Kapitel 2: Die Bürde einer Kriegerin
Astrid
Verstohlen blickte ich mich um. Die Wache war gerade damit beschäftigt, ihr Schwert zu schleifen. Dummkopf. Hatte dem niemand beigebracht, dass man immer aufmerksam sein sollte? Nun, besser für mich. Unauffällig fingerte ich das Messer aus dem Stiefel hervor. Ich wartete kurz ab, dann schnitt ich hastig die Stricke um meine Handgelenke durch. Blut tropfte meine Hand hinunter. Das war wohl zu hastig gewesen. Egal, weitermachen. Nach kurzer Zeit konnte ich endlich meine Finger wieder spüren.
Gut, jetzt die anderen. Erst Haudrauf. Vorsichtig rutschte ich zu ihm herüber, so leise wie möglich. Rasch durchtrennte ich seine Fesseln. Sofort wollte er sich auf die Wache stürzen, aber ich wisperte:
"Erst die anderen." Ich befürchtete schon, er würde mich ignorieren, doch er reichte das Messer an Rotzbakke weiter. Der brauchte erst einmal eine halbe Ewigkeit und verlor das Messer beinahe, aber letztendlich schaffte auch er es. Die Zwillinge waren eine andere Geschichte. Das wollte ich nicht riskieren. Also ließ ich mir von Rotzbakke das Messer zuwerfen und schlich mich zu ihnen hinüber. Ich hatte sie auch schon fast befreit, da sagte Taffnuss plötzlich:
"Danke Astrid, meine Beine waren schon ganz eingeschlafen." Alarmiert sprang die Wache auf.
"He, die wollen abhauen!", brüllte er den anderen Drachenjägern zu.
"Toll gemacht, Taffnuss", schnaubte ich. Dann schnappte ich mir meine Axt (offenbar hatte denen auch niemand beigebracht, dass man Waffen von Gefangenen nicht einfach so rumliegen ließ), sprintete zu den Käfigen und schaltete im Vorbeirennen alle Drachenjäger aus, die sich mir in den Weg stellten.
Ich erreichte den ersten Käfig und schob den Riegel zurück. Ein Schrecklicher Schrecken sprang mit verärgertem Gefaucht heraus. Weiter, zum nächsten Käfig. Ein Drache nach dem anderen stieß zu dem Gewimmel hinzu, aber Sturmpfeil hatte ich immer noch nicht entdeckt.
Auf einmal hörte ich ein vertrautes Klirren, gefolgt von wütenden Männerstimmen:
"Kriegt endlich den verdammten Nadder unter Kontrolle!" Ja, das war mein Mädchen! Noch schneller als zuvor rannte ich durch das Lager. Fünf Jäger hefteten sich an meine Fersen, aber Sturmpfeils Magnesiumstrahl ließ sie zurückweichen. Mit einem Satz entwaffnete ich die Bewacher, öffnete den Käfig und schwang mich auf ihren Rücken. Ein glückliches Krächzen entfuhr ihr, dann brüllte sie die verbliebenen Drachenjäger an, die entsetzt davonrannten. Zufrieden tätschelte ich ihr den Hals. Na gut, jetzt die anderen. Kotz' und Würgs, Hakenzahns, Schädelbrechers und Fleischklops' Käfige standen gleich neben mir. Schnell öffnete ich auch diese.
"Kommt, hauen wir hier ab." Unmittelbar darauf erhoben sich drei Drachen mit vier Reitern, die gerade eben dazugestoßen waren, in die Luft. Nur Fleischklops schwirrte wie eine dicke Hummel durch das Lager. Ich hatte Fischbein aufgetragen, sich mit Ohnezahn zu verstecken. Hoffentlich hatte keiner sie gefunden. Wenn Viggo auch noch Ohnezahn in die gierigen Finger bekam, Hicks würde...
Konzentrier dich, Astrid! Noch einen Fehler durfte ich mir nicht erlauben. Schlimm genug, dass wir Hicks verloren hatten. Dieser Ausflug war schon von Anfang an keine gute Idee gewesen. Wie hatten wir glauben können, dass Hicks außer Gefahr sei, nur weil Viggo das Kopfgeld zurückgezogen hatte? Naiv waren wir gewesen, naiv und unvorsichtig, der schlimmste Fehler, den ein Krieger machen konnte.
