Kapitel 9: Ein geheimnisvoller Reiter

Dagur

Warum war jeder im ganzen Inselreich darauf aus, mich zu erledigen? Gut, vielleicht lag es daran, dass ich mir mit meinen Eroberungsversuchen eine Menge Feinde gemacht hatte. Vielleicht lag es daran, dass mein Seitenwechsel bei den Drachenjägern nicht gerade gut angekommen war. Vielleicht lag es auch einfach an meiner Frisur oder am Wetter oder vielleicht hatten die Typen bloß schlechte Laune, jedenfalls kämpfte ich schon seit Stunden mit einem Haufen aufgebrachter Drachenjäger, die eindeutig mal einen Kurs in guten Manieren brauchten.

Denn es war ganz und gar nicht höflich, einen nichts ahnenden Berserker aus heiterem Himmel von seinem Drachen zu schießen und sie auf unterschiedliche Schiffe zu verfrachten. Noch unfreundlicher war es, zu versuchen, den Berserker über die Planke zu schicken.

Zum Glück trug ich immer einige Messer unter meiner Weste. Außerdem waren diese Kerle entsetzlich dämlich. Wie konnte man bloß auf den „Hinter dir!"-Trick reinfallen? Eine ältere List gab es nicht, das musste man doch kennen. Und dann auch noch zwei Mal. Waren meine Männer auch so dumm gewesen? Wahrscheinlich schon.

Trotzdem hätte ich jetzt gerne ein paar von ihnen dabeigehabt, denn obwohl ich einen Angreifer nach dem anderen fertigmachte, stießen immer weitere dazu. Schnüffler war immer noch eingesperrt und langsam ging mir die Puste aus.

Okay, Zeit für etwas Verrücktes. Etwas Dagur-mäßiges. Blitzschnell scannte ich die Umgebung ab. Überall nur Drachenjäger, mit Axt, Keule oder beschwertem Seil. Nicht gerade ideal, aber damit konnte ich etwas anfangen.

Als erstes schaltete ich den Mann mit der Axt aus, indem ich sie ihm aus der Hand riss und ins Gesicht knallte. Danach stellte ich mich zwischen den Keulenkrieger und dem Jäger mit dem Seil. Der witterte eine gute Gelegenheit und ließ das Seil auf mich zu sausen. Im letzten Moment duckte ich mich darunter hinweg, sodass es sich um den Keulen-Mann wickelte. Anschließend packte ich das Seil, zog es mit einem Ruck an mich und warf es über einen Mast auf dem anderen Schiff. Kurz prüfte ich dessen Stabilität, dann sprang ich.

Johlend landete ich auf einem Drachenjäger und schlug zwei weitere bewusstlos. Mann, das machte Spaß! Musste ich öfter unternehmen. Schließlich erreichte ich den Käfig, öffnete den Riegel und schwang mich auf Schnüfflers Rücken.

Der hob ab und sendete einige kräftige Feuerstöße in Richtung der Schiffe. Keine halbe Minute später füllten sie sich mit Wasser und sanken. Nachdem ich sie noch einmal gründlich verspottete, kehrte ich um und machte mich auf den Weg zurück nach Berk.

Eigentlich würde ich lieber noch eine Weile um die Insel fliegen, vor allem, da Astrid Alleingänge ausdrücklich verboten hatte. Wobei... Im Grunde hatte sie es nur zu Rotzbacke gesagt. Das hieß, ich hatte nicht gegen ihre Befehle verstoßen.

Obwohl ich mich fragte, warum sie mir überhaupt welche erteilen durfte. Immerhin war ich das Oberhaupt der Berserker und sie nur eine Kriegerin. Okay, eine ziemlich gute Kriegerin. Eine unglaublich gute Kriegerin mit einer scharfen Axt, die sich nicht scheute, Leute, die doppelt so groß wie sie waren, zu verprügeln. So gesehen war es ganz schön logisch, dass sie das Sagen hatte. Und sie konnte sehr ungemütlich werden, wenn jemand nicht auf sie hörte, das hatte ich in meiner kurzen Zeit bei den Drachenreitern gelernt.

