Kapitel 22: Glaube nicht an die Fassade, sehe die Seele
Nach einer Weile, in der ich bloß an die Decke gestarrt und mich beruhigt hatte, beschloss ich, die Grotte zu erkunden. Es war keine große Grotte, gerade mal fünfzehn Schritte lang, aber die Wände funkelten im Licht des Kerzenstummels, den ich glücklicherweise mitgenommen hatte. Wie durch ein Wunder war der Docht trocken geblieben, ansonsten wäre ich jetzt aufgeschmissen. Die zuckende Flamme warf die merkwürdigsten Schatten an die Wände. Eine Schar Menschen mit Speeren und Bögen, ein Schwarm Drachen, unverkennbar Nachtschatten. Aber...das waren ja gar keine Schatten. Das waren Bilder! Jemand musste vor mir hier gewesen sein. Doch die Farbe war verblichen, die Bilder mussten um die zehn Jahre alt sein.
Fasziniert betrachtete ich sie genauer. Es schien zwei Gruppen von Menschen zu geben, eine kleine auf der Seite der Drachen und eine sehr viel größere, die gegen die Drachen kämpfte, an ihrer Spitze ein Mann mit weißblonden Haaren. Die Leute in der anderen Gruppe waren fast ausnahmslos von dunkler Hautfarbe. Nur eine junge Frau stach heraus, mit ihrer geistesbleichen Haut und den rotbraunen, zackig gelockten Haaren. Sie rannte von den Leuten weg, unter ihrem Arm klemmte ein schwarzes Ei. Nachtschattenschwarz. Konnte es sein, dass... Nein, das ergab keinen Sinn. Dafür war Ohnezahn zu alt. Für einen Moment hatte ich tatsächlich geglaubt, das Geheimnis seiner Herkunft entdeckt zu haben. Aber wenn er es nicht war, konnte es einen weiteren Nachtschatten geben? Alle anderen schienen tot zu sein, niedergemetzelt von dem Mann von dem blonden Mann und seinen Gefährten.
Alle, bis auf einen, der über dem rothaarigen Mädchen kreiste. Es sah aus, als wollte er sich auf sie stürzen. Die Frage war nur, warum? Wegen dem Ei? Wahrscheinlich. Auch auf den anderen Bildern war er zu sehen, selbst als sämtliche anderen Nachtschatten tot auf dem Boden lagen. Sah so aus, als hätte er das Gemetzel überlebt. Konnte er vielleicht Ohnezahn sein? Immerhin war er ein gutes Stück kleiner als die anderen Drachen. Möglich wäre es zumindest.
Ich ließ meinen Blick weiter über die Bilder schweifen, in der Hoffnung, mehr herauszufinden. Über den Drachen erfuhr ich nichts, dafür entdeckte ich eine Person in der Menge der Jäger, die ich kannte. Verwirrt betrachtete ich das Bild erneut, blinzelte ein paar Mal, doch es blieb unverkennbar die gleiche Person, so brutal wie eh und je: Reiker, wenn auch etwas jünger. Was machte der denn dort? Mit einem Mal kam mir wieder in den Sinn, wie er im Bauch des Schiffes mit seinen ganzen erlegten Nachtschatten geprahlt hatte. Damals war es mir wie Prahlerei vorgekommen, wie ein Versuch, mich zu destabilisieren; jetzt stellte es sich als wahr heraus. Aber was kümmerte mich das? Dass er ein brutaler Schlächter ohne Gewissen und Gnade war, wusste ich doch schon längst. Hier zeigte sich lediglich, dass auch andere diese Erfahrung gemacht hatten. Nein, mich interessierte bloß das Ei und vielleicht noch die junge Frau, aber darüber würde er mir wohl kaum etwas erzählen.