Wir waren auf die Insel gekommen, um mal eine Auszeit von dem ganzen Durcheinander zu nehmen. Besonders Hicks war in letzter Zeit ziemlich neben der Spur gewesen. Die andauernden Kämpfe hatten ihm mehr als uns zugesetzt, obwohl er versucht hatte, es nicht zu zeigen. Und jetzt das...wie ihm wohl zumute sein musste? Ich hätte es wissen müssen! Ich hätte ihn davon abhalten müssen, auf die verdammte Insel zu gehen! All das hätte ich verhindern können, all das - Mit einem Mal durchfuhr mich die Erinnerung an die vergangenen Stunden wie ein Blitz, ohne Vorwarnung.
Sorglos schlenderten wir durch die duftenden Wälder und lachten über Rotzbakke, der gegen einen Baum gelaufen war. Hicks war ein wenig zurückgeblieben, um seine Prothese zu richten, die die Zwillinge mal wieder sabotiert hatten. Plötzlich zerriss ein schmerzerfüllter Schrei die friedliche Stille. Erschrocken wirbelte ich herum. Bleich wie eine Wand war Hicks zu Boden gesunken und umklammerte seine Schulter. Ein Messer ragte daraus. Sogleich zog ich meine Axt und sah mich nach dem Angreifer um, während Haudrauf das Messer entfernte. In dem Augenblick schob sich eine große Gestalt vor die Sonne.
"Reiker", knurrte ich abfällig, "Das wirst du..." Weiter kam ich nicht, denn Haudrauf stieß ein animalisches Brüllen auf und stürzte sich auf den Drachenjäger.
"FINGER WEG VON MEINEM SOHN!" Jedes Wort war begleitet von einer saftigen Ohrfeige. Allerdings schien Reika das nichts auszumachen. Überheblich konterte er:
"Was soll ich denn mit so einem einbeinigen Schwächling? Das ist doch kein Wikinger! Ich an deiner Stelle wäre froh, wenn ich ihn los wäre." Das war ein Fehler. Ich ballte die Fäuste, fest entschlossen ihm eine reinzuhauen, aber ich kam nicht an Haudrauf vorbei. Immer größer schien er zu werden, so furchteinflößend hatte ich ihn noch nie gesehen. Das Gesicht starr vor Zorn packte er seine Axt. Er holte aus-
"Das würde ich nicht tun, wenn du deinen Sohn nicht mit einem Pfeil in der Brust zurückhaben willst." Wie eine Peitsche fuhr die Stimme auf uns nieder. Überrumpelt drehte ich mich nach hinten. Ein großer, athletisch gebauter Mann in einem blauen Kapuzenmantel, der sein Gesicht verdeckte, hielt Hicks fest umklammert, eine Armbrust gegen seinen Rücken gedrückt.
"Runter von ihm und zurücktreten." Man sah Haudrauf deutlich an, wie schwer es ihm fiel, sich im Zaum zu halten, aber die Angst um Hicks wog stärker. Auch ich wollte nicht, dass ihm etwas passierte, aber mit einem gezielten Axtwurf konnte ich diesen Typen vielleicht loswerden. Also hob ich meine Axt, während Ohnezahn das Feuer für einen Plasmablitz sammelte.
"Lass ihn los, sonst bekommst du es mit uns zu tun", forderte ich.
"Lasst die Waffen fallen, sonst ist euer Freund gleich tot. Und pfeift die Drachen zurück", entgegnete er. Trotzig schob ich das Kinn vor und widersprach: "
Das würdest du eh nicht wagen", während ich mich in Wirklichkeit auf den Wurf vorbereitete. Er musste perfekt sitzen. Zu meiner Überraschung antwortete nicht der Jäger, sondern Haudrauf. Mit matter Stimme befahl er:
"Tu was er sagt. Ich kenne diesen Mann und er ist keiner der zögern würde."
"Zögere nie", gab Taffnuss in geschwollenem Ton kund. "Ja, so einen Anführer bräuchten wir mal", pflichtete Raffnuss ihm bei.
"Dann bin ich der richtige dafür!", prahlte Rotzbakke. Ich nutzte das Gebrabbel der drei als Ablenkung, drehte mich herum als ob ich Haudraufs Anweisung folgen würde, drehte mich dann jedoch weiter und mit dem Schwung der Drehung schleuderte ich meine Axt auf den Kapuzenmann zu.
Er fing sie mit einer Hand. Er hatte weder geblinzelt, noch irgendeinen Teil des Körpers bewegt. Wie hatte er das kommen sehen?
"Du hast gezögert", behauptete er, "Und nun zu er Belohnung, Reiker."
"Das Kopfgeld wurde zurückgezogen. Von mir kriegst du nichts."
"Schön, dann kriegt auch keiner diesen Jungen." Er schob die Armbrust höher, genau auf die Höhe des Herzens. Undeutlich nahm ich wahr wie Hicks versuchte sich zu befreien, aber er war verletzt und selbst im Vollbesitz seiner Kräfte hätte er keine Chance gegen diesen Hünen gehabt. Doch ich konnte ihn vielleicht retten, auch wenn mein erster Versuch fehlgeschlagen war.
"Hicks, ducken", schrie ich. Im selben Augenblick machte ich einen Satz auf den Jäger zu und verpasste ihm einen Tritt gegen das Kinn, gefolgt von einigen Faustschlägen. Dann wollte ich seinen Arm verdrehen, damit er Hicks losließ, doch der Jäger schmetterte mich einfach so zwei Meter nach hinten. Erneut rannte ich auf ihn zu, aber Hicks machte das Handzeichen für "Halt".
Verwirrt blieb ich stehen. Was hatte er vor? In rascher Folge hing er die Zeichen für "Gasattacke", "Drachen" und "Flucht" hinten dran.
"Wir lassen dich nicht zurück", widersprach ich, ebenfalls mit den Händen. Währenddessen stritten sich Reiker und der Jäger um die Bezahlung.
"Tut es", sagen Hicks Hände. Danach zeigte er auf Ohnezahn und Fischbein, der ihm am nächsten stand. "Wenn ich ,Jetzt' sage."
Flüsternd gab ich den Plan an die anderen weiter. Hoffentlich ging das gut. Dieser Plan war mehr als unausgegoren, allerdings waren Hicks' Pläne das oft und bis jetzt hatten sie fast immer funktioniert. Mittlerweile hatten Reiker und der Fremde sich geeinigt. Widerwillig drückte Reiker ihm einen Geldsack in die Hand. Daraufhin schubste der Hicks nach vorne.
"Jetzt!" In diesem Moment breitete sich eine Wolke aus Zippergas aus, sodass niemand mehr etwas sehen konnte. Ich schwang mich auf Sturmpfeil und hörte wie die anderen es mir gleichtaten. Schnelle Flügelschläge entfernten sich von uns. Gut, dann waren Fischbein und Ohnezahn abgehauen. Von oben hielt ich ich Ausschau nach unseren Feinden. Da!
"Sturmpfeil, Stachelschuss!" Leider hatte der Stachel nicht getroffen und das Gas verzog sich auch langsam. Wo war Hicks? "
Astrid, hier unten!" Sturmpfeil vollführte eine scharfe Wende und ich zog ihn hoch.
"Danke, das war echt ..." Innerhalb eines Augenblickes schlang sich eine Kette um seinen Bauch und zerrte ihn wieder herunter, direkt in Reikas Fänge. Das alles geschah so schnell, dass ich gar keine Zeit gehabt hatte zu reagieren, denn gleichzeitig wurde Sturmpfeil wie alle anderen Drachen auch von einem Pfeil getroffen und wir bruchlanden hundert Meter weiter, mitten im provisorischen Lager der Drachenjäger.
Genervt schüttelte ich die Erinnerung weg. Das half mir jetzt auch nicht weiter.. Ich musste jetzt klar im Kopf bleiben. Einen Plan, das brauchte ich, und zwar dringend.
"Haudrauf, meinst du Schädelbrecher kann Fischbein und Ohnezahn finden?"
"Wir tun unser Bestes. Finde du meinen Sohn." Dann flog er davon. Hoffentlich fand er sie. Die Insel war groß und bestimmt suchten weitere Jäger nach ihnen.
"Ihr anderen, wir verteilen uns um die Insel. Wenn einer von euch ein Schiff sieht, fliegt ihr sofort zu mir. Andernfalls treffen wir uns um Mitternacht wieder hier", ordnete ich an.
Die Stunden bis Mitternacht waren eine einzige Qual. Hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung wartete ich darauf, dass entweder ein Schiff oder einer der anderen mir Gewissheit gab, dass ich Hicks noch retten konnte, wo er war, dass er noch lebte.