Trotzdem war ein Angriff der Jäger eine ernstzunehmende Sache. Außerdem wollte ich wissen, wie es meinem Hicks-Bruder ging. Hoffentlich hatten die anderen mittlerweile ein Gegengift gefunden.

Kaum zu glauben, dass es mal mein größter Wunsch gewesen war, ihn und Ohnezahn umzubringen. Ganz schon verrückt, wenn man bedachte, dass er jetzt mein bester Freund war. Na ja, ich hatte mich auch ziemlich durchgeknallt verhalten. War ja auch mein Titel. Passte jedenfalls besser zu mir als bei Hicks. Der Hüne, also wirklich.

Ein Kichern entschlüpfte mir, das sich zu einem ausgewachsenem Lachanfall entwickelte, der so stark war, dass ich nicht mehr aufhören konnte. Das war vermutlich auch der Grund, warum andere mich für geistesgestört hielten. Dabei kannten sie einfach nicht meine Gedanken.

Okay, genug gelacht. Mein Hicks-Bruder brauchte mich jetzt. Schlagartig wurde ich wieder still und bat Schnüffler, schneller zu fliegen.

Nur wenige Sekunden später landete ich vor der großen Halle. Augenblicklich sprang ich von meinem Drachen runter, schob die Tür auf - und stieß prompt mit jemandem zusammen.

„Kannst du nicht aufpassen?", schnauzte ich die Person an, „Ich muss zu Hicks!"

„Dazu wäre es praktisch, wenn du erstmal von mir runtergehst", bemerkte diese. Moment mal, die Stimme kannte ich doch!"

„Hicks! Dir geht's wieder gut!", rief ich erfreut.

„Mir würde es besser gehen, wenn du nicht auf mir drauf liegen würdest."

Oh. Ups. Zerknirscht stand ich auf, gefolgt von Hicks. Gleich darauf umarmte ich ihn, wobei seine Füße ein paar Zentimeter über dem Boden baumelten.

„Krieg keine Luft", ächzte er. Ja, hier drin war es wirklich ziemlich stickig. Man sollte mal ein Fenster aufmachen.

„Dagur! L-lass mich - los", röchelte er.

Ich ließ ihn auf den Boden plumpsen und lächelte entschuldigend.

„Tut mir leid, Hicks-Bruder."

„Schon okay. Ich hoffe nur, die Rippe ist nicht schon wieder gebrochen. Romi hat sie gerade erst geheilt."

Schlagartig fuhr Astrids Kopf herum.

„Wer ist Romi?", fragte sie anklagend. Ooh, da war wohl jemand eifersüchtig.

Aber woher kannte er Romi Grimborn? Nun, wahrscheinlich hatte Viggo sie ihm vorgestellt. Merkwürdig. Ihm musste doch klar gewesen sein, dass sie so auch in diesen Krieg verwickelt werden würde. Irgendwie passte das nicht recht ins Bild. Ich hatte zwar nur eine kurze Zeit im Lager verbracht, dennoch war schnell klar geworden, dass seine Schwester für ihn das Wichtigste auf der Welt war. Nicht wirklich schwer, wenn man für alles Andere bestenfalls Gleichgültig seit aufbrachte, trotzdem hatte er jedem befohlen, sie respektvoll zu behandeln, oder um es mit seinen Worten zu sagen:

„Wer ihr auch nur ein Härchen krümmt, darf den Flüsternden Toden die Zähne putzen und danach ein Bad in kochender Wechselflüglersäure nehmen."

Bei der Vorstellung begann ich erneut zu lachen, was mir etliche schiefe Blicke einbrachte. Und da hieß es noch, große Brüder wären ihren Schwestern gegenüber nicht fürsorglich. Na schön, ich war im Vergleich zu Viggo ein lausiger Bruder gewesen. Das war auch einer der Gründe gewesen, warum ich Heidrun befreit und mich den Drachenreitern angeschlossen hatte. Ich wollte auch so auf sie aufpassen und sie beschützen. Bloß wollte sie sich nicht beschützen lassen und mit dem auf-sie-aufpassen klappte es ebenfalls nicht, schließlich war sie - hier?

