Kapitel 2

Die Sonne schien durch das kleine Fenster des Zimmers und malte goldene Muster auf den dunklen Holzboden, als Taya am nächsten Morgen ihre Augen öffnete. Sie gähnte und streckte sich, ehe sie vorsichtig aus dem Bett kletterte und mit nackten Füßen zu der Wasserschüssel schlurfte, die in einer Ecke des Raumes stand. Müde setzte sie sich davor auf den Boden, um sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht zu klatschen.

Nachdem sie sich in ihren Augen ausreichend gewaschen hatte, schlüpfte sie in ihre Kleidung. Sie entschied sich dazu, eine einfache braune Hose und ein helles Leinenhemd anzuziehen. Mit einem geübten Handgriff legte sie sich ihren hellbraunen Gürtel um und vervollständigte ihre Garderobe mit einem Paar ausgetretener Lederstiefel. Nicht sehr mädchenhaft, dafür bequem. Ihre Haare band sie mit einem Lederband zu einem einfachen Zopf zusammen.

Als sie in die kleine Küche trat, sah sie ihren Vater Keno bereits am Tisch sitzen. Er wirkte angespannt, daher beschloss Taya, sich nur schnell etwas zu essen zu besorgen und dann nach draußen zu verschwinden. Doch er schien sie zu bemerken, denn als sie gerade nach einer Scheibe Brot greifen wollte, drehte er sich plötzlich zu ihr um und durchbohrte sie mit einem seiner tödlichen Blicke. „Du!", rief er aufgebrach. Sie hielt in ihrer Bewegung inne und blieb stocksteif stehen. „Du wirst dich von diesem Lian-Jungen fernhalten! Du wirst ihn nicht mehr treffen, gar nicht mehr, klar?"

„Was?!", brach es aus Taya heraus. „Das... wieso..." „Tu einfach, was ich dir sage!", fiel ihr Vater ihr wütend ins Wort. „Das ist gemein!", fauchte sie ihn an, dann griff sie in einer schnellen Bewegung nach ihrem Schwert, das hinter ihm an der Wand hing, und hielt es ihm provokant vor die Nase. „Gut, von mir aus!", sagte sie schnippisch. „Dann werde ich eben stattdessen weiter kämpfen üben!" Mit diesen Worten drehte sie sich um und rannte aus der Tür hinaus nach draußen.

Ihr war bewusst, dass es nicht sonderlich klug war, ihren Vater so zu provozieren, doch sie war in diesem Moment viel zu wütend, um ernsthaft darüber nachzudenken. Sie rannte weiter, bis sie an ihrem Lieblingsort ankam, wo sie sich zuerst einmal auf den Boden setzte und sich ein wenig entspannte.

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Nachdem sie eine Zeit lang vor sich hin geträumt hatte, machte sie sich auf den Weg zum Marktplatz in der Mitte der kleinen Stadt. Sie konnte auch später noch trainieren, viel lieber wollte sie sich jetzt die Waren ihres Lieblingshändlers ansehen. Fero der Rumtreiber, wie er hier von allen genannt wurde, war bekannt für seine Menge an seltenen und fremdländischen Gegenständen, die er alle paar Wochen auf dem Markt verkaufte. Heute war es wieder soweit und Taya konnte es kaum erwarten, ein wenig herumzustöbern.

Leise eine Melodie vor sich hin summend schlenderte sie an den vielen Marktständen vorbei. Hier gab es buchstäblich alles - von Lebensmitteln über Kleidung bis hin zu Waffen, alles was das Herz begehrte, konnte man hier erwerben. Der Platz war wie an jedem sonnigen Tag gut gefüllt, Taya kam kaum mit dem Grüßen hinterher, während sie sich ihren Weg bahnte. Schließlich erreichte sie ihr Ziel - den vertrauten Stand in der hintersten Ecke.

