Kapitel 11: Zum Ersten, zum Zweiten...Kabumm!
Diesmal habe ich eine andere Sicht ausprobiert. Im Grunde wird es auch (abgesehen von ein oder zwei Ausnahmen) so sein, dass zuerst Hicks kommt, dann Astrid, dann einer der Grimborns. Übrigens: Ich habe mir auch ein paar Sachen ausgedacht, was die Eigenschaften der Drachen angeht. Wenn es nicht so in der Serie erwähnt wird, dann ist es erfunden. Zum Beispiel mögen Schnelle Stacheln keine Muscheln. Okay, Schluss mit dem Drumrumgelaber, hier ist das Kapitel. Viel Spaß beim Lesen!
Viggo
Es ist anstrengend, ein Genie zu sein. Entweder hielten mich die Leute für böse, sie verstanden mich nicht oder waren schlicht neidisch. Die einzige Person, die mir gegenüber unvoreingenommen war, musste ich anlügen. Ich redete natürlich von Romi, meiner kleinen Schwester. Noch immer war sie nicht aus Berk zurück und langsam bereitete es mir Sorgen. Womöglich hatte Astrid Recht und sie war den wilden Drachen begegnet. Einen winzigen Moment hatte ich Angst um sie.
Dann verdrängte ich die Furcht wieder. Emotionen hinderten einen nur am Denken. Der größte Fehler, den ein Stratege begehen konnte, war, leichtsinnige Gefühlsduseleien in seine Überlegungen einzubeziehen. Deswegen fiel es mir auch so leicht, Hicks auszutricksen. Bei allem Respekt - er ließ sich immer noch viel zu sehr von seinen Emotionen leiten. Das machte ihn vorhersehbar und Vorhersehbarkeit führte zur Niederlage.
Nur zu gut war mir dies bewusst, doch ich musste zusehen, dass ich Romi irgendwie aus diesem Krieg heraushielt. Ihr unbändiger Tatendrang vereinfachte die Sache nicht gerade. Mir war klar, dass sie sich langweilte und einsam fühlte, aber ich konnte darauf keine Rücksicht nehmen. Zu ihrem eigenen Besten musste sie im Lager bleiben. Noch ein Mal würde ich sie nicht so einer Gefahr aussetzen.
Denn die Lage spitzte sich immer weiter zu. Zwar lief bisher (fast) alles nach meinem Plan, doch der Zwischenfall mit dem Dämmerungsphönix und dessen Reiterin hatte gezeigt, dass es immer noch unbekannte Figuren in unserem Spiel gab, die alles durcheinander bringen konnten. In Zukunft musste ich so etwas mit einberechnen. Ich liebte solche Herausforderungen, doch irgendetwas sagte mir, dass diese Sache vielleicht größer war als ich dachte. Und wenn ich etwas nicht leiden konnte, dann über etwas nicht exakt Bescheid zu wissen. Eben solche kleine Ungenauigkeiten entschieden über Erfolg oder Misslingen eines Plans.
Deshalb fügte ich in Gedanken meiner schier endlosen To-do-Liste einen weiteren Punkt hinzu: die Identität der Reiterin herausfinden. Wobei, vielleicht musste ich das gar nicht. Denn zufälligerweise wusste ich über einen recht unbekannten Orden Bescheid. Er nannte sich "Die Flügelmädchen" und deren Wappentier war neben den Klingenpeitschlingen die Phönixe. Da sie sehr zurückgezogen lebten und kaum Kontakt zu Außenstehenden pflegten, ergab es auch Sinn, dass die Drachenreiter nichts von ihr wussten. Dass sie sich wie Heidrun kleidete, konnte ich mir nur dadurch erklären, dass diese ebenfalls einen Klingenpeitschling ritt.
Im Grunde war das aber eigentlich egal. Ein einzelner Reiter konnte nicht viel Schaden anrichten. Außerdem stand ich sowieso kurz vor dem Sieg. Weder Berk noch die Beschützer des Flügels konnten noch gefährlich werden und selbst die sagenumwobene Flotte der Berserker bildete kein Hindernis für meinen Granatenfeuerdrachen, ganz zu schweigen von den unzähligen Schiffen in meinem Hafen. Meiner Einschätzung nach (mit der ich in 99% der Fälle richtig lag) war Hicks im Moment nicht fähig, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. So betrachtet hatte mein Plan doch funktioniert, wenn auch nicht ganz wie vorgesehen.