Wie war sie hergekommen? Egal, Hauptsache sie war da. Ich wollte sie in die Arme schließen, doch Hicks kam mir zuvor. Seit wann war er denn so anhänglich? Zwar hatte er gerade eine tödliche Vergiftung überstanden, aber das war doch kein Grund, sich so aufzuführen. Nicht nur ich war verwirrt, auch Heidrun wirkte ziemlich überrascht und Astrid kniff die Augenbrauen so stark zusammen, dass sie eine Linie bildeten.

„Heidrun! Bei Thor, bin ich froh, dich zu sehen! Aber wie bist du entkommen?"

War das eine Nachwirkung des Gifts oder wieso redete er wirres Zeug?

„Entkommen?", echote Heidrun.

„Na ja, ist auch egal. Hast du mich nach Berk zurückgebracht?"

„Ähm..."

„Meine Güte, ich bin dir echt was schuldig. Danke Heidrun."

„Wofür? Wovon redest du überhaupt?"

„Du hast mich doch vor den Drachenjägern gerettet."

„Hab ich das?"

Jetzt sprang die allgemeine Verwirrung auch auf Hicks über.

„Aber wenn du mich nicht befreit hast, wer dann?"

„Einer von den Beschützern des Flügels?", überlegte Fischbein.

„Das kann nicht sein", widersprach Heidrun matt, „Die Beschützer des Flügels...Ihre Insel wurde komplett zerstört. Ein riesiger Drache hat alles mit rauchenden Blitzkugeln beschossen. Und der Eruptodon..."

Sie begann zu schluchzen. Fürsorglich legte ich einen Arm um sie. Diese Schweine! Na schön, vor nicht all zu langer Zeit hatte es mir selber Spaß gemacht, Drachen abzuschlachten, doch diese Zeiten waren vorbei. Ich hatte mich geändert und jeder, der meinen Freunden an den Kragen wollte, bekam es mit mit mir zu tun. Oh, das musste ich mir aufschreiben. Einen Vorrat an guten Sprüchen konnte man immer gebrauchen.

„Es ist alles gut, Heidrun", beruhigte Fischbein sie, obwohl auch seine Hände zitterten, „Komm, gehen wir raus."

„In Ordnung", schniefte sie, dann verschwanden ihre Tränen endgültig.

Respekt. Jemanden zu trösten, während man selber mit sich zu kämpfen hatte, erforderte einiges an Tapferkeit. Vielleicht war er doch nicht so ein Weichei wie ich anfangs gedacht hatte. Die beiden verschwanden nach draußen und ließen uns mit den unbeantworteten Fragen allein.

„Also, Hicks wurde von den Drachenjägern entführt, vergiftet und einem Unbekannten zurückgebracht. Es waren weder Heidrun noch die Beschützer, weil ihre Insel plattgemacht wurde. Außerdem wurde ich während meiner Wache ohne Grund von Drachenjägern angegriffen. Bin ich der Einzige, der das nicht kapiert?", fasste ich die aktuelle Lage zusammen.

„Offenbar schon, mein beschränkter Freund. Die logische Erklärung ist doch eindeutig, dass es sich hierbei um einen Geist handelt", schlug Raffnuss vor.

„Es gibt keine Geister", wies Astrid sie scharf zurecht und fuhr an uns gerichtet fort, „Und was ist mit dieser Finja? Was wollte sie überhaupt hier?"

„Finja?", fragte ich verwirrt.

„Da war vorhin so ein Mädchen, das sich als Johanns Tochter ausgegeben hat. Wir vermuten, dass sie die Arena in die Luft gesprengt hat. Als sie aufgeflogen ist, hat sie sich aus dem Staub gemacht."

