Kapitel 19: Am Strand
Romi
Funken stoben von den Kohlen, als Viggo nach dem Notizblock griff, malten hinter ihm einen Feuerbogen. Er kritzelte einige Worte auf das blanke Papier, zögerte ein wenig, schrieb weiter. Es schien kein Ende zu nehmen, was hatte er mir so viel mitzuteilen? War etwas mit Sternenwind? Aber nein, er hatte gesagt, sie lebte. War das dritte Feuer zerstört? Wenn ja, dann wäre alles umsonst. Das wochenlange Warten, Sternenwinds Qualen, meine Taubheit, alles nur für einen Haufen Scherben. Doch war es nicht schon oft genug so gekommen?
Nach einer Ewigkeit hörte er endlich auf, blickte abwägend in die Luft, setzte sich links von mir auf das Bett. Ich fühlte, wie sich die Bretter unter dem Strohsack durchbogen, das Bett war nicht gemacht für zwei Personen. Er kniff die Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander, als er mir das aufgeschlagene Heftchen reichte. Dann wandte er den Kopf ab, starrte ins Leere. Seine Finger tippten nervös gegeneinander.
Dein Drache ist bewusstlos, aber sie atmet. Ich denke, sie wird es überleben, sie ist stark.
Endlich eine gute Nachricht!
Das dritte Feuer ist in dem Gefäß, unbeschadet.
Und warum war Viggo dann so nervös? Warum wandte er den Blick ab, warum trommelten seine Finger gegen die Bettkante? Log er mich an? Wäre zu erwarten bei ihm, aber was würde es ihm nutzen? Seine Behauptung ließ sich leicht überprüfen und wenn sie sich als falsch erwies, hätte er erneut mein Vertrauen verspielt.
Nicht dass ich ihm vertraute.
Viggo stupste mich mit dem Ellenbogen an, legte den Kopf schief, zog die Augenbrauen hoch. Was wollte er von mir? Dass ich antwortete? Ich griff nach dem Stift, doch er schüttelte den Kopf und machte eine halbkreisförmige Handbewegung. Sollte ich umblättern? Inständig verfluchte ich das Fiepen, das mich so hilflos machte.
Erneut stupste Viggo mich an, wiederholte die Bewegung. Ich verdrehte die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte in seinem Gesicht ein Lächeln auf, dann tippte er auf das Buch.
Auf der nächsten Seite tummelten sich die Buchstaben, quetschten sich so eng nebeneinander, dass man kaum unterscheiden konnte, wo einer aufhörte und der nächste begann. Schreib endlich ordentlich, Viggo, wie oft hatte ich ihn dazu schon aufgefordert? Die Seite wirkte wie von Ameisen bevölkert. Ameisen, die mich beißen und ihre Säure verspritzen würden, wenn ich ihnen zu nahe auf die Pelle rückte.
Ich weiß, du freust dich jetzt, aber hast du noch einmal darüber nachgedacht, ob du es wirklich tun solltest? Mit solchen Dingen herumzuspielen kann gefährlich sein. Es gibt einen Grund, warum es den Tod gibt, Romi. Vielleicht tust du ihm nichts Gutes, wenn du ihn von da zurückholst, wo er jetzt ist. Du kannst nicht wissen, was dabei herauskommt und möglicherweise machst du damit alles nur noch schlimmer.
Sämtlicher Sauerstoff schien aus dem Raum zu weichen, aufgesogen von dem Wirbelsturm, der in meinem Inneren wütete, brauste und tobte und mich von innen zerfetzte. Das Piepsen in meinen Ohren schwoll zu einem Dröhnen an, übertönte alles bis auf drei simple Wörter, die durch meinen Kopf kreisten und meinen Verstand einschnürten.
Es ist genug.
Es war genug, seit Tagen schon. Ich hätte ihn gar nicht erst herbringen sollen, ihn auf seiner verdammten Insel verrecken lassen sollen. Hatte ich nicht gewusst, dass er nur Ärger machen, meine mühsam aufgebaute Stabilität so lange untergraben würde, bis sie in sich zusammenstürzte? Ich hatte es gewusst und doch hatte ich es ignoriert. Und nun war der Moment gekommen.
Säure brandete in meiner Kehle, als ich vom Bett aufsprang und Viggo nach hinten stieß, die Säure der Ameisen, endlich an ihrem Ziel angekommen. Sein Kopf knallte auf den Boden, den Bruchteil einer Sekunde meinte ich sogar, den erstickten Aufprall zu hören, doch das konnte nur Einbildung sein. Und ich hastete zur Tür, drehte mich nicht um. Sollte er sich doch verletzt haben, um diesen Mörder würde ich bestimmt nicht trauern. Der Wind riss mir beinahe die Tür aus der Hand, drückte mich auf den Abgrund zu und meine Haare, nun nicht länger zu Zöpfen gebunden, peitschten mir ins Gesicht. Wohin ich blickte, überall nur Dunkelheit und dahinjagende Wolken. Blind und taub tastete ich mir meinen Weg nach unten, klammerte mich an die Säule. Einen Moment lang erwog ich, ob ich nicht einfach loslassen sollte, mich dem Wind und der Tiefe hingeben sollte. Doch dann fiel mir ein, dass ich gebraucht wurde, Hicks brauchte mich. Ich durfte nicht aufgeben und schon gar nicht wegen Viggo. Ein halb erstickter Schluchzer entfuhr mir, dann ein Schrei. Keinen von beiden konnte ich hören und doch brachten sie meinen Kopf zum Beben.
Ich schrie eine Ewigkeit und doch nur einen einzigen Moment lang, wahrscheinlich war das sowieso dasselbe hier oben, wo sich der Turm der Reiter in die Unendlichkeit schraubte, wo sich Himmel und Erde vermählten und eine junge Frau schrie und schrie und schrie, bis ihr die Stimme versagte.
-°-°-°-°-°-
Irgendwie gelangte ich an den Fuß des Clubhauses. Irgendwie versagten meine Beine nicht. Irgendwie trugen sie mich weiter. Und irgendwie legte sich eine unglaubliche Klarheit über meine Gedanken.
Ich würde Hicks wieder ins Leben holen. Ich würde das Verbrechen meiner Familie wiedergutmachen. Ich würde sowohl ihm als auch Berk das zurückgeben, was ihnen genommen worden war. Ein Leben. Und ich würde Viggo zeigen, dass es sehr wohl möglich war.
Danach ... Egal. Was danach kam, war nicht wichtig. Einzig mein Vorhaben zählte noch.
Das dritte Feuer. Ich brauchte das Gefäß. Wo war es?
Sternenwind. Es musste bei Sternenwind sein. Entweder das oder sie hatten es genommen. In dem Fall würde ich es mir zurückholen. Egal wie.
Der Sturm von heute Morgen hatte die Stufen zum Strand glitschig und unberechenbar gemacht. Das winzigste bisschen an Unachtsamkeit konnte mich die letzten zehn Meter schneller zurücklegen lassen als mir lieb war. Kaum zu glauben, dass ich vorhin ernsthaft erwogen hatte, mich einfach fallen zu lassen. Jetzt, wo mein Herz gegen meine Rippen pochte und die salzige Meeresluft den Wirbelsturm in meinen Lungen auflöste, erschien es mir absolut undenkbar.
Als meine Füße endlich wieder festen Boden berührten, bemerkte ich, dass ich die gesamte Zeit die Luft angehalten hatte. Man merkte wohl erst, wie kostbar Stabilität war, wenn sie abhanden kam. Rechts von mir wogte das kohlenschwarze Meer, Wellen klatschten gegen Felspfeiler, einzig erkennbar an der aufsprühenden Gischt, links türmten sich die Klippen auf und schimmerten im unstetigen Licht des Halbmondes. Doch all das war bedeutungslos im Vergleich zu dem unförmigen Schemen am anderen Ende des Strandes.
Meine Schritte beschleunigten sich, alle paar Meter sackte ich im Sand ein, doch ich rannte weiter und weiter und da war sie, da war Sternenwind und - rührte sich nicht? Warum rührte sie sich nicht? Hatte Viggo mich angelogen, war sie doch gestorben, hatte ich sie umgebracht? Passen würde es zu ihm.
Zum ersten Mal erschien mir diese Stille, einzig gestört vom Rauschen des Blutes in meinem Kopf, doch richtig. Ich stürzte zu ihr hin, stemmte ihren Flügel beiseite wie vor einigen Stunden schon, nur dass ich dieses Mal darunter kroch und nicht hervor und dass dieses Mal absolute Dunkelheit herrschte anstatt blendendes Licht.
Wie als wollten sie es nicht wissen, als fürchteten auch sie sich vor der Endgültigkeit der Berührung bebten meine Finger, zuckten auf und ab und vor und zurück, als ich nach ihrer Brust tastete. Sie wollten in der Leere der Hoffnung bleiben, doch ich zwang sie nach vorne und dann streiften sie Fell. Warmes Fell.
