Kapitel 18: Rotes Licht

Romi

Kleine Wellen umspülten meine Füße, raunten mir Geheimnisse zu, von denen ich keines verstand. Zwischen meinen Fingern rieselte der feine Sand zu Boden, ein ums andere Mal. Die Sonne strahlte in ihrem Zenit, die Luft jedoch war immer noch klirrend kalt. Schon seit Stunden verfolgte ich ihren Lauf, seit die rosa Schwaden am Himmel verblasst waren. So wie jeden Tag seit jenem, an dem mich ein Schatten in der Nacht geweckt und alles sich aufs Neue verändert hatte. Acht oder neun müssen es mittlerweile gewesen sein. 

Acht oder neun Tage, die in Bedeutungslosigkeit dahingerauscht waren.

Acht oder neun Tage, in denen ich kaum zur Ruhe gekommen war, trotz all der freien Zeit.

Acht oder neun Tage in völliger Einsamkeit, quälender sogar noch als auf den Marktinseln. 

Denn dort war ich wirklich alleine gewesen, während sich jetzt meine Familie in nächster Nähe aufhielt. Doch sie waren eben nicht mehr meine Familie, nicht Liska und ganz bestimmt nicht Viggo, und ihre gerade aufgrund ihrer Gegenwart fühlte ich mich so alleine wie noch nie. Was hätte ich darum gegeben, wieder auf den Marktinseln sein zu können, fern von allem und allen! Nicht an Viggo denken zu müssen, seine Existenz und seine Lügen vergessen zu können. Doch er war hier und ich war hier und meine Erinnerungen ebenfalls. 

Eine Wolke schob sich vor die Sonne und Sternenwind grummelte im Schlaf. Ihr mächtiger Oberkörper hob und senkte sich gleichmäßig, wiegte mich vor und zurück. Die letzten Tage hatte sie allesamt so verbracht, in einem ohnmachtsähnlichen Schlaf. Zuerst hatte ich es auf das Betäubungsmittel geschoben, das Liska ihr in jener Nacht verabreicht hatte - noch ein Grund, dieser Frau nicht zu trauen. Doch mittlerweile konnte ich nicht länger leugnen, dass das Ansammeln des Feuers sie auslaugte. 

Unwillig stöhnend verrenkte sie den Kopf und legte ihn anschließend auf meinen Oberschenkeln ab. Der Maulkorb bohrte sich in den Muskel hinein, als wolle sie mir noch im Schlaf verdeutlichen, was für eine schreckliche Freundin ich war. Nicht dass es mir nicht auch schon so bewusst gewesen wäre. 

Ein Schrecklicher Schrecken huschte durch den Sand, sein Schwanz verwischte die Zeichnungen, die sich in den letzten Stunden dort angesammelt hatten. Witternd hob er den Kopf in die Luft, nieste einmal und trippelte weiter. Ich ertappte mich dabei, wie ich schmunzelte.

"Hey, Kleiner", raunte ich ihm zu.

Irritiert hob er den Kopf.

"Magst du zu mir kommen?"

Noch immer stand er am gleichen Fleck, den Kopf schief gelegt als könnte er mich wirklich verstehen, als wäre das hier nicht bloß eine sinnlose Unterhaltung mit einem Tier. Dann wankte er ein paar Schritte auf mich zu. Der Wind raschelte in den kahlen Ginsterbüschen, bleigraue Wolken walzten über den Himmel, auch das Meer hatte die Farbe von Schiefer angenommen. Ich streckte die Hand aus, langte nach einer Berührung, selbst wenn sie nur von einem Drachen stammte. Der Schreckliche Schrecken zuckelte ein weiteres Stückchen in meine Richtung, wohl angelockt von den strahlenden Flecken auf Sternenwinds Gefieder, hunderte waren es mittlerweile. Kaum zehn Zentimeter trennten uns noch, fünf, drei ...

Weit über dem Meer grollte der Donner. Erschrocken blieb der kleine Drache stehen, leckte sich über das rechte Auge. Dann preschte er davon. Mein "Bleib da!" ging im Tosen des Meeres unter. 