„Voll unfair! Normalerweise ist das unsere Aufgabe", moserten die Zwillinge.

„Und Hakenzahn", fügte Rotzbacke hinzu.

„Was hat Hakenzahn damit zu tun?"

„Als wir Finja gesucht haben, habe ich ihn im Wald gefunden. In einem Käfig."

„Warum sollte sich jemand die Mühe machen, ihn in einen Käfig zu sperren, nur um ihn dann stehen zu lassen?", überlegte Hicks laut.

Schweigen. Plötzlich hab Taffnuss einen Finger. Ich erwartete eine weitere abstruse Theorie, doch erstaunlicherweise lieferte er eine vernünftige Erklärung:

„Rotzbacke sollte doch ursprünglich Wache halten. Ohne Hakenzahn geht das aber nicht, also hat Astrid Dagur losgeschickt. Uns vertraut sie nämlich nicht, Fischbein hat das Gegengift gesucht und sie selbst wollte bei Hicks bleiben. Auf seiner Wache wurde er festgehalten. Das Gleiche bei Heidrun. Jemand wollte sie von uns fernhalten."

„Das riecht nach Viggo", behauptete Hicks, „"Niemand sonst denkt so kompliziert."

„Das stimmt, aber warum sollte er uns von euch fernhalten wollen?", gab ich zu bedenken. Eine Weile runzelte er die Stirn, dann fragte er:

„Diese Finja, wie sah sie aus?"

„So groß wie Astrid, blaugraue Augen und dunkelbraunes Haar, das an den Spitzen heller wird", beschrieb Rotzbacke. Wie aus einem Munde riefen Hicks und ich:

„Romi!"

„Immer diese Romi", schimpfte Astrid, „Wer ist das überhaupt?"

„Viggos Schwester", erklärte Hicks, „Sie hat mich verarztet, nachdem Reiker mich zusammengeschlagen hat. Aber was macht sie hier? Mir hat sie erzählt, dass Viggo sie nicht auf Missionen mitnimmt."

„Uns hat sie auch so einiges erzählt. Ich wette, sie wollte bloß, dass du Mitleid mit ihr kriegst und ihr vertraust", schnaubte Astrid.

„Das ist erstmal egal. Die Frage ist doch, was sie gesucht hat", beschwichtigte ich.

„Redet ihr von dieser Finja? Mich hat sie über Bork befragt", meinte Grobian plötzlich.

Wo kam der denn her? Auch Fischbein und Heidrun waren zurückgekehrt. Meiner Schwester ging es deutlich besser.

„Bork? Was wollte Finja denn von Bork?", fragte Fischbein.

„Romi", korrigierte ich automatisch, woraufhin Heidrun nach Luft schnappte.

„Romi Grimborn?", hakte sie ungläubig nach. Wir alle nickten.

„Woher kennst du sie?", erkundigte Rotzbacke sich neugierig.

Lass mich raten, er stand auf sie. Welche Überraschung. Okay, sie war schon ziemlich hübsch. Eine gute Kämpferin, schlagfertig, klug und... Schön, ich mochte sie auch. Rotzbacke sollte gefälligst seine Finger von ihr lassen! Leider konnte sie mich überhaupt nicht leiden. Einmal hatte sie mich beinahe verprügelt, nur weil ich ihr ein Kompliment gemacht hatte.

„Wir haben uns kennengelernt, als ich Spionin bei den Drachenjägern war. Wir haben uns angefreundet, aber ich habe sie nicht mehr gesehen, seit ich enttarnt wurde."

„Was hast du ihr alles gezeigt, Grobian?", wollte Hicks wissen.

„Eine ganze Menge."

„Teilen wir uns auf. Wir müssen herausfinden, was sie gesucht hat. Danach fliegen wir zu den Beschützern. Sie brauchen unsere Hilfe.