Also ließ ich die Malereien sein und begab mich in den hinteren Teil der Höhle. Sofort zog ein mannshoher Spiegel mit kunstvoll gestaltetem Rahmen meine Aufmerksamkeit an. Wer stellte denn in einer Höhle einen Spiegel auf? Und wie hatte die Person den Spiegel durch den engen Tunnel bekommen, ohne ihn zu zerkratzen? Auch dass die Person ihn zurückgelassen hatte, machte keinen Sinn. Immerhin sah der Spiegel recht wertvoll aus und wer einen so sperrigen Gegenstand in eine Grotte mitnahm, ließ man ihn doch nicht einfach dort liegen. Am rätselhaftesten war allerdings die in den Rahmen eingravierte Inschrift: Glaube nicht an die Fassade, sehe die Seele.
Was das wohl heißen sollte? Vielleicht - so absurd das auch klingen musste - zeigte dieser Spiegel einem seine Seele. Ein Seelenspiegel... Die Geschichten erzählten ja andauernd von solchen Sachen. Ob ich hineinschauen sollte? Passieren konnte ja nichts. Im schlimmsten Fall war es ein stinknormaler Spiegel. Also warum zögerte ich? Fürchtete ich mich etwa vor dem, was ich zu sehen bekommen würde? Nein, da gab es nichts zu fürchten. Mit diesem Gedanken blickte in den Spiegel hinein.
Bunte, strahlende Wirbel tanzten über die glänzende Oberfläche, formten hypnotisierende Muster, nur um einer nach dem anderen wieder zu verglühen. An ihrer Stelle kristallisierte sich langsam das Abbild eines Nachtschattens heraus. Mitgefühl und Intelligenz langen in seinen waldgrünen Augen, eine Spur dunkler als Ohnezahns.
War das ich? Unglaublich. Meine Seele... die Seele eines Nachtschattens. Mensch mit einer Drachenseele, Bindeglied zwischen dem Welten. Eine Welle von Kraft durchströmte mich, eine Kraft, die tief aus meinem Inneren drang. Das war ich, das war meine Bestimmung. Ich hätte für Stunden hierbleiben können, doch auf einmal blinkte der Spiegel auf und die Farben verschwanden wieder.
Was...? Wie lange hatte ich hier gestanden? Ich fühlte mich, als hätte ich Stunden geschlafen. Und warum war das Bild überhaupt verschwunden? Ein Lichtstrahl hatte es vertrieben, aber woher kam der Lichtstrahl? Bestimmt nicht aus dem Tunnel. Forschend schweifte mein Blick durch die Grotte und blieb an der Decke hängen. An höchster Stelle klaffte ein natürliches Loch, das wohl von einer Klappe verschlossen worden war, bis die Seilkonstruktion zum Verschließen vermodert und entzweigerissen war. Dadurch war wahrscheinlich auch der Spiegel in die Höhle gekommen - und ich konnte da raus.
Bloß wie kam ich da hoch? Durch den Tunnel würde ich nicht noch einmal schwimmen, so viel stand fest. Ich zitterte ja jetzt schon am ganzen Leib, ich konnte von Glück reden, wenn ich nicht krank wurde. Also klettern. Dummerweise lag das Loch in der Mitte der Höhle am höchsten Punkt und als ich probehalber an einem der Seile zog, zerbröselte es in meiner Hand. Ich musste mir etwas einfallen lassen.
Okay, was hatte ich dabei? Eine Kerze, einen Feuerstein, eine durchweichte Papierrolle, ein kurzes Seil, ein kleines Messer und ein Multifunktionswerkzeug, auch bekannt als Beinprothese. Zusätzlich eine Menge Geröll und halb vermoderte Seile. Hm. Damit konnte ich etwas anfangen.
Eifrig macht ich mich an die Arbeit. Zuerst schob ich das verstreute Geröll zu einem großen Haufen in der Mitte zusammen, eine schweißtreibende Tätigkeit, aber immerhin betrug der Abstand zur Decke nur noch drei Meter und nicht dreieinhalb. Mit ausgestreckten Armen galt es circa 80 Zentimeter zu überbrücken. Dafür kam der Rest ins Spiel.