Dicke Tropfen platschten vom Himmel hinab, verflüssigten den Strand zu einem Schlammfeld. Hatten sich die Wellen zuvor um meine Füße gekräuselt, so türmten sie sich nun zu Bergen auf, die mit aller Macht über mich hereinbrachen und mich bis auf die Knochen durchnässten.  Prustend robbte ich zurück, weg vom Meer und unter Sternenwinds schützenden Flügel. Das Salzwasser brannte in meinen Augen und meiner Nase. Fluchend wischte ich es aus meinem Gesicht, spuckte es literweise aus meinem Mund und wrang es aus meinen Haaren. Schwer und klamm hingen meine Kleider an mir hinab, auch sie trieften vor Wasser. 

Das war ja wieder einmal toll gelaufen. 

Und nicht einmal ins Clubhaus und mich aufwärmen konnte ich! Die Fusion der beiden Feuerarten konnte jeden Augenblick stattfinden, beinahe das gesamtes Gefieder leuchtete. Wenn ich mich in diesem Moment nicht bei Sternenwind befand und den Maulkorb öffnete, würde sie von innen heraus verbrennen. Auf keinen Fall durfte ich sie in diesem Stadium alleine lassen und dummerweise schlief sie tief und fest. Sprich: ich saß hier fest. 

Schnaubend streifte ich die klatschnasse Tunika und das wollene Oberteil über den Kopf, so vollgesogen brachten sie mich nur noch mehr zum Zittern als das sie mich vor Kälte schützten. Lediglich das Hemd behielt ich an, für den Fall, dass Liska oder Viggo vorbeikämen. Anschließend schmiegte ich mich an Sternenwind, in die Höhle unter ihrem Flügel als könne ich den niederschlagenden Regen, den Sturm und die Welt aussperren, wenn sie hinter einer Schicht aus Federn und Wärme und Zuneigung verschwanden.


-°-°-°-°-°-


Sterne wirbelten über den Nachthimmel, tanzten hypnotisierende Muster in die unendliche Weite des Alls, die doch nur aus Schichten von langen, nachtschwarzen Federn bestand. Alles war ein Heben und Senken, ein einziges stetiges Atmen, dessen Rhythmus von Geborgenheit sang. Fern rauschte das Meer, gedämpftes Donnergrollen drang zu mir durch. Und Sternenwind atmete, während um uns herum der Sturm tobte, und die Sonnenfunken zogen ihre Bahnen auf ihren Federn. Silbern und golden, golden und silbern, in allen Größen zwischen Staubkorn und Walnuss flitzen sie umher, bis sie taumelnd innehielten. Dann setzten sie sich erneut in Bewegung, nicht so unkoordiniert wie zuvor, sondern zielstrebig und gleichmäßig.

Sie alle wanderten in die gleiche Richtung, auf einen Punkt in Richtung der Lunge, des Herzens zu. Wie aus einem Traum sah es aus, ja, ich musste eingeschlafen sein und träumen, denn so etwas spektakulär Wunderschönes konnte es in der Realität nicht geben. Und der Traum veränderte sich, gewann neue Dynamik, genau wie die Funken, die nun immer schneller auf ihr Ziel zustrebten. Immer häufiger stießen mehrere von ihnen zusammen, woraufhin sie kurz erbebten, dann miteinander verschmolzen und das Leuchten des neuen Sterns übertraf das seiner Vorgänger bei weitem. Auch diese neuen, größeren und helleren Funken bewegten sich auf den gleichen Punkt zu, trafen auf weitere, bis sich alles zu einem so strahlenden Ball purer Energie vereinte, dass ich den Blick abwenden musste.

Gold und Silber wurde zu weiß, einem grellen, reinen Weiß und dieses Weiß wurde zu orange, wurde zu rot und ein Schauer fuhr durch Sternenwinds massigen Körper.

Das war kein Traum! 

Das war kein Traum, das war die Fusion und Sternenwinds Beben stammte nicht von Glück sondern von ungeheuerlichen Schmerzen! Wie lange hatte ich schon tatenlos zugesehen, wie viel Zeit blieb mir noch? "Nicht lange. Maximal zwei Minuten", hörte ich Viggo in meinem Kopf sagen, zwei kostbare Minuten von denen ich schon viel zu viel Zeit verplempert hatte.

