Wo die wilden Menschen hausen

Und wieder ein neues Kapitel (mein erstes Ferienkapitel) für alle, die noch dabei sind. Ich hoffe es gefällt euch.

lg. Magicstarlight
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Wo die wilden Menschen hausen

Die Wälder der Wildermenschen sahen den Wäldern um Septim herum bemerkenswert ähnlich. Zwar waren die Bäume etwas größer, die Berge schroffer und die Landschaft lebhafter, doch schon als die ersten Ausläufer der bewaldeten Schattenberge am Horizont auftauchten, fühlte ich mich zu Hause wie schon lange nicht mehr. Von Iyotea aus waren es nur noch zwei Tage Reise bis in das Gebiet der Ukleenry, allerdings würden wir noch deutlich länger brauchen, um in die Hauptstadt Tenorley zu gelangen, da diese weiter südlich lag.

„In Tenorley finden traditionell die Findungsrituale statt“, erklärte mir Sovine, während wir über weite Wiesen auf die ersten Ausläufer des wilden Waldes zuliefen. „Egal wie weit weg man auch lebt, mindestens einmal in seinem Leben war jeder Ukleenry in Tenorley.“

„Und was wird dabei gefunden?“, fragte Karthek neugierig.

Sovine lachte. „Natürlich … die Kzu.“ Sie lächelte zärtlich. „Tierbegleiter, Seelenbegleiter. Ein Tier, das auf seine ganz eigene Art die Persönlichkeit des Ukleenrys widerspiegelt und ergänzt. Die Eltern reisen mit ihren kleinen Kindern nach Tenorley und ebenso der entsprechende Kzu. Die meisten von uns wachsen den größten Teil ihres Lebens mit ihren Kzu auf und sie begleiten einander bis zum Tod. Bei mir war es natürlich anders, da ich nicht hier groß geworden bin.“ Sie hielt inne und deutete in die Richtung, aus der wir gekommen waren. „Dort mitten in den Bergen von Peor bin ich aufgewachsen und erst später ist mir dann Fuoco zugelaufen. Wir beide sind niemals Teil einer Findungszeremonie gewesen.“

„Fuoco?“

Bei der Erwähnung des Namens begannen ihre Augen zu leuchten. „Mein Kzu. Ihr werdet ihn bald kennenlernen.“

Schweigend betraten wir den Wald, der mir viel heller vorkam, als die Wälder die ich gewohnt war. Ich versuchte mir auszumalen, welches Tier wohl meinen Charakter am besten widerspiegeln würde, während es über uns in den Baumwipfeln raschelte und knackte.

Es war, als würde der Wald vibrieren, als würde er von innen heraus leuchten, so erfüllt war er. Alles, vom bemoosten Waldboden bis zu den weit entfernten Baumwipfeln war so lebendig und einzigartig, dass ich eine ganz neue Bedeutung von wild kennenlernte. Schon allein durch die Betrachtung des Waldes erlangte die Bezeichnung Wildermenschen eine völlige neue Bedeutung, die nichts Unzivilisiertes oder Grobes hatte.

„Haben die anderen Oldiin auch ihre Kzu?“, fragte Karthek unterdessen.

Sovine nickte. „Ja, ich habe mir immer größtmögliche Mühe gegeben, alle Oldiin so zeitig wie möglich durch dieses Ritual zu bringen.“ Sie lächelte, als gäbe es zu diesen Bemühungen die ein oder andere unausgesprochene Anekdote. „Ich finde es wichtig, dass auch dieser Teil der eigenen Persönlichkeit erfüllt wird, nicht umsonst leben wir mit sieben verschiedenen Körpern. Wenn jeder Oldiin von früh an Magie unterrichtet bekommt, so finde ich es nur gerecht, wenn auch die anderen Traditionen geehrt und gepflegt werden. Vor allem, weil ein Kzu immer wieder eine enorme Bereicherung ist.“

„Wie kommt es, dass ich noch nie einen dieser Kzu gesehen habe?“, fragte ich verwirrt. Schließlich redete Sovine immer so hoch von diesen Tierbegleitern und doch schien selbst sie ihren Kzu nicht bei sich zu haben.
„So gerne ich Fuