Kapitel 35: Geständnisse
Romi
„Was machen wir jetzt?"
Astrid, immer die Pragmatische. Doch das war gut, ihr durchgestreckter Rücken war gut, ihr wacher Blick. Das bedeutete, Viggos Auftauchen hatte sie nicht in den Morast zurückgestoßen, aus dem sie sich vor einigen Tagen erst herausgekämpft hatte. Alle musterten sie, sahen auch sie die Anführerin?
Sie beantwortete ihre Frage selbst, die Stimme sicher, aber weicher geworden. Als hätten die Fluten des Leids ihre Kanten abgeschliffen.
„Wir müssen Hicks zurück nach Berk bringen. Er muss anständig bestattet werden und Haudrauf muss von ihm Abschied nehmen können. Aber wenn Viggo sich in Berk blicken lässt, wird er im besten Fall vor ein Gericht gestellt und offiziell hingerichtet, im schlimmsten Fall gleich umgebracht."
Sie stutzte.
„Und das aus meinem Mund. Egal, wir brauchen ihn, wenn das mit diesem Drago Blutfaust stimmt."
„Ihr habt uns belauscht?", fiel Viggo ihr ins Wort.
Ein scharfer Blick meinerseits brachte ihn zum Schweigen.
„Ja, haben wir. Jede Information kann überlebenswichtig sein, wenn es stimmt, was du erzählst. Daher müssen wir auch das Ende der Geschichte hören."
„Das geht nicht", unterbrach ich Astrid, „Nicht jetzt. In diesem Zustand fällt er gleich in Ohnmacht. Das dritte Feuer hat nur sein Bewusstsein geweckt, nicht die Wunde geheilt. Außerdem ist er total unterkühlt. Wir müssen ihn ins Warme bringen."
Gedankenverloren knackte Astrid mit den Gelenken jedes einzelnen Fingers. Erst, nachdem Heidrun zum letzten Mal schaudernd zusammengezuckt war, antwortete sie:
„Du hast Recht. Heidrun und ich werden uns im Clubhaus um ihn kümmern, währenddessen kann er den Rest der Ereignisse erzählen. Du und Dagur, ihr holt Hicks hier raus. Dein ... Sternenwind kann ihn auftauen und Dagur ist der Stärkste von uns."
Natürlich musste er daraufhin seine Muskeln küssen. Doch immerhin sagte das Funkeln in seinen Augen, dass er es nicht vollständig ernst meinte.
„Klingt nach einem guten Plan", stimmte Heidrun zu, „Aber würdest du das bitte lassen? Das gilt für beide von euch!"
Die Gescholtenen lachten auf, Astrid kurz und trocken, Dagur lang und sprudelnd.
Viggo wankte schon die ersten Schritte entlang des Trampelpfades, doch er konnte nicht verbergen, wie sehr seine Knie zitterten. Ich eilte ihm hinterher, legte ihm eine Hand auf die Schulter.
„Leg dich wieder in die Trage."
„Vermutlich ist es die beste Lösung, nicht wahr?"
„Endlich ein vernünftiger Patient", stöhnte ich auf, „Die meisten wollen beweisen, wie stark sie sind, auch wenn sie sich so nur schneller ins Grab bringen."
„Wikinger", lachte Heidrun.
„Genau, die sind fürchterlich", warf ich ihr über die Schulter entgegen.
„Ihr hättet Hicks mal erleben müssen. Er ist aus zehn Metern Höhe von Ohnezahn gestürzt, ist aufgestanden und hat gemeint, er habe schon Schlimmeres hinter sich."
Astrid stand auf einmal zwischen uns, die Melancholie in ihren Augen durch ihr Lächeln in etwas Schönes verwandelt.
„Hicks?! Der war bei mir so was von verängstigt." Ich hielt inne. „Könnte daran liegen, dass ich ihn am Tisch festgeschnallt habe."
Heidrun prustete los.
„Warum denn das?"
„Er hätte um sich geschlagen! Das war eine ganz normale Vorsichtsmaßnahme und kein Grund zur Panik."
