Kapitel 28: Wellen
Viggo
Die Linie zwischen Gut und Böse verschwamm oftmals, dieser Ansicht war ich immer gewesen. Nicht gewusst hatte ich, dass sich jene zwischen Glück und Schmerz genauso verhielt.
Ich hielt Liska in meinen Armen und sie zeichnete mit dem Mittelfinger meine Gesichtszüge nach. Dort wo ihre Fingerspitze entlangfuhr, schauerte meine Haut und schrie nach mehr. Liebe und Bedauern über so viele verlorene Momente kochten in mir hoch, brachten meine Glieder zum Beben und verzehrten mich.
„Liska ..."
Wie berauschend es sich anfühlte, einen Namen auszusprechen, den man so lange weggesperrt hatte!
„Liska ..."
In ihren Augen brannte immer noch das gleiche Feuer wie früher, ein leidenschaftliches, selbstbewusstes, hartes Feuer. Grüne Flammensteine hatte ich sie immer genannt, nachdem ich Wochen dafür aufgewendet hatte, die passende Bezeichnung zu finden. Schon als Junge waren mir die passenden Worte wichtig gewesen. Liska war ebenfalls ähnlich überlegt mit den ihren umgegangen, doch wo die meinen als samtige Säfte meinen Gesprächspartner umschmeichelten, feuerte sie Nadelspitzen ab.
„Der Bart steht dir nicht. Und du siehst übermüdet aus."
Wo andere ihre Worte als Beleidigung aufgefasst hätten, hörte ich die Sorge und die Zuneigung.
„Ich sehe immer übermüdet aus, meine Liebe, das weißt du doch."
Ihre Mundwinkel kräuselten sich. Die Überreste eines Lächelns, das mal die Welt in Brand stecken konnte und mich dazu. Bevor es selbst von Flammen verzehrt worden war.
„Ich habe gehofft, es hätte sich geändert."
Sie sagte nicht, dass ich mehr schlafen sollte. Manche Erlebnisse fraßen den Schlaf, wir wussten es beide. Ich legte meine Hand an ihr Gesicht, auf ihre vernarbte Seite. Die Narben gehörten zu ihr, standen für jene Nacht, die uns so geprägt hatte. Sie sollte wissen, dass ich keine Abscheu davor empfand, wie so viele es taten. Aber Liska wich vor der Berührung zurück.
„Und du bist immer noch genauso ungezähmt wie früher. Wie haben sie dich noch einmal genannt? Wildfang?"
„Wildfeuer."
„Ein überaus zutreffender Name."
Nicht nur aufgrund ihrer Haare, dieses Wort umschloss ihre gesamte Persönlichkeit. Wohin sie auch ging, sog sie den Sauerstoff aus dem Raum und sämtliche Blicke schnellten zu ihr hin. Man konnte nicht vorhersagen, wann sie aufloderte, sie war gefährlich und vorschnellen Leuten brachte sie den Tod – aber wenn man es schaffte, sich ihr zu nähern, ohne verbrannt zu werden, dann entfachte sie in einem die gleiche Intensität und Leidenschaft. Beinahe ironisch, wenn man bedachte, was ihr Gesicht verunstaltet hatte.
„Im gesamten Archipel hätte man kein wilderes Mädchen finden können."
„Du wärst mir trotzdem hinterhergekommen, hätte ich es suchen wollen."
Sie hatte Recht, ich war ihr an jeden Ort gefolgt. Sie lag im Unrecht, denn ich hatte nur das eine wilde Mädchen kennen wollen.
„Aber wir sind nicht mehr die Kinder von damals."
Fast hätte ich es vergessen, Liskas Talent, unangenehme Wahrheiten auszusprechen.
Wieder hatte sie Recht, so gut wie immer hatte sie Recht. Wir waren nicht mehr diejenigen, die sich vor den anderen aus dem Dorf versteckt, Boote gebaut und Schreckliche Schrecken gejagt hatten. Aus dem unheimlichen Mädchen und dem Schwächling waren eine Auftragsmörderin und ein über Leichen gehender Mann geworden. Romi hatte Recht in ihrer Verachtung.
„Was ist?"
Liska schob mich auf Armlänge von ihr weg.
„Was soll sein?"
„Glaubst du, du kannst mir etwas vormachen?"
Offenbar kannte ich sie nicht mehr ganz so gut. Niemals hatte ich Liska täuschen können. Und mit ihr zu diskutieren, war eine Schlacht, die nicht gewonnen werden konnte. Nur Dummköpfe verschwendeten ihre Ressourcen in sinnlosen Schlachten. Also gab ich nach.
