Kapitel 51

Es war spät abends, als wir einen geeigneten Platz zum Schlafen gefunden hatten und landeten. Geschützt von hohen Felsen und Kluften ließ ich mich erschöpft fallen und legte den Kopf auf die Pfoten. Die Sterne funkelten über mir und ich freute mich bereits darauf, von der warmen Morgensonne geweckt zu werden.

Unglücklicherweise weckte mich am nächsten Tag nicht die warme Morgensonne, sondern Draco, der  in der Gegend herumrannte und panisch brüllte. "Draco!", murmelte ich verschlafen, drehte mich auf die andere Seite und versuchte ihn zu ignorieren, was allerdings ziemlich unmöglich war. Er fluchte wild, stolperte über meinen Schwanz, rappelte sich wieder hoch und hüpfte herum. Ich stöhnte genervt, setzte mich schließlich auf und betrachtete die momentane Situation. Draco wurde von drei kleinen Insekten verfolgten. Für Wespen waren sie allerdings zu mächtig, sie ähnelten eher zu groß geratenen Hornissen, die anscheindend verdammt wütend auf Draco waren.
"Alisha!", japste er und fuchtelte wild mit den Armen durch die Luft. "Hilf mir!"
"Was hast du gemacht?", fragte ich mit hochgezogenen Brauen. "Hast du ihr Nest abgeschossen, oder was?"

"Ja, ich wusste doch nicht, dass da noch jemand drin wohnt!"

"Bist du wahnsinnig geworden?"
Ich stand auf, schnappte nach der größten Hornisse, riss sie zu Boden und zerquetschte ihren Körper.

"Ich dachte, das wäre ein verlassenes Bienennest. Ich dachte, dass da vielleicht noch ein Stück Honigwarbe drin ist.", versuchte er sich zu verteidigen und duckte sich unter den Angriffen weg. Ich rollte mit den Augen, erwischte das zweite Insekt und schleuderte es gegen den Fels.
"Blöde Viecher", schimpfte ich, schlug nach der letzten Hornisse und drückte sie in die Erde. Der Stachel versuchte sich in meine Haut einzugraben, doch die harten Schuppen ließen das Gift nicht durch.
Sie starb.
Draco nickte mir zu und rieb sich das Gesicht.  "Wie hast du geschlafen? Ich hasse es, auf diesem harten Boden zu schlafen! Am Morgen tut mir immer alles weh!"
Erstaunlicherweise hatte ich gut geschlafen. Es war angenehmer als Drache auf Steinboden zu übernachten als im menschlichen Körper. "Ich bin fit. Können wir los? Lass uns unterwegs frühstücken!"

Der Sattel rieb an meinen Schuppen, als Draco aufstieg und ich in den Himmel stieg. Er redete schon wieder. Doch ich hatte mich daran gewöhnt,  meistens hörte ich gar nicht genau zu, nickte ein paar Mal und glitt auf der Luft dahin. "Du, Alisha..", fragte Draco und tippte mich an der Schulter an.
"Hmm?"
"Kannst du eigentlich Feuer spucken?"
Ich blinzelte überrascht. "Äh...Keine Ahnung. Weißt du, wie man Feuer spuckt?"
"Naja...Du öffnest dein Maul und...spuckst irgendwie Feuer."
"Oh....hmmmm. Einen Versuch ist es wert, oder?" Ich öffnete das Maul und würgte ein paar Mal. Ich versuchte mir vorzustellen, wie gigantische Flammen herausschossen und die Luft erhitzten. "Und?", fragte Draco. "Spürst du irgendetwas?"
Ich würgte erneut und tatsächlich - zwei kleine heiße Brocken kullerte zwischen meinen Zähnen nach unten. Ich verschluckte mich und hustete gequält.
Draco lehnte sich nach vorne und sah nach unten. "Du hast gerade Flammen gesabbert. Vielleicht solltest du das noch üben. Hoffentlich stand da unten jetzt niemand, sonst hat er vermutlich ein Loch im Kopf."