Astrid legte den Kopf schief, ihre hochgezogenen Mundwinkel mittlerweile beinahe ein Grinsen.
„Wenn du dich im Lager des Feindes befindest, schwer zusammengeschlagen, wissend, wo sich der letzte Nachtschatten befindet und jemand schnallt dich an einem Tisch fest – natürlich, kein Grund zur Panik."
Ihre Worte hätten bitter sein können, bei der Astrid der letzten Woche wären sie das gewesen, aber in ihren Augen funkelte ein Zwinkern.
„Also ich wäre komplett ruhig geblieben", neckte Heidrun, „Ich weiß gar nicht, was du hast."
„Jaja, Heidrun, die taffe Berserkerin."
Auf Astrids Schultertätscheln hin stupste Heidrun sie in die Seite, Astrid lachte auf und stieß sie in einen Laubhaufen. Ohne zu zögern, stürzte ich mich hinterher, schaufelte labbrig nasse, halb vermoderte Blätter in meine Arme und warf sie in die Luft. Ein Blätterregen tanzte um uns herum, langsam trudelte er zu Boden und verwandelte die Welt – nein, eigentlich klatschten die Blätter auf uns herab, verschmierten unsere Haare mit Erde und befeuchteten unsere Kleider.
Was uns nicht daran hinderte, in Lachen auszubrechen.
Astrid kicherte, Heidrun gackerte, ich jubelte, Dagur grölte und Viggo – kauerte am Boden, die Hände so eng wie möglich um seine angewinkelten Beine geschlungen, sein nackter Oberkörper von Gänsehaut bedeckt.
„Genug Unsinn gemacht, er muss ins Warme."
Meine Worte würgten sämtliche Freude ab. Heidrun sprang auf, Astrid klopfte sich das Laub von den Schultern. Sie beide schritten zur Trage, die Hände vor dem Körper ineinander verknotet, die Blicke zur Seite gerichtet, als gebe es ein Magnetfeld, das sie von der Trage weglenkte.
Ich kniete neben Viggo, schob meinen Arm unter seinen Achseln hindurch. Nur mit größter Willenskraft zuckte ich nicht zurück, als ich seine frostige Haut berührte. Drei Schritte schlurften wir, an der Trage angekommen, sank er in sich zusammen.
„Ruh dich aus. Nicht zu lange Strategiebesprechungen machen."
Er lächelte matt, seine Augenlider zur Hälfte herabgesunken. Ruh dich aus. Und wehe, ich sehe dich durch das Lager rennen, bevor du wieder komplett gesund bist! Ja, auch er dachte daran, wie er mich immer ins Bett gebracht hatte, wenn ich krank war oder mich verletzt hatte. Und nun blickte ich auf ihn hinunter.
Heidrun drückte meine Hand.
„Wir sorgen schon dafür, dass er nicht erfriert."
Ich nickte, drehte mich dann zu Astrid um.
„Und wir sorgen dafür, dass Hicks aus diesem Loch rauskommt."
Kein Wort sagte sie, doch ihre Augenlider senkten und hoben sich und als sie den höchsten Punkt erreichten, schien das Blau ihrer Augen so viel tiefer. Dann griff sie die Äste der Trage, Heidrun lächelte mir über die Schulter zu und sie stapften los.
Dagurs Fingerspitzen tippten gegeneinander, glitten voneinander weg, nur um dann wieder zusammenzustoßen, sie klopften und zupften und ich merkte, wie meine Zehen im gleichen nervösen Rhythmus gegen meine Stiefelsohle trommelten.
„Also, wir holen jetzt meinen Hicks-Bruder daraus. Aus dem Loch. Wo er in einem Eisblock gefroren ist und so ziemlich ... Ich meine, ich wollte ihn ja tot sehen. Aber früher!"
Es war, als ob die Reue von innen gegen seine Körpergrenze presste. Seine Augen quollen förmlich aus den Höhlen hervor, auch seine Lippen wölbten sich nach vorne.