Mit dem Messer raspelte ich Stück für Stück das Wachs der Kerze ab, bis bloß der Docht und eine Fingerbreit Wachs übrig blieben. Das war der einfachste Schritt. Als nächstes musste ich nämlich so viele von der Seilen einsammeln. Mehr als die Hälfte riss oder herfiel in meinen Fingern zu Staub. Übrig blieben gerade mal drei, auch die nicht gerade ein Ausbund an Stabilität. So vorsichtig wie möglich wählte ich das Kräftigste aus und zurrte damit das Messer an der Prothese fest. Eine Schicht Wachsspäne daraufstreuen und mit der Kerze schmelzen, die restlichen Seile daran andrücken und mit den übrigen Wachs befestigen, fertig war der Wurfanker. Für das Kletterseil knüpfte ich einfach die Schnur von meiner Prothese und das Seil zusammen. Das müsste halten. Hoffentlich. Wenn nicht... dann durfte ich hoffen, dass jemand von meinen Freunden mich hier fand und die Chancen dafür standen ziemlich schlecht. Aber es würde schon klappen.
Na schön, es ging los. Mal sehen, ob meine Konstruktion etwas taugte. Ich schleuderte die Prothese durch das Loch, immer wieder. Nach dem 14. frustrierenden Mal fiel sie nicht mehr zu mir zurück, als ich an dem Seil zog. Das wäre geschafft. Jetzt musste ich da hochklettern. Wie ich das schaffen sollte, war mir schleierhaft. Egal, würde schon schiefgehen. Schwankend hüpfte ich zu dem Geröllhaufen und kletterte hinauf. Mithilfe des Seils zog ich mich hoch, teils um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, teils um die Stabilität zu prüfen. Meine Knöchel traten weiß hervor, doch es hielt und ich machte mich ans Klettern. Einmal rutschte ich beinahe ab, aber letztendlich gelangte ich aus der Höhle hinaus. Nachdem ich die Prothese befestigt hatte, an der jetzt Wachs klebte, eilte ich zum Tümpel, um meine Sachen zu holen. So faszinierend es in der Grotte auch gewesen war, der Mond ging schon langsam unter und ich musste mich beeilen, wollte ich nicht auffliegen.
Zu spät. Auf dem Steg wurde ich von Astrid empfangen. Die Arme verschränkt stand sie da, ihre Augen nur noch Schlitze.
"Spar's dir", empfing sie mich.
"Hä?"
"Ich will gar nicht wissen, warum du mitten in der Nacht rausgehst. Oder wo du warst. Oder warum deine Haare nass sind. Oder warum du Wachs an deinem Fuß kleben hast. Hauptsache, du bist wieder da."
"Du bist nicht sauer auf mich?", hakte ich nach.
"Natürlich bin ich sauer auf dich, du Idiot! Du bist einfach abgehauen, ohne uns Bescheid zu sagen. Aber... ich bin noch viel froher, dass du hier bist."
Sofort fing mein Herz an, wie wild zu tanzen. Mein kompletter Wortschatz war verschwunden, nur noch Astrid existierte. Das war der Moment, der Moment um ihr zu sagen, was ich für sie empfand. Aber wie? Alles, was mir einfiel, erschien mir mit einem Mal unpassend, unoriginell, nicht angemessen für diese Flutwelle an Gefühlen, die ich mit ihr verband. Halbherzig machte ich einen Schritt auf sie zu, blieb jedoch mit der Prothese in einer Rille hängen und verlor das Gleichgewicht. Mit den Armen rudernd fiel ich vornüber, direkt auf Astrid zu. Ich dachte schon, ich würde auf den Boden knallen und sie mit mir reißen, doch zwei warme Hände fingen mich auf.
"Vorsicht", lächelte sie. O Thor, ihr Lächeln.
"Komm."
"Kommen? Wohin?"
"Zur Versammlung", lautete die knappe Antwort.
"Versammlung", echote ich. Es war mitten in der Nacht! Was mich zur nächsten Frage brachte: Warum waren überhaupt alle wach?
"Romi ist vorhin angekommen", erklärte Astrid, "Sie hat ein paar interessante Neuigkeiten für uns."
