Kapitel 60

Meine Faust landete direkt in seinem Gesicht und traf ihn mit voller Wucht. Ich schickte einen Luftstoß hinterher und wunderte mich, woher meine plötzliche Wut kam. Der Soldat wunderte sich auch, doch es war zu spät um etwas zu sagen, da er bereits rückwärts die Treppe hinunter flog. Ich duckte mich unter den greifenden Händen seines Kollegen weg, wirbelte herum und nahm ihm sein Bewusstsein. Er fiel in sich zusammen und der Schlüssel schepperte zu Boden. Ich schaute auf ihn herab.
Ein seltsames Gefühl breitete sich in meinem Magen aus und ich realisierte schlagartig was ich da getan hatte. Zwerge Zusammenschlagen gehörte eindeutig nicht zu den Dingen, die ich in ihrer Stadt tun durfte. Mist. Ich nahm eilig den Schlüssel an mich und steckte ihn in das kleine Loch. Bevor ich den Griff hinunter drückte, schossen mir plötzlich Zweifel in den Kopf. Was, wenn das hier keine gute Idee war? Was würde mich dadrin erwarten? Nevarian? Würde er mich auslachen? Anschreien? Womöglich würde er über mich triumphieren. Er würde mich mit seinen Augen anstarren, mit diesen grässlich giftgrünen Augen, deren Pupillen sich wie bei einer Schlange verengt hatten. Er würde mich mit seinem Blick durchbohren und dann dieses hässliche Grinsen, dass mich früher immer so gereizt hat, aufsetzen und dann würde er...

Ich schaute auf den Griff in meiner zusammengepressten Hand und stellte fest, dass er lichterloh in Flammen stand. Mit einem Seufzen ließ ich ihn los, das Feuer erlosch und hinterließ keinen Schaden außer schwarzen Rauchspuren. Zum Glück. Ich wusste nicht wie ich dem Zwergenvolk den Überfall auf zwei seiner Soldaten und einer abgebrannten Tür erklären sollte.
Ohne weiter darüber nachzudenken, stieß ich sie auf, aber nur einen spaltbreit, schlüpfte hinein und schlug sie wieder hinter mir zu. Nun stand ich mit dem Rücken gelehnt an der Wand und schaute mich um.
Das Zimmer war kahl, kalt und winzig klein. Eiserne Stangen, so breit wie meine Arme, teilten den Raum in zwei Hälften. In der einen stand ich, angespannt, erschöpft und mit schwitzenden Händen, in der anderen Philo.
Ich atmete aus.
Seine Finger hatten die Gitterstäbe umklammert, die Haare hingen schlaff an seinem verschwitzten Kopf, den er an die Stäbe gelehnt hatte. Ich konnte nicht erkennen, ob seine Augen geöffnet oder geschlossen waren. Unschlüssig was ich als nächstes tun sollte, blieb ich erstmal an der Tür. Gänsehaut überstrich meine Arme
Alles in mir sträubte sich, zu der kläglichen Gestalt ein paar Schritte vor mir zu gehen.
Plötzlich durchbrach die gruselige Stille ein heiseres Röcheln.
"Alisha?"

Ich vergaß meine Angst und meine Zweifel, vergaß dieses bedrückende Gefühl und die Traurigkeit und rannte zu ihm, drückte meine Finger an seine um ihn wachzuhalten. Um ihn zurückzubekommen. Ich wollte ihn nicht verlieren.
"Hey. Wie geht's dir?"

Philo hob seinen Kopf ein wenig, seine Aussehen wirkte müde und schwach, als hätte er einen ewigen Kampf hinter sich, doch seine Augen funkelten wie immer.

"Ich hab gegen ihn angekämpft, aber er ist ständig da. Jetzt scheint er allerdings zu schlafen. Ich will hier raus, weißt du. Ich will hier weg und will wieder bei euch sein."
Seine Stimme klang traurig.
Ich ballte die Fäuste.
"Ich hole dich hier raus!"

"Du weißt, dass das nicht geht. Die Zwerge haben mich hier eingesperrt, also habe ich hier drinzubleiben. Egal ob Nevarian nun gerade wach ist oder nicht."

"Mir ist egal, was die Zwerge sagen. Ich habe zwei von ihnen draußen zusammengeschlagen, um hier reinzukommen. Ich hole dich da raus und dann beraten wir was wir jetzt machen. Das klingt doch nach einem Plan oder? Mach dir keine Sorgen, ich finde einen Weg, dich hier raus..."

Prüfend tastete ich die Stangen ab, und untersuchte sie nach einem Schlüsselloch oder ähnliches. Irgendwie musste er ja auch hineingekommen sein. Als ich nichts fand, suchte ich den ganzen Raum nach Sigillen oder anderen magischen Zeichen ab, die die Gitterstäbe zusammenhielten.
Philo legte den Kopf schief und beobachtete mich.
"Du hast was getan?"

Ich schaute auf. "Bitte?"

"Du hast zwei Zwerge zusammenschlagen?"

"Hab ich das gesagt?"

"Ja"

"Hmmm..."

"Oh Alisha!"  Er seufzte. "Ich dachte, sie hätten dich hereingelassen! Aber du hast ihnen eine reingehauen. Schon wieder."