„Diese Sprichwortleute haben wohl Recht, dass man vorsichtig sein soll mit dem, was man sich wünscht. Argh, ich hasse es, wenn Sprichwörter Recht haben!"
Mit einem Mal fing seine Augenbraue an, zu zucken. Sollte ich zu ihm gehen, sollte ich Abstand halten? Nein, er würde mich nicht verletzen. Dagur war nicht mehr gefährlich – höchstens für sich selbst. Und wie er zitterte, mit den Tränen rang, sich steif machte und im Moment darauf die Fassade fallen ließ ... Das konnte ich mir nicht ansehen.
„Hey. Das ist nicht deine Schuld."
Er schluchzte auf, Tränen verklebten seinen Bart. Baumstämme knarzten im Wind, nur schwach streifte die Sonne den Waldboden und mit einem Mal wurde mir bewusst, dass auch Dagur viel zu schutzlos gegenüber der Frühlingsfrische war.
„Es ... es ist nur, ich vermisse ihn so! Und wenn ich – hick! – daran denke, wie viel Zeit ich damit – hick! – verschwendet habe, ihn – hick! – zu hassen ..."
Meine Hand auf seiner Schulterplatte erreichte ihn nicht. Aber immerhin verharrte er, schwankte nicht mehr.
„Er – hick! – war der Beste von uns allen. Und ohne ihn fällt alles – hick! – zusammen."
Meine Füße scharrten durch die Blätter, durch diesen feuchten Matsch, der sich seit dem letzten Herbst angesammelt hatte.
„Ja, ich weiß. Ohne ihn fehlt uns die Richtung."
Dagur blickte mich an, in seinen Augen die Frage, das Verstehen.
„Die Richtung ... da könntest du – hick! – Recht haben. Sein Traum hat allen ein – hick! – Ziel gegeben."
Ich wandte den Kopf ab. Drüben sickerte Wasser aus dem Laub in die Höhle, zu Hicks.
„Er fehlt allen. Und allem. Er fehlt überall. Aber er ist nun mal nicht da, also müssen wir das Beste aus dieser Welt machen."
„Ja." Seine Stimme kratzte über meine Haut. „Ja, das müssen wir wohl. Du hast echt Ahnung, Romi."
„Eigentlich nicht wirklich. Ich meine, ich habe siebzehn Jahre lang die Jägerinsel kein einziges Mal verlassen! So wirklich angefangen habe ich erst vor ein paar Monaten."
„Angefangen? Womit denn?"
Ich zuckte mit den Schultern.
„Zu leben. Zu lernen. Zu fühlen. Zu verstehen. All das, was eben dazugehört."
Jetzt blickte ich wieder zu ihm. Seine Lippen flatterten, er linste zur Seite, tippte wieder mit den Fingern.
„Was ist los? Irgendetwas willst du mir sagen."
„Hähä. Hähähä. Also ich ... Ja, du hast Recht, ich will ... also, was ich sagen wollte ... hähähä!"
Auf seiner Stirn glänzte der Schweiß. Ob er mich angelogen hatte, weshalb auch immer? Nein, das würde er nicht tun. Nur weil Viggo es getan hatte, handelten nicht alle so. Aber weshalb dann dieser Knoten in meinem Magen, diese angespannte Vorahnung? Noch immer zappelten seine Finger wie Feuerwürmer, ein leises Pfeifen verriet mir, dass er die Luft angehalten hatte.
„Also, ich wollte sagen ... ich mag dich. Richtig. Du bist so lebendig und lustig und abenteuerlich und selbstbewusst und schlau ... und eine gute Zuhörerin auch noch, wie es aussieht. Wie finden so viele tolle Eigenschaften in nur einer Person Platz? Egal, nicht wichtig, nur einer meiner völlig zusammenhanglosen Gedanken. Also, äh, hähä ... Ich mag dich. Mehr als mögen. Verliebt mögen. Ja."
„Oh."
Er stolperte einen Schritt zurück.
„Hm, das war wohl der falsche Moment. Aaah, ich wusste es! Ganz dumme Idee, ganz dumme Idee!"