Interessant war in dem Fall noch untertrieben. Mir blieb vor Überraschung die Spucke weg, als sie erzählte, was sie mitgebracht hatte: Einen Plan des Schiffs auf dem Granatenfeuerdrachen, sowie von der Höhle, in der er untergebracht war. Ich wollte gar nicht wissen, wie gefährlich es gewesen war, daran zu gelangen. Aber sie hatte es tatsächlich geschafft, wir besaßen endlich eine reelle Chance, Viggo seine größte Waffe zu nehmen. Wie hieß es so schön? Angriff ist die beste Verteidigung.
Natürlich nur, wenn wir es richtig anstellten. Noch so einen Fehler wie bei den Verhandlungen durfte ich nicht machen. Ich durfte Viggo meinen Plan nicht noch einmal durchschauen lassen. Und genau daran lag der Haken: er würde jede meiner Strategien durchschauen. Doch einen Vorteil hatten wir. Viggo wusste nicht, dass wir vom Versteck des Granatenfeuerdrachen wussten und schon gar nicht von den Plänen, die Romi abgezeichnet hatte. Das mussten wir ausnutzen.
"Irgendwer eine Idee?", fragte ich in die Runde hinein. Kopfschütteln. Allerdings war es auch mitten in der Nacht, wahrscheinlich sollten wir besser morgen weitermachen. Doch da fiel mir auf, wie Fischbein an seinen Fingernägeln knabberte. Seine Augen flitzen hin und her, als verfolge er eine für uns unsichtbare Fliege.
"Fischbein?", hakte ich nach.
"Na ja... also... ähm..."
"Spuck's schon aus, Fischnase."
"Rotzbacke, du bist absolut keine Hilfe!", fuhr ich ihn an, "Woran denkst du, Fischbein?"
"Also... Viggo weiß ja nicht, dass wir kommen, weil Romi den Plan nicht mitgenommen, sondern nur abgezeichnet hat. Er würde aber sofort merken, wenn wir zu dieser..."
"Tanneninsel", half Romi aus.
"Tanneninsel fliegen würden. Mal abgesehen davon ist er sicher nicht so dumm, die Höhle unbewacht zu lassen. Er wird Geschütze installiert haben und an denen kommen wir nicht ohne Weiteres vorbei. Was wir brauchen, ist ein Vorwand, um zu einem Angriff auf sein Lager anzusetzen."
"Und was soll uns das bringen? Dass wir uns in der Luft zerfetzen lassen können? Oh großartig, ich bin dabei."
"Ich auch!", riefen Raff und Taff im Chor.
"Jetzt lasst Fischbein doch mal ausreden!"
"Mimimi, will Hicksi-Picksi etwa unseren Fischnase verteidigen? Da haben sich zwei Langweiler gesucht und gefunden. Hey, ihr könntet einen Club aufmachen! Wie wäre es mit Club der Schnarchnasen ? Passt doch perfekt, oder? Romi, du stimmst mir doch sicher zu."
Schmachtend starrte er sie an, wir alle mussten uns ein Prusten verkneifen. Musste er denn wirklich jedes Mädchen anmachen? Und man konnte es nicht mal auf die Müdigkeit schieben, er war nämlich immer so. Romi blieb allerdings völlig ungerührt.
"Klar stimme ich dir zu", antwortete sie zuckersüß.
"Du-du stimmst mir zu? Ich meine, natürlich stimmst du mir zu!"
"Wenn du mit den Schnarchnasen deinen Drachen und dich meinst. Komm, ich kann dir ein Abzeichen basteln! Oder willst du lieber eine Krone?" In Rotzbackes aufgesperrtem Mund hätte locker ein ganzes Huhn Platz gefunden. Hühnchen schien das genauso zu sehen, denn mit einem Mal hockte sie auf seinem Unterkiefer.
"Gah!"
"Was? Wir können dich nicht hören!", trällerte Raffnuss.
"Gah!"
"Diese Sprache ist mir nicht bekannt."
"Hacht has humme Heherhieh ha heg!"