Mein bester Freund. Derjenige, der immer für mich da war, ganz egal was mir auf dem Herzen lag. Der Junge, den ich mehr als nur mochte, obwohl ich es noch nie jemandem erzählt hatte. Wozu auch? Er war unser Anführer, das künftige Stammesoberhaupt und ich nur ein Mädchen aus dem Dorf. Was hatte ich ihm schon zu bieten? Und außerdem - ich durfte nicht zulassen, dass meine Gefühle meinen Verstand vernebelten. So war ich weder Hicks eine Hilfe noch sonst irgendwem. Auf einmal schwebte ein Gronkel vor mir.
"Fischbein!", rief ich, "Habt ihr ihn gefunden?" Betreten blickte er zur Seite. Dass es nichts Gutes hieß, wusste ich schon, bevor er es mir sagte.
"Die anderen haben mich geschickt, um dich zu holen. Mitternacht ist längst vorbei." Auf der Lichtung erwarteten uns die anderen.
"Astrid, wo warst du, ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht", schleimte Rotzbakke. Ich überging seine Bemerkung, haute ihm nicht mal eine runter. Ein sicheres Zeichen für meine Besorgnis.
"Keiner von euch hat ein Schiff wegfahren sehen?", hakte ich nach. Kopfschütteln.
"Dann ist er noch auf der Insel. Na los, worauf wartet ihr?" Ich wollte schon abheben, Raffnuss' Kommentar hielt mich aber zurück:
"Na ja, gesehen haben wir schon etwas."
"Es war zwar kein Schiff, hat aber definitiv die Insel verlassen", stimmte Taffnuss ihr zu. Gereizt landete ich wieder.
"Was? Was habt ihr gesehen? Und warum habt ihr mir nichts davon gesagt?", schnauzte ich die Beiden an.
"Du hast nur gesagt, wir sollen dich holen, wenn wir ein Schiff sehen. Das war aber kein Schiff."
"Es war ein Drache, groß wie ein ganzes Wikingerdorf mit zwei riesigen Scheren, gemacht zum Töten!" "
Taffnuss, wir haben keine Zeit für deine Erzählungen."
"Und einen komischen Metallrucksack hatte er auch, mit dem Zeichen der Drachenjäger drauf", schwafelte er ungestört weiter. Das war mal wieder typischer Taffnuss-Unsinn. Etwas in seinen Worten hatte jedoch meine Aufmerksamkeit erregt. Er laberte oft Schwachsinn...allerdings konnte ein Fünkchen Wahrheit darin stecken.
"Ein Metallrucksack? Wie groß?"
"So groß wie zwei Schiffe, mit echt scharfen Waffen drauf. Mann, so einen will ich auch."
"Was hat er gemacht? Sag schon!" Du meine Güte, dieses Drumrumgelaber brachte mich noch um den Verstand.
"Er ist abgetaucht, verschwunden unter der Meeresoberfläche wie ein Yak im Drachenmagen. Oh, das muss ich mir merken", fuhr er mit seinem Monolog fort, ohne zu verstehen, was das bedeutete, für uns, aber vor allem für Hicks. Mich hingegen ließ diese fürchterliche Gewissheit nicht los.
Wir hatten versagt. Er war weg. Gefangen von skrupellosen Drachenjägern, verschwunden irgendwo unter dem Meer und es war meine Schuld. Ich hatte nichts getan, um es zu verhindern, hatte zugesehen wie Reiker mit ihm abgehauen war, während ich mich von den Drachenjägern hatte überwältigen lassen wie ein unerfahrenes Kind. Wie verzweifelt und verängstigt er ausgesehen hatte, trotz seines Versuches, es nicht zu zeigen. Bestimmt hockte er jetzt einsam und hoffnungslos in irgendeiner winzigen Zelle. Wenn ich den Jäger nur besiegt hätte bevor Reikers Truppen dazugestoßen waren! Ich hätte ihn mit einem einzigen Axtwurf nach Walhalla befördern können, aber ich hatte solche Angst gehabt Hicks zu treffen oder dass er ihm etwas antat. Danebengetroffen hatte ich, nur um mich dann gleich danach im Kampf zu blamieren. Und dann, als er Hicks von Sturmpfeil runtergerissen hatte...Wie gelähmt hatte ich da gesessen, nichts unternommen, um meinen besten Freund zu retten.