In seinen Augen pures Entsetzen. Ich spiegelte vermutlich seinen Gesichtsausdruck, wenn auch aus einem anderen Grund.
Dagur. In mich verliebt.
Das erklärte einiges.
Eine ewige Sekunde lang flehte er mich mit seinen Blicken an, doch ich konnte nichts sagen, was sollte man überhaupt sagen? Dann drehte er sich weg, den Kopf nach unten gekippt, die Hände still.
„Dagur, warte!"
Keine Antwort. Nur ein Blick, ein leiser, gebrochener, undagurhafter Blick.
Was sollte man in so einer Situation sagen?
Wieder drehte er sich weg, ein letzter Hauch von zersplittertem grünem Glas. Der Wind hatte aufgehört, an den Blättern zu zupfen, schlaff hingen sie herunter.
„Dagur!"
Er ging.
Seine Schritte verursachten kaum ein Geräusch, es war diese Stille, die mir am meisten zusetzte. Diese Stille, die so gar nicht zu Dagur passte; Dagur, der laut lachte und laut brüllte und laut weinte; Dagur, der laut lebte. Der jetzt still war und es lag an mir.
-°-°-°-°-°-
Kurze Zeit später kam er zurück. Ich saß an einen Baum gelehnt, dessen Rinde mir die Haut zerkratzte, und bohrte mit den Fingern Löcher in die Erde. Er schritt auf mich zu, zögerlich, tastete bei jedem Schritt, ob er ihn tragen würde. Auf den Lippen trug er einen Ausdruck, der bei den Meisten wohl als Lächeln gegolten hätte, für ihn jedoch viel zu klein war.
„Hey", sagte er und auch in seine Stimme passte er nicht hinein.
„Hey, sagte ich und bohrte meine Finger tiefer in die Erde.
Sein Lächeln verbreiterte sich, doch das machte es nicht echter. Dagur gehörte nicht zu den Leuten, die schmerzlich lächelten. Bei ihm waren alle Gefühle rein, unvermischt. Er war ein Grundfarbenmensch. Möglicherweise eckte er deshalb an in dieser Welt, die aus Zwischentönen bestand.
„Es tut mir leid", sagten wir beide.
Und lachten.
Einen Moment lang tauchte unser Lachen die Welt in reinstes Leuchtgelb. Bis es sich wieder trübte, abebbte und zu demselben farbigen Grau wie zuvor wurde. Dagurs Finger trommelten gegen seinen Oberschenkel. Meine gruben sich wieder in die Erde. Bis ich aufstand und einen Schritt auf ihn zu machte.
„Also..." Ich suchte nach meinem Zopf, nach etwas, an das ich mich halten konnte, doch da war nichts mehr. Nur viel zu kurze Haarsträhnen, die ich mir hinters Ohr strich. „Du bist in mich verliebt."
Er zuckte zusammen.
„Ja."
„Wie ... wie lange schon?"
„Seit damals auf der Jägerinsel."
Seit damals auf der Jägerinsel ... anderthalb Jahre. Eine lange Zeit. Damals hatte ich sie noch als Zuhause bezeichnet.
Wir schwiegen. Es war merkwürdig, mit Dagur zu schweigen. Normalerweise konnte er mit dem Reden nicht aufhören und jetzt? Insekten raschelten im Laub, ein Vogel stocherte nach ihnen. Knospen sprenkelten die Birke gegenüber von uns, die Äste der Tannen neben ihr schleiften über den Boden.
„Das heißt ... als du mich mit einem Skrill verglichen hast, war das ein Kompliment?"
„Dachtest du, das wäre eine Beleidigung? Skrills sind das Tollste, was es gibt!"
Sein jungenhaftes Grinsen brachte mich zum Schmunzeln.
„Ich wusste ja nicht ... ich konnte ja nicht wissen ..." Der Fleck auf meiner Tunika löste sich unter meinen wischenden Fingern in Staub auf. „Die ganze Zeit über dachte ich, du könntest mich nicht leiden und würdest mich nur ärgern wollen!"
