Kapitel 48
Ein neuer Morgen brach heran. Mein vierter Morgen nun schon, den ich unter der Erde in einem erloschenen Vulkan verbringen musste. Das Armband mit dem lila Kristall, das die Zwerge extra für mich und meine Freunde angefertigt hatten, lag zusammen mit der Drachenflöte auf dem Nachttisch. Der pinke Kristall war nicht nur total kitschig, sondern er diente sogar einem ganz besonderen und äußerst nützlichen Zweck: Durch ihn konnten wir uns problemlos über alle Entfernungen verständigen. Er leitete die Gespräche zu allen verfügbaren Kristallen weiter. Vorausgesetzt sie befanden sich an den Handgelenken der Träger. Sobald ich mir das Armband umgeschlagen hatte, ertönte auch schon Nelios Stimme. Alisha, bist du schon wach? Egal, ich habe dich jetzt eh geweckt. Komm runter zum Frühstück. Die Zwerge haben etwas verdammt leckeres vorbereitet, aber es ist bald nichts mehr da, wenn du nicht jetzt kommst.
Ich rollte mit den Augen und antwortete mit einem kurzen müden Gemurmel, bevor ich aus dem Bett stieg und verschlafen meine schwarzen Sachen anzog. Die Zwerge hatten sie extra für mich angefertigt. Eine dunkle Hose, ein schwarzes T-Shirt und eine schwarze Jacke, die innen gepanzert und kugelsicher war, doch von außen, wie eine normale Jacke aussah. Ich bürstete meine Haare, band sie zu einem hohen Zopf und legte den Kopf schräg. Jemand war in meinem Zimmer. Jemand, der nicht verstecken spielen wollte. Jemand, der vermutlich vorhatte, mich zu töten? "Hmmmm", machte ich, schloss die Jacke und straffte die Schultern. Dann wirbelte ich herum und drückte mit den Handflächen gegen die Luft. Ein stämmiger Zwerg, ganz in dunkelblau gehüllt, wurde nach hinten geschleudert, ein Messer flog aus seiner Hand. Er fing den Sturz ab, rollte sich herum, griff nach dem Messer und stürzte sich auf mich. Wir kullerten auf dem Boden herum, bis er auf mir lag und verbissen das Messer nach unten zu drücken versuchte. Ich knurrte wütend, umklammerte sein Handgelenk und drückte dagegen, doch er war stark. Ich trat mit den Füßen gegen seinen Bauch, rollte mich zur Seite und blinzelte, als die Klinge zwei verdammte Millimeter neben meinem Kopf in den Boden gerammt wurde. Der Zwerg stieß ein zorniges Gemurmel aus, ließ das Messer im Boden stecken und versetzte mir einen Tritt in den Magen. Ich krümmte mich vor Schmerz zusammen, ließ den Angreifer mithilfe der Luft gegen die Wand schmettern und verschaffte mir somit eine Pause zum Atmen. Meine Luftröhre brannte und mein Atem ging rasselnd, dennoch richtete ich mich auf und nutzte die kurze Pause um den Feind betrachten zu können. Seine Kleider waren nachtblau, schwarze lange Haare schauten unter seiner Kapuze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, hervor. Doch es war ein Zwerg, seine Körpergröße war für einen ausgewachsenen Mann viel zu klein. Der fremde Zwerg stürmte wieder auf mich zu, sein Gesichtsausdruck war verzerrt. Statt auszuweichen, rannte ich ihm entgegen, wir prallten aneinander und gingen erneut zu Boden. Und wieder lag er auf mir. "Was willst du denn?", fragte ich ihn unter großer Anstrengung und mit verbissenem Gesicht. Doch er antwortete nicht und schlug mir stattdessen gegen den Hals. Es tat weh, es tat sogar sehr weh, dennoch riss ich mich zusammen, stemmte die Füße unter seinen Bauch und versuchte ihn nach oben zu drücken, doch er legte sie flach wie ein Brett auf mich und erdrückte fast meinen Körper. Wut brodelte in mir hoch. Wut und auch ein bisschen Frust. "Jetzt reichts!", verkündete ich grimmig, spreizte die Finger und ließ einen Welle weißer Schatten durch seinen Körper gleiten. Die Schatten hoben ihn hoch, schleuderten ihn gegen die Wand. "Wer bist du?", fragte ich ruhig, die Hand ausgestreckt.
