Kapitel 36

Wir waren schon früh am Morgen aufgebrochen und ritten nun in der frischen Morgenbrise die steile Böschung hinab zur Grotte der Gröttin. Wir reisten auf zwei starken Pferden, die Dragomira hinter ihrer Hütte für uns bereit stehen hatte. Das erleichterte die dreitätige Reise ein wenig. Während dem Ritt redeten wir nur wenig, und das gab mir Zeit zum Nachdenken. Mehrere Stunden verbrachte ich damit, mir schwere Gedanken über meine Freunde zu machen, die völlig unbewacht und bewusstlos mitten im Wald lagen. Inzwischen mussten sie zwar aufgewacht sein, aber allein die Gewissheit, dass ich nicht wusste, ob es ihnen gut ging, machte mich sehr unruhig.
Das Pferd auf dem ich saß, schnaubte, als es meine wachsende Unruhe spürte. Hinzu kam noch, dass ich das Gefühl nicht loswurde bald grässlicher Gefahr gegenüber zu treten. Immer wieder schwebte mir ein Bild vor Augen. Wenn ich mich jedoch darauf konzentrierte, verschwammen die Konturen und es verblasste.
Beklommen vertrieb ich diesen Gedanken aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf die Reise. Nach kurzer Zeit trafen wir auf verschiedene Wanderer, die interessiert zu uns hinauf blickten und mich misstrauisch musterten, jedoch zogen sie weiter. Mir waren die dubiosen Blicken keinesfalls entgangen und genau das machte mich immer angespannter.

Zweifelsohne gelangten wir schließlich auf einen breiten Pfad, der hauptsächlich von vielen Händlern und Nomaden benutzt wurde.
Die argwöhnischen Blicke bohrten sich in meinen Rücken, ließen mein Herz pochen.
Ein kleiner Junge mit hellen blonden Haaren entfernte sich von seiner Reisegruppe und stellte sich mir in den Weg. Wiederstrebend hielt ich an und schaute auf ihn herunter. In seinen kleinen blauen Augen funkelte Neugier und Misstrauen. Er sagte nichts, schaute mich nur vorwurfsvoll an.

Schließlich reichte es mir. "Warum starrst du so? Was stimmt nicht mir?",fragte ich vorsichtig, wohl bedacht keine falschen Worte zu sagen. Der Junge schluckte, fast wirkte er ängstlich, als er flüsterte: "Ich habe Angst vor Drachen. Ich habe Angst vor unnatürlichen Wesen"

Er schaute mir tief in die Augen, laugte meine Seele aus. Gerade als ich um ihn herumreiten wollte, wisperte er etwas. Ganz leise, seine Worte waren kaum mehr als ein Windhauch. Sie bohrten sich in mein Herz.

"Ich habe Angst vor dir!"

Ich wirbelte herum, doch der Junge rannte wieder zu seiner Reisegruppe. Tränen rannen seine Wangen hinunter. Ohne mich nochmals umzudrehen, jagte ich davon. Bloß weg von dieser Straße. Dragomira wartete bereits. "Wieso hast du angehalten? Ist etwas passiert?", fragte sie mich besorgt und deutete auf die Handelsstraße.

Aufgelöst erzählte ich ihr von dem Jungen und was er zu mir gesagt hatte.
Die alte Dame hörte aufmerksam zu und nickte dann. "Wir müssen vorsichtiger sein. Bestimmt hat Nevarian in jedem Dorf eine Belohnung auf dich ausgesetzt."

Ich blinzelte. "Bist du sicher?"

Sie deutete hinter sich. Eine kleine Rauchfahne kündigte ein Dorf an, nicht weit von hier. "Dort werden wir rasten. Dann wird sich zeigen, ob wie in Zukunft nur in Wäldern reisen."

Ich seufzte und folgte ihr durch das dichte Gestrüpp.

Nach drei Stunden Ritt breitete sich die große Handelsstadt Heystetd vor uns aus und versetzte mich in Staunen. So eine große Stadt hatte ich noch nie von Nahem gesehen. Höchstens aus der Luft.