Ich krabbelte auf dem Boden herum.
"Du tust so, als würdest du dich gar nicht freuen mich zu sehen."

"Doch, ich freue mich."

"Ich freue mich auch", sagte ich geistesabwesend. "Warum finde ich denn nichts? Hier muss es doch irgendein Schlüssel oder so was geben!"

"Alisha...hör auf."
Seine Stimme brach und er sackte zusammen.
Ich erschrak und eilte zu ihm.
"Was ist los? Hey, was ist los?!"
Ich rüttelte an den Stäben.
Philo keuchte und Adern traten hervor. "Bitte geh jetzt! Ich will dir nicht wehtun!"

"Was? Du würdest mir nicht wehtun!Ich gehe nicht."

"Er ist wach."
Sein Körper erschlaffte für einen kurzen Moment. Dann ging ein Ruck durch ihn hindurch.
Ich stand auf. Angst war das letzte, das ich jetzt verspürte.
Mit gestrafften Schultern und aufrechter Haltung setzte ich den bösesten Ausdruck auf, den ich je aufsetzen konnte. Ich steckte all meinen Hass und meine wütenden Gedanken hinein. Hätte ich jetzt einen Spiegel, ich war sicher, dass ich vor mir selbst Angst hätte.

Philos Kopf zuckte. Dann stand Nevarian auf. Seine Augen hatten denselben aggressiven Grünton angenommen, wie immer. Er lächelte.
"Hallo"
Seine Stimme war tief, dunkel und hatte etwas Angsteinflößendes.
Ich wollte ihn erwürgen.
"Du siehst aus, als würdest du mich erwürgen wollen. Und wow, dein Gesicht sieht wirklich böse aus. Hast du das vor dem Spiegel geübt?"

Ich blickte ihn noch finsterer an.
"Verlass den Körper und lass ihn in Ruhe!"

"Kleine Alisha, ich habe mir wirklich viele Gedanken darüber gemacht, wie ich dir und deiner süßen Truppe möglichst viel Schaden zufügen kann. Erst dachte ich, dass jemandem von euch unermässliche Schmerzen zuzufügen, die beste Variante sei. Aber dann hab ich mich doch dafür entschieden, ihn zu besetzen. Ich bekomme viele Informationen, ihr verliert einen aus eurer Mannschaft und Spaß macht es auch."

"Es macht dir Spaß?" Ich schrie fast.

"Warum bist du so aufgeregt? Aber wie es mir scheint, habe ich wohl den Falschen erwischt. Dein kleiner Freund scheint nicht wirklich etwas von den anderen Artefakten zu wissen. Ich hätte wohl eher dieses Balg von dem 2. Lichtbringer erwischen sollen."

"Erinnerst du dich an Mila? Das Mädchen, das du auf mich gehetzt hast mit einem Restanten besetzt. Ich habe ihn rausgeholt. Ich habe sie befreit und jetzt gehört sie zu uns. Wie fühlt sich das an, wenn mal wieder einer deiner unzähligen Pläne gescheitert ist?"

Nevarian legte den Kopf schräg
"Ich muss zugeben, für einen kurzen Moment war ich wirklich überrascht, dass du dazu imstande bist. Aber es hat mich nicht weiter interessiert. Dieses Kind war lediglich ein davongelaufenes Experiment. Wie wärs, wenn du mir stattdessen den kleinen Draco bringst, damit ich auf ihn übergehen kann?"

"Wie wärs, wenn du dich stattdessen verziehst?"

Nevarian lachte Philos Lachen.
"Früher oder später erwische ich ihn sowieso. Er braucht nur in die Nähe zu kommen und..."

Die Tür ging auf und Nelio kam zusammen mit Dako hereingeplatzt. Draco war noch nicht zu sehen, doch ich wusste, dass er bei ihnen war. Ich wirbelte herum, drückte mit der Handfläche gegen die Luft und Draco flog rückwärts aus dem Zimmer, bevor er es überhaupt betreten konnte.
Im selben Moment brach Philo zusammen. Ich riss die Augen auf, stürmte an meinen verwirrten Freunden vorbei und hin zu Draco, der stöhnend und ächzend an der Wand lehnte und vergeblich versuchte aufzustehen. Ich schüttelte ihn heftig hin und her.
"Draco! Draco! Bleib bei mir! Du musst gegen ihn ankämpfen! Hast du verstanden?! Hörst du mich?!"
Draco murmelte etwas.
"Was? Ist Nevarian schon in dir drin? Versuchst du mir etwas zu sagen? Sprich lauter!"
Er packte mein Handgelenk und hielt es fest.
"Wenn du mich weiter so schüttelst, breche ich meinen Mageninhalt auf dich aus."

Ich nahm Abstand.

Draco blickte mich finster an und rieb sich die Schulter. "Was ist los mit dir? Wieso wirfst du mich erst aus dem Raum und verpasst dann mir fast eine Gehirnerschütterung?"

"Also wurdest du nicht von Nevarian befallen?"

"Wieso sollte ich?"

Ich atmete aus und half ihm auf die Füße. "Er will wissen, wohin wir als nächstes reisen."

"Was sollen wir tun?"

"Na was wohl, ich treibe ihn raus so wie bei Mila. Ich zeige diesem Mistkerl, dass er sich warm anziehen sollte."


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