Der feindliche Zwerg gab mir keine Antwort, lachte nur höhnisch. Die Schatten schleuderten ihn wieder gegen die Wand. "Was willst du?", fragte ich erneut, diesmal schärfer, doch er gab mir wieder keine Antwort. Langsam kochte es in mir über. "Was. Willst. Du."
Der Zwerg grinste, schwarze Adern überzogen sein ganzes Gesicht, seine Arme und Beine. Die Augen wurden gelb, veränderten sich zu schmalen Schlitzen. Ich schrie erschrocken auf und ließ ihn fallen. Er richtete sich auf und wollte sie wieder auf mich stürzen, doch aus meiner Hand schoss ein grellen Blitz, der sich in seinen Körper bohrte. Noch bevor er auf dem Boden aufkam, rührte er sich nicht mehr.
Mein Puls raste, mein Herz pochte. Ich starrte auf meine Hand, dann auf den bewusstlosen Zwerg. Zumindest hoffte ich, dass er nur bewusstlos war.
Diese Kräfte mussten schnell unter Kontrolle gebracht werden. Sobald ich Ogrem das nächste mal sah, würde ich ihn nach einem Übungsplatz fragen.
Unter gewaltiger Anstrengung schleppte ich den Zwerg neben mein Bett und fesselte ihn mit der Decke an den Pfosten. Dann rückte ich vor dem Spiegel meine Frisur zurecht, schnippte verärgert einen blutigen Zahn von meiner Jacke und betrachtete meinen Hals. Da wo der Zwerg mich getroffen hatte, klaffte eine rote Linie. Ich ließ meine Haare darüber fallen, vergewisserte mich, dass der Angreifer sich auch wirklich nicht rührte, verschloss das Zimmer und beeilte mich in die große Halle zu kommen. Den Essbereich nannten die Zwerge Mensa, und als ich sie locker lässig betrat, waren fast alle bereits am abräumen. Nelio winkte mir von der Mitte herüber und ich ließ mich, die Hände in den Hosentaschen, neben ihm sinken.
"Hey. Ist noch etwas für mich übrig?", begrüßte ich sie und schob Dako eine Tasse zu, der sie mit Kakao füllte. Dann nahm ich mir ein Brötchen und bestrich es mit Honig. Philo deutete auf einen kleinen Korb. Drei winzige Teigtaschen lagen dort drin und verströmten einen leckeren Duft. "Die musst du probieren. Die sind der Hammer!"
Ich musterte das kleine Gebäck ausgiebig, bevor ich es mir in den Mund steckte. "Wow", murmelte ich mit vollen Backen, "Das schmeckt gut!"
Nach dem Frühstück blieben wir noch sitzen. Die Mensa war jetzt bis auf ein paar Kinder leer und eine ruhige Stille war eingekehrt. Ich lehnte mich zurück, blickte durch die milchige Glasfront auf die Markthalle und legte den Kopf schief. "Wann genau fliege ich eigentlich nach Rakaki? Meine Flügel sind doch wieder einsatzbereit."
Dako schaute mich an und kratzte sich am Hinterkopf.
"Ähm...weißt du Alisha, wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es besser wäre, wenn Draco dich begleiten würde."
Ich lehnte mich abrupt nach vorne, verschränkte die Arme und warf ihm einen finsteren Blick zu. "Ich hab es gewusst. Ich habe es gewusst! Ihr traut mir das nicht zu!"
Draco grinste. "Ach komm schon. Zu zweit ist es nicht so langweilig. Außerdem kenne ich mich in der Gegend besser aus, als du. "
Ich schnaubte. "Ja, du hast gut Reden. Ich darf dich dann den ganzen Weg auf dem Rücken tragen. Mit dem Pferd dauert er nämlich zu lange!"