Ohne große Schwiergkeiten passierten wir das gewaltige Haupttor und ritten in den Kern der Stadt. Überall wuselten Menschen und Tiere herum, Händler, die lautstark ihre Ware anpriesen und zwielichtige Gestalten, die argwöhnisch jeden Passanten beobachteten.
Neugierig stieg ich vom Pferd und führte es an den Zügeln zu einem starken Pfahl, andem ich es fest anbindete.

Dragomira hatte sich derweil zu einer großen Tafel, auf der allerlei Neuigkeiten ihren Platz hatten, begeben und musterte sie eingehend. Nach kurzem Zögern gesellte ich mich zu ihr und folgte ihrem finsteren Blick. Ganz oben hängte ein riesige Gesuchten-Anzeige. Und mitten drin war ein großes Bild von mir. Ich erschrak, als ich den Preis sah, den Nevarian ausgesetzt hatte: 5000 Taler. Es war klar, dass jeder Bewohner der Stadt nun nach mir suchte. Hier in dieser Gegend musste jeder um sein Brot hart kämpfen.
Mein Blick fiel auf vier weitere Gesuchte. Dako, Nelio, Draco und Philo. Auch auf sie war ein betrachtliche Summe ausgesetzt worden. Neben mir hörte ich Dragomira leise fluchen, als sie ihren Enkel unter der Anzeige fand.
Sofort fühlte ich mich schuldig und vergrub mein Gesicht noch mehr in der großen Kapuze meines Mantels. Wir mussten nun mehr als vorsichtig sein.

Da es schon später Abend war, kehrten wir in einer kleinen Herberge ein. Der Besitzer wirkte recht freundlich, stellte keine weiteren Fragen und brachte uns in ein kleines schlicht ausgestattetes Zimmer. Er erklärte uns, dass die Duschanlage im Keller sei und die Ställe für Pferde drei Häuser weiter. Dragomira nickte, gab ihm eine Goldmünze und drehte sich zu mir um. "Keine Sorge. Ich bringe die Pferde in einen Stall und du kannst dich waschen gehen. Vergiss aber niemals, dich zu verstecken, einen anderen Namen zu benutzen und nicht zu zaubern!"
Sie drehte sich um und verließ das Zimmer. Ich schnappte mir ein Handtuch und schlich in den Keller. Nach drei Versuchen fand ich schließlich einen Raum mit hölzernen Wannen. Zu meinem Glück war er leer. Hastig ließ ich meine Kleidung fallen und streckte einen Fuß in die Wanne. Sofort zog ich ihn zurück und quickte erschrocken. Das Wasser war eiskalt. Dann kam mir eine Idee. Dragomira hatte mir zwar verboten zu zaubern, aber hier und jetzt zählte das nicht. Ohne zu zögern tauchte ich einen Finger in das Wasser, das sich augenblicklich erwärmte und sanfte Blasen warf. Mit einem wohligen Seufzer glitt ich hinein und schloss die Augen. Es tat gut für einen Moment all die Sorgen und Last zu vergessen.

Mein Bad dauerte fast eine Stunde. Als ich schließlich ein Handtuch um mich schlug, war es bereits dunkel. Vorsichtig schlich ich wieder in unser Zimmer und schloss die Tür. Kurz darauf legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich keuchte erschrocken auf. Dragomira lachte und nahm ihre Hand weg. "Entschuldige, ich habe nicht gedacht, dass du so schreckhaft bist!"

Verdrossen zog ich das Handtuch höher und ließ meine völlig verklebten und schmutzigen Sachen neben dem kleineren Bett fallen. Auf keinen Fall wollte ich sie wieder anziehen. Als ich Dragomira das mitteilte, warf sie mir ein kleines Kleiderbündel zu, dass sie auf dem Weg in die Herberge besorgt hatte. Zufrieden schlüpfte ich in die schwarze Jeans, zog mir einen grauen Pullover über und rutschte in dunkle Wildlederstifel. Den Abschluss bildete eine nachtschwarze Lederjacke.
Dragomira hatte sich derweil ebenfalls ein Handtuch geschnappt und wollte nun auch ein Bad nehmen

"Ich werde mich ein bisschen in der Stadt umsehen!", murmelte ich und öffnete die Tür.