Natürlich hatte ich nie vorgehabt, die beiden Mädchen umzubringen. Unter Wasser hatten schon Seilwinden darauf gewartet, den Käfig mit ihnen an Bord zu ziehen. Schließlich hätten sie mir noch nützlich werden können. Hicks sollte nur glauben, sie wären tot, damit er endlich aufhören würde, sich gegen meine Verhandlungen zu wehren. Diese Astrid bedeutete ihm dermaßen viel, dass er danach wahrscheinlich ganz aufgegeben hätte. Kurz fragte ich mich, ob ich nicht ein bisschen zu hart vorging, die psychische Kapazität meiner Gegenspieler nicht zu sehr strapazierte.
Ach was, Unsinn! Verärgert verbannte ich diesen Anflug von Nachgiebigkeit wieder in meinen Hinterkopf, zusammen mit dem restlichen unnützen Kram wie Zweifeln oder Schuldgefühlen.
"Mitleid mit dem Gegner ist gefährlich", so hatte mein Großvater es mir immer wieder eingetrichtert, "Sobald du anfängst, Menschen in den Truppen deines Gegners oder den deinen zu sehen, hast du schon verloren. Du musst daran denken, dass sie nur Figuren sind, unbedeutend, austauschbar. Erst dann bist du ein wahrer Stratege."
Und so musste ich vorgehen. Logisch. Distanziert. Entscheidungsfreudig. Mit voller Konzentration. Also schob ich alle unwichtigen Gedanken beiseite und versetzte mich in jenen meditationsartigen Zustand, in dem ich für gewöhnlich am besten nachdenken konnte. Tiefenentspannt und gleichzeitig mit Gehirn-Höchstleistung schob ich die Figuren auf dem Keule-und Klaue-Brett hin und her, während sich in meinen Gedanken eine Strategie herauskristallisierte. Völlig versunken in das Spiel des Lebens ging ich jede einzelne Option durch, berechnete die Aktionen der Drachenreiter und stellte für jede Variante einen Gegenplan auf.
Wie immer verspürte ich dabei ein zufriedenes Kribbeln in der Magengegend. Hier war ich in meinem Element. Ich war mir meines Talentes wohl bewusst - das Talent, zu planen, vorauszuschauen, andere dorthin zu locken, wo sie für mich am nützlichsten waren. Das war schon immer so gewesen, doch im Laufe der Jahre hatte ich meine Künste perfektioniert und (warum leugnen?) mit Hicks als meinem Gegenspieler bereitete es mir doppelte Freude.
Nur selten - zwei Male, ihn nicht einberechnet - hatte ich jemand Ebenbürtiges getroffen, was die Intelligenz anging. Nicht jedoch die Skrupellosigkeit. Genau das machte ihn zum perfekten Gegner. Unser Kampf wies gerade genug Ausgeglichenheit auf, damit es interessant war, jedoch behielt ich dabei immer die Oberhand. Wie schon gesagt, besser ging's nicht.
Eigentlich wäre es mir am liebsten, mich für immer mit ihm in der hohen Kunst der Kriegsführung zu messen, jetzt wo ich endlich einen würdigen Herausforderer gefunden hatte, doch kein Spiel dauerte ewig. Die Krönung eines gelungenen Plans stand im Besiegen des Gegners und das beendete gezwungenermaßen die Partie.
Bis wir diesen Punkt erreicht hatten, konnte ich jedoch nach Lust und Laune weiter Pläne schmieden. Weiterhin völlig konzentriert arbeitete ich die Schlussphase aus - bis jemand unüberhörbar in mein Zelt stürmte. Schon wollte ich den rüden Drachenjäger zurechtweisen, da fiel mir jemand um den Hals und eine vertraute Stimme jubelte:
"Ich bin wieder da! Siehst du, ich hab's geschafft!"