Das Bild seiner zu Kreisen aufgerissenen Augen ... beinahe hätte es mich zum Lachen gebracht. Doch ich riss mich zusammen, auf keinen Fall durfte ich ihn noch einmal verletzen. Das hatte er nicht verdient.
„Wenn ich gewusst hätte, warum ... Ich habe mich dir gegenüber mies verhalten. Und das tut mir leid."
Ein wenig neigte er den Kopf, sein Blick zaghaft, als würde ich meine Worte zurücknehmen, wenn er etwas Falsches tat.
„Du hast mir immer wieder geholfen und ... und ich habe dich immer wieder schlecht behandelt."
Sein Kopf neigte sich weiter, er hob einen Fuß an, setzte ihn jedoch wieder ab.
„Jedenfalls ... früher konnte ich dich nicht leiden, aber ... mittlerweile verbringe ich gerne Zeit mit dir. Ich mag dich, Dagur."
Wie stieß man jemandem ein Messer ins Herz, ohne die Person zu verletzen? Es war unmöglich.
„Nur nicht auf die gleiche Art wie du."
Seine Lippen öffneten sich, zitterten. Er ballte die Hände, entspannte sie wieder. Schaute zur Seite, blickte mich an.
„Das ist okay. Ist okay."
Nein, war es nicht. Nicht für ihn jedenfalls. Sein gesamter Körper sprach eine andere Sprache als seine Worte; ich sah es in seinen nach hilflos verzogenen Augen, dem Mund, der einen nach unten geöffneten Bogen formte, den regungslos herabhängenden Armen. Es war nicht okay und wir beide wussten es. Doch es war unausweichlich.
Seine Brust wölbte sich und krümmte sich zusammen, doch das Atemgeräusch blieb aus. Mit einem Mal begannen seine Finger wieder, zu trommeln, seine Augen zeichneten komplizierte Muster in die Luft.
„Weißt du, woran ich gerade denke?" Dagur wartete meine Antwort nicht ab. „Es wäre ziemlich toll, sich im Maul eines Glutkessels zu verstecken und wenn ein Schiff vorbeikommt – Bamm! – lässt man sich ausspucken und erschreckt alle!"
„Das wäre vor allem ziemlich tödlich. Selbst ohne das kochende Wasser, Glutkessel sollen sehr aggressiv sein."
Er spitzte die Lippen.
„Hm. Wahrscheinlich hast du Recht. Trotzdem, die Vorstellung ist toll."
„Ja, das hätte schon etwas", lachte ich, „Man zieht in dem Glutkessel an dem Boot vorbei, niemand ahnt etwas ... und dann zischt man durch die Luft, landet auf dem Schiff und alle erschrecken sich zu Tode!"
„Bamm!", bekräftigte Dagur.
Irgendwann würde ich es vielleicht verstehen, seine Fähigkeit, von zersplitterten Blicken zu albernem Geplauder zu springen. Bis dahin würde ich die Gelegenheiten ergreifen, um ihn aufzumuntern. Ein Ausgleich für die Freude, die ich ihm nicht geben konnte.
-°-°-°-°-°-
Sternenwind kreiste mit einem flötenden Pfeifen auf uns zu, knickte die Flügel an und landete auf der Lichtung.
„Hey, Süße."
Sie stupste mir mit ihrem Kopf gegen die Stirn, lachend vergrub ich meine Hände in dem Fell an ihrem Hals. Ihr Atem roch nach Glut und Abendbrise, nach Morgentau und Fisch. Es tat gut, mich an sie zu kuscheln, mit den Fingern ihr Fell zu durchkämmen und die spärlichen Sonnenfunken in ihre Kuppen zwicken zu lassen. Die Federn ihres Schwanzes fegten über das Laub, ein Trillern blubberte aus ihrer Kehle. Ich lehnte mich an sie und schloss die Augen, genoss die Wärme ihres Körpers und das stetige Heben und Senken ihres Brustkorbes.
Ein Scharren verriet mir, dass Dagur von einem Bein auf das Andere trat.
„Wir sollten Hicks da rausholen."