Das musste nichts heißen, so ein großer Körper gab die Wärme nach seinem Tod nur langsam ab und doch fuhr ein Schauer durch meinen Arm. Aber erst ein Herzschlag würde ihre Lebendigkeit beweisen - ein Herzschlag, der nicht kam.
Nein, das konnte nicht sein, ich musste mich geirrt haben, nicht aufmerksam genug gewesen sein. Noch tiefer schob ich meine Fingerspitzen in das Fell hinein, noch angestrengter blendete ich alles andere aus. Und da.
Ein Zucken. Und noch eines. Und noch eines, im himmlischsten Takt der Welt. Ihr Herz schlug, sie lebte, ich hatte mir nur selbst einen Schrecken eingejagt, schwarzmalender Angsthase, der ich war! Sie lebte, sie schlief nur, so wie Viggo es gesagt hatte! Natürlich, ihm konnte man nicht glauben, aber auf Sternenwind hätte ich vertrauen sollen, auf ihren Lebenswillen und ihre Stärke. Tränen rannen über meine Wangen, Tränen der Erleichterung. Ich ließ sie laufen, kauerte mich zusammen und schmiegte mich an Sternenwind, während um uns herum die Nacht ein Lied sang, das von sämtlicher Freude der Welt erzählte.
-°-°-°-°-°-
Als ich aufwachte, war das Lied immer noch da. Beinahe unhörbar leise, wie aus weiter Ferne gespielt - doch es war da. Es kam mir sogar bekannt vor. Ein Lied, das die Seele zum Schwingen brachte und sämtlichen Schmerz wegschmolz. Sternenwinds Lied.
Aber wenn ich es hörte, musste das nicht heißen, mein Gehör kehrte zurück? Konnte das sein? Bestimmt ließ sich das irgendwie überprüfen - das Meer! Wenn ich das Meeresrauschen hörte, dann musste auch der Rest irgendwann kommen.
Aufgeregt krabbelte ich unter Sternenwinds Flügel hervor, das immer noch nicht verschwundene Reißen in meinen Gliedern kräftigst ignorierend. Helles Morgenlicht schlug mir entgegen, blendete mich für einige Sekunden. Kaum hatte ich mich an die Helligkeit gewöhnt, rappelte ich mich auf, klopfte den Sand aus meinen Kleidern und wankte zur Grenze zwischen Land und Meer.
Sie lag weiter draußen als heute Nacht, das Meer hatte sich zurückgezogen und einen Teppich aus Algen und Schlick zurückgelassen. Vereinzelte Stöcke ragten steil aus dem Schlamm hinaus und wiesen in den Himmel, kleine Muscheln sprenkelten den Strand. Von all dem ging der überwältigende Geruch der Weite, des Lebens und Zerfalls aus - sprich der so vertraute Atem des Meeres.
Ein plötzlicher Andrang brachte mich dazu, aus den Stiefeln zu schlüpfen und sie beiseite zu schleudern. Dort, wo sie landeten, spritzte der nasse Sand auf. Barfuß lief ich zum Saum des Meeres hin, eiskalter Schlamm quoll zwischen meinen Zehen hervor. Der Sturm der Nacht war zu einer verspielten Brise abgeflacht, die wunderschöne Muster in den Sand weiter oben pustete, nur um sie sofort wieder zu verwischen. Am Himmel kreiste eine Möwe, vielleicht auch der Schreckliche Schrecken von gestern Mittag. Und dort, kaum drei Schritte von mir entfernt, leckte das Meer an dem Schlamm, nahm ihn mit sich, spülte ihn wieder an.
Seine Kälte biss in meine Zehen, ich hatte vergessen, wie eisig es im Winter sein konnte. Einige unendliche Sekunden tanzte mein Fuß mit dem Wasser, teilte es, brachte es in Bewegung und bremste es ab, zog seine Muster hinein. Einen unendlichen Augenblick lang fühlte ich mich lebendig, eins mit dem Meer und dem Wind und der Welt. Bis die Kälte überhand nahm und ich den Fuß wieder herausnehmen musste.
Meine Zehen hatten eine bläuliche Farbe angenommen, die ganz sicher nicht gesund sein konnte. Ich musste ins Warme, aber da wartete Viggo. Außerdem wollte ich den Strand nicht verlassen, nicht jetzt, wo ich mich frei fühlte, wo ich im gleichen Takt atmete wie das Meer.