„Ich habe an Romi gedacht."
Ihre Lippen spitzten sich.
„Denk nicht mehr an sie. Sie hat uns weggeschickt, jetzt sind wir unter uns. Was gibt es zu betrauern?"
„Nichts. Gar nichts, du hast Recht."
Natürlich würde ich sie nicht täuschen können. Doch auch wenn Liska Schwachstellen ausfindig machen konnte wie niemand sonst, sie wusste, wann man sein Messer bei sich behielt. Zumindest, wenn es um mich ging.
Wie erwartet ließ sie mich los. Ich drehte mich weg, zu viel Intensität in dem halben Meter zwischen uns.
„Wo liegt unser Ziel?"
Sie hatte sich schon immer knapp ausgedrückt, aber die Zeit ohne andere Menschen hatte diesen Umstand noch verschlimmert. Wenn man keinen Gesprächspartner hatte, dann verstummte man immer mehr. Mir selbst war es in den Monaten nach Romis Flucht ebenso gegangen.
„Das weiß ich leider nicht. An den meisten Orten bin ich unerwünscht."
Liska seufzte und legte mir eine Hand auf die Schulter. Wie knochig sie sich anfühlte! Aus dem dürren Mädchen war ein Skelett geworden.
„Komm, essen wir etwas."
„Willst du mich aufpäppeln?"
Spott schwang zwischen ihren Worten und als ich mich umdrehte, zog sie eine Augenbraue hoch.
„Du durchschaust mich immer, nicht wahr?"
Anstelle einer Antwort lächelte sie das Lächeln, das die Leute in unserem Dorf als dämonisch bezeichnet hatten. Dann küsste sie mich. Ich taumelte zwei Schritte nach hinten, jetzt würden wir sicher zu Boden knallen, aber ich fing mich und legte die Arme um sie. Mit geschlossenen Augen tauchte ich in ihre Nähe ein, in ihren Geruch nach Tannennadeln, Erde und dem Meer. Unsere Arme umschlangen einander, wir suchten nach dem anderen und gaben uns Halt.
Das Schiff machte einen Ruck und wir stürzten doch. Liska wirbelte herum, knallte auf den Boden und ich auf sie drauf.
„Hast du dich verletzt?", stieß ich hervor, aber sie lächelte wieder ihr Lächeln.
„Assassinen sind wie Katzen. Wir verletzen uns nie."
Ich wickelte eine ihrer Haarsträhnen um den Finger. Sie kringelte sich in alle Richtungen. Widerspenstig, der Begriff hatte schon immer am besten gepasst. Sowohl zu ihren Haaren als auch zu ihr selbst.
Wildfeuer.
Meine Liska. Ich hatte meine Liska wieder.
Sie rollte sich herum, rollte uns herum, sodass wir auf der Seite lagen. Das schwankende Schiff kam mir auf einmal ganz passend vor. So hatte ich mich immer gefühlt, wenn ich mich in ihrer Nähe befand. Herumgeschleudert, ohne festen Boden. Und als ich ihr Gesicht betrachtete, diese minimalistischen und doch so ausdrucksstarken Züge, diese Kanten, die so viel schöner waren als Kurven es je sein könnten, schien es mir, als atmete sie mir die Luft weg.
-°-°-°-°-°-
Ich löste meine Finger aus Liskas Haar.
„Was ist?"
„Merkst du es nicht? Das Schwanken hat zugenommen."
Es hatte unnatürlich stark zugenommen, beunruhigend stark. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren wir in einen Sturm geraten, blind für alles um uns herum.
Aber der Himmel strahlte hellblau.
Sofort wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich wollte aufspringen, doch Liskas Finger schlossen sich um mein Handgelenk und sie zog mich zurück zu ihr.
„Nun, ich mag es gefährlich."
Dieser Unterton in ihrer Stimme hätte mich normalerweise in einem Gänsehautschauer aufgehen lassen.
„Ich auch, aber -"
Sie legte einen Finger auf meine Nasenwurzel.
„Nein, das tust du nicht. Du warst immer der Vorsichtige."
