Kapitel 21: Frei
Hicks
Ich starrte auf das Meer hinaus. Krachend brachen sich die grauen Wellen und ließen nichts als weißen Schaumkronen zurück. Es war eine stürmische See, aufgewühlt. Wie ich. Mittlerweile war der Tag angebrochen, ein grauer, wolkenverhangener Tag. Ich fragte mich, ob das Wetter meine Stimmung noch mehr versauen wollte. Andererseits hätte sich strahlender Sonnenschein wie Hohn angefühlt. Es gab wohl kein richtiges Wetter für so eine Situation. Ich seufzte und richtete meinen Blick wieder auf die hypnotisierenden Wellen unter mir, in der Hoffnung, sie könnten mich von den Fragen ablenken, die mir die ganze Zeit durch den Kopf schossen.
Wieso? Wieso hatte ich es nicht verhindern können? Wieso hatte ich mich schon wieder von Viggo austricksen lassen? Wieso konnte ich ihm nicht ein Mal einen Schritt voraus sein? Und wieso musste Ohnezahn jetzt die Konsequenzen tragen? Das war nicht fair, er hatte es am wenigsten von uns allen verdient. Ich hätte es sein sollen, ich hätte jetzt in Viggos Lager gefangen sein sollen, nicht er. Aber es fragte niemand nach fair oder nicht. Wenn das so wäre, wäre Romi nicht völlig allein losgezogen, um Ohnezahn zu befreien. Auch sie würde den Preis für mein Versagen bezahlen. Warum hatte ich es nicht verhindert? Schon wieder begab sich jemand in Gefahr, nur um meine Fehler wieder gut zu machen.
Würde das jemals aufhören? Oder würde ich auf ewig zusehen müssen, wie ich die, die mir wichtig waren, ins Verderben schickte? Ja, alle meine Freunde sagten mir, dass es nicht meine Schuld war, doch ich wusste es besser. Es war meine Schuld. Ich hätte es verhindern müssen, irgendwie. Meinem Verstand war bewusst, dass ich nichts hätte tun können, doch ich wurde das Gefühl der Schuld nicht los. Und jetzt saß ich schon wieder einfach nur herum und wartete darauf, dass andere für mich die Sache in Ordnung brachten.
Was hatte Romi sich überhaupt dabei gedacht? Sie mochte Ohnezahn nicht einmal, ihre Eltern warden von seinen Artgenossen getötet worden. Als sie davongeflogen war, hatte sie etwas von "Wenn ich schon das Gegengift nicht holen konnte, dann hole ich wenigstens ihn" gesagt. Auch sie machte sich Vorwürfe, dabei konnte sie am wenigsten für diese Situation. Sie war quasi in den Kampf hineingeschlittert, ohne es wirklich zu wollen.
Ich wusste immer noch nicht, ob es richtig gewesen war, sie über die Lüge ihrer Brüder aufzuklären. Natürlich hatte ich damals nicht ahnen können, was das alles für Folgen haben würde - und ich hatte das ungute Gefühl, dass wir erst ganz am Anfang standen -, aber ich hätte mir zumindest Gedanken darüber machen müssen. Und einerseits besaß sie zwar ein Recht, die Wahrheit zu erfahren, was sie ja auch gewollt hatte, aber andererseits steckte sie jetzt in einem Konflikt fest, dessen vollen Ausmaße keinem von uns bewusst waren und brachte für uns ihr Leben sowie ihr Verhältnis zu Viggo in Gefahr. Wegen mir hatte sie innerhalb von weniger als zwei Wochen ihr komplettes Weltbild sowie ihr Vertrauen zu ihren Brüdern verloren.
Warum machte ich mir überhaupt Gedanken darüber? Ich sollte mir lieber einen Plan ausdenken, um Ohnezahn und wahrscheinlich auch Romi zu retten. Wobei der sicher auch nicht funktionieren würde. Gar nichts funktionierte mehr! Jedes Mal trickste Viggo mich aus, ganz egal, was ich machte. Wenn wir ihn doch nur los wären! Wenn ich nur nie wieder sein verlogenes Grinsen sehen müsste! Aber das war wohl zu viel verlangt.
Und überhaupt, was konnte ich schon tun? Ohne Ohnezahn war ich nichts, ein Niemand, der nichts auf die Reihe kriegte. Ich brauchte ihn, so sehr ich auch versuchte, alleine stark zu sein. Wenn er doch nur wieder hier wäre! Dann würde mir sicher etwas einfallen, wie wir das hier beenden könnten. Aber er war nun einmal nicht...
Moment. Konnte es sein, dass... Aufgeregt kramte ich das Fernglas aus meiner Umhängetasche heraus, wobei ich vor lauter Hektik den restlichen Inhalt auf dem Boden verteilte. Mit feuchten Händen stellte ich es scharf auf den kleinen, schwarzen Punkt am Himmel. Mehr nach rechts drehen, nein links - jetzt!
Ich setzte das Fernglas ab. Mein Herz klopfte doppelt so schnell wie vorher. Erneut hob ich es ans Auge, ich wollte mich vergewissern, dass es auch wirklich wahr war. Zu oft hatte ich mich schon getäuscht. Aber es handelte sich nicht um eine Illusion, es war Ohnezahn, Romi auf seinem Rücken. Torkelnd flogen sie auf mich zu, kippten mal zur einen Seite, mal zur anderen.
Sie hatte es geschafft! Sie hatte Ohnezahn befreit, ihn vor einem Leben im Käfig bewahrt, ihn zu uns zurückgebracht! Mit neuer Energie sprang ich auf und tigerte so lang hin und her, bis sie endlich Hals über Kopf auf der Klippe bruchlandeten.
Sofort stürzte ich zu Ohnezahn hin, vergessen war Romi, die es aus dem Sattel geschleudert hatte, vergessen waren all die Sorgen über einen bevorstehenden Krieg. Allein Ohnezahn zählte noch, dass er hier war, unversehrt, von einigen Schrammen mal abgesehen.
"Kumpel! Ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht!" Erleichtert wie nie zuvor in meinem Leben umarmte ich ihn, einmal, zweimal, und streichelte ihn am ganzen Körper. "Geht's dir gut?"
"Geht so", antwortete Romi für ihn, "Also ehrlich, wie machst du das mit dieser Steuerung? Ich hab keine Ahnung, gegen wie viele Felsen wir auf dem Weg geflogen sind." Erst jetzt fiel mir auf, dass sie von Schrammen und blauen Flecken übersät war.
"Ja, das erfordert ziemlich viel Übung", entgegnete ich, "Alles klar bei dir?"
"Alles im grünen Bereich. Außer, dass ich meinen Dolch verloren habe." Puh. Ich hatte schon befürchtet, dass sie auffliegen würde, aber offenbar hatte sie noch mal Glück gehabt.
"Romi, ich muss mich bei dir bedanken. Was du für mich getan hast -"
"Schon gut. Du hättest dasselbe für mich getan. Du hast dasselbe für mich getan", verbesserte sie sich.
"In der Arena bei den Drachenjägern?", fragte ich verwundert, "Aber da habe ich doch nicht wirklich was gemacht." Mal abgesehen davon, zu stolpern und mich komplett zu blamieren.
"Das meine ich nicht", meinte sie. Der Anflug eines Schmunzelns lag auf ihren Lippen. Auch sie erinnerte sich noch an meinen peinlichen Auftritt. Damals hatte ich noch nicht mal gewusst, wen ich rettete. So lange schien das her, so unendlich lange und dabei lag es erst vier Tage zurück. Merkwürdig, wie viel vier Tage ausrichten konnten.
"Was ich sagen wollte, du hast mir gezeigt, dass ich falsch liege. Du hast mir gezeigt, dass es noch sehr viel mehr in der Welt gibt als nur unser Lager. Du hast mir ein ganzes Leben geschenkt. Wenn ich etwas für dich tun kann, dann mache ich das gerne. Und außerdem kann ich Krogan nicht leiden", fügte sie hinzu.
Gut, dass sie nichts von dessen Attacke auf Viggo wusste. Schon mir hatte es einen gewaltigen Schrecken eingejagt, dabei war Viggo mein Erzfeind. Aber genug von dem ernsten Zeug, Ohnezahn war wieder da!
"Ich hab dich vermisst, Kumpel", raunte ich ihm zu. Er brummelte bestätigend und stupste mich auffordernd in die Seite. Ich lachte.
"Du hast Recht, wir müssen unbedingt noch eine Runde drehen, aber wir sollten zuerst noch den anderen Bescheid sagen, dass du wieder da bist."