Eine Eiseskälte durchfuhr mich, die von innen kam und mich zu verschlingen drohte. Mit einem Mal nahm ich nichts mehr außer dem Schneesturm aus Furcht und Schuldgefühlen wahr. Ich fürchtete schon, mich auf ewig in der trostlosen Leere der Hoffnungslosigkeit zu verirren, aber eine warme Hand auf meiner Schulter holte mich zurück in die Wirklichkeit. Haudrauf.
"Astrid. Es ist nicht deine Schuld."
"Doch, ist es. Ich hätte auf ihn aufpassen sollen, ich hätte..." Zitternd holte ich Luft. Aus irgendeinem Grund kniff Haudrauf die Augenbrauen wütend zusammen. Ich befürchtete schon, ich hätte etwas Falsches gesagt, doch da erblickte ich die Zwillinge, die zweifelsfrei gerade dabei waren zu lauschen. Mit unverhohlener Neugier starrten sie mich an und kicherten.
"Komm. Suchen wir uns einen Ort, wo wir ungestört sind", sagte Haudrauf. Stumm ließ ich mich zu einem Felsen ein paar Schritte entfernt führen.
"So, und jetzt sagst du mir, was dir auf dem Herzen liegt."
"Ich habe versagt, das ist los. Das alles...ich hätte wissen müssen, dass so etwas passiert."
"Unsinnn. Keiner kann die Zukunft vorhersagen."
"Und wenn ihm etwas zugestoßen ist? Wenn Reiker ihm etwas angetan hat?"
"Jetzt hör mir mal gut zu. Hicks ist stark und er weiß sich zu helfen. Aber er braucht dich jetzt, Astrid. Du musst deine Freunde anführen und ich weiß, dass du das kannst. Das ist die Bürde eines Kriegers. Man muss für die Anderen da sein, auch wenn es gerade schwierig ist. Du bist eine Kriegerin, vergiss das nie."
Sein unerschütterlicher Glaube in mich verursachte ein kleines Feuer in mir drin. Nein, das ist falsch. Er entzündete nur meinen Kampfgeist neu. Von diesem Moment an hatte ich das Gefühl, ich könnte alles schaffen. Ich konnte ihn retten.
"Du hast Recht. Und jetzt sehen wir mal wie wir diesen Drachen finden können."
Mit gestrecktem Rücken und neuem Mut schritt ich zurück auf die Lichtung.
"Fischbein, weißt du was das für ein Drache sein könnte?", fragte ich ohne abzuwarten.
"Eindeutig Gezeitenklasse, wahrscheinlich Titanflügler, bestimmt hochgradig gefährlich. Um dir mehr sagen zu können, brauche ich die Drachenaugennotizen."
"Ihr habt Fischbein gehört. Auf zur Drachenklippe!"
Im Eilflug rasten wir zurück zu unserer Basis, ich hatte Ohnezahn übernommen. Fischbein und Fleischklops hatten ihre Schwierigkeiten mit uns mitzuhalten, aber darauf konnten wir jetzt keine Rücksicht nehmen. Wir mussten Hicks retten, wir mussten ihn retten, wir mussten einfach!
Ich war so in meine Gedanken versunken, dass nicht ich die gigantische Rauchwolke über der Insel bemerkte, sondern die Zwillinge.
"Boah, cool, da ist was explodiert!" Oh nein. Was hatte Viggo jetzt schon wieder angerichtet?
"Ihr bleibt hier. Ich sehe mir das aus der Nähe an." Ohnezahn hatte meine Worte verstanden und ging runter, allerdings versperrte Haudrauf uns den Weg.
"Warte, Astrid. Du fliegst da nicht hin. Das könnte eine Falle sein."
"Mir egal." Mit einem eleganten Haken rumkurvte Ohnezahn Schädelbrecher, dann raste er los, mitten in die Rauchwolke hinein. Die Anderen folgten uns, aber wir waren schneller. Allerdings brachte der dichte Qualm mich zum Husten und sehen konnte ich auch fast nichts mehr. Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen.