So wie sie die Beine untergeschlagen hatte und sich auf ihren Arm stützte, wie ihr Finger an meinen Augenbrauen entlangstrich und ihr Atem mich umnebelte, hätte ich beinahe das herumgeschleuderte Schiff ignoriert und mich ihr wieder hingegeben. Doch wie sie so treffend bemerkt hatte, ich war immer der Vorsichtige gewesen. Daher schob ich ihre Hand nach unten, löste ihren Griff und stakste zur Reling.
„Das solltest du dir ansehen."
Schiffe. Gigantische Schiffe. Kriegsschiffe, allem Anschein nach.
Nur eine Person konnte sie herbeordert haben und ich zweifelte nicht daran, dass er sie auch einsetzen würde. Kaum hatte er mich aus dem Weg geräumt, wollte Krogan das gesamte Archipel unter seine Herrschaft bringen. Und es würde fallen. Seit die Flotte der Berserker aufgelöst worden war, besaß niemand die nötigen Mittel, um sich dem entgegenzustellen. Abgesehen von Berk vielleicht, doch selbst wenn sie etwas gegen dreißig schwer bewaffnete Kriegsschiffe ausrichten könnten, jedes einzelne so feuerkräftig und so stark gepanzert wie das Granatenfeuer, gemeinsam mit Hicks war Berks Kampfeswille gestorben.
Krogans Meister musste mächtiger sein, als ich angenommen hatte. Und ich hatte ihm den Weg zu uns freigemacht.
Auch Liska war nun aufgestanden, ihre Haare klatschten gegen mein Gesicht.
„Wir haben ein Problem."
„Oh ja. Sieht so aus, als war's das mit dem Frieden."
„Nein." Sie drehte meinen Kopf in Richtung der Schiffe. „Wir haben ein Problem."
Der Großteil der Flotte war bereits an uns durchgefahren. Doch eines hielt genau auf uns zu. In bestenfalls einer Minute würde es über uns hinwegfahren und uns versenken.
Liska sprintete zum Steuer, ich raffte das Segel. Eine kleine Wölbung formte sich, dann blähte es sich auf. Aber der Wind blies genau in unsere Richtung und die hausgroßen Segel des Schiffes trugen es weitaus schneller voran als unser Bettlaken.
Unser Schiffchen legte sich schief, Liska hatte das Ruder herumgerissen. Doch es bewegte sich viel zu langsam, wir würden es nicht mehr schaffen. Die Bugwelle erfasste uns, der Himmel sackte nach vorne und ich knallte auf das Deck. Liska fluchte, dann brüllte sie etwas.
„Was?"
„Drachen! Auf den Mast!"
Bestimmt gab es aussichtslosere Vorhaben. Ich selbst hatte schon Dinge in dieser Größenordnung an verrückt getan. Also kroch ich auf den Mast zu und hangelte mich daran hoch – was in der Schräglage um einiges leichter war. Die Drachen waren kaum mehr als Punkte mit Flügeln, aber sie wuchsen schnell an. Das würde uns allerdings nicht helfen, machten wir sie nicht auf uns aufmerksam.
„Liska, hol Fisch!"
Sie hastete unter Deck, ihr Mantel wehte hinterher. Noch fester klammerte ich mich an den Mast, aber das Meer schüttelte das Boot und sprühte, bis sich die Algen auf dem Holz zu einer schmierigen Masse vollsogen. Lange würde ich nicht mehr durchhalten.
Es war ein Fehler, sich umzusehen. Denn als ich sah, wie der Schiffsbug den Himmel fraß, lockerte sich für einen Augenblick mein Griff. Sofort rutschte ich ab, versuchte noch, mich festzukrallen. Zu spät. Mein Nagel riss ab und ich stürzte auf das Deck zu.
Doch bevor ich auf den Planken zerplatzte, schnürte der Hemdkragen meinen Hals zu. Ich haschte nach dem Mast und zog mich mit Liskas Hilfe hoch.
„Danke."
Ein knappes Nicken mit aufeinandergepressten Lippen, dann stemmte sie den Fischkorb in die Höhe. Die Drachen schnellten näher, mittlerweile müssten sie die Barsche riechen. Den Zipper erkannte ich als Erstes, auch ein Gronckel war dabei – gemeinsam mit einem Alptraum und einem Nadder? So eine bunte Mischung traf man selten. Der Zipper legte die Köpfe schief, rammte die Flügel zweimal nach unten und schnellte in unsere Richtung.
Beinahe hätte ich gelächelt. Doch dann bemerkte ich, dass auf seinen Hälsen jeweils eine Person saß.