Romi war zurückgekommen, unversehrt und ganz sicher nicht von Drachen gefressen. Thor sei Dank! Mit einem Stein weniger auf dem Herzen legte ich den Keulen-und-Klauen-Meister ab, verstaute ihn in meinen Gehirnwindungen und holte den großen Bruder heraus.
"Ich habe keine Sekunde daran gezweifelt", lobte ich sie. Sofort begann sie, drauf los zu plappern:
"Du ahnst nicht, was ich alles erlebt habe! Ich war auf den Marktinseln und zuerst wollte mir keiner helfen, aber dann hat mich Händler Johann nach Berk gebracht. Kennst du ihn? Er redet ein bisschen komisch, ist aber voll nett und kann super gut Geschichten erzählen! Und Berk ist ganz anders als ich es mir vorgestellt habe! Die Leute sind gar nicht misstrauisch, sondern echt hilfsbereit. Nur als ich dann enttarnt wurde, haben sie mich durch den halben Wald gejagt, aber ich habe ein Schiff gestohlen und bin hierher gesegelt. Ganz allein!"
Das alles erzählte sie, ohne auch nur ein Mal Luft zu holen, sodass ich ein paar Sekunden brauchte, um ihre Worte zu verarbeiten.
"Langsam Romi, ich habe kein Wort verstanden." Daraufhin erzählte sie ihr Abenteuer von vorne, diesmal chronologisch geordnet und verständlicher.
"Und hier ist die Linse", schloss sie ihren Bericht.
"Prima. Ich werde sie gleich Reiker geben."
Für die Dauer eines Herzschlags protestierte der kümmerliche Rest meines Gewissens (sehr leise und sehr zurückhaltend) darüber, dass ich sie schon wieder anlog. Es war Romi gegenüber nicht fair und moralisch betrachtet mehr als fragwürdig.
Aber ich konnte ihr nicht aus heiterem Himmel mitteilen, dass ich sie ihr ganzes Leben lang belogen hatte. Zum Einen würde sie es mir nicht glauben, zum Anderen würde sie mich danach hassen und sich von mir abwenden, was ich nicht verkraften würde. Und wer würde es ihr verübeln können? Ich war eben durch und durch verdorben, skrupellos, habgierig, selbstsüchtig und ein klein wenig größenwahnsinnig, da führte kein Weg dran vorbei. Immerhin scheute ich nicht mal davor zurück, die Gutmütigkeit meiner Schwester dafür auszunutzen, meinen Feind zu vergiften. Außerdem würde das Wissen, dass die Ideale, an die sie ihr ganzes Leben geglaubt hatte, erfunden waren, sie in eine Identitätskrise stürzen. Nein, es war für alle Beteiligten am besten, wenn ich die Lüge beibehielt.
Ich verstaute die Linse in einer Truhe, da bemerkte ich, dass Romi irgendwie ungeduldig aussah.
"Was liegt dir auf der Zunge?", erkundigte ich mich mitfühlend, ganz der fürsorgliche große Bruder.
"Ich, ähm... Du - du hast dich geirrt."
"Geirrt? Worin denn?" Irrtümer zogen oft schwere Folgen mit sich, aber eigentlich konnte ich mich der Tatsache rühmen, mich so gut wie nie zu irren.
"Es geht um die Drachen. Viggo, sie sind gar nicht so böse, wie wir immer gedacht haben!", stieß sie atemlos aus.
Nicht gut. Gar nicht gut. Sah so aus, als hätte ich einen Fehler begangen. Viggo Grimborn, der brillanteste Kopf im gesamten Inselreich hatte sich (so unwahrscheinlich das auch klang) durch sein Handeln in eine äußerst prekäre Lage begeben. Noch einmal durfte mir das nicht passieren. Zwar bedrohte diese Situation weder mein Leben, noch meinen Plan, trotzdem war es von essentieller Wichtigkeit, dass ich die Sache wieder gerade bog. Oder krumm, je nach Ansicht.
Dazu musste ich allerdings genau überlegen, was ich sagte und noch wichtiger wie. Vor allem musste ich so wirken als wäre ihre Nachricht neu. Das hieß Interesse, Neugier und etwas Skepsis. Verständnis aufbringen, um sie nicht zu verstoßen, dann erklären, warum sie im Unrecht lag. Einfühlend und behutsam natürlich. Also runzelte ich die Stirn und fragte:
"Wie kommst du darauf?"