Kurze Zeit später suchte ich die Ahnengalerie nach Hinweise ab. Nichts. Ich wollte gerade schon Bescheid geben, dass es nicht hier war, da stieß ich gegen Borks Schild. Er fiel zu Boden und die Metallverkleidung auf der Rückseite sprang ab. Ups. Haudrauf würde mich umbringen. Dann erst fiel mir auf, dass in das Holz eine sechseckige Vertiefung eingelassen war. Die Form einer Drachenaugenlinse. Das Rätsel war gelöst.

Der Wind fuhr mir durch die Haare und zerzauste meine ohnehin schon strubbelige Frisur. Hach, ich liebte dieses Gefühl von Freiheit hier oben. Nichts berauschte einen so sehr, wie auf seinem Drachen durch die Lüfte zu sausen.

"Schneller, Schnüffler!", trieb ich ihn an. Neben mir flog Heidrun. Wie wir alle war sie mit Vorräten für die Beschützer des Flügels beladen.

"Wartet auf mich! Fleischklöpschen ist nicht so schnell."

"Warum fliegst du auch so eine lahme Ente", spottete Rotzbacke.

"Schiffe!", rief Heidrun.

"Ja, selbst Schiffe sind schneller als der", stimmte Raffnuss ihr zu. Augenverdrehend korrigierte Heidrun:

"Nein, da vorne sind Schiffe! Drachenjäger wie es aussieht."

"Wir fliegen nicht zu ihnen", befahl Hicks, "Die Beschützer brauchen unsere Vorräte."

"Ähm, Hicks, ich widerspreche dir ja nur ungern, aber es sieht so aus, als wollen sie einen Drachen ins Meer werfen. Im Käfig", kiekste Fischbein.

"Was!?"  Abrupt bremste Hicks ab, sodass ich fast in ihn hinein krachte.

"Planänderung. Fischbein, Rotzbacke und die Zwillinge, nehmt die Vorräte und wartet auf der Insel dort hinten. Wir anderen kümmern uns um die Schiffe."

"Aber ich will auch mit! Warum muss ich immer bei den Schafsköpfen bleiben?" Ein scharfer Blick von Hicks ließ Rotzbacke verstummen und wir teilten uns auf.

"Heidrun, schnapp dir den Käfig. Dagur gibt dir Deckung. Astrid und ich versenken die Schiffe", befahl Hicks. Ich muss schon sagen, er hatte sich zu einem echten Anführer entwickelt. Den kleinen Jungen, der sich immer vor mir versteckt hatte, konnte ich jedenfalls kaum noch erkennen.

Da klopfte Heidrun Windfang auch schon auf den Hals, die im Sturzflug nach unten sauste und sich den herabstürzenden Käfig schnappte. Oh, es ging schon los. Augenblicklich schossen die Bogenschützen ihre Pfeile ab, die Schnüffler jedoch alle verbrannte. Magnesiumstrahl und Plasmaschüsse übernahmen den Rest. Innerhalb weniger Minuten war das Wasser voll von schwimmenden Drachenjägern. Alles erledigt, wir konnten weiterziehen. Dachte ich jedenfalls.

Denn auf einmal fing das Wasser an zu brodeln und ein metallenes Ungetüm stieg aus den Fluten empor. Die schwimmenden Drachenjäger kletterten darauf und bevor einer von uns es richtig realisierte, schlangen sich eiserne Ketten um die Drachen. Wir stürzten ab.

Hart knallte Schnüffler auf das Deck, gefolgt von Sturmpfeil, Ohnezahn, Windfang sowie dem Käfig mit einem verängstigten Gronckel. Sofort packte ich meine Axt, doch einer der Jäger drohte:

"Zieh diese Axt und dein Drache hat einen Pfeil in der Kehle." 