Die nächsten Tage verliefen ziemlich ereignislos. Vier Stunden Flug, rasten, wieder vier Stunden Flug, rasten, schlafen, fliegen.
Und dann sahen wir das Dorf. Winzig und namenslos lag es dort unten wie ein Häufchen Elend. Draco rutschte unruhig hin und her und wurde immer nervöser. Er war ungewöhnlich still.
Ich landete vor den einst so mächtigen Toren, die jetzt nur noch zwei quitschende verrostende Angeln waren und wandelte zurück. Der Sattel rutschte mit Draco von meinem Rücken und landete im Gebüsch. Draco schnaubte und schüttelte sich kurz, dann bedeutete er mir zu folgen und drückte mir den Sattel in die Hand. Stirnrunzelnd folgte ich ihm, während er an der Mauer entlang schlich. "Was machst du? Warum gehen wir nicht durch die Haupttore?"
Draco antwortete nicht. Er schob einige Büsche beiseite, grinste triumphierend und kroch durch eine kleine Öffnung in der Mauer. Ich verdrehte die Augen, ließ mich auf die Knie fallen und zwängte erst den Sattel, dann mich selbst durch die Nische. "War das denn jetzt echt nötig? Wie hätten einfach vorne hinein gehen können!",protestierte ich und stand auf.
In der Stadt war es still. Keine fröhlichen Bewohner, kein Vogelgezwitscher, keine Schüsse. Absolut still. Geisterhaft. Gruselig.
Ich ließ den Blick einmal durch die Gegend schweifen und suchte nach Dragomiras Haus. Es stand noch. Gut. Ohne zu zögern ging ich darauf zu.
"Was machst du denn?", fragte Draco mit flüsternder Stimme und versuchte mich zurück zu ziehen. "Vielleicht sind noch irgendwelche Soldaten hier!"
Ich ging geradeaus weiter. "Ach Quatsch! Mach dir nicht in die Hosen!"
Ich hörte wie er mir folgte. "Alisha,  hast du das gerade gesehen? Da, ein Schatten!" Seine Stimme war in tiefster Alarmbereitschaft.
Ich rollte mit den Augen. "Ach ja? Vielleicht ist das ja dein Schatten, du Genie."
Er antwortete nicht.
"Schmollst du jetzt, oder was?", fragte ich spöttisch und steuerte immernoch das große Haus an.
Wieder keine Antwort. Seufzend drehte ich mich um, doch Draco war verschwunden. Ich blinzelte überrascht und sah mich um. Keine Spur von ihm. "Draco?", fragte ich in die Stille hinein und kniff die Augen zusammen. "Irgendetwas stimmt hier ni...."
Hände packten mich, legten sich auf Mund und Nase und schleiften mich in die Dunkelheit einer Gasse hinein. Ich strampelte wild hin und her und versuchte den Kopf klar zu bekommen, doch die Luft wurde mir abgeschnürt.  Schwarze Punkte tanzten vor meinem Augen. Ich riss sie verzweifelt auf und dann drang Luft in meine Lunge. Ich keuchte erleichtert und sank auf die Knie. Die Hände, die mich festgehalten hatten, schlossen sich um meine Handgelenke und rissen sie auf den Rücken.
Ich knurrte, verhielt mich aber ruhig. Ich wollte wissen, wer diese Leute waren. Nevarians Soldaten? Söldner? Oder völlig andere?
Im Schatten bewegte sich etwas. Eine Gestalt, vermutlich eine junge Frau, begann zu lachen und trat aus der Dunkelheit. "Ein Mädchen?" Sie schnaubte belustigt. "Nevarian gehen wohl die Spione aus" 
Ich hob alamiert den Kopf. Also nicht Nevarians Soldaten. Aber wer dann?
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete ich die Frau. Sie war vielleicht achtzehn oder neunzehn, hatte dunkelblonde Haare und leuchtend blaue Augen. An ihrer Hüfte hing ein kleiner Dolch.
"Hinfort mit ihr!", befahl sie kalt und drehte sich abfällig um.
Die Hände, die mich festhielten, rissen meinen Kopf nach hinten und entblößten meinen Hals. Eine Kette rasselte.
"Halt!", rief ich, bevor die Kette mein Ende bestimmte.
Die Frau drehte sich überrascht um und fixierte mich mit diesen stechenden Augen. "Was?"
Ich erwiderte trotzig ihren Blick. "Moment mal! Bevor ihr mich tötet, wollt ihr nicht wissen, wer ich bin?"
"Du bist eine von Nevarians Spionen!"
"Nein, bin ich nicht!"
"Warum sonst solltest du in dieses zerstörte Dorf kommen, Mädchen! Lüg mich nicht an!"
"Ich bin hier, weil ich nach etwas suche und das geht euch gar nichts an! Wer seid ihr überhaupt?"
"Wir sind die letzten Überlebenden aus dieser Stadt, Mädchen! Wir haben es geschafft deinem widerwärtigen Herrn zu entkommen!"
"Ich gehöre nicht zu Nevarian! Ich hasse ihn! Er ist mein Feind!"

