Kapitel 13
Die letzten Tage vergingen überraschend ruhig. Keine Probleme, keine Streitigkeiten, nichts. Drachenpfote saß vor dem Schülerbau und blickte nachdenklich über die Lichtung. Es war alles so ruhig, fast zu ruhig.
Die Sonne stand hoch am Himmel und warf warme Strahlen auf das Lager. Die Vögel zwitscherten leise in den Bäumen und die Luft war erfüllt von den vertrauten Geräuschen des Clanlebens. Doch Drachenpfote konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas in der Luft lag.
Sein Blick wanderte zu Fluchpfote, der sich tapfer bemühte, mit seinen neuen Einschränkungen zurechtzukommen. Fluchpfote kämpfte hart, seine Blindheit und die Verletzungen machten ihm das Leben schwer, aber er ließ sich nicht unterkriegen. Drachenpfote fühlte einen Stich des Mitgefühls und der Bewunderung für seinen Freund.
Ein Rascheln im Unterholz ließ ihn aufhorchen. Splitterseele und Ginstergroll traten aus dem Wald, gefolgt von einer Patrouille. Die beiden Krieger schienen sich angeregt zu unterhalten, aber ihre Gesichter waren ernst.
Drachenpfote richtete sich auf und ging ihnen entgegen. ,,Irgendwelche Neuigkeiten?" fragte er vorsichtig.
Splitterseele schüttelte den Kopf. ,,Keine Besonderheiten. Alles ist ruhig an den Grenzen."
Ginstergroll nickte zustimmend. ,,Ja, keine Anzeichen von FederClan-Aktivitäten oder anderen Bedrohungen."
Drachenpfote seufzte leise. ,,Das ist gut, denke ich. Aber ich kann nicht anders, als mich zu fragen, wann der nächste Schlag kommt."
Splitterseele legte ihm eine Pfote auf die Schulter. ,,Es ist normal, sich Sorgen zu machen, Drachenpfote. Aber wir müssen auch die ruhigen Zeiten schätzen und unsere Kräfte sammeln."
Der Schüler nickte langsam. ,,Ich weiß, aber es fühlt sich an, als ob der Sturm noch nicht vorüber ist."
In diesem Moment trat Distelstern aus seinem Bau und hob den Kopf, um sich umzusehen. Als er Drachenpfote und die Krieger bemerkte, kam er näher. ,,Gibt es Neuigkeiten?" fragte er mit seiner gewohnt ruhigen, aber durchdringenden Stimme.
,,Keine, Distelstern," antwortete Splitterseele. ,,Alles ist ruhig an den Grenzen."
Distelstern nickte, aber seine Augen verengten sich leicht. ,,Gut. Aber bleibt wachsam. Wir dürfen nicht nachlässig werden."
Drachenpfote bemerkte, wie Blutherz aus dem Kriegerbau trat und sich zu ihnen gesellte. Sein Gesichtsausdruck war wie immer streng, aber auch er schien die Anspannung in der Luft zu spüren. ,,Was steht als nächstes an?" fragte er kühl.
,,Wir müssen sicherstellen, dass unsere Verteidigungen stark sind," antwortete Distelstern. ,,Ich möchte, dass wir weiterhin regelmäßig patrouillieren und unsere Grenzen überprüfen. Wir können uns keine Überraschungen leisten."
Blutherz nickte zustimmend. ,,Verstanden."
Drachenpfote fühlte, wie die Spannung wieder in seinen Körper kroch. Er wusste, dass sie nicht ewig in dieser Ruhe verharren konnten. Irgendwann würde etwas passieren, und sie mussten bereit sein.
Als die kleine Versammlung sich auflöste, blieb Drachenpfote noch einen Moment stehen und blickte in den Wald. Was auch immer kommen mochte, er war entschlossen, stark zu bleiben und für seinen Clan zu kämpfen. Die Ruhe war nur die Ruhe vor dem Sturm, und er würde bereit sein.
Drachenpfote sah aufmerksam auf, als er Weißdornpfote und Tupfenpfote bemerkte. Misstrauisch verengte er die Augen. Irgendwie war ihm Weißdornpfote nicht ganz geheuer; sie waren einst Freunde gewesen, doch irgendwie hatte sich der andere immer mehr von ihm abgewandt.