Gesagt, getan. Eine halbe Stunde später, nachdem Ohnezahn ausgiebig begrüßt worden war, segelten wir über den Wolken hinweg. Fantastische watteweiche Gebilde türmten sich unter uns auf, das weiche Morgenlicht brachte sie zum Leuchten. Einige Vögel zogen ihre Kreise und beobachteten erstaunt unser Treiben.
"Komm schon, Ohnezahn! Ja, super! Und nochmal! Achtung... Jetzt!"
Wir kippten zur Seite und ich drückte mich vom Sattel weg. Nach einem Augenblick der Schwerelosigkeit begann ich zu fallen. Adrenalin schoss durch meine Adern, mein Magen schien davonfliegen zu wollen. Ohnezahn legte die Flügel an und schoss wie ein geölter Blitz zu mir herunter. Noch nicht... noch nicht... jetzt!
Ich breitete meine Arme aus und öffnete den Fluganzug. Sofort verlangsamte sich der Fall und ich glitt auf einer Höhe mit Ohnezahn dahin. Übermütig machte ich eine Rolle zur Seite und legte eine Hand auf Ohnezahns Flügelspitze. Hand in Flügel rasten wir über den Himmel, die Welt unter uns so klein. Ja, dafür lohnte es sich zu kämpfen, für den Frieden und die Freiheit hier oben, für dieses einmalige Band zwischen uns. Gegen nichts auf der Welt hätte ich das hier eingetauscht.
"Na schön, probieren wir den neuen Trick aus?"
Ohnezahns Brüllen war Antwort genug. Dann zog er seinen Flügel weg und ich legte meine Arme an. Salto um Salto schlagend fiel ich hinein in die Wolken.
"Wuhuuu! Das ist der Wahnsinn!"
Ein lilanes Aufleuchten zeigte mir an, wo Ohnezahn sich befand. Ich entzündete mein Feuerschwert und warf es hoch in die Luft als Signal für Ohnezahn. Weiter und weiter stürzte ich laut jubelnd durch die Wolken. Kurz bevor meine Füße die Wolkendecke durchbrachen, tauchte unter mir ein schwarzer Schatten auf und ich landete im Sattel.
Ohne zu zögern hakte ich meine Prothese in die Steuerung ein. Ein Stück über uns flackerte ein orangenes Licht auf. Das Feuerschwert! Jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren. Ich knotete die Prothese von meinem Bein los und legte einen Hebel davor, um sie zu fixieren.
In dem Moment, als das Schwert an mir vorbei fiel, sprang ich. Triumphierend packte ich den Griff, vollführte mithilfe des Fluganzugs eine Wende und rollte mich sicher auf Ohnezahns Flügel ab. Wieder im Sattel steckte ich das Schwert zurück in die Halterung, befestigte meine Prothese und klappte den Hebel zurück in die ursprüngliche Position.
"Na, was meinst du, Großer? Volle Punktzahl?" Bestätigend brüllte er auf.
"Auf jeden Fall! Du hast es dir verdient. Das war echt Spitzenklasse, Kumpel! Aber wir sollten langsam zur Basis zurückkehren. Die anderen fragen sich sicher, wo wir bleiben."
Wie sich herausstellte, hatte ich Recht gehabt.
"Sag mal, spinnst du?", empfing mich Astrid und boxte mich gegen den Arm. Sofort tauchten in mir Erinnerungen auf, an unseren gemeinsamen Ritt im Mondschein, an den Moment , als sie mir vor dem gesamten Dorf einen Kuss gegeben hatte. Aber das durfte ich jetzt wohl nicht erwarten.
"Weißt du, wie viel Sorgen wir uns gemacht haben? Du bist den halben Tag nicht aufgetaucht! Du... du hättest tot sein können oder von den Drachenjägern gefangen und wir hätten es nicht mal gemerkt!"
Sie hatte sich wirklich Sorgen gemacht, das sah man ihr an. Ihr sonst so ordentlicher Zopf war zur Hälfte aufgelöst und ihre Augen schimmerten milchig rot. Sofort überkam mich ein schlechtes Gewissen. Hatte sie etwa geweint?
"Tut mir leid. Ich hab wohl die Zeit vergessen", entschuldigte ich mich zerknirscht."