"Wie bitte?", fragte Taff gekünstelt.
"Leute, das reicht jetzt!", ging ich dazwischen, "Reißt euch zusammen."
"Ja, ja. Komm zu Onkel Taffi, mi pollo." Glücklich gurrend flatterte das Huhn in Taffs Arme, wo er es zärtlich streichelte.
"Das hast du fein gemacht, meine Süße. Ich würde sagen, das Training hat sich gelohnt."
"HEY!"
"Rotzbacke, Taff, es reicht! Könnt ihr bitte die Klappe halten? Wir haben etwas Wichtiges zu besprechen! Fischbein, was wolltest du jetzt sagen?"
"Na ja... wenn wir einen Angriff auf das Lager starten könnten und dabei"
"Laaaaangweilig", stöhnte Rotzbacke.
"So, jetzt reicht es mir aber!", platzte mir der Kragen, "Wenn es für dich so langweilig ist, dann kannst du gerne rausgehen! Raus mit dir, habe ich gesagt!"
Murrend verließ Rotzbacke die Hütte. Ich ließ einen entnervten Seufzer fahren. Warum kapierte er nicht, wann genug war? Immer war es so mit ihm, immer! Wie bei einem kleinen Kind. Merkte er denn nicht, dass es nur noch nervte? Da waren ja die Zwillinge leichter auszuhalten. Wir besprachen wichtige Dinge und er? Machte nur Blödsinn und unterbrach Fischbein andauernd.
"Red weiter, Fischbein", forderte Astrid ihn auf.
"Was ich sagen wollte... wenn wir einen Angriff auf das Lager starten könnten und dabei über die Tanneninsel fliegen, könnten ein oder zwei Leute unbemerkt über der Insel abspringen und den Drachen vom Schiff befreien. Dann könnte er ohne große Probleme davonschwimmen. Wir müssten nur die Ketten, mit denen das Schiff befestigt wird, zerstören." Er fuhr mit dem Finger drei dünne Linien nach.
"Fischbein, das ist genial! Bloß wie können wir es glaubhaft machen, dass wir es lediglich auf das Lager abgesehen haben?", überlegte ich laut.
Sofort brach eine heiße Diskussion aus. Ideen flogen nur so durch den Raum, eine unbrauchbarer als die andere. Einzig Romi beteiligte sich nicht an der Debatte, sondern saß mit geschlossenen Augen völlig versteinert auf ihrem Hocker. Bis sie auf einmal wie vom Blitz getroffen aufsprang.
"Ich hab's! Das ist es! Mann, dass ich da nicht vorher drauf gekommen bin!"
"Könntest du uns vielleicht auch mitteilen, was diese ach so geniale Idee ist?" Oh je, Astrid klang ganz schön genervt. Was war bloß mit ihr in letzter Zeit los? Immer wenn Romi dabei war, wirkte sie wie ausgewechselt. Romis Begeisterung tat das allerdings keinen Abbruch.
"Einer von euch muss sich gefangen nehmen lassen, nur das wirkt glaubwürdig genug."
"Tolle Idee", höhnte Astrid, "Genauso gut wie das Gegengift nicht zu holen, wenn man es direkt vor der Nase hat. Deine Brüder müssen richtig stolz auf dich sein."
Romi wich zurück, so als hätte Astrid sie geschlagen. Dann geschah etwas Seltsames. Alles Sanfte und Fröhliche verschwand aus ihrem Gesicht, an ihre Stelle kam eine Bitterkeit zum Vorschein, die ich zuletzt gesehen hatte, als ich ihr von Ohnezahn erzählt hatte. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, ein gefährliches Glitzern trat in ihre Augen. Mit einem Mal sah sie so aus wie Reiker, wenn er einen Wutanfall hatte und alles um sich herum kurz und klein schlug oder wie Viggo, wenn er plante, wie er seine Gegner vernichten würde. Das würde nicht gut ausgehen.
"Sag. Das. Nie. Wieder! Sonst zeige ich dir, was passiert, wenn man mich zur Feindin hat, du eifersüchtige Kuh."