Schweigend beobachtete er die beiden, wie sie auf Winterklinge zutrabten. Winterklinge sah gereizt auf, sichtlich nicht erfreut, Weißdornpfote zu sehen. Ihre Augen funkelten vor Unbehagen, als sie den jungen Kater anblickte.
„Was willst du jetzt schon wieder, Weißdornpfote?" fauchte Winterklinge, ihre Stimme tropfte vor Verachtung.
Weißdornpfote zuckte mit den Schultern und warf einen beiläufigen Blick auf Tupfenpfote, die unsicher neben ihm stand. „Ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung ist. Ich kann doch mal nach meiner Mutter sehen, oder nicht?"
„Deine Sorgen sind überflüssig," knurrte Winterklinge. „Ich brauche keine Hilfe von einem Schüler, der keine Ahnung hat, was er tut."
Weißdornpfote schnaubte und seine Augen funkelten aufmüpfig. „Du bist nur sauer, weil du weißt, dass ich recht habe. Der Clan muss stärker werden und wir können uns keine Schwächen erlauben."
Winterklinge funkelte ihn an, ihre Krallen fuhren sich automatisch aus. „Du weißt nichts über Stärke, Weißdornpfote. Du bist noch grün hinter den Ohren und hast keine Ahnung, was es bedeutet, ein wahrer Krieger zu sein."
Drachenpfote konnte nicht länger zusehen. Er trat vor und stellte sich schützend vor Winterklinge. „Hör auf, Weißdornpfote. Wenn du nicht helfen kannst, dann geh."
Weißdornpfote richtete seine Aufmerksamkeit auf Drachenpfote und funkelte ihn an. „Und wer bist du, mir zu sagen, was ich tun soll? Du bist genauso schwach wie die anderen."
Blutherz, der das Gespräch bemerkt hatte, trat nun hinzu und mischte sich ein. „Weißdornpfote hat recht," sagte er kühl. „Wir können uns keine Schwächen leisten. Jeder muss seinen Teil beitragen."
Weißdornpfote schien durch die Unterstützung seines Vaters an Selbstbewusstsein zu gewinnen und hob stolz den Kopf. „Genau, wir müssen stark sein."
Winterklinge schnaubte verächtlich. „Stark sein? Du verstehst gar nicht, was das bedeutet, Weißdornpfote. Stärke bedeutet auch, die Schwächeren zu schützen."
Weißdornpfote wollte etwas entgegnen, doch Drachenpfote schnitt ihm das Wort ab. „Hör auf, Weißdornpfote. Dein Verhalten zeigt nur, dass du nichts über wahre Stärke weißt."
Weißdornpfote fauchte wütend und sprang auf Drachenpfote zu, die beiden Katzen verkeilten sich in einem wilden Kampf. Pfoten und Krallen flogen, während sie über den Boden rollten.
„Hört auf!" rief Blutherz, aber seine Stimme ging im Tumult unter. Die Katzen des Clans versammelten sich um den Kampf, einige versuchten, die Streithähne zu trennen, während andere nur zusahen.
Schließlich gelang es Distelstern, sich durch die Menge zu drängen. Mit einem mächtigen Fauchen drängte er die beiden Schüler auseinander. „Genug!" donnerte er. „Was fällt euch beiden ein, euch gegenseitig zu bekämpfen? Schon wieder!"
Drachenpfote und Weißdornpfote keuchten, ihre Augen funkelten vor Wut und Verletztheit. „Er hat angefangen," fauchte Weißdornpfote.
„Das reicht," sagte Distelstern streng. „Ihr werdet beide zur Rechenschaft gezogen werden. Wir sind ein Clan und müssen zusammenhalten, nicht gegeneinander kämpfen."
Blutherz trat vor und blickte seinen Schüler streng an. „Das war unnötig, Weißdornpfote. Du musst lernen, dich zu beherrschen."
Weißdornpfote senkte den Kopf, seine Ohren zuckten. „Ja, Blutherz," murmelte er, doch sein Blick glitt immer noch wütend zu Drachenpfote.