Draco schnitt eine Grimasse und kratzte sich verlegen am Kopf. "Das wird dir jetzt vielleicht nicht gefallen, aber die Zwerge fertigen gerade einen Sattel für dich an, damit ich mir meine Beine nicht an deinen Schuppen wund scheuere."
Ich blickte ihn finster an. "Na toll. Was kommt noch? Eine Pfeife, damit du mich jederzeit rufen kannst?"
Draco lachte. "Dafür haben wir doch jetzt das Armband, oder?"
Ich knurrte. "Blödmann. Wann fliegen wir los? Ich habe nicht vor noch länger hier zu bleiben."
Nelio legte den Kopf schief. "Ihr fliegt in zwei Tagen."
Dann runzelte er die Stirn. "Was ist passiert?"
Ich blinzelte verblüfft und schaute ihn unschuldig an. "Bitte?"
"Du bist heute morgen ungewöhnlich spät gekommen und hast außerdem noch einen riesen Kratzer am Hals. Was ist passiert?"
Ich antwortete lange Zeit gar nichts. Dann: "Ich wurde angegriffen"
Dako verschluckte sich an seinem Kakao und bekam einen heftigen Hustenanfall. "Was?"
"Ich wurde angegriffen! In meinem Zimmer."
Nelio zog eine Augenbraue hoch. "Von wem?"
Ich schaute mich kurz um, als fürchtete ich, dass irgendjemand mithörte. "Es war ein Zwerg, aber ich glaube nicht, dass er bei Verstand war"
Philo verschränkte die Arme. "Was meinst du damit?"
"Ich glaube, dass es ein Restant war."
Dako blinzelte überrascht. "Ein Restant? Wieso bist du dir so sicher?"
"Er hatte dieses Grinsen. Genau wie Jackie damals."
"Dieses Grinsen?"
"Ja! Dieses teuflische, gemeine Grinsen!"
"Und du bist dir ganz sicher? Du glaubst, also, dass es ein Restant ist, wegen seinem dämlichen Grinsen?"
"Ja,....Vielleicht lag es auch an den schwarzen Adern und den gelbem Pupillen. Aber es war auf jeden Fall ein Restant!"
Nelio lehnte sich zurück. "Dann gibt es also Spione hier. Wir müssen vorsichtiger sein! Was hast du mit dem befallenen Zwerg gemacht, Alisha?"
"Er liegt bewusstlos mit meiner Decke gefesselt unter dem Bett in meinem abgeschlossen Zimmer."
Dako knirschte mit den Zähnen. "Wenn es wirklich ein Restant ist, hält ihn das nicht lange auf. Wir sollten es Milorem erzählen. Schließlich sind es seine Zwerge in seiner Stadt"
Sie warteten nicht einmal auf eine Zustimmung von mir. Sie standen auf, räumten die Teller weg und zogen mich mit. "Ich finde das keine so gute Idee. Nur falls ihr meine Meinung hören wollt", warf ich in die Runde, doch man ignorierte mich und so lief ich mit finsterer Miene hinter den Jungs her.
Vor dem prunkvollen Turm stellte sich uns ein hagerer Zwerg in Uniform entgegen. "Ihr könnt jetzt nicht hinein!",piepste er in einer merkwürdig hohen Stimme. "Fürst Milorem ist in einer wichtigen Besprechung."
Nelio wiegte den Kopf hin und her. "Es ist ziemlich wichtig. Das verstehst du doch sicher?"
Der Soldat nickte eifrig. "Ja, ja. Ich berichte dem Fürsten, dass er euch zu Mittag hereinlassen soll."
Ogrem marschierte um die Ecke und gesellte sich zu uns. "Kann ich euch irgendwie helfen?", fragte er freundlich und rieb sich den roten Bart.
Dako überlegte kurz und nickte. "Komm mit. Wir erzählen es dir auf dem Weg."
"Was?!
Ogrem blieb entsetzt stehen. Seine Augen waren vor Erstaunen weit auf gerissen.
"Ich. Wurde. Angegriffen.", wiederholte ich nochmals, diesmal langsam und deutlicher.
Der Thronfolger schüttelte den Kopf. "Ich hab schon verstanden. Aber von wem? Von einem Zwerg?"