Mit schweißnassen Händen stemmte ich Sternenwinds Flügel von mir hoch, ein gequälter Laut entfuhr ihr, steigerte sich zu einem Brüllen, in dem so viel Schmerz mitschwang, dass ich am liebsten selbst aufgeschrien hätte. Hastig sprang ich darunter hervor, während Sternenwind in Todesqualen zuckte und sich krümmte, während das Licht immer greller und greller wurde und sogar ich dessen unglaubliche Hitze spürte. Dreimal rutschten meine Finger ab, als ich das Auffanggefäß an den Maulkorb schraubte. Sternenwinds Brüllen erklomm immer weitere Lautstärken, der Sand unter meinen Füßen zitterte auf und ab, brachte mich aus dem Gleichgewicht und ich stürzte zu Boden. Lodernd rotes Licht brach zwischen Sternenwinds Federn hindurch, flutete die Welt, zwang mich dazu, die Augen zu schließen. Blind tastete ich mich voran, wo war dieser verdammte Hebel, in meinen Ohren schrillte es und Sternenwinds Körper bäumte sich unter meinen suchenden Händen auf. 

Ich hatte sie verloren. 

Sie war tot, ich hatte sie umgebracht, ich würde es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Sie wusste es und ich wusste es au-

Metall! Kühles, längliches, rettendes Metall! Mit letzter Kraft zog ich an dem Hebel, obwohl sowieso alles viel zu spät war, stieß einen Schrei zwischen meinen zusammengepressten Zähnen aus. 

Dann ließ ich mich in das flammende Licht fallen.


-°-°-°-°-°-


Ich trieb durch endlosen Nebel. Roten Nebel. Warum war der Nebel rot?

Egal. 

Es war ruhig. 

Ruhig und friedlich, bis auf das schrille Piepsen in meinen Ohren. Warum piepsten meine Ohren?

Egal.

Es fühlte sich gut an. Die Ruhe. Geborgen und frei.

Ich fühlte mich gut.

Ich trieb. 

Konnte ich mich bewegen? 

Probehalber hob ich meinen Arm - oder hob ihn nicht, denn er bewegte sich nicht.

War ich tot?

War ich gestorben und das hier das Nachleben?

Sollte ich deswegen beunruhigt sein?

Egal. 

Egal.

Egal.

Meine Gedanken drifteten weg, ich konnte sie förmlich sehen. Weitere Wolkenfetzen, die sich dem Nebel anschlossen, bis sie nicht mehr von ihm zu unterscheiden waren. 

Überhaupt, der Nebel.

Er bewegte sich. Ballte sich zu Formen zusammen, ovalen Formen. Beinahe wie Gesichter.

Nein.

Das waren Gesichter. Viggo und Liska. Waren sie auch tot? Von dem Licht verbrannt?

Ich blinzelte. Kniff die Augen zusammen. Ihre Gesichter wurden schärfer. Dann verblassten sie.

Bleibt hier!

Hatte ich das geschrien? Was war mit mir los?

Hatte ich mich das nicht schon gefragt?

Egal.

Hände aus Nebel schoben sich unter meinen Körper. Hoben mich an. 

Hoben mich an? Im Nebel? War das überhaupt oben? Gab es noch ein oben?

Da war wieder das Gesicht. Viggo. Ein wenig klarer als zuvor, nicht mehr nur rot, da waren auch andere Farben.

Farben?

Er bewegte seinen Mund. Sprach er mit mir? Das Piepsen übertönte alles.

Dann trat sein Gesicht wieder zurück. Überließ mich dem Nebel.

Nebel.

Nebel.


-°-°-°-°-°-


Mein Kopf dröhnte. Mein Kopf dröhnte und in meinen Ohren klingelte es trommelfellzerreißend. Und ansonsten? Meine Glieder fühlten sich wie zerschmettert an, pulsierten schmerzhaft bei jedem Herzschlag. Selbst das Atmen fiel mir schwer, jeder einzelne Atemzug kostete Überwindung, schien meine Lunge zu zerreißen. Was war passiert?

Am Strand. Flammend rotes Licht. Und ...

"Sternenwind!"

Krächzend klag meine Stimme, in meinem Mund klebten Sandkörner und verwandelten ihn in eine trockene Wüste. Aber das war egal, ich musste zu Sternenwind! Womöglich war sie ... nein, nein, nein, das durfte nicht sein! Ganz bestimmt lag sie noch heil am Strand - wo lag ich eigentlich?

Ich versuchte, die Augen zu öffnen, doch meine Lider klebten zusammen. Dann gelang es mir, sie einen Spalt zu öffnen. Die orangenen Lichtflecken verschwanden nicht. Immer noch tanzten sie vor meinen Augen herum, verhinderten jeden Blick auf das, was dahinter lag. In meinen Ohren piepste es weiterhin.