Ich wollte Sternenwind nicht loslassen, die Augen nicht öffnen. Es tat gut, bei ihr zu sein. Doch Dagur hatte Recht mit seiner Ungeduld.
Wir sollten das hier so schnell wie möglich hinter uns bringen.
Ich spähte in eine der Phiolen, die ich immer bei mir trug. Beinahe leer, nur noch einige Tropfen Feuernebel schwappten am Boden herum. Nicht genug, um Hicks ... um das Eis zum Schmelzen zu bringen.
„Sternenwind, könntest du ...?"
Sie verstand, was meine versagende Stimme nicht in Worte fassen konnte. Goldene Punkte flackerten auf, gruppierten sich zu Linien, erstarben. Nebel rann in das Gefäß, seine Hitze fraß an meinen Fingern. Ich stopfte den Korken in die Phiole. Die Keramik erwärmte sich leicht, doch immerhin schmolz sie nicht wie das Glas, das ich früher verwendet hatte.
Mittlerweile war Dagur dazu übergegangen, mit dem Fuß Muster ins Laub zu graben. Linien schlängelten sich um das Loch herum, nie näher als drei Meter. In seinen Augen erstickte Stumpfheit das Funkeln, das ihn ausmachte. Wie konnte ich ihn zu Hicks bringen? Es würde das Messer in seinem Herzen umdrehen.
„Weißt du was? Ich glaube, es ist besser, wenn ich alleine ..."
„Danke Romi, aber ich muss darunter. Verstehst du? Ich muss!"
So viel Schmerz. Aber andererseits besser als diese Stumpfheit.
-°-°-°-°-°-
Die Höhle empfing uns mit einem kühlen Hauch. Schnell schritt ich zwischen den Brocken hindurch, mittlerweile wusste ich, wo sie sich befanden. Dagur hingegen war noch nie hier unten gewesen, er übersah einen Stein, strauchelte. Reflexartig griff ich nach seinem Arm, nur um zurückzuzucken. Ich hatte verhindert, dass er stürzte, doch sein verletzter Blick ließ mich mich selbst verfluchen.
Vor uns schimmerte das Eis. So lange hatte es Hicks konserviert. Es wurde Zeit, dass wir ihn nach Hause brachten.
Meine Finger bohrten sich in den Korken, zogen ihn heraus. Wärme leckte an ihnen, eine angenehme Abwechslung zur klammen Grotte. Vorsichtig tröpfelte ich den Goldnebel auf das Eis. Er benetzte die silbrige, klare Oberfläche und zischte auf. Die Luft füllte sich mit Dampf, Wasser rann den Eisblock hinab und sammelte sich in Pfützen. Licht gleißte auf, genauso wie beim letzten Mal, als ich den Eisblock geschmolzen hatte. Damals hatte ich es in Hoffnung auf Leben getan, nun in Akzeptanz des Todes. Staunend öffnete Dagur den Mund, ich schenkte ihm ein abgeklärtes Lächeln.
Immer weiter schmolz der Eisblock, seine Form näherte sich der von Hicks' Körper an. Nur noch eine zentimeterdünne Schicht umschloss ihn. In der Phiole schwappte noch ein klein wenig Nebel, doch ich wagte nicht, ihn noch einmal zu verwenden. Zu groß war die Furcht, Hicks' Leiche zu verbrennen.
„Dagur? Würdest du ...?"
Ein unsicherer Blick zu Dagur, er nickte knapp zurück und zog einen Dolch aus seinem Gürtel. Mit einer Zärtlichkeit, die ich nie an ihm vermutet hätte, legte er seine linke Hand auf eine dünne Stelle Eis und bohrte sachte den Dolch in den Raum dazwischen.
Splittern erfüllte die Höhle.
Ich meinte ein gemurmeltes „Hey, Bruder" zu hören, vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. Dagur griff unter die Achseln und Kniekehlen der Leiche und hob sie hoch. Sie sah so zerbrechlich aus in seinen muskelbepackten Armen, so verletzlich, so schlaff. So ... tot. Mich überkam der Drang, den Blick abzuwenden, rasch kletterte ich hinaus.