"Es war ein Zwerg, ja, aber wir - ich - glaube, dass es sich um einen Restanten handelt."
"Was?!"
"Es war....."
"Schon gut, ich habs kapiert. Aber ein Restant in der Stadt? Nein! Ausgeschlossen! Das muss ich erst mit eigenen Augen sehen!"
Der Flur war still. Die Anspannung wuchs, als ich die Tür aufschloss, hineintrat und erstarrte. Mein Zimmer war total verwüstet. Schubladen waren herausgerissen, Möbel wahllos demoliert, die Matratze glich einem Federberg. Und der befallene Zwerg stand mitten in dem Schlachtfeld. Schwarze Adern überzogen seine Haut. Die Decke, mit der ich ihn festgebunden hatte, war nur noch ein jämmerliches Häufchen Asche.
Er wirbelte herum und fixierte mich mit diesen gelben gruseligen Pupillen. Mein Blick glitt hinunter zu seiner Hand. Sie war schwarz. Und in diesen schwarzen Fingern hielt er fünf kleine Splitter. Fünf weiße Bruchstücke meines Drachenamuletts.
Ich atmete langsam aus und spannte meine Muskeln an. Bitte tu's nicht!
Der Zwerg ballte seine Hand zur Faust, lächelte mich gehässig an und ließ die zerbröselten Splitter zu Boden rieseln. Zorn wallte in mir hoch. Ich packte den Zwerg mithilfe der Luft, legte all meine Kraft in meine Hände und donnerte ihn an die Wand. Knochen brachen, aus seiner Nase schoss Blut. Ich schnippte mit den Fingern und Schatten schossen aus meinen Handgelenken. Sie wurden scharf, drehten und wanden sich, hatten ihr Ziel fest im Blick. Zwei Millimeter vor seiner Kehle blieben sie stehen.
Ich blickte ihm finster in dir Augen. "Warum hast du das getan?"
Meine Stimme klang unwirklich gefährlich. "Warum hast du mein Zimmer durchwühlt? Was willst du? Sag es mir!"
Der Restant schüttelte den Kopf.
Die Schatten wurden schärfer, bekamen Zacken und Ranken und Spitzen. Sie ritzten sanft über seinen Hals.
"Was hast du gesucht?", fragte ich fauchend. "Sag. Es. Mir!"
Der Restant fletschte seine großen Zähnen. "Nö! Du brauchst mir auch nicht zu drohen. Irgendwann wirst du unaufmerksam sein und dann werde ich über dich herfallen. Du wirst wimmern und heulen wie ein Kind. Ich reiße dir jede Gliedmaße raus, nur um dich flehen zu hören, Lichtbringer."
Das letzte Wort stieß er bitter aus und verzog eine hässliche Grimasse. Wut brodelte in mir hoch. Überlagerte all meine Gefühle. Blitze tanzten über meine Handflächen. In diesem Augenblick schoss nur ein einziger Gedanken durch meinen Kopf.
Töte ihn!
Er hat versucht dich zu töten!
Bring ihn um, reiß ihn auseinander, lösch seine Existenz, nur weil du es kannst!
Du bist der Lichtbringer!
Niemand bringt dich einfach so um! Aber du kannst es!
Ich blinzelte und schaute an dem Restanten hinauf. Seine Seele leuchtete pechschwarz und matt. Es war so einfach ihn umzubringen. Einfach nur diese dunkle, schlechte Seele aus ihm herausziehen. Nur eine Handbewegung.
Philo umklammerte sacht meinen Arm und zog mich vorsichtig weg. Der befallene Zwerg stürzte zu Boden und stöhnte schmerzerfüllt auf. Ogrem drückte ihn nieder und schaute missbiligend auf ihn herab. "Du hast uns verraten!", zischte er, legte ihn in Handschellen und schleifte ihn zur Tür. "Ich bringe diesen Verräter ins Verlies. Und er kommt da nicht wieder heraus, bevor er uns aller gestanden hat!", versprach Ogrem grimmig und schleifte den protestierenden Restanten aus dem Zimmer. Ich sah ihnen nach. Solange bis diese dunkle, schwarze Seele aus meinem Blickfeld verschwand.
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