"Ich habe es auf Berk gesehen. Die Menschen dort leben wirklich mit Drachen zusammen, ohne dass die sie angreifen. Meinst du, es wäre möglich, das auch hier einzuführen?" Möglich schon, aber es brachte keine Gewinne.
"Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du bist auf die Lüge der Berkianer reingefallen. Ich kann verstehen, dass es für dich so ausgesehen haben muss, aber ein friedliches Zusammenleben mit den Drachen geht nicht. Das sind wilde Geschöpfe."
"Aber ich habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen! Sie haben sich nicht angegriffen", protestierte sie.
"Das kommt daher, weil die Berkianer ihnen die Möglichkeit geben, ihre natürliche Aggression loszuwerden, indem sie uns angreifen und unsere Männer töten. Nur so können sie sie im Zaum halten und wir werden ganz bestimmt nicht anfangen, Leute umzubringen, nur um Drachen als Kuscheltiere halten zu können. Ich kann mir gut vorstellen, was du in Berk gesehen hast, aber glaub mir: Das ist nur ein schöner Deckmantel, um die Abscheulichkeiten darunter zu verstecken. Ich weiß, wie schwer es ist, sich einzugestehen, dass man getäuscht worden ist", fügte ich als abrundenden Schluss hinzu.
"Wieso? Was ist dir denn passiert?"
"Als ich so alt war wie du, begleitete ich Reiker zusammen mit meiner Verlobten auf eine Konferenz wegen des Drachenproblems. Anfangs war es wie üblich: Viel Gesaufe und Gelaber, aber keine Entschlüsse. Dann, am letzten Tag, kam ein Mann aus dem Norden. Er sagte, er könne uns von den Drachen befreien. Dazu müssten wir uns ihm aber unterwerfen. Als wir ihn auslachten, brachen gepanzerte Drachen durch die Decke und zündeten alles an. Reiker und meine Verlobte waren schon draußen, da versperrte ein Drache mir den Fluchtweg. Ich versuchte, an ihm vorbei zu kommen, aber er erwischte mich am Nacken. Auf einmal kam Haudrauf herbeigerannt, aber er half mir nicht, sondern benutzte mich als Ablenkung für den Drachen, um aus der Halle zu fliehen und ließ mich verletzt liegen, während der Drache sich bereit machte, mich zu töten. Als meine Verlobte das sah, rannte sie zurück, um mich zu retten. Sie bezahlte es mit dem Leben. Verstehst du? Das ist der Grund, warum man Leuten, die sich mit Drachen zusammen tun, nicht trauen kann, insbesondere Leuten aus dieser Familie."
Das Meiste davon war wirklich so passiert, nur dass Reiker mich begleitet hatte und nicht umgekehrt und Haudrauf sich am anderen Ende der Halle befunden hatte. Dennoch hatte er versucht, zu uns zu gelangen, doch ein brennender Balken hatte ihm den Weg versperrt. Meine Verlobte hatte den Drachen abgelenkt, sodass ich entkommen konnte.
Diese Nacht war die schlimmste meines Lebens gewesen. Kein anderes Ereignis hatte so viele Spuren auf mir hinterlassen. Meine Verlobte hatte sich geopfert, um mich zu retten. Noch immer verspürte ich Schuldgefühle deswegen. Es war das einzige richtige Gefühl, das ich seitdem noch empfand, außer Hass und unendlichem Verlust natürlich.
Auch Romi hatte meine Geschichte ziemlich geschockt, sämtliche Farbe war aus ihren Wangen gewichen. Hatte ich übertrieben? Ach was, der Zweck heiligte die Mittel.
"Das...das habe ich nicht gewusst. Du hast Recht, man kann Haudrauf nicht trauen. Ich meine, wie konnte er nur...?"
"Manche Menschen denken eben nur an sich selbst." Menschen wie ich. Aber das brauchte ich ihr ja nicht unter die Nase zu reiben.