Im gleichen Takt? Aber das hieß ja ... Mein Kopf ruckte nach oben. Ich schloss die Augen, blendete alles andere aus und tatsächlich: Ein Murmeln, gedämpft zwar, doch es war da. Mein Gehör kehrte zurück, ich würde nicht ewig taub bleiben! Vorhin hatte ich mich also doch nicht geirrt mit Sternenwinds Lied! Es war wundervoll, die erste gute Nachricht seit langem. Lächelnd schüttelte ich den Kopf, legte ihn in den Nacken und über mir breitete sich der Himmel in die Unendlichkeit aus.
-°-°-°-°-°-
Als ich mich neben Sternenwind hockte, trug ich wieder meine Stiefel und kuschelte mich so eng wie möglich an ihren herrlich warmen Körper. Noch immer schlief sie, laut Viggos Informationen würde sie das noch in den nächsten Tagen tun. Gedankenverloren zwirbelte ich eine Strähne ihres Fells zwischen meinen Fingern. Ohne die Funken darin wirkte es so leer, so düster. Kein Wunder, dass ich Panik bekommen hatte. Aber sie lebte noch, gerade noch so.
Wenn auch nicht durch meinen Verdienst.
Beinahe wäre sie gestorben und wofür? Für ein paar Milliliter aberwitziger Hoffnungen. Ich hatte das Leben meiner Freundin aufs Spiel gesetzt, für Tage würde sie nun bewusstlos sein. Wie konnte ich mir anmaßen, neben ihr zu sitzen und sie zu kraulen, als sei nichts geschehen, als hätte ich sie nicht beinahe umgebracht?
Überhaupt, wo war das dritte Feuer? Viggo hatte gesagt, es befand sich unbeschadet im Gefäß - aber glauben konnte ich ihm kein Wort. Probierte alles, um mich davon abzuhalten, Hicks wieder ins Leben zu holen, dabei hatte er ihn umgebracht! Doch so vermodert, wie sein Gewissen war, verspürte er bestimmt nicht einmal Reue.
Auf allen Vieren krabbelte ich zu Sternenwinds Kopf, zum Aufstehen fehlte mir die Kraft. Tatsächlich, kein Gefäß mehr da. Warum überraschte es mich noch? Wahrscheinlich hatte Viggo es sowieso längst zerstört. Der Sand scheuerte meine Knöchel auf, als ich dagegenboxte, setzte sich in den Wunden fest. Es brannte höllisch, doch das war mir egal. Wieder und wieder prügelte ich auf den Boden ein, die Erschütterungen zuckten meine Schulter hoch und schmerzten in meinen Handknochen. Bei jedem Schlag stellte ich mir das Gesicht meines ehemaligen Bruders vor, diese gleichgültige, verlogene, hassenswerte, verfluchte Fratze.
Bis auf einmal ein Schatten über mich fiel.
Ich blickte hoch, Liska beugte sich über mich mit spöttisch hochgezogenem Mundwinkel. Dann knickte sie ihre dürren Beine ein, hockte sich neben mich, schrieb mit einem knochigen Finger Zeichen in den Sand.
Macht's Spaß?
"Natürlich macht es mir Spaß, mit zwei verdammten Mördern auf einer Insel, die ich nie wieder betreten wollte, festzusitzen, halb taub und mit einer bewusstlosen besten Freundin, die ich beinahe umgebracht hätte für etwas, das MIR VERDAMMT NOCH MAL VON EUCH GEKLAUT WORDEN IST! Aber nein, Ich mache mich gerne zum Narren, WÄHREND IHR DEN SPAß EURES LEBENS GEMEINSAM HABT UND WÄHREND HICKS IMMER NOCH TOT IST! UMGEBRACHT, VON DEINEM TOLLEN VIGGO, DER NUR WEGEN MIR NOCH AM LEBEN IST! UND ER SAGT MIR, ICH SOLL NICHT MIT DEM TOD HERUMSPIELEN? EIN VERFLUCHTER MÖRDER IST ER UND DU EBENFALLS! ICH WÜNSCHTE, ICH HÄTTE IHN NIE GERETTET! HÖRST DU?! ICH WÜNSCHTE, ER WÄRE EBENFALLS VERRECKT!"
Keuchend holte ich Luft. In meine Handflächen hatten sich tief die Fingernägel gebohrt, mein Hals kratzte und sämtliche Muskeln in meinem Körper waren so angespannt, dass sie schmerzten, als ich sie wieder lockerte.
Liska betrachtete mich mit der gleichen kühlen Distanz wie zuvor.
"Und du, du emotionslose Schlange! Wie bist du überhaupt hier hergekommen? Mal wieder ein paar Leute ermordet, so schickt sich das doch in deiner Berufung, nicht wahr?! Warum bist du nicht dort geblieben, wo auch immer du davor warst? HÄ?! Was verdammt noch mal hast du hier zu suchen?!"
Selbst das Piepsen übertönte nicht, wie sich meine Stimme überschlug und in grauenerregende Höhen abdriftete. Und diese Liska sah mich nicht einmal an, zeigte keinerlei Regung, ihr Gesicht die gleiche Maske wie immer. Sie sollte reagieren, diese dämliche Kuh, sollte mich anbrüllen oder angreifen, aber sie. Sollte. Reagieren! Was nützte meine Wut, wenn sie niemanden traf, wenn sie ins Leere ging? Was war ein Feuer, das nichts verbrannte? Weil das Gegenüber, das es doch eigentlich verletzen wollte, aus Stein bestand?
Aber nein, das war falsch. Nicht sie wollte ich verletzen. Viggo war es, nach dem die Flammen sich sehnten, den der fauchende Brand verzehren wollte. Doch er war nicht hier und das nächstgelegene Opfer schien eine Statue zu sein, daher krallte sich die Feuersbrunst die einzige Person, die noch übrig blieb. Mich.
In meinem Kopf toste es, mein Herz krampfte sich zusammen und durch meine Eingeweide flutete abermals die Säure. Ich hätte gebrüllt, doch mein Kiefer öffnete sich nicht und so prallte der Schrei ab, richtete sich nach innen und ließ meinen Schutzpanzer zersplittern.
Denn er war von Anfang an nur aus Glas gewesen.
Dann krallten sich astgleiche Finger in meinen Unterarm und katapultierten mich aus dem Feuer zurück an den Strand. Das Gesicht immer noch aus Stein gemeißelt, diesmal jedoch mit einem geringfügig anderen Gesichtsausdruck, wies Liska auf die neuen Buchstaben.
Wenn ich den Auftrag nicht angenommen hätte, hätte ein anderer ihn gekriegt und der hätte dich umgebracht.
Das war der Wassereimer, der die Flammen erstickte.
"Du wolltest mich beschützen?"
Sie ruckte mit dem Kopf.
Unbehaglich setzte ich mich auf meine Hände, presste die Arme so eng wie möglich an meinen Körper.
"Warum?"
Ein kurzer Blick aus den Augenwinkeln, dann verwischte sie die Wörter, grub neue in den Sand.
Du bist zwar eine unerträgliche Göre, aber du gehörst zur Familie.
Das "Nicht mehr" verkniff ich mir, Liska konnte nichts dafür, wie sich die Dinge entwickelt hatten. Zehn Meter vor uns kräuselte der Wind die Oberfläche eines Gezeitentümpels.Und auch Liskas Lippen kräuselten sich zu der Andeutung eines Lächelns, unter dessen Oberfläche genauso viel Schlamm schlummerte. Ich strich mir die Haare hinter die Ohren, noch immer hatte ich mich nicht an ihre Kürze gewöhnt.
"Ich kann mich kaum erinnern. An dich."
Für einen flüchtigen Moment leuchtete etwas in ihren Augen auf, ließ sie beinahe menschlich erscheinen. Ich holte meine Hände wieder hervor, der Dreck und mein Gewicht brannten in den offenen Stellen. Gedankenverloren grub ich im Sand und ließ ihn wieder zu Boden rieseln. Im gleichen Moment beugte sich Liska nach vorne, um die Fläche freizuwischen und unsere Hände striffen einander. Die ihre war klamm, wohingegen in meinen die Wärme pulsierte.
Du warst noch klein. Ein Dreikäsehoch. Bist mir überall hin gefolgt, hast mir alles nachgeplappert. Und Fragen gestellt, Hunderte an Fragen.
Der Wind brachte die Ränder der Buchstaben zum Einsturz, bevor er sie vollkommen verwehte, doch da hatten sie sich schon in meiner Seele eingemeißelt.
"Es tut mir leid, was ich gerade gesagt habe. Ich habe es nicht so gemeint."
Sie zog eine Augenbraue hoch, als sie den Sand glatt strich und mit einem Mal fiel mir auf, an wen mich diese Geste so erinnerte. Wer sie wohl von wem abgeschaut hatte? Dieses Mal schrieb sie länger als zuvor und als sie sich zurücklehnte, meinte ich das Meer raunen zu hören.
Doch. Das hast du. Steh dazu. Immer zu deinen Taten stehen. Vor allem, wenn du Recht hast.
Etwas Abwägendes lag in ihrem Blick, als sie den Kopf schieflegte und mich musterte. Dann fügte sie hinzu:
Bis auf eine Sache.
Und streckte mir das Gefäß mit dem dritten Feuer hin.
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