Sternenwind begrüßte mich, indem sie mit ihren Schwanzfedern über meine Schulter streichelte. Anschließend ließ sie ihren Schweif in den Höhleneingang herab.
„Romi? Was will dein Drache von mir?"
Beim Klang von Dagurs verwirrter Stimme verdrehte ich amüsiert die Augen.
„Du sollst ihn auf ihre Schwanzfedern legen, sie trägt ihn nach oben."
„Das ist doch nicht nö-"
„Neein, natürlich nicht, du wirst ganz einfach dich hochhangeln und nebenbei noch Hicks aus der Höhle hieven. Über eine Höhe von drei Metern. Gar kein Problem, kann doch jeder."
Eine Sekunde lang sagte Dagur nichts. Dann lenkte er ein:
„Vermutlich hast du Recht. Also, einfach hier drauflegen? Knicken die Federn dann nicht ab? Das wäre doch viel zu schade um diese schönen Federn! Schau mal, die haben sogar einen Farbverlauf."
„Das ist mir bewusst, Dagur. Ich kenne sie schon eine Weile, weißt du. Keine Sorge, die knicken nicht ab, sie sind sehr stabil."
Kurz darauf legte Sternenwind die Leiche sanft auf ihrem Rücken ab. Dagurs Kopf tauchte aus dem Loch aus, sein typisches Grinsen prangte wieder im Gesicht. Meine Zurückweisung hatte ihn also doch nicht so sehr mitgenommen.
„Also, jetzt bringen wir ihn nach Berk? Wo er bestattet wird?"
„Das ist der Plan, ja. Zuerst sollen wir aber nach den Anderen sehen. Wir müssen noch besprechen, was wir wegen diesem Drago unternehmen."
„Dann ... gehen wir?"
Mit geweiteten Augen schaute er in den Raum zwischen uns. Seinem Blick folgend bemerkte ich, dass er seinen Arm angewinkelt hatte. Wollte er, dass ich mich unterhakte? Aber das würde doch sicher unangebracht sein, nach dem, was ich ihm vor nicht einmal einer Stunde gesagt hatte. Andererseits ... er hatte es von sich aus angeboten, es würde ihn sicher nicht verletzen. Und wenn ich ihm falsche Hoffnungen machte? Ich ertappte mich bei dem Wunsch, dass er mir nie seine Gefühle gestanden hätte. Es verkomplizierte alles. Doch geschehen war geschehen, man konnte nur vorwärts leben. Und das ging am besten mit Freunden an der Seite.
Ich hakte mich unter.
„Gehen wir."
Hallo an alle, die nach dieser ewigen Pause nicht die Hoffnung verloren haben, dass es noch weitergeht, ihr seid klasse! Die letzten Monate waren wirklich stressig für mich, mit Abi, Stufenfahrt, Theateraufführungen und Bewerbungen, daher bin ich überhaupt nicht zum Schreiben gekommen (und um ehrlich zu sein, hatte ich auch ein wenig den Faden verloren).
Aber (jetzt kommt die gute Nachricht): Schule ist für mich vorbei, daher habe ich wieder Zeit und Lust zum Schreiben. Drachenseele wird nicht aufgegeben. Ich wiederhole: Drachenseele wird nicht aufgegeben! Dieses Projekt (das mir wirklich sehr am Herzen liegt) wird fortgeführt! Eventuell mit langsamen Updates, aber ihr werdet ein Ende bekommen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei euch allen bedanken. Seit drei Jahren schreibe ich an dieser Geschichte, eine lange Zeit, in der ich so viele tolle Leute kennengelernt habe. Ob ihr von Anfang an dabei wart oder gerade erst drauf gestoßen seid, ich freue mich über euch alle. Auch wenn ich mittlerweile nicht mehr so aktiv auf Wattpad bin, geht mir jedes Mal das Herz auf, wenn ich Benachrichtigungen von euch sehe. Eure Kommentare bringen mich regelmäßig zum Lachen und berühren mich. Danke, dass ihr immer noch zu Drachenseele haltet!
Elementara
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