"Ja, allerdings", schimpfte sie, "Es ist Mittag. Mittag! Du warst den halben Tag weg!"
"Ich weiß, ich weiß... Und es tut mir ja auch leid", versuchte ich, sie zu beruhigen. Vergeblich.
"Das sollte es auch! Ab jetzt fliegt niemand mehr alleine los, klar?"
Ihr eiserner Blick brachte mich dazu, mehr oder weniger kleinlaut zu nicken. Um sie zu beschwichtigen, legte ich einen Arm um sie und murmelte leise, aber eindringlich:
"Schon gut. Jetzt bin ich ja wieder da."
Nach ein paar vor Aufregung zittrigen Atemzüge schien sie sich zu beruhigen und legte ihre Hand auf meine. Moment - sie legte ihre Hand auf meine? Unmöglich. Aber es passierte gerade und es fühlte sich unglaublich gut an. In meinem Magen kribbelte es wohlig warm - bis ich urplötzlich durch die Luft wirbelte und hart auf den Holzboden knallte.
Sämtliche Luft entwich aus meinen Lungen. Vor meinen Augen tanzten bunte Punkte. Was zur Hel...? Hatte Astrid mich etwa mit einem Schulterwurf umgenietet? Offenbar schon, denn Rotzbacke lachte sich gerade kaputt:
"Hahahahahahaha! Habt ihr das gesehen? Sie hat ihn - umpf!"
Und schon lag er neben mir. Mit dröhnendem Kopf versuchte ich, mich aufzustemmen, doch der Boden schien Wellen zu schlagen und ich verlor das Gleichgewicht. Beim zweiten Versuch reichte Astrid mir ihre Hand und zog mich hoch.
"War wohl etwas heftig", sagte sie mit einem kleinen, entschuldigenden Lächeln.
"Kannst du laut sagen", lachte ich und rieb mir mit der freien Hand den Hinterkopf, wo sich eine mächtige Beule bildete.
Dann ging mir auf, dass ich immer noch ihre Hand hielt. Hastig ließ ich sie los. Nicht dass es mir unangenehm wäre - ganz im Gegenteil -, aber vor allen anderen war es doch ziemlich peinlich.
"Also... wollen wir reingehen?", fragte ich in die Stille hinein.
Zustimmend setzten sich die anderen in Bewegung. Ich blieb allerdings noch kurz stehen, um Rotzbacke aufzuhelfen. Trotz seines abweisenden Verhaltens waren wir immer noch Freunde und ich würde ihn bestimmt nicht einfach hier liegen lassen. Kurz fragte ich mich, warum Astrid mir aufgeholfen hatte und ihm nicht, verwarf den Gedanken allerdings wieder. Das, was ich dachte, konnte es ja nicht sein. Oder?
Das erste, was mir im Clubhaus auffiel, war, wie voll es da drin war. Kein Wunder, schließlich befand sich das komplette A-Team hier. Moment, das hieß doch... Och nö.
"Sohn. Wir müssen reden", begrüßte mich mein Vater. Haudrauf-isch für "Du wirst gleich eine endlos lange Standpauke bekommen, die du schon hundert Mal gehört hast und die du sowieso wieder ignorieren wirst". Völlige Zeitverschwendung. Eine geschlagene Dreiviertelstunde durfte ich mir seine Rede über "Verantwortung" und "gefährliche Zeiten" anhören. Zum Schluss ordnete auch er an, dass niemand irgendwo allein hingehen dürfe, schon gar nicht ich als zukünftiges Oberhaupt.
Super. Dann waren nicht nur meine Morgenrunden mit Ohnezahn gestrichen, sondern ich würde auch nirgendwo mehr allein sein können. Aber er würde ja sowieso bald nach Berk zurückkehren und was er nicht wusste...
"Schlag dir das aus dem Kopf, mein Junge", ermahnte er mich.
"Was denn?", fragte ich möglichst unschuldig.
"Bei Thor, du bist der grauenhafteste Lügner auf der ganzen Welt", entgegnete er, "Es ist viel zu gefährlich ohne jede Absicherung unterwegs zu sein, vor allem für dich. Viggo ist hinter dir und Ohnezahn her, vergiss das nicht."
"Ja Vater", seufzte ich schicksalsergeben. Das war's dann wohl mit der Freiheit.