"Eifersüchtig? Du denkst, ich bin eifersüchtig auf dich? Auf eine Drachenjägerin, die uns loswerden will? Auf eine Familienverräterin?"
"Nimm das zurück!"
Schneller als wir reagieren konnten, stürzte sie sich auf Astrid und schleuderte sie zu Boden. Damit nicht genug, sie verpasste ihr eine schallende Ohrfeige nach der anderen. Wie von Sinnen schlug sie auf sie ein, bis Astrid sich mit einem Mal herumdrehte. Ineinander verkeilt rollten sie über den Boden, schlagend und tretend.
Welche von ihnen wohl gewonnen hätte, hätten wir sie nicht auseinander gezerrt? Schwer zu sagen. Astrid war zwar stärker, erfahrener und besser trainiert, aber Romi wütender. Viel wütender. Einen Fluch nach dem anderen schoss sie auf Astrid ab, einige davon hatte ich noch nie gehört. Die Zwillinge machten sich eifrig Notizen. Doch alle prallten wirkungslos an Astrid ab. Allein ihr Blick verriet ihren Zorn, ansonsten hielt sie sich unter Kontrolle. Nach einer Weile hatte auch Romi sich abreagiert.
"Habt ihr euch wieder im Griff?", fragte ich, "Können wir euch loslassen, ohne dass ihr euch die Augen auskratzt? Langsames Nicken von beiden Seiten.
"Gut." Ich nahm meine Hände von Romis linkem Arm, die anderen taten es mir gleich und ließen die beiden Streithennen los. Einen kurzen, angespannten Moment warteten wir darauf, dass es wieder von vorn losging, doch sie setzten sich zurück an ihre Plätze, die jeweils andere argwöhnisch beäugelnd. Erleichtert setzten wir uns dazu. Astrids blaues Auge und Romis rote Kratzer an der Wange ignorierend erkundigte Fischbein sich:
"Wie steht es eigentlich mit dem Plan?"
"Ich finde deine Idee gut", entgegnete ich, "Und Romis auch." Sofort setzte Astrid zu einem Einspruch an, doch ich ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
"Ich weiß, was du davon hältst und du hast Recht, es ist riskant, aber es ist die glaubhafteste Lösung. Wir müssen es probieren, wenn wir den Granatenfeuerdrachen loswerden wollen. Oder hat jemand eine bessere Idee?" Kopfschütteln.
"Dann wäre das also geklärt. Wir müssen nur noch besprechen, wer was macht."
"Ich kümmere mich um den Granatenfeuerdrachen", meldete Astrid sich ohne zu zögern.
"Ich auch." Astrid und Romi in einem Team? Keine gute Idee.
"Vielleicht wäre es besser, wenn ich das mache. Astrid du bist unsere beste Fliegerin und Romi brauchen wir als Absicherung, falls etwas schiefgeht."
"Ohnezahn kann ohne dich doch gar nicht fliegen", hielt Fischbein dagegen.
"Du hast Recht. Dann also..."
"Hicks, ich kriege das schon hin", widersprach Astrid sanft.
"Na schön, aber sei vorsichtig. Und am besten bleibt Romi auf der Tanneninsel, als Jägerin. Wenn alles schiefgeht, feuerst du dein Notsignal ab, wie damals am Strand. Hauptsache, du benachrichtigst uns. Aber lass dich nicht erwischen, klar?" Ich würde nicht noch einen von meinen Freunden an Viggo verlieren. Auf keinen Fall.
"Astrid, das gilt auch für dich. Es ist zwar wichtig, dass der Granatenfeuerdrache verschwindet, aber du bist wichtiger. Zur Not bläst du die Aktion ab."
"Wer macht eigentlich den Gefangenen?", wollte Fischbein wissen.
"Also ich auf keinen Fall", sagte Rotzbacke, der im Laufe der Prügelei zurückgekommen war, in die Runde.
"Das hat auch keiner von uns erwartet", gab ich zurück, "Ich mache es." Es war der gefährlichste Part, abgesehen von Astrids, und ich würde keinen meiner Freunde so einer Gefahr aussetzen.
