gedanken lief und mit ihrem Gesicht den Aufprall auf das harte Material bremste. Ihr Hintern hatte das Übrige getan, als sie wenige Schritte zurück stolperte und durch ihre ungeschicklichen Bewegungen stürzte.
Und wie immer in solchen Situationen hörte sie eine kleine Stimme in ihrem Kopf, die sich ein Kommentar nicht verkneifen konnte und „Baum fällt!" Rief. Verlegen und mit Schmerzen im Gesäß und an der Nase, der sternförmig ausstrahlte, konnte sie sich dennoch dank dieser kleinen Stimme in ihrem Kopf ein Lächeln nicht verkneifen.
Florentina dagegen schüttelte lediglich nur den Kopf. Ob sie es aus Missfallen, Verwunderung oder Besorgnis tat, konnte Alexia allerdings nicht erkennen. Die sonst so reservierte Flora anstarrend kam ihr der Gedanke, dass vermutlich Flora nicht einmal selbst wusste, was sie mit dem Kopfschütteln ausdrücken wollte.
Nun also hellwach und etwas schwerfällig auf die Beine sich zurückkämpfend versuchte sie auch ihre Gedankenwelt ein wenig mehr zu verlassen. Ein Räuspern seitens Flora erweckte auch so gleich ihre Aufmerksamkeit. Ihre Begleiterin wirkte plötzlich angespannt und nervös. Die eigentlich vor Selbstbewusstsein strotzende Frau verlagerte immer wieder ihr Gewicht. Auf der Stelle tretend, versuchte sie anscheinend nach einem Fluchtweg zu suchen. Einen Fluchtweg, so vermutete Alexia, der nicht durch eine Menschenmenge führte, die sich um die beiden recht schnell gebildet hatte.
Und sie selbst verstand auch nicht ganz, warum die Nervosität ihrer Freundin auch sie ansteckte. Mit einem Wink gab sie Florentina zu verstehen, dass sie ruhig sich von der Menschenmasse entfernen konnte, denn das schien ihr im Moment einfach das Beste für ihre Begleiterin zu sein. Kurz darauf war Flora auch schon aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Es dauerte eine Weile, bis die Schaulustigen um sie herum wieder verschwanden. Und die Menschentraube sich etwas anderem widmete. Doch kaum war sie wieder allein, löste sich etwas aus den Schatten und Florentina stand wieder neben ihr. Schweigend gingen sie neben aneinander her, bis Flora erneut stehen blieb und dieses Mal Alexia am Arm festhielt. Auch wenn es diesmal nicht nötig gewesen wäre.
Sie beide standen nun vor einem riesigen alten Turm, der augenscheinlich auseinanderfiel. Ein Blick nach oben verriet ihnen beiden, dass es wirklich lange her sein musste, dass dieses Monstrum bessere Tage gesehen hatte. Oben erkannte Alexia jedoch einige geflügelte Wesen, die in die einzelnen Mauerritzen flogen und wieder verschwanden.
„Eulen!" Kam es von Flora und ein Blick auf das Pergament, bestätigte diese Annahme. Den kaum hatte Alexia die Liste aus ihrer Tasche gezogen, erschienen neue Worte darauf. Zu lesen war dort:
Ehemaliges Eulenpostlager der Eulerei Londons. Gehe die vergessenen Briefe durch. Das Register der lebenden und der Toten sind beim Nachbargebäude (Einwohnermeldeamt Londons für Hexen, Zauberer und allen magischen Geschöpfen) zu erfragen.
Und so schnell wie diese Information erschienen war, so verschwand sie auch schon wieder. Ihr neue Aufgabe war also klar formuliert worden. Sie sollte versuchen, die vergessen Briefe zuzustellen und vermutlich würden ihr die Eulen ganz oben auf dem verlotterten, windschiefen und morschen Turm helfen.
Etwas verunsichert sah sie immer wieder hinauf in die Höhe und ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit. Doch identifizieren konnte sie es nicht. Recht nervös besah sie sich nun ihre Umgebung. Links vom Turm reiten sich die Geschäfte nach einander auf und die fröhlichen Passanten schienen den Turm etwa zu ignorieren oder nicht wirklich zu sehen. Doch bevor Alexia etwas dazu sagen konnte, unterbrach Florentina sie schon.
„Wir sind hier auf einer Markstraße für Zauberer, Hexen und andere magische Wesen. Sie können alle diesen verfallenen Turm sehen, doch keiner hat auch nur ansatzweise Interesse an ihm. Es interessiert sie nicht einmal, dass hier anscheinend immer noch Eulen ein und aus gehen. Sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt und blenden alles schlecht einfach aus. So wie bei den beiden Eroberungsversuchen des dunklen Lords. Alles was schäbig, schlecht oder dunkel ist, wird ignoriert, bis man es nicht länger ignorieren kann. Und dieser Turm gehört nun einmal dazu."
Nach dieser kleinen Ansprache zog sich Alexias Brust zusammen. Nicht alles, was düster und gruslig wirkte, war auch von vornherein schlecht und alles Schlechte hatte im Grunde auch seine guten Seiten. Also wieso verschlossen selbst Zauberer und Hexen ihre Augen vor so etwas, obwohl sie in einer Welt des Unmöglichen der Magie lebten? Ertrugen sie die Wahrheit etwa nicht? Oder waren die Wertvorstellungen dieser Menschen etwa so stark beeinflusst worden, dass sie nicht einmal mehr an das Gute im Einzelnen glauben konnten?
Dieser Turm war alt, schäbig und verfiel vor ihrem Auge, dennoch beherbergte er Briefe, die vielleicht die letzten Worte von verstorbenen enthielten, Liebesbeweise oder einfach nur nette Worte, die nie an ihren Zielort angelangt waren.
Sie wusste nicht, was Flora mit dem dunklen Lord meinte, doch sie wusste, was sie nun zu tun hatte. Also sah sie sich noch einmal erneut um und entdeckte etwas hinter dem Turm, der eigentlich mitten auf dem Marktplatz stand, ein Haus, welches nahezu Behörde schrie.
Erneut mit der Nervosität kämpfend, schritt sie darauf zu, drückte die Klinke der Türe hinab und trat in das verstaubte Büro ein. Der Staub kitzelte sie in der Nase und beinahe hätte sie den kleinen Mann im Anzug, der plötzlich vor ihr stand, angeniest. Gerade noch so konnte sie es unterdrücken und stattdessen verließ ein kleiner Aufschrei der Verwunderung ihre Kehle.
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