"Ach, und noch etwas: Schick diese Drachenjägerin, die sich hier rumtreibt, zurück zu ihren Brüdern."
"Was?"
"Du hast ganz richtig gehört. Sie hat von hier zu verschwinden."
"Das meinst du doch nicht ernst, oder? Sie gehört quasi zum Team dazu! Sie hat für uns ihr Leben riskiert! Mehrmals!"
"Trotzdem ist sie ein Risiko und zwar eins, das wir nicht eingehen dürfen", polterte er, "Und jetzt genug davon. Ich bin immer noch der Chef!"
"Vielleicht auf Berk, aber nicht hier."
Herausfordernd blickte ich ihn an. Seine massige Gestalt ragte um mindestens anderthalb Köpfe über mir auf und der Blick, mit dem er mich durchbohrte, hätte ein Wildschwein in die Flucht geschlagen, doch ich ließ mich nicht einschüchtern. Nicht mehr. Wenn man eine Entführung durch die Drachenjäger, einen gigantischen Meeresdrachen und eine Verhandlung mit Viggo Grimborn überlebt hatte, dann machte einem ein Streit mit dem Vater - selbst wenn es sich dabei um Haudrauf den Stoischen handelte - keine Angst. Trotzdem war ich mehr als nur überrascht, als er entnervt murmelte: "Du machst doch eh, was du willst" und mich mit einer Handbewegung entließ.
Moment mal, hatte ich ihn gerade von etwas überzeugt? Hatte ich Haudrauf den Stoischen davon gebracht, von seiner Meinung abzuweichen? Unmöglich. Aber es war ohne Zweifel passiert und beschweren wollte ich mich darüber nicht. Romi konnte hier auf der Drachenklippe bleiben, natürlich nur, wenn sie wollte. Am besten sollten wir sie gleich herumführen, sie kannte die Insel ja noch gar nicht.
Bloß wo war sie? Seit unserem Gespräch heute früh hatte ich sie nicht mehr gesehen. Als ich Fischbein nach ihr fragte, teilte er mir mir, dass sie sofort wieder mit Sternenwind losgeflogen war, um keinen Verdacht zu erregen. Außerdem hatte sie sowieso genug für uns riskiert. Je länger sie fortblieb, desto mehr Fragen würde es hervorrufen. Am besten hielt sie sich eine Weile von uns fern.
Den gleichen Gedanken musste sie auch gehabt haben, denn die nächsten Tage ließ sie sich nicht blicken. Eine Woche verging, ohne dass wir sie zu Gesicht bekamen, dann zwei. Auch die Drachenjäger blieben ruhig. Zum Glück. Wir alle hatten eine Pause dringend nötig und so konnten wir die Drachenklippe wieder aufbauen, ohne dass sie gleich wieder zerstört wurde. Nach einer Woche mussten wir nicht mehr alle im Clubhaus schlafen, nach der zweiten waren unsere Hütten komplett eingerichtet.
In all der Zeit hatte ich keinen Moment allein sein können. Tagsüber wurde ich immer von mindestens einer Person begleitet und nachts passte Ohnezahn auf mich auf. Ich wusste, dass meine Freunde mich nur schützen wollten, trotzdem kam ich mir wie eingesperrt vor.
Einen Augenblick Ruhe, einen Augenblick für mich, war das zu viel verlangt? Ja, wir durften uns nicht in Sicherheit wiegen, Viggo konnte jeden Moment zuschlagen, aber ich brauchte einfach etwas Zeit für mich.
Vielleicht sollte ich mich davonschleichen, nur für eine Stunde oder zwei. Es wäre verantwortungslos und gefährlich, genau die Art von Aktion, für die ich Rotzbacke ausschimpfen würde, doch... wen kümmerte es? Ich durfte mich eben nicht erwischen lassen. Tief in meinem Inneren wusste ich selber, dass es eine dumme Idee war, aber in mir war der Trotz erwacht, der Trotz und meine altbekannte Sturheit. Und wenn die erst zugeschlagen hatte, dann konnte mich nichts von meinem Vorhaben abbringen. Schon gar nicht ein schnarchender Ohnezahn.
Fast schon musste ich lachen, als ich aus dem Dachfenster kletterte. Sein Geschnarche hätte einen Donnertrommler wecken können und die waren bekanntlich nahezu gehörlos. Doch da ich von allen Leuten auf der Welt am besten wusste, wie wachsam Nachtschatten waren, blieb ich dennoch auf der Hut. So leise wie möglich sprang ich von Dach herunter.