"Aber nur weil Haudrauf böse ist, heißt das nicht, dass Hicks nicht gut sein kann. Ich meine, er war so freundlich zu mir."
"Lass dich nicht von seinem harmlosen Äußeren täuschen. Hicks der Hüne ist ein gewissenloser und durchtriebener Mann, dem jedes Mittel recht ist. Denke ja nicht, du könntest ihn irgendwie zum Guten bekehren. Leuten, die ihren Verstand dazu nutzen, anderen zu schaden, ist mit Gutherzigkeit nicht beizukommen. Es gibt Leute, die lassen sich nicht überzeugen."
"Das stimmt schon, was du erzählt hast, war schrecklich. Aber kann man es nicht wenigstens versuchen?"
"Das ist viel zu gefährlich. Schlag dir das aus dem Kopf. Ab jetzt bleibst du im Lager. Ich hätte dich nie auf diese Mission gehen lassen dürfen."
"Nicht dein Ernst! Ich dachte, du vertraust mir endlich."
"Ich vertraue dir voll und ganz, mehr als jedem anderen. Genau deswegen will ich, dass du hierbleibst. Die Drachenreiter sind zu allem bereit und ich habe Angst, dass dir etwas zustößt. Dieser Auftrag war mehr als ich dir hätte zumuten dürfen", versuchte ich, sie zu beschwichtigen. Leider mit der gegenteiligen Wirkung.
"Ich habe doch alles richtig gemacht! Gut, ich bin vielleicht aufgeflogen, aber das war nicht meine Schuld. Und ich habe dir die Linse gebracht und das ohne, dass die Drachenreiter etwas gemerkt haben! Was willst du noch? Du hättest es auch nicht besser hingekriegt!", machte sie ihrem Ärger Luft.
"Romi, es geht nicht darum, dass du den Auftrag irgendwie schlecht ausgeführt hast, ganz im Gegenteil. Ich wollte damit nur sagen, dass ich dich nicht so einer Gefahr hätte aussetzen dürfen. Was wäre gewesen, wenn die Drachenreiter dich geschnappt hätten? Ich will dich nicht auch noch verlieren."
"Schon gut, aber gibt es nicht irgendetwas, was ich tun kann? Sonst verlierst du mich noch dadurch, dass ich mich zu Tode langweile", neckte sie mich, "Und dann werde ich zum Geist und suche dich jede Nacht heim!"
Äußerlich lachte ich, während ich gleichzeitig nach einer passenden Aufgabe suchte. Interessant und wichtig, jedoch ungefährlich und kein Kontakt zu den Drachenreitern. Wie wäre es mit... Ja, das könnte passen.
"Nun, ich kann dir mitteilen, dass ich Reiker vorhin überzeugt habe, dich zur Ausbilderin der Jäger zu machen."
"Echt jetzt? Oh, danke!", rief sie begeistert, "Wann geht es los?"
"Sobald du willst", antwortete ich lächelnd.
Keine Sekunde später flitzte sie davon, wobei sie mein Keule-und-Klaue-Brett mit meinen mühsam ausgeklügelten Strategien umschmiss. Bei jedem Anderen hätte ich das als Grund für den sofortigen Rauswurf genommen, aber meiner Schwester konnte ich nicht lange böse sein, trotz ihres Talentes, mich regelmäßig zur Weißglut zu bringen. Sie war der einzige Mensch, dem dies gelang und auch die Einzige, der ich es verzeihen würde. Selbst wenn sie meine Überlegungen durcheinander brachte oder mit ihrem Messer in meinem Schreibtisch pulte... Moment. Sie hatte doch nicht etwa...? Oh doch.
"Romi!", brüllte ich ihr hinterher. Betont langsam spazierte sie zurück ins Zelt und fragte mit gespielter Besorgnis:
"Was ist los? Hast du dir weh getan? Soll ich Hilfe holen?" Dazu klimperte sie unschuldig mit den Wimpern. Oh Mann, manchmal könnte ich sie echt... Ich versuchte, ruhig zu bleiben und befragte sie in jenem Ton, den ich mir ausschließlich für Verhöre und kleine Schwestern aufsparte:
"Hast du etwa in meinem Schreibtisch herumgeritzt?"