Drachenpfote wandte sich ab, tief in Gedanken versunken. Er wusste, dass dieser Konflikt noch lange nicht vorbei war. Die Spannungen im Clan waren greifbar, und er konnte nur hoffen, dass sie einen Weg finden würden, zusammenzukommen, bevor es zu spät war.
Distelstern schüttelte enttäuscht den Kopf. „Komm mit mir, Drachenpfote," sagte der Kater und tappte aus dem Lager. Drachenpfote warf einen letzten Blick auf die versammelten Katzen, bevor er seinem Mentor schnell folgte.
Die beiden Kater gingen schweigend durch den Wald, die Geräusche des Lagers wurden leiser, je weiter sie sich entfernten. Drachenpfote spürte die Spannung in der Luft, die zwischen ihm und Distelstern hing. Schließlich blieb Distelstern stehen und wandte sich seinem Schüler zu.
„Drachenpfote," begann er mit einer strengen, aber nicht unfreundlichen Stimme. „Dein Verhalten im Lager war inakzeptabel. Wir können es uns nicht leisten, dass Clanmitglieder gegeneinander kämpfen."
Drachenpfote senkte den Kopf und nickte langsam. „Es tut mir leid, Distelstern. Ich wollte nur... ich wollte nur Winterklinge verteidigen."
Distelstern seufzte und legte seinen Schweif beruhigend auf Drachenpfotes Schulter. „Ich verstehe, dass du sie beschützen wolltest, aber du musst lernen, deine Emotionen zu kontrollieren. Ein wahrer Krieger weiß, wann er kämpfen muss und wann nicht."
Drachenpfote hob den Kopf und sah seinen Mentor an. „Aber Weißdornpfote hat Unrecht. Er versteht nicht, was es bedeutet, stark zu sein."
„Vielleicht nicht," stimmte Distelstern zu. „Aber das bedeutet nicht, dass du dich auf sein Niveau herablassen musst. Stärke zeigt sich auch darin, Konflikte ohne Gewalt zu lösen."
Drachenpfote nickte erneut, obwohl seine Gedanken noch immer wirbelten. „Ich werde es versuchen, Distelstern."
„Gut," sagte Distelstern und sein Blick wurde sanfter. „Komm, lass uns ein Stück weitergehen. Ich möchte dir etwas zeigen."
Neugierig folgte Drachenpfote seinem Mentor weiter durch den Wald. Sie kamen zu einem kleinen, abgelegenen Bach, dessen Wasser ruhig plätscherte. Distelstern setzte sich und deutete mit seinem Schweif auf das Wasser. „Schau hinein, Drachenpfote. Was siehst du?"
Drachenpfote beugte sich vor und blickte ins klare Wasser. „Ich sehe mein Spiegelbild," sagte er verwirrt.
„Richtig," sagte Distelstern. „Jetzt wirf einen kleinen Stein ins Wasser."
Drachenpfote tat wie geheißen und warf einen kleinen Stein ins Wasser. Das ruhige Spiegelbild verzerrte sich in wellenförmigen Kreisen. „Jetzt ist das Bild verschwommen," bemerkte der Schüler.
„Genau," sagte Distelstern. „Das Wasser ist wie dein Geist. Wenn du wütend und aufgebracht bist, verzerrt sich dein Urteilsvermögen, so wie das Wasser. Aber wenn du ruhig und klar bist, kannst du besser sehen und handeln."
Drachenpfote nickte nachdenklich. „Ich verstehe. Ich werde versuchen, ruhiger zu bleiben und klarer zu denken."
Distelstern lächelte stolz. „Das ist der erste Schritt, Drachenpfote. Komm, lass uns zurück ins Lager gehen und sehen, ob wir diesen Konflikt friedlich lösen können."
Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg, beide in tiefen Gedanken versunken. Drachenpfote wusste, dass es nicht einfach sein würde, seine Emotionen zu kontrollieren, aber er war entschlossen, es zu versuchen. Der Clan brauchte ihn stark und besonnen, und er würde alles tun, um dieser Herausforderung gerecht zu werden.
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