War ich blind geworden? Blind und taub vom Licht und Sternenwinds Brüllen? Bestimmt nicht, gleich würde beides wieder weggehen. Aber es ging nicht weg. Die Lichtflecken blieben und brannten sich in meine Netzhäute und das Schrillen blieb auch, stechend und unerträglich. Auf meinen Armen bildete sich eine Gänsehaut. Was, wenn ich wirklich blind und taub geworden war? Wie sollte mein Leben aussehen, so vollkommen hilflos? Nicht einmal auf Sternenwind fliegen konnte ich noch - Sternenwind!

Über meinen Gedanken hatte ich sie vollkommen vergessen, dabei ging es ihr bestimmt noch schlechter als mir - wenn sie überhaupt lebte. Was war ich für eine Freundin, die ihr so etwas antat und sie darüber auch noch vergaß! Ich musste sie finden. Selbst wenn ich mich dafür auf allen Vieren vortasten musste, ich würde sie finden.

Na schön. Aufsetzen. Das würde ich hinkriegen. Arme anwinkeln. Unter meinen Körper schieben. Und - hochstemmen, hochstemmen, hochstemmen! Doch etwas verhinderte mein Hochkommen. Eine Hand, die mit sanfter Bestimmtheit gegen meinen Brustkorb drückte. Kurz bäumte ich mich dagegen auf, dann gaben meine Arme nach und ich plumpste zurück auf den Strohsack.

Verdammt. Nochmal.

Doch auch den zweiten Versuch hielt die Hand dagegen. Wer war das, der mich so behinderte? Erneut hob ich die tonnenschweren Augenlider. Wieder nur rotes Licht. Moment - war das nicht ein Flecken darin? Ein dunklerer Flecken? Angestrengt fokussierte ich meinen Blick darauf und allmählich wurde er schärfer. Ja, das war ein Gesicht. Viggos Gesicht, zwar verschwommen und kaum zu erkennen in all dem Orange, doch es blieb kein Zweifel übrig. 

Sein Mund bewegte sich. Sagte er etwas? Wenn ja, dann drang nichts durch das Gellen, das meinen Kopf erfüllte. Ungelenk warf ich meinen Kopf von einer Seite zur anderen und hob meine Hand in Richtung Ohr. 

Viggo beugte sich vor, jedenfalls wurde sein Gesicht größer. Und deutlicher. Zwar blendete mich das Licht immer noch, dafür erkannte ich nun die Konturen. Ich blinzelte, schon diese winzige Bewegung ein gewaltiger Kraftakt. Eindeutig, das Licht trat zurück. Nicht nur wurde Viggos Gesicht schärfer und schärfer, auch erkannte ich langsam die Umrisse des Raumes hinter ihm. Und da, ein zweites Gesicht - Liska? Ich war also nicht erblindet. Beruhigend. Dafür aber wohl ertaubt, denn auch beim zweiten Mal, als sich Viggos Lippen bewegten, hörte ich lediglich dieses verfluchte Piepsen.

Aber Moment, war das nicht die gleiche Bewegung wie zuvor? Vielleicht konnte ich die Worte von seinen Lippen ablesen. Fahrig beschrieb ich mit der Hand einen Kreis in der Luft, das Zeichen für "nochmal". Er runzelte die Stirn, dann vollführte er die selbe Abfolge von Lippenbewegungen wie zuvor. 

Ein kleiner Kreis. U oder O.

In die Breite gezogene Lippen, das musste ein I sein.

U-I. Oder O-I? Romi?

Aber was kam danach?

Offener Mund, wieder in die Breite gezogene Lippen, aber flüssiger als zuvor. Also ein einzelner Laut, mit einem I am Ende. Aber welcher? Und warum hatte ich mich nicht zuvor mit Lippenlesen befasst? Egal, daran konnte ich nichts ändern. Und wenn ich die Bewegung nachmachte? 

 Hm. Fühlte sich sich komisch an, zu sprechen ohne Geräusch. Aber der Laut dieser Bewegung, konnte das ein AI sein? Ein AI, eingerahmt von zwei Küssen -B? BAIB. Oder BEIB. Bleib? 

Ach, verdammt! Ich hätte dieses Schrillen in kleinste Fetzen reißen können, die Fetzen anzünden und die Asche in den tiefsten Brunnen der Welt werfen, könnte man einen Ton greifen! Nicht nur dass ich mir offiziell den Titel als größte Idiotin der Welt verdient hatte, nein, ich musste auch noch völlig hilflos werden, darauf angewiesen, mir einzelne Laute aus Sprachmüll zusammenzuklauben!