„Guten Tag Lady Taya." Ein älterer Herr trat hinter ein paar Kisten hervor, die Arme gefüllt mit einigen seltsamen Gegenständen, die er auf dem hölzernen Verkaufstisch ausbreitete. Seine braunen Haare waren an den Schläfen bereits grau geworden und er hinkte, doch in seinen dunkelgrünen Augen konnte man ein jugendliches Funkeln erkennen. „Nûngras Fero", grüßte sie ihren alten Freund lächelnd. „Dann studierst du also noch immer die alte Sprache?", bemerkte der Händler und rückte konzentriert eine uralte Taschenuhr zurecht. „Schön dich zu sehen", meinte er dann und schenkte ihr ein verschmitztes Grinsen, bei dem sein fehlender Schneidezahn sichtbar wurde.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen", erwiderte das Mädchen. „Und ja, zumindest würde ich es gerne, nur leider finde ich kaum Bücher, geschweige denn Menschen, die mir etwas darüber erzählen können." Sie seufzte leise. „Und selbstverständlich ist mir der Zugang zu den Archiven des Stadthalters noch immer verwehrt. Wenn du eine Bibliothek suchst, musst du eben nach Mîrthol reiten, sind doch bloß 200 Meilen", zitierte sie einen der Wachmänner. „Als ob mir je irgendwer das Reiten beigebracht hätte." Fero ignorierte den bitteren Unterton in ihrer Stimme. „Na, zu deinem Glück habe ich etwas passendes für dich." Mit einem Zwinkern verschwand er wieder hinter den Kisten und tauchte kurz darauf mit einem alten Notizbuch auf. „Hier, das habe ich von einem jungen Kerl, den ich in der Nähe von Cernor getroffen habe. Hat sich brennend für diese silberne Umhangschnalle interessiert. Du weißt schon, diese mit dem Drachen drauf."

Taya erinnerte sich nicht wirklich an die Umhangschnalle, was der Händler ihr jedoch nicht im geringsten übel nahm. „Jedenfalls stehen hier einige Sachen über die alte Sprache drinnen. Muss ein echter Kenner gewesen sein, soviel wie der wusste. Seltsam war der, sah aus als käme er aus Dhûra, hatte aber einen komischen Akzent." Fero schüttelte den Kopf und murmelte irgendwas vor sich hin. „Naja, wie auch immer, ich schenks dir. Kann eh nichts damit anfangen, das würde eh niemand kaufen."

„Danke!" Taya neigte kurz ihren Kopf, ehe sie sich erinnerte, weshalb sie ursprünglich hergekommen war. „Hast du zufällig noch etwas Tinte für mich?" „Natürlich!" Die grünen Augen ihres Freundes leuchteten auf, als er ein kleines Tintenfass mit hübschen Verzierungen hervorkramte. „Tiefseekrakentinte, noch ganz frisch, mit einem wunderschönen Lilastich. Und hier, eine neue Schreibfeder. Hab sie einem Habicht in der Nähe der Sonnenberge abgeknöpft." Das Mädchen fragte sich längst nicht mehr, wie der Händler immer an seine Waren kam, stattdessen kramte sie aus ihrer Hosentasche fünf Silberlinge. „Reicht das?" „Vier sind auch genug." Fero zwinkerte ihr zu, während er Feder und Tinte an Taya überreichte. „Bis bald, junge Lady." „Fîrnes, mein Freund. Möge Fenhas deinen Handel weiter erblühen lassen." „Ach, der Handelsgott meint es doch meistens gut mit mir." Wieder zwinkerte Fero ihr zu und wandte sich schließlich dem jungen Mann hinter dem Mädchen zu, der bereits ungeduldig wartete.

Taya stromerte gut gelaunt ein wenig zwischen den übrigen Ständen herum. Eine Weile betrachtete sie die Schwerter von Drogon, dem Dorfschmied, ehe sie schließlich weiterzog. Sie steuerte entschlossen auf die Kaserne der Stadtwachen zu, die am Südrand des Platzes lag, als eine bekannte Stimme sie innehalten ließ.

„Na wen haben wir denn da? Hallo Mädchenjunge."

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