Allein dafür hätte er die Bekanntschaft meiner Axt verdient, aber ich schluckte mühsam meinen Ärger herunter. Fürs Erste. Sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde ich ihm freien Lauf lassen. Denn es gab nichts, was einen Berserker im Kampfrausch stoppen konnte. Ich musste nur aufpassen, dass die Wut nicht Überhand nahm. Dann konnte es nämlich passieren, dass ich nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden konnte. Früher war das öfter vorgekommen, aber mittlerweile hatte ich mich recht gut im Griff. Doch als die Luke aufging und die Grimborn-Brüder heraus stiegen, wurde ich auf eine echte Bewährungsprobe gestellt.

"Und schon wieder bist du reingefallen, Hicks. Wann lernst du endlich, unvorhersehbarer zu werden?", tadelte Viggo ihn wie ein kleines Kind. 

Aus irgendeinem Grund steigerte das meine Wut. Nur ich durfte so mit ihm reden! Am liebsten hätte ich ihn verprügelt, aber das wäre nicht gut ausgegangen. Mir blieb nichts Anderes übrig als die Fäuste zu ballen, grimmig zu gucken und abfällig zu knurren.

"Dagur, schön dich wiederzusehen. Und dazu noch kurz vor einem Berserkerrausch. Faszinierend. Das wollte ich schon immer mal beobachten. Stimmt es, dass ihr doppelt so stark werdet wie vorher?"

Anschließend ging er weiter zu Heidrun. Ich wollte mich beschützend vor sie stellen, wurde aber brutal zurückgerissen.

"Und da ist ja die kleine Spionin. Warum bist du nicht geblieben? Romi vermisst dich."

"Kein Wunder, wenn sie niemanden außer dir zur Gesellschaft hat", entgegnete Astrid bissig, "Übrigens, fragst du dich nicht, wo sie ist? Tja, ich kann's dir sagen. Sie rennt im Wald von Berk herum. Falls sie nicht von wilden Drachen gefressen wurde."

Für einen Moment bekam Viggos Maske einen Riss. Ich hätte schwören können, dass er erbleichte. Gut gemacht, Astrid. Aber dann lächelte Viggo geheimnisvoll. So wie ich ihn kannte, bedeutete das nichts Gutes.

"So eine spitze Zunge wie eh und je. Allerdings wird sie dir nicht viel nützen. Eigentlich eine Verschwendung, eine Kriegerin wie dich zu den Fischen zu schicken. Leider brauche ich dich nicht." Erschrocken legte Hicks einen Arm um sie. Auch ich schnappte nach Luft. Das würde er doch nicht wirklich wagen, oder?

"Aber falls es dir ein Trost ist, Heidrun wird dich begleiten. Ich würde dir auch noch gerne Dagur hinterherschicken, aber er ist ein exzellentes Druckmittel. Ich wette, die Berserker würden eine Menge zahlen, um ihr Oberhaupt wieder zu bekommen und Hicks... 

Jetzt schau nicht so. Ich habe dich gewarnt. Du wusstest, was passieren würde, wenn du dich mir widersetzt. Und jetzt habe ich trotzdem deinen Nachtschatten. Siehst du? Es hat keinen Zweck, mich besiegen zu wollen. Am Ende gewinne ich doch. Dein Drache gehört mir und deine Freunde werden gleich sterben... Außer, du verrätst mir Romis Aufenthaltsort."

"Ich weiß es nicht! Ich habe keine Ahnung, wo sie sich versteckt, ich war die ganze Zeit bewusstlos. Und selbst wenn, Astrid hat es dir bereits gesagt, sie ist im Wald von Berk. Glaubst du nicht, wir haben nicht selber nach ihr gesucht? Wir haben keine Ahnung, wo sie steckt."

"In der Tat? Nun, das ist bedauerlich. Leider nützt mir diese Information nichts. Werft sie über Bord", befahl er kalt.

"Nein, warte! Viggo, nicht! Bitte, hör auf! Du hast gewonnen, mach mit mir, was du willst, aber bestrafe nicht sie für meine Fehler!"

Meinen besten Freund so betteln zu hören, brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. In diesem Moment brach ein Vulkan in mir aus. Ich schleuderte zwei Wachen ins Meer und stürzte mich brüllend auf Viggo. Die Drachen ergriffen die Chance und feuerten in alle Richtungen. Astrid verdrehte ihrem Bewacher den Arm und befreite die anderen. 