"Schon möglich."
"Romi! Weißt du eigentlich, wie viel das Ding kostet?", schimpfte ich, "Und überhaupt, wie kommst du auf die Idee? Das ist ein Schreibtisch und keine Zielscheibe."
Als ich mich endlich abreagiert hatte (so ungefähr 20 Minuten später), war Romi verschwunden. Auf meinen Tisch war ein Zettel mit ihrem Messer gepinnt, auf dem stand:
Tut mir leid, dass ich einfach so abgehauen bin, aber du hast dich andauernd wiederholt und mir war langweilig. Falls du mich suchst, ich bin in - nö, das ist ein Geheimnis. Vielleicht findest du mich ja, wenn du nicht mehr wie eine Tomate aussiehst. Romi. PS: Es gibt kein PS. Reingefallen!
Obwohl ich es nicht wollte, brachte ihr Brief mich zum Lachen. Auch in dem Punkt, war sie die Einzige, die das fertigbrachte. Dieses Mädchen! Wie kam sie nur auf solche Ideen?
Auf einmal schob sich der Vorhang zur Seite und Reiker stampfte in mein Zelt. Dummerweise trat er dabei auf eine der verstreuten Figuren. Es kam, wie es kommen musste: Er rutschte aus und fiel nach hinten, direkt auf das Spielbrett, das er durch sein Gewicht zertrümmerte. Ich seufzte. War heute der Zerstört-Viggos-Eigentum-Tag? Nachdem Reiker sich aufgerappelt hatte (an seinem Hinterkopf bildete sich eine riesige Beule), erkundigte ich mich, was er von mir wollte.
"Die Auktion beginnt bald. Wir sollten noch einmal die Sicherheitsvorkehrungen überprüfen."
"Ausnahmsweise eine gute Idee, Bruder", erwiderte ich. Wie immer fiel ihm keine passende Antwort ein, weswegen er mich bloß beleidigt musterte. Er sollte sich wirklich mal ein Minimum an Schlagfertigkeit zulegen.
Mehrere Stunden später war alles bereit. Kein Drachenreiter würde hier durchkommen. Die Auktion konnte beginnen. Allmählich trudelten die ersten Käufer ein. Meine Auktionen waren immer gut besucht, auch für heute hatten sich eine Menge Leute eingetragen. Hierher kamen die unterschiedlichsten Personen: Händler, Jäger, Drachenhasser und gelangweilte Oberhäupter. Zwei Gemeinsamkeiten verbanden diese bunte Mischung: 1. alle waren komplett skrupellos und 2. jeder von ihnen hatte eine Menge Geld in der Tasche. Ich liebte diese Leute. Diese Auktion würde ganz schön viel einbringen.
Selbstbewusst schritt ich auf die Bühne und wurde von schallendem Applaus empfangen, der erst verstummte, als ich mich räusperte.
"Meine hoch verehrten Gäste, ich freue mich, Sie heute Abend auf der 25. Drachenauktion begrüßen zu dürfen. Die meisten Gesichter kenne ich ja bereits, aber wie es aussieht, befinden sich auch ein paar Neuzugänge unter uns. Unsere Gemeinschaft wächst stetig weiter und das ist auch gut so, denn eine Gruppe von Drachenreitern"
An der Stelle begannen die Anwesenden laut zu buhen. Nach einer kleinen Kunstpause fuhr ich fort:
"setzt alles daran, unsere Ziele zu vereiteln. Aber keine Sorge, wir haben entsprechende Vorkehrungen getroffen. Sie können in Ruhe das tun, wofür sie hergekommen sind: die nützlichsten, exotischsten und gefährlichsten Drachen kaufen!"
Lautes Gejubel brach aus. Der Reihe nach wurden die Käfige auf die Bühne gebracht, Zuerst die gewöhnlicheren Arten, dann die seltenen. Alle wurden teuer verkauft und dabei standen diesmal keine außergewöhnlichen Exemplare zur Verfügung wie zum Beispiel ein Titanflügler oder der Dämmerungsphönix...oder der Nachtschatten. Aber auch die würden mir früher oder später gehören. Bis es so weit war, begnügte ich mich mit normaleren Arten.