Die junge Frau beäugte mich kritisch. "Wer bist du dann?"

Ich schnaubte. "Erstaunlich, dass es jemanden gibt, der mich nicht auf Anhieb erkennt."

"Worauf willst du hinaus?"

"Ich heiße Alisha und bin....naja, der Lichtbringer."

Sie starrte mich an und lachte los. "Haha. Du bist der Lichtbringer, natürlich. Kann es sein, dass du zu viel Sonne ab bekommen hast, Kleine? Das ist nämlich eine ernste Angelegenheit!"

Ich biss die Zähne aufeinander. "Ich habe nicht zu viel Sonne ab bekommen! Ich bin wirklich der Lichtbringer!"

"Bringt das Mädchen hinunter zu den anderen. Ich glaube nicht, dass sie eine Gefahr ist"

Wut durchströmte meinen Bauch. "Hey! Lass es mich beweisen! Ich bin keine Gefahr, also....lasst mich los. Ihr könnt mich danach doch immer noch runterbringen."

Die Frau überlegte. Dann schüttelte sie kurz die Hand und meine Hände wurden freigegeben. Ich blickte sie an, schnellte dann mit einer ungeheuren Schnelligkeit nach vorne, wandelte und sprang auf die Neunzehnjährige. Sie stieß einen erstickten Schrei aus, als sie unter meinem Gewicht begraben und von meinen Krallen festgenagelt wurde.
Ich zog die Lefzen hoch und brüllte mein furchterregendstes Brüllen in ihr hübsches Gesicht. Das süße Gefühl der Genugtuung durchströmte mich und ich genoss es für einen kurzen Augenblick. Dann riss mich eine Gestalt am Anfang der Gasse aus diesem wunderschönen Gefühl.
"Samira?", fragte Draco verwundert und blinzelte.
"Draco! Hilfe!", piepste Samira unter mir und atmete heftig.
Ich runzelte die Stirn. Hä?
Draco kam näher, steckte sein Schwert wieder ein und funkelte mich finster an. "Runter von ihr!"
Ich zog meine Krallen ein. "Aber..."
"Sofort!"
Seine Stimme klang erstaunlich wütend und ich schnaubte verärgert, bevor ich zurückwandelte und das Mädchen freigab. Samira stand sofort auf und warf sich Draco in die Arme. Er lachte erfreut und zog sie enger an sich. "Ich wusste nicht, dass du noch lebst!", murmelte er. "Es tut mir Leid! Ich hätte euch nicht im Stich lassen sollen!"
Samira schüttelte den Kopf und schloss glücklich die Augen.
Ich stand mit verschränkten Armen daneben und betrachtete die beiden, bevor ich mich einschaltete. "Hey! Ich bin auch noch da!"
Draco wurde rot und und räusperte sich. "Oh...ähm..ja. Samira, das ist Alisha. Und du wirst es nicht glauben, aber sie ist...."
"Der Lichtbringer", vollendete Samira seinen Satz und warf mir einen finsteren Blick zu. "Ich hab's gemerkt!"
Draco kratzte sich verlegen am Kopf. "Ja. Gut. Alisha, das ist Samira. Wir kennen uns schon seit...eigentlich schon immer."

"Aha", antwortete ich, weil ich nicht genau wusste, was das jetzt bedeutete. Waren die beiden ein Paar? Ich beschloss ihn später zu fragen.
Draco wandte sich wieder seiner Freundin zu. "Wo seid ihr alle? Die Stadt ist wie ausgestorben!"
"Wir leben jetzt in den alten Mienen, vorrübergehend, bis alles wieder in Ordung ist. Nevarian schickt regelmäßig Spione hierher, die die Gegend auskundschaften sollen. Deshalb lassen wir sie im Glauben, dass wir woanders hingezogen sind. Solange bis der Lichtbringer ihn hoffentlich umbringt!"
Sie warf einen Blick zu mir hinüber, als glaubte sie nicht ganz daran, dass ich so eine Aufgabe schaffe.
Na, herzlichen Dank auch!
"Komm mit!", rief sie und ergriff seine Hand. "Ich zeig dir alles!"
Draco schielte zu mir und ich lächelte. "Geh schon. Ich schaue derweil bei Dragomira vorbei."
Und dann gingen sie in Richtung Mienen und wirkten wie vom Erdboden verschluckt.

Ich stieß die Tür zu Dracos Großmutter auf und erwartete das Schlimmste. Und das bekam ich auch. Möbel lagen überall verstreut, Schränke waren umgestoßen worden. Ich seufzte. Wie sehr ich aufräumen, liebte.

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