Puh, geschafft. Und was nun? Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht in den Wald, so ein kleiner Waldspaziergang war jetzt gerade richtig. Schon nach fünf Minuten merkte ich, wie ich ruhiger wurde, wie die Nervosität von mir abfiel. Entspannt beobachtete ich, wie das Mondlicht Kringel auf einen Weiher malte, hörte den Schrei einer Eule, atmete die würzige Waldluft ein. Hinter mir ragte eine uralte Tanne beschützend auf. Ihre Nadeln teilten den lauwarmen Wind und ihre borkige Rinde schmiegte sich an meinen Rücken.
Auf einmal bemerkte ich ein silbernes Aufblitzen am Grund des Tümpels. Was das wohl war? Bestimmt etwas Interessantes. Ob ich nachsehen sollte? Ich wusste, das rätselhafte Leuchten würde mir keine Ruhe lassen. Also zog ich mein Oberteil aus und watete ins Wasser. Auf Kniehöhe sackte der Grund ohne Vorwarnung ab und ich landete platschend im Wasser. Die plötzliche Eiseskälte ließ mich nach Luft schnappen. Vielleicht war das doch keine so gute Idee. Ach was, ich würde schon aufpassen. Deshalb nahm ich mir auch vor, nach maximal einer halben Minute aufzutauchen. Ein letztes Mal holte ich tief Luft, dann tauchte ich unter.
Eins, zwei... Mit kräftigen Beinschlägen tauchte ich durch einen engen Tunnel, der ein beklemmendes Gefühl in mir auslöste.
Acht, neun, zehn... Sollte ich nicht vielleicht doch umkehren? Ich war kein guter Schwimmer und das hier konnte schnell gefährlich werden.
Fünfzehn, sechzehn... Mittlerweile schwamm ich blind, kein Lichtstrahl drang hierher durch. Panik fuhr durch mich hindurch, ich musste hier raus! Hastig versuchte ich, mich umzudrehen, da blinkte auf einmal wieder das Licht auf, das mich in diesen verfluchten Tunnel gelockt hatte. Ohne nachzudenken schwamm ich darauf hau, Hauptsache raus hier. Die halbe Minute war längst überschritten, doch ich drehte nicht um. Dann, als ich glaubte, meine Lungen würden jeden Augenblick platzen, bemerkte ich über mir ein Licht. Nach Luft ringend durchbrach ich die Wasseroberfläche und schleppte mich mit letzter Kraft ans Ufer der kleinen Grotte, in die ich gelangt war.
Und wieder mal ein neues Kapitel fertig... Diese Geschichte nimmt immer mehr und mehr an Fahrt auf, nicht nur was (hoffentlich) die Spannung angeht, sondern auch den Erfolg. Als ich vor ein paar Tagen mir mal das Ranking angeschaut habe, habe ich gesehen, dass Drachenseele auf PLATZ EINS der Dragons-Geschichten liegt! Von fast 600! Ich kann es immer noch nicht richtig fassen und bin euch so dankbar dafür. Ihr seid die besten Leser der Welt. Eure Kommentare bringen mich jedes Mal zum Lachen und dazu, das nächste Kapitel so schnell wie möglich (was wegen der Schule nicht mehr so schnell ist 😡) zu schreiben. Es ist unglaublich toll, eure Kommentare zu lesen und obwohl ich diese Geschichte eigentlich nur für mich schreiben wollte, macht es mir mega Spaß, sie mit euch allen zu teilen. Ein riesiges DANKE an alle, die das hier lesen, kommentieren, dafür abstimmen und und und...
Als Dank dafür wollte ich ein kleines Special machen, vielleicht in Form eines Quiz. Wenn ihr Lust habt, mache ich es im nächsten Kapitel. Außerdem schreibt meine Freundin DragonWhisperer13 an den Outtakes dieser Geschichte, d.h. nicht ernst gemeinte Szenen, bei denen unsere Fantasie mal wieder übergekocht ist. Sie sind noch nicht veröffentlicht, aber ich werde es dann auch noch mal sagen, wenn es so weit ist.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ihr seid einfach die Besten. Ein ganz großes Dankeschön.
Eure Elementara
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