"Dieser Drache ist ein besonders kräftiges Exemplar der Todsinger-Gattung. Mit seinem Gesang lockt er andere Drachen an und schließt sie in seinem Bernstein ein. Daher eignet er sich perfekt für die Jagd. Außerdem beherrscht er mehrere Wikingerlieder. Jawohl, sie haben mich richtig verstanden. Dies macht ihn zu etwas ganz Besonderem." Woher ein Drache die kannte, verstand ich selber nicht.
"Der Preis beträgt..."
Urplötzlich traf mich etwas hart im Rücken und ich wurde nach vorne geschleudert. Mehrere Kunden klebten in einer honiggelben Masse fest und immer wieder erschallte eine Abfolge von fünf Tönen. In Sekundenbruchteilen erfasste ich die Lage. Irgendein Trottel hatte vergessen, den Riegel des Käfigs vorzuschieben (den würde ich mir später vorknöpfen) und jetzt lief der Todsinger frei herum und schoss alle mit seinem Bernstein ab.
Bedauerlich und nicht gerade geschäftsfördernd, aber nichts, was für mich ein Problem darstellen würde. Unbeeindruckt vom Chaos um mich herum summte ich dieselbe Melodie, die der Drache von sich gab. Dadurch hielten sie einen für einen Artgenossen und vertrauten einem - zumindest in der Theorie. Die meisten griffen trotzdem an.
Doch dieser ließ mich nahe genug an ihn ran, dass ich den Nervenpunkt an seinem Hals drücken konnte. Augenblicklich brach er zusammen. Drache ruhig gestellt, es konnte weitergehen. Nur warum hörten die Schreie nicht auf? Langsam drehte ich mich um. Was in Thors Namen...?
Das Lager stand in Flammen. Darüber schwirrten sämtliche Drachen, die verkauft werden sollten. In ihrer Mitte der Dämmerungsphönix mitsamt seiner nicht länger mysteriösen Reiterin. Ja, offenbar war heute der Zerstört-Viggos-Eigentum-Tag. Na warte, das würde ihr noch leid tun.
"Abwehrprogramm ausführen!", rief Reiker durch ein trichterförmiges Rohr, das seine Stimme verstärkte, "Einzelner Reiter! Einheit B und E: holt die Drachen runter. Einheit A, Feuer frei auf den Reiter!"
Keine gute Idee. Der Drache befand sich genau in der Mitte der Katapulte, sodass die Geschütze sich nur selber zerstörten. Durch den Drachenschwarm erreichte kein Pfeil sein Ziel. Wir benötigten eine andere Strategie und ich wusste auch schon, welche.
Kurzerhand rannte ich in die Trainingsarena, eine natürlich Senke, die unter freiem Himmel lag. Dort schwenkte ich das Drachenauge (zum Glück trug ich es bei mir) hin und her. Wie ich es mir erhofft hatte, sah die Reiterin - oder sollte ich besser das Flügelmädchen sagen? - es. Pfeilschnell und beinahe unsichtbar im Zwielicht des Sonnenuntergangs umkurvte sie die Wachen und landete mir gegenüber.
Drohend lud ihr Drache einen Feuerstrahl. Einschüchternd? Nicht für mich. Schließlich lief alles genau nach Plan. Triumphierend zog ich an einem Hebel. Daraufhin schloss sich das Dach und schnitt den Dämmerungsphönix von seiner Energiequelle, dem Himmel, ab. Augenblicklich wurden die wenigen Sterne und Sonnen auf seinen Flügeln matter und seine Pupillen verengten sich zu Schlitzen. Panisch warf er seine Reiterin ab und flog andauernd gegen die Decke, bis einer der in den Lagerräumen versteckten Jäger ihn mit einem Drachenwurzspeer traf.
Erschrocken riss die junge Frau die Augen auf, zog aber sogleich ihre Waffe, diesmal ein Schwert. Warum wollten alle immer kämpfen? Eigentlich konnte sie es sich sparen und das wusste sie auch. Es gab keine Möglichkeit, sich heraus zu kämpfen. Sie saß in der Falle.
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