Liska riss den freien Arm in die Höhe, winkte und brüllte nach Hilfe. Ich jedoch wusste, dass es nichts nützen würde. Von allen Drachen dieser Welt mussten ausgerechnet jene der Reiter uns finden. Die Personen, die sämtliches Recht besaßen, sich zurückzulehnen, zuzusehen, wie uns das Meer verschlang und noch einige Feuerstrahlen hinterherzuschicken.
Die einzige Chance auf Rettung hatte ich selbst zunichtegemacht.
Vollkommene Ironie.
Auch die anderen Drachen erreichten uns. Der Nadder klappte seine Stacheln aus, der Riesenhafte Alptraum fauchte. Liska wandte sich mir zu und hob eine Augenbraue.
„Auch Leute, bei denen du dich nicht blicken lassen solltest?"
In diesem Moment kippte das Boot über den Wellenkamm.
Ich schlitterte, dann prallte ich gegen Liska und wir beide fielen. Liska verwandelte ihren Sturz in ein pfeilgerades Eintauchen, ich hingegen schlug auf dem Wasser auf. Es raubte mir die Sicht, drang in meine Nase und in meinen Mund und in meine Lungen, aber je mehr ich hustete, desto mehr schluckte ich. Wie stark ich auch mit den Armen ruderte, meine Bewegungen waren nichts gegen die Kraft des Meeres. Ich versuchte, Liska zu finden, sie sollte das Letzte sein, was ich sah. Doch das Meer verschlang alles Licht, Wirbel aus Luftblasen sprudelten vor meinen Augen und ich würde alleine sterben, würde ertrinken und –
Liska packte mich am Arm und ein letztes Lachen quetschte die Luft aus mir heraus, immerhin waren wir beisammen! Doch die Hand war zu fleischig für sie, jemand riss mich nach oben, ich wurde zwischen zwei Stachel gedrückt und dann - Luft!
Ich japste und hustete und spuckte und übergab mich, bis auch der letzte Rest Salzwasser aus meinem Magen und meinen Lungen verschwunden war. Dann schleuderte mich eine plötzliche Beschleunigung nach hinten.
Augenblicklich klammerte ich mich an den Stachel vor mir. Der Riesenhafte Alptraum hatte mich aus dem Wasser gerettet – oder eher sein Reiter. Doch jetzt, wo der Wind an mir zerrte, der Stachel an meinem Rücken bei jedem Flügelschlag gegen meinen Rücken schlug und ihn mit blauen Flecken mustern würde, wo sich das Meer schwindelerregend schnell von mir entfernte und mich der Reiter mit einem nicht einordbaren Blick musterte, wünschte ich mir fast, er hätte es nicht getan.
Wie Hicks auf die Idee gekommen war, sich auf einen wilden Drachen zu setzen ... Ich konnte froh sein, wenn die Salzfische von heute früh bei mir blieben. Menschen gehörten nicht in die Lüfte.
Andererseits hatte es schon etwas Erhebendes, über dem Meer zu gleiten – auch wenn man nicht wirklich von Gleiten reden konnte. Hier oben gelangte man an den Eindruck, unantastbar zu sein.
Diese Drachen waren tatsächlich gut genug trainiert, um die Reiter nicht abzuwerfen. Wenn uns das selbst gelingen würde, dann könnte man Ritte auf Drachen anbieten für die Leute, die sich einen eigenen nicht leisten konnten. Eine interessante Geschäftsidee ...
Bis der Drache anfing, Haken zu fliegen, sich in die Höhe zu schrauben und fallen zu lassen, seinen Körper in Brand zu stecken und selbst sein Reiter ihn nicht zum Aufhören bewegen konnte.
-°-°-°-°-°-
„Wir schulden euch den allergrößten Dank, dafür dass ihr uns gerettet habt."
Die Reiter bildeten eine Linie in vier Schritten Entfernung von uns. Wollten sie sich vor uns schützen oder Überlegenheit zeigen? Beides wahrscheinlich, wenn auch unbewusst. Sie wirkten so wenige, kaum zu glauben, dass sie uns so sehr zugesetzt hatten. Allerdings hatte da noch Hicks sie angeführt, Heidrun ihnen Informationen geliefert – und noch jemand fehlte, Hicks' Freundin. Sie hätte mich wohl sofort in Stücke gerissen.
Aber auch ohne Astrid sah die Lage nicht gut aus. Vier Reiter, vier Drachen, eine unbekannte Insel und keine Fluchtmöglichkeit. Zwar trug Liska mit Sicherheit Dolche mit sich und ich wusste, wie man mit den Drachen fertig wurde – doch selbst gemeinsam konnten wir nicht alle auf einmal ausschalten.