Mit einem Mal tauchte ein Holzbalken vor meiner Nase auf. In letzter Sekunde riss ich Ohnezahn herum, sodass wir nicht dagegen knallten. Jedoch schleuderte mich der Schwung von ihm herunter und ich landete auf einem großen Scherbenhaufen. Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte ich mich wieder hoch. Die Scherben hatten zahlreiche Schnittwunden hinterlassen, einige musste ich aus meinen Armen zupfen und noch dazu war ich mit grünem Glibberzeug überdeckt. Angeekelt strich ich es von meinen Beinen. Riesenhafter-Alptraum-Gel. Igitt. Moment mal, aber das hieß doch-
Unser gesamter Vorrat war hin. Explodiert, dem riesigem Brandfleck auf dem Boden nach. Aber das war noch lange nicht das Schlimmste. Der Holzbalken von vorhin entpuppte sich als ein Teil meines Geschützes, der andere lag gut fünfzig Meter weit entfernt. Mit einem unguten Gefühl kletterte ich darauf, um eine bessere Sicht zu haben. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan.
Die Drachenklippe war zerstört. Alles. Die Ställe - abgebrannt. Unsere Hütten - ein einziger Trümmerhaufen. Das Klubhaus - ein Bild der Verwüstung. All unsere monatelange Arbeit war dahin. Nichts war verschont geblieben. Dafür wirst du bezahlen, Viggo Grimborn.
Plötzlich hörte ich ein verzweifeltes Kreischen. Was war jetzt wieder los? Es schien von unter dem Katapult zu kommen. Mit einem Satz sprang ich herunter und landete direkt vor einem Nachtschrecken. Der arme Kerl war von den Trümmern eingeklemmt worden. Zum Glück konnte ich ihn da rausholen, allerdings entdeckte ich jetzt immer mehr verletzte Drachen. Ein Gronkel mit einem ausgerenkten Flügel, etliche weitere Nachtschrecken mit üblen Prellungen und sogar einen Nadder, der sich das Bein gebrochen hatte. Aber am wütendsten stimmten mich die zwei Nachtschrecken, die diesen fürchterlichen Angriff nicht überlebt hatten. Behutsam hob ich sie hoch. Sie waren so klein, so leicht. Viggo hatte sie umgebracht.
"DAFÜR WIRST DU BEZAHLEN, VIGGO, HÖRST DU? ICH WERDE DICH FINDEN UND WENN ES DAS LETZTE IST, WAS ICH TUE!"
"Ja, lass es raus, Astrid!" Ach, die Zwillinge waren auch schon da.
"Das gibt Rache! Niemand zerstört das Eigentum der Jorgensons!" Und Rotzbakke. Ihm folgte ein ängstliches Wimmern:
"Oh Thor, oh Thor!" Das war dann wohl Fischbein. "I-Ich glaube, ich weiß jetzt, was das für ein Drache ist." Ich hätte nie gedacht, dass die Stimme eines Jungen so hohe Töne annehmen konnte, aber Fischbein bewies mir das Gegenteil.
"Und?", fragte ich ungeduldig.
"D-das was d-die Zwillinge gesehen haben - das war ein Granatenfeuerdrache. Wenn Viggo so einen hat, dann sind wir verloren. Er speit drachengroße Geschosse, die explodieren. Und er ist so groß, dass er nur einen einzigen natürlichen Feind hat, aber der lebt in der Tiefsee." Na toll. Das hörte sich wirklich übel an. Und das war noch nicht alles.
Haudrauf war ebenfalls gelandet und kniete neben neben dem Schild, das einmal über unserem Klubhaus gehangen hatte. In großen schwarzen Buchstaben stand darauf: BERK. Eine unmissverständliche Botschaft. Das sah auch Haudrauf so, denn gefährlich ruhig ordnete er an:
"Auf die Drachen. Sofort. Wir fliegen nach Berk."
"Und Hicks?" Er schüttelte den Kopf.
"Die Leute von Berk brauchen uns. Hicks muss warten. Wenn Berk zerstört wird, dann sind wir alle dem Untergang geweiht."
Jetzt verstand ich, was Haudrauf mit der Bürde eines Kriegers gemeint hatte. Es hieß, dass man manchmal zum Wohle der Anderen zurücklassen musste, was man liebte. Gewiss taten wir das Richtige, dennoch wäre ich so viel lieber losgezogen, um Hicks zu retten. Aber es war meine Pflicht, Berk zu beschützen. Ich war eine Kriegerin und kämpfte für die Schwachen. Bisher war ich immer stolz darauf gewesen, aber in diesem einen Moment, wünschte ich, ich wäre es nicht.
Mal eine Frage: benutze ich zu viele/wenige Absätze? Schreibt es in die Kommentare, sonstige Verbesserungsvorschläge sind ebenfalls willkommen. Bis zum nächsten Mal, eure Elementara
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