"Pass bloß auf!", rief sie mir noch hinterher, bevor ich in die kühle Nachtluft trat.

Sterne funkelten am Himmel, der Mond war nicht zusehen. Nur noch wenige Menschen liefen auf den schmutzigen Straßen zu ihren Häusern. Die Geschäfte hatten bereits geschlossen. Ich schlenderte die ruhigen Wege entlang und pfiff vor mich her, als ein lautstarkes Geräusch mich aus meiner Entspannung. War das ein Schrei gewesen?
Instinktiv presste ich mich an die Wand und lugte vorsichtig um die Ecke. Aus der Seitengasse drangen dumpfe Geräusche. Jemand rief laut, doch die Worte drangen nur entfernt zu mir.
Etwas in mir regte sich. Gefahr.
Schritte waren zu vernehmen.
Blitzschnell wandelte ich zum Drachen und setzte mit einem mächtigen Flügelschlag auf das Dach. Lautlos schlich ich auf die andere Seite und duckte mich unter dem Schatten der Nacht.

Mehrere zwielichtige Gestalten lungerten um ein hölzernes Podest. Ein dicker Mann stand darauf und rief die Leute heran.
Er hielt ein Seil in der Hand und verkündete lautstark Preise.
Ich schlich auf eine der Pfosten und ließ mich fallen. Kopfüber verfolgte ich nun, wie die Gestalten näher traten.
Der Mann zog an dem Seil und ich traute meinen Augen kaum, als ich sah, was er da heranschleppte. Ein Mädchen, gefesselt und geknebelt, wurde amgepriesen als Sklavin. Ihre Haar war dunkel, ihre Augen strahlten Angst und Schmerz aus, aber auch Erfahrung und Intelligenz. Voller Abscheu beobachtete ich, wie der Sklavenhändler verschiedene Angebote ausrief und die Gestalten interessiert nickten. Nach einer halben Stunde meldete sich ein großer kahlrasierter Mann. Er holte mehrere Scheine aus seiner Tasche und drückte sie dem Sklavenhändler in die Hand. Dieser nickte zufrieden und binner einer viertel Stunde hatte sich der Platz geräumt. Die Sklavin saß ganz allein angekettet an einen Pfahl in der Dunkelheit und wartete darauf, dass ihr neuer Besitzer sie morgen abholte. Ganz deutlich konnte ich ihre Tränen erkennen, die unablässig über ihre Wangen liefen.
Ich wartete noch zwei Minuten bevor ich von der Stange sprang und leichtfüßig landete.
Die Sklavin hob erschrocken den Kopf und suchte die Umgebung ab. Ich wandelte zurück und trat dann zu ihr. Ihr Haar glänzte feucht in der Dunkelheit. Als sie mich erblickte zog sie an ihren Fesseln und zuckte vor mir zurück.

Ich hob beschwichtigend die Hände. "Schhh...ich tu dir nichts!"

Vorsichtig untersuchte ich die robuste Eisenkette und biss sie kurzerhand durch. Das Mädchen riss sich den Knebel aus dem Mund und sprang auf. Dabei entging mir nicht, dass sie mehrere Schritte von mir wich.

"Ich bin Alisha. Wie heißt du?", fragte ich vorsichtig, auf keinen Fall wollte ich sie verschrecken.

Das Mädchen keuchte. "Du bist die, die alle suchen! Der Drache!"

Ich seufzte. Konnte sie mir nicht einfach danken? Ohne sie eines Blickes zu würdigen, drehte ich mich um und ging.
Auf halber Strecke legte sich eine Hand auf meine Schulter.
"Warte!", rief die Sklavin und schenkte mir ein Lächeln, "Danke, dass du mich befreit hast. Ich bin Jackie."

Dann verschwand sie zwischen den Häusern.

Zufrieden kehrte ich in die Herberge zurück und schloss leise die Tür. Dragomira wartete bereits. "Wo warst du gewesen?", fragte sie.

Ich streifte die Sachen von meinem Körper und legte mich ins Bett. "Spazieren"

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