Die Reiter würden uns nicht umbringen, sonst hätten sie es schon längst getan. Aber sie konnten mich immer noch für den Rest meines Lebens in eine Zelle sperren und nach Dagurs Flucht waren die Sicherheitsvorkehrungen der Verbannten sicher erstarkt. Ich zweifelte kein bisschen daran, dass sie es tun würden, ohne zu zögern ... es sei denn, ich ging diplomatisch vor.
„Wir lassen niemanden sterben."
Der Kleine, der mich vorhin mitgenommen hatte, trat nach vorne und verschränkte die Arme. Sofort machten die anderen Reiter es ihm nach. Der Anführer also, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst waren.
„Das wissen wir zu schätzen."
Auf meine Antwort presste der Anführer die Lippen aufeinander. Ich hatte mich also zu weit vorgewagt. Jetzt musste ich behutsam vorgehen. Seine Körpersprache spiegeln, das stellte eine Bindung her.
„Was habt ihr hier zu suchen, hä?"
Einer der Chaoszwillinge ballte die Fäuste. Kein gutes Zeichen, aber noch war nichts verloren.
„Vielleicht wollten sie ja angeln", warf der andere Zwilling ein.
„Taffnuss ...", stöhnte der Anführer. Der Sohn von Berks Ratmitglied, diesem Kotzbacke? Eine Ähnlichkeit war durchaus vorhanden. Hoffentlich glich er ihm nicht, was die Persönlichkeit anging. Ansonsten würde es schnell hässlich werden.
„Oder sie haben einen Schatz versteckt! Oder sie wollten die Schiffe entern, um die Vorratskammer zu plündern. Oooder sie vermessen den Meeresboden!"
Dieser Taffnuss war also eine kindliche Natur. Wahrscheinlich hatte das ihn davor bewahrt, in das gleiche Loch zu fallen wie der Rest der Reiter. Vor allem die Miene des Stämmigen erzählte von der Trauerleere, die ihn übernommen hatte. Fischbein? Es war lange her.
Taffnuss' Schwester boxte ihren Bruder gegen den Arm und er schrumpfte zusammen. Vor ihr und dem Anführer mussten wir uns in Acht nehmen.
„Falls ihr es genau wissen wollt, wir sind gesegelt."
Ich drückte Liskas Arm zusammen. Ihre Worte zusammen mit dem abweisenden Ton würden die Drachenreiter in Sekundenschnelle gegen uns aufbringen.
„Ach, und warum das?"
Wie erwartet, das Zwillingsmädchen. Sie stiefelte auf Liska zu und bohrte den Finger zwischen Liskas Augenbrauen.
„Reicht es nicht, dass du Romi nachhetzt, musst du auch noch mit dem da rumhängen?"
„Wüsste nicht, was es dich angehen sollte, aber wir beide sind seit vierzehn Jahren verlobt."
Noch einmal quetschte ich Liskas Arm, auf diese Art würden sie uns womöglich doch umbringen. Das Zwillingsmädchen wandte sich mir zu, woraufhin mir Fischgestank ins Gesicht schlug. Nur mit allergrößter Willenskraft schaffte ich es, mich nicht abzuwenden.
„Dann hast du sie also auf Romi angesetzt, weil sie sich von dir abgewandt hat?"
Ihre Stimme erinnerte verdächtig an das Zischen eines Zippers. Sie beugte sich näher zu mir hin, bis ihre Stirn beinahe die meine streifte. Ich konnte nicht anders, als nach hinten zu weichen.
„Es war Krogan, der Liska angeheuert hat. Ich wusste nichts davon."
„Gut, denn Romi steht unter unserem – he!"
Der Anführer zog sie ein wenig nach hinten und nahm ihren Platz ein – glücklicherweise mit einem etwas angenehmeren Abstand.
„Krogan? Das ist doch der neue Jäger, der dich umbringen wollte. Warum besitzt er so viel Macht?"
„Er hat Reiker umgebracht und mir die Schuld daran zugeschrieben. Wir mussten fliehen."
Wie leicht mir die Worte über die Lippen gingen. Man vergaß so schnell den Tod, wenn das Leben einem keine Pause ließ. Und auch jetzt würde ich keine Möglichkeit haben, um Reiker zu trauern. Nicht, solange Krogan und Drago drohten, das Archipel zu unterwerfen.