Erneut stemmte ich mich hoch, fest entschlossen, dieses Mal das Bett zu verlassen, nach Asgard zu marschieren und diese hinterhältigen Nornen so lange zu verdreschen, bis sie aufhören würden, das Schicksal der Menschen in Katastrophen laufen zu lassen.

Erneut drückte mich Viggo zurück nach unten und wiederholte seine drei Wörter.

Romi. Bleib. I-E.

Liegen?

Romi, bleib liegen.

Ich schnaubte, einerseits über Frust darüber, dass ich so lange gebraucht hatte, drei so simple Wörter zu erkennen, andererseits weil ich bestimmt nicht liegen bleiben würde. Ich musste zu Sternenwind, verstand das niemand? Vielleicht lebte sie noch, gerade so, und ich konnte sie noch retten!

"Ster-nen-wi-ind!"

Schwer lag meine Zunge im Mund, beinahe wie ein Fremdkörper, versuchte Laute zu greifen, die ihr jedoch entschlüpften. Nicht dass ich sie hören konnte.

"Ich mu-ch-ss zu ihr!"

Viggo wandte sich ab. Was sollte das? Würde er mich einfach so hier liegen lassen? Wenn ja, dann war ich aufgeschmissen, so hilflos wie ich war. Aber nein, er drehte sich wieder um.In seinen Händen hielt er ein Stück Pergament, darauf einzelne Runen.

Sie lebt, aber du kannst im Moment nichts für sie tun.

Sie lebte? Sie lebte! Sternenwind lebte, ich hatte sie nicht umgebracht! Ich hätte jubeln können, tanzen, wäre meine Zunge nicht am Gaumen geklebt und meine Glieder nicht völlig kraftlos und zerschlagen. Sie lebte, sie lebte, sie lebte! Ich hätte sogar Viggo umarmen können in diesem Moment, als Dank über diese unfassbare Botschaft. Tränen sammelten sich in meinen Augen, Tränen der Erleichterung und ich ließ meinen Kopf zurück in den Strohsack hineinfallen. 

Sie lebte. Alles war gut.


-°-°-°-°-°-


Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffnete, war der Raum dunkel. Zwei-, dreimal blinzelte ich, worauf sich Formen und Gestalten aus dem nächtlichen Grau herausbildeten. Der Tisch und Stühle und ein verschwommener Schemen, der auf einem von ihnen hockte. 

"Viggo?"

Noch immer hörte ich meine eigene Stimme nicht, noch immer gellte es in meinen Ohren, doch immerhin tanzten keine Lichtflecken mehr durch mein Blickfeld. Hinter der Gestalt, die wohl mein Bruder - mein gar nichts sein musste, glommen die Kohlen unter Schichten von Asche in der Feuergrube, ließen ihn aussehen wie einen Schattenriss. Kaum hatte das Wort meinen Mund verlassen, war er schon aufgesprungen. Feuchte Finger strichen über meine Wange. Ich schob sie weg.

Erneut stand er auf. Hatte ich ihn vertrieben? Nein, er hatte nur ein Notizbuch geholt, weiß schimmerten die Seiten im Zwielicht der Kohlen. Was sagte es über mich aus, dass ich mir nicht sicher war, ob ich mich darüber freute oder ärgerte?

Rasch flog der Stift über das Papier, erinnerte mich an ein anderes Haus, ein anderes Bett, einen anderen Mann. Wie lange hatte ich nicht mehr an Dagur gedacht? Was er wohl machte? Er hatte mir Vorräte und Geld eingepackt. Ob er wohl nach mir suchte - und noch wichtiger, wollte ich das?

Ich wusste es nicht mehr. 

Ich wusste gar nichts mehr, als hätte mir jemand Kompass und Karte geraubt und dann mein Schiff ohne mein Wissen an einen mir völlig unbekannten Ort versetzt. Mir blieb nur das orientierungslose Herumdümpeln, bis ich per Zufall auf ein Fleckchen Land stieß.