Es sah schon so aus, als hätten wir eine Chance zu entkommen, doch dann zog Reiker mir sein Schwert über den Hinterkopf, sodass ich vornüber fiel, ein eisenverstärktes Netz legte sich über meine Freunde und den Drachen wurden Maulkörbe angelegt. Reiker zog mich hoch, fesselte Hicks und mich und übergab uns an jeweils zwei Wachen, die jedem ein Schwert an den Hals pressten.

Hilflos musste ich ansehen, wie er meine Schwester in den Käfig stieß. Dann riss er Astrid von Hicks weg. Beide wehrten sich dagegen, doch gegen die kampferprobten  Elitewachen hatten sie keine Chance. Auch Astrid landete im Käfig und Reiker schloss die Tür sorgfältig ab.

Eine Seilwinde zog den Käfig in die Höhe. Mit jedem einzelnen Kettenglied schien ihr Schicksal weiter besiegelt. Verzweifelt stemmte ich mich gegen meine Bewacher, aber sie waren viel zu stark. Auch die Versuche, den Berserkerrausch zu aktivieren, schlugen fehl. Dazu war unkontrollierbare Wut vonnöten und alles, was ich noch fühlte, war Angst und Hilflosigkeit.

Dann löste sich der Haken von dem Käfig. Unendlich langsam fiel er ins Wasser und versank. Neben mir schrie Hicks entsetzt auf, vielleicht schrie ich auch selbst. Die ganze Welt stand mit einem Mal still. Das konnte nicht sein. Es war unmöglich. Und doch war es gerade passiert. Mein Sichtfeld verschwamm. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel. Heidrun... war tot. Fort, mit einem Augenblick. Als ich herausgefunden hatte, dass sie meine Schwester war, hatte ich geschworen, sie zu beschützen. Ich hatte versagt.

Plötzlich schoss etwas Rotes durch die Luft und verschwand an der Stelle im Wasser, an der auch der Käfig untergegangen war. Normalerweise hätte ich mich darüber gewundert, doch der Teil in mir, der für Gefühle zuständig war, hatte den Dienst wegen Überlastung aufgegeben. 

Doch als es nach einer halben Minute wieder auftauchte und den Käfig aufs Deck fallen ließ, sprang er wieder an. Denn da standen Astrid und meine Schwester, klitschnass, aber unversehrt. Vor Freude hätte ich sie umarmt, aber die Fesseln und die Wachen hinderten mich daran.

Der Drache, der die beiden gerettet hatte, sprengte den Käfig mit einer Flamme, die zuerst golden und dann silbern war. Dann sprang eine Gestalt von seinem Rücken und hieb die Ketten der Drachen mit einer Doppelblattaxt durch. Auch ansonsten...

Verwundert rieb ich mir die Augen. Wurde ich jetzt endgültig verrückt? Es sah so aus, als hätte Heidrun plötzlich einen Zwilling. Denn die Person war genau wie sie gekleidet, von der Kapuze auf ihrem Kopf bis hin zu den Stiefeln. Mit wenigen Bewegungen schaltete sie die Wachen aus, befreite Hicks und mich und raste mit ihrem Drachen davon. Was war das denn gerade? Komisch, sehr komisch.

Dann rief Heidrun mir zu, ich solle aufsteigen und wir flogen in die andere Richtung, geradewegs zur Insel, wo die restlichen Drachenreiter ohne eine Ahnung von dem verrückten Geschehen auf uns warteten.

So, hier ist das Kapitel. Was glaubt ihr, wer der Reiter war? Wenn ihr Vermutungen habt, schreibt sie in die Kommentare. Das Foto zeigt den Drachen. Es stammt übrigens von meiner Freundin DragonWhisperer13. Noch mal ein großes Lob an dich. Also dann, bis zum nächsten Kapitel,

Eure Elementara


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