„Wenn ihr denkt, dass ich als Gegner rücksichtslos oder grausam bin, dann schaut euch an, wie er mit seinen Verbündeten umgeht. Und dann überlegt, was er mit seinen Feinden tun würde. Krogan brennt alles nieder, was in seinem Weg steht – oder eher gesagt, in dem seines Meisters."
„Meisters?"
Die Blicke der Drachenreiter schnellten zwischen ihnen umher. Fischbein wich zurück, zog die Schultern hoch. Seine einst massige Statur war abgemagert und erschlafft. Alles meinetwegen.
Niemand ist unersetzbar.
Vielleicht stimmte das in Bezug auf Soldaten, aber nicht in Bezug auf Menschen. Romi und Liska waren für mich unersetzbar, Hicks musste es für die Drachenreiter gewesen sein. Wie konnte ich also einfach weiterreden und ihnen in die Augen schauen?
Ich konnte es, weil es leicht war, seine Gedanken zu überspielen. Weil sie mir Reue als Heuchelei abnehmen würden. Und weil Augenkontakt nötig war, wenn ich schon wieder ihre Welt zerstören würde.
„Wir vermuten, dass es ein Mann namens Drago Blutfaust ist."
Meine Stimme schmeichelte Samtworte. So oft kleidete sich Grauen in liebliche Klänge.
„Er ist ein Kriegsherr aus dem hohen Norden. Vor einigen Jahren kam er zu einer Konferenz der Häuptlinge – aber das wisst ihr sicherlich schon?"
Alle Reiter schüttelten den Kopf. Um meine Hand krampften sich Liskas Finger.
„Dann hat Haudrauf der Stoische euch also nicht davon erzählt. Ich besuchte diese Konferenz gemeinsam mit Liska, als wir so alt waren wie ihr jetzt. Drago Blutfaust meinte, er könne uns vor den Drachen beschützen, wenn wir uns ihm unterwerfen. Die Häuptlinge waren dumm genug, ihn auszulachen."
Kurz wanderte mein Blick zu Liska, woraufhin sie mit dem Kopf ruckte und meine Hand noch enger quetschte.
„Gepanzerte Drachen sind in die Halle eingedrungen und haben alles in Flammen gesetzt. Wir beide konnten zwar entkommen, aber wir dachten, der jeweils andere wäre tot."
Ich meinte, meine Knochen knirschen zu hören. Liskas Starren schmolz den nächststehenden Baum zu Schlacke.
„U-und die anderen Häuptlinge?"
„Außer eurem Oberhaupt ist mir keiner bekannt, der überlebt hat."
Betroffene Blicke. Wie hatten diese verängstigten und verlorenen Kinder uns so terrorisieren können? Man durfte seine Gegner nicht unterschätzen, aber so, wie sie zurückwichen und ein Grüppchen bildeten, als könne sie das vor irgendetwas beschützen, konnte ich sie nur schwer mit den Drachenreitern in Verbindung bringen.
So jung waren sie. Viel zu jung für solches Leid. In ihrem Alter hatte ich schon seit einigen Jahren keine Eltern gehabt, hatte Liska gerade verloren, mich um die siebenjährige Romi kümmern und ein Unternehmen führen müssen. Damals hatte ich mich nicht als jung gesehen, doch es wurde einem erst hinterher bewusst, wie unerfahren man gewesen war. Und nun hatte ich Jugendlichen genau dasselbe zugefügt.
Jugendlichen. Keine abgehärteten, brutalen Krieger, die solche Ereignisse einfach abschütteln würden, sondern Heranwachsende, deren Leben ich zerstört hatte.
„Die Schiffe, sie stammen von diesem Drago, richtig?"
Der Anführer trat wieder zu uns hin, alle anderen machten ebenfalls einen Schritt.
„Wir vermuten es."
„S-sie segeln in Richtung Jägerinsel."
Kaum hatten die Worte seinen Mund verlassen, wich Fischbein hinter das Zwillingspärchen zurück.
„Dann ist es sicher."
Auf Liskas Worte hin zuckten alle zusammen. Nicht nur, weil sie wie immer so lange nichts gesagt hatte, bis man sie völlig vergaß, sondern weil alle wussten, was diese Schiffe bedeuteten. Drago Blutfaust würde seinen Herrschaftsbereich im Archipel ausdehnen wollen. Selbst die Scherben, die ich übrig gelassen hatte, würden in Flammen aufgehen.
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