Die Helligkeit veränderte sich, Viggo hatte sich über mich gebeugt und reichte mir das Notizbuch. Erst jetzt merkte ich, dass ich immer noch lag. Hastig setzte ich mich auf und nahm das Notizbuch an mich, jede Berührung unserer Fingerspitzen vermeidend. Ein Stechen wie von einem Messer fuhr durch meinen Kopf, bohrte sich geradewegs bis zu den Augen und tauchte alles um mich herum für einen Moment in rotes, blendendes Licht. Schwer atmend harrte ich einige Sekunden aus, dann wurde das Messer aus meinem Kopf gezogen. Übrig blieb ein dumpfes Pochen, als wollten die Schmerzen mich daran erinnern, dass sie mich nicht verlassen würden. Kurz kniff ich die Augen zusammen, dann fokussierte ich mich wieder auf Viggos Notiz. Das Dämmerlicht reichte gerade so aus, um die Buchstaben zu entziffern. Wie geht es dir? Ich zuckte mit den Achseln. Wie sollte es mir schon gehen? Völlig überflüssig, diese Frage.

Geht es dir besser?

Ja, das schon. Mein Körper fühlte sich zwar immer noch an wie von einer Steinlawine zermatscht, doch ich hatte mich aufsetzen können. Und abgesehen von dem Moment, in dem ich mich aufgesetzt hatte, hielt sich mein Kopfschmerz in Grenzen. Auch sah ich viel schärfer als zuvor und meine Gedanken fühlten sich nicht mehr an wie aus Wolkenschleiern gewebt. Also nickte ich, langsam und bedacht, um die Kopfschmerzen nicht unnötig zu reizen. 

Viggo sagte etwas, doch immer noch kamen die Klänge nicht gegen das Kreischen an. Außerdem war es zu dunkel, um die Worte von seinen Lippen abzulesen. Daher hob ich die Hände auf Schulterhöhe und schüttelte den Kopf. Er runzelte die Stirn, griff nach dem Büchlein. Dieses Mal konnte ich nicht verhindern, dass unsere Hände sich streiften. Ein Stich ging durch die Stellen, an denen er mich berührte.

Du kannst mich also nicht hören.

Erneut schüttelte ich den Kopf, kaum hatte ich das Notizbuch abermals ergriffen und die Worte gelesen. Daraufhin verschränkte er die Arme hinter dem Rücken. Diese eine typische Viggo-Geste. Ich hasste es, dass er sie gerade jetzt machte, dass er mich dadurch erinnerte. An alles. An sich, an mich, an meine Kindheit im Lager, die so plötzlich geendet hatte. An das 'uns', das es nicht mehr gab.

"Stift", lallte ich, die Zunge immer noch unnatürlich schwer und trocken. Abwesend reichte er ihn mir.

"Was ist mit Sternenwind? Wie geht es ihr?", schrieb ich. Und setzte nach kurzem Überlegen ein "Kann ich etwas zu Trinken haben?" dahinter.

Er nickte, verschwand im Halbdunkel des Raumes. Wie Birkenpech zog sich die Zeit dahin, als ich wartete und wartete und auf meine Füße starrte. Mir fiel auf, dass das Leder meiner Schuhe einen helleren Farbton angenommen hatte. Auch die Haut meiner Hände war gerötet und juckte, genauso wie mein Gesicht. Unglaublich, welche Kraft Licht annehmen konnte. Und das alles nur für ein winziges Gefäß mit Nebel.

Das dritte Feuer! Was war eigentlich damit geschehen? Wurde es gebildet, aufgefangen, hatte das Gefäß überlebt? Sofort kritzelte ich diese Fragen darunter. Ungeduldig trommelte ich mit den Fingern auf der aufgeschlagenen Seite, bis Viggo endlich zurückkehrte. Den Becher mit Wasser, den er mir reichte, stürzte ich in einem Zug herunter. Herrlich kühl rann es durch meine Kehle, benetzte meinen ausgetrockneten Mund. Anschließend streckte ich ihm das Notizbuch entgegen. Beim Anblick der Fragen verdüsterte sich sein Gesicht.



An alle Leser: Ich schreibe euch wegen etwas, das mich schon lange beschäftigt und ich euch gerne mitteilen möchte. Dabei geht es um euch - und zwar um diejenigen, von denen ich nicht weiß, dass sie da sind, weil sie nie voten oder kommentieren. Alle anderen können diesen Brief gerne ignorieren - oder trotzdem durchlesen, wenn es euch interessiert.