"Hicks, das geht nicht", widersprach Astrid, "Wie schon gesagt, wir brauchen alle Drachen und ohne dich kann Ohnezahn nicht fliegen. Außerdem bist du das zukünftige Oberhaupt, du darfst dich nicht in so eine Gefahr begeben."
"I-ich mache es", meldete sich Fischbein schüchtern zu Wort.
"Du?"
"J-ja. Der Plan war ja schließlich meine Idee." Freundschaftlich legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.
"Das ist sehr mutig von dir." Vor Stolz schien er um fünf Zentimeter zu wachsen. Verlegen quietschte er: "Danke, Hicks" und drückte mich so fest an sich, dass ich nach Luft schnappte.
"Lang-hhh-sam, Fischb..."
"Gruppenkuscheln!", brüllte Taff dazwischen. Prompt fand ich mich inmitten all meiner Freunde wieder. Fischbein, Astrid, Rotzbacke, Raff, Taff - die Menschen, die mir mehr bedeuteten als alles Andere auf der Welt. Mein Team, meine Freunde, meine Familie. Wieder einmal wurde mir klar, wofür ich kämpfte, für wen. Natürlich kämpfte ich für die Freiheit der Drachen, aber eben auch für meine Freunde, die alle einander umarmten. Nur Romi stand abseits, unschlüssig ob sie mitmachen konnte, zu uns gehörte. Lächelnd winkte ich un forderte sie auf, sich uns anzuschließen. Recht zögerlich kam sie zu uns herüber, blieb jedoch abermals stehen, bis es mir zu bunt wurde und ich sie in unsere Gruppenumarmung zog. Schließlich gehörte auch sie zu uns.
Zwei Stunden später war die euphorische Stimmung verflogen. Alle tigerten nervös hin und her, überprüften die Ausrüstung, gingen den Plan noch einmal durch. Jetzt ging es los mit Phase eins. Romi war schon weg, zurück in ihrem Lager, hoffentlich unerkannt. Nun würde Fischbein einen kleinen Ausflug zu den nördlichen Marktinseln machen, wo es bekanntermaßen vor Drachenjägern nur so wimmelte. Selbstverständlich mit Fleischklops an seiner Seite, damit er auch als Drachenreiter erkannt werden würde. Wir würden alles von oben mit dem Fernglas beobachten. Falls irgendetwas anders als geplant verlief, würden wir einschreiten. Aber es würde alles klappen. Ganz sicher.
So, nach Wochen endlich ein neues Kapitel... Ich weiß, ich hab euch viel zu lang warten lassen, ich hoffe, ihr seid mir nicht böse deswegen. Dafür ist dieses extra lang geworden (fast 3500 Wörter). Wie versprochen habe ich euch auch ein kleines Quiz vorbereitet. Es sind insgesamt 15 Fragen, die zum Schluss hin immer schwerer werden. Mal sehen, wie weit ihr kommt ;). Die Lösungen kommen dann im nächsten Kapitel. Dann noch viel Spaß beim Rätseln
Eure Elementara
1. Wer ist der Reiter des Dämmerungsphönixes?
2. Wer wird von den Drachenjägern entführt?
3. Womit wird Berk angegriffen?
4. Woher kennen sich Heidrun und Romi?
5. Wie hat Viggo Krogans Attacke überlebt?
6. Welche Inseln haben die Drachenjäger angegriffen?
7. Was für Feuerarten hat der Dämmerungsphönix?
8. Wie wurde Ohnezahn vergiftet?
9. Was geschah mit Viggos Verlobter?
10. Wie steht Dagur zu Romi?
11. Was war Romis Deckname in Berk?
12. Wie haben die Drachenreiter von Viggos Auktion erfahren?
13. Wo war die Pergamentrolle mit Viggos Forderung versteckt?
14. Wo war die Drachenaugenlinse versteckt, die Romi aus Berk gestohlen hat?
15. Mit was wurde Hicks vergiftet?
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