In dieses Buch, in diese beiden Bücher habe ich eine Menge Arbeit und Herzblut hineingesteckt. Seit fast zwei Jahren schreibe ich daran und habe so manche Stunden vor meinen Notizbüchern und meinem PC verbracht, um diese Geschichte mit euch teilen zu können. Das ist eine zwar erfüllende, aber oft auch sehr anstrengende Arbeit. Und manchmal kann sie regelrecht frustrierend sein, vor allem, wenn dafür so wenig zurückkommt. 

Drachenseele hat ein Verhältnis von 5 200 Reads zu 322 Votes im ersten Band und 1 200 Reads zu 111 Votes im zweiten Band (Stand 23.02.21). Das ist kein sehr schönes Verhältnis. Es bedeutet, dass von 1200 insgesamt gelesenen Kapiteln (alle Leser zusammengenommen) 111 gevotet wurden, sprich ungefähr eines von zehn. 

Man könnte sich jetzt fragen: Na und? Ist das denn so wichtig? Ja, das ist es. Versteht mich bitte nicht falsch, ich bin nicht auf Anhimmlung aus und auch nicht votegeil. Wie viele Follower ich habe, was die Leute in sozialen Netzwerken (dazu zählt auch Wattpad) von mir halten, das ist mir recht egal, davon mache ich mich nicht abhängig, das habe ich nicht nötig. Und wenn es Leute gibt, denen Drachenseele nicht gefällt, dann ist das so. 

Was mir aber nicht egal ist, was ich überhaupt nicht in Ordnung finde, ist, dass Leute, die die Geschichte eigentlich gut finden - und jeder, der bis hierhin gelesen hat, findet die Geschichte gut, sonst wäre er/sie nicht mehr hier - dafür nicht das geringste bisschen an Wertschätzung zeigen. 

Dieses Problem habe nicht nur ich, so geht es vielen Autoren. Eigentlich fantastische Werke erhalten kaum Feedback und verschwinden so, weil die Autoren die Lust verlieren, weiterzuschreiten, wenn so gut wie nie irgendeine Rückmeldung kommt. Und "Rückmeldung" muss nicht unbedingt ellenlange Kommentare bedeuten - auch wenn diese natürlich die hilfreichste Form sind. Ein einfaches Sternchen reicht schon als Zeichen, dass das, was ihr hier lest, euch gefällt. Darüber hinaus hilft es dem Buch, im Ranking höher eingestuft und so sichtbarer für andere zu werden. 

Unter den eigentlich vielen Lesern, die dieses Buch hat, gibt es kaum welche, die sich ab und an mal blicken lassen und es wirklich unterstützen. Und diese sind Gold wert, denn ohne sie hätte ich schon längst hingeschmissen. Ich plane nämlich, Drachenseele in ein eigenes Buch umzuwandeln und der einzige Grund, weshalb ich mich nicht ausschließlich darauf konzentriere, ist, dass ich diese Handvoll LeserInnen nicht mitten in der Handlung hängen lassen möchte. Und glaubt mir: wenn diese zwei bis drei mal aus irgendwelchen Gründen verhindert sind und ansonsten die einzige Reaktion auf dramatische Wendungen Schweigen ist, dann ist das verdammt demotivierend.

Ich will wissen, was ihr denkt, wenn ich so Enthüllungen wie im letzten Kapitel hinlege! Habt ihr das erwartet oder hat euch das völlig von den Socken gehauen? Wie steht ihr zu den Charakteren, findet ihr, Romi/Astrid/Viggo/Liska/wer auch sonst ist auf dem richtigen Weg oder würdet ihr ihnen am liebsten ein riesiges "TU'S NICHT!" zuschreien? Kommt schon!  Ihr habt bestimmt so viel zu sagen, traut euch! Ich bin auch erst sechzehn und jemanden gebissen hab ich noch nie! :-) Ich bin mir ganz sicher, wenn ihr anfangt, zu kommentieren, mit anderen zu rätseln und zu diskutieren, dann macht das euch ebenfalls riesigen Spaß - und für mich würde das eine riesengroße Hilfe darstellen! Wattpad ist eine Gemeinschaft, also lasst uns auch eine Gemeinschaft sein, davon haben alle etwas! Sich mit anderen über ein Werk auszutauschen - und das lässt sich auf jedes beliebige Werk hier auf Wattpad ausdehnen -, das ist viel besser als nur stumm zu konsumieren. Also wie gesagt: TRAUT EUCH! 

Ganz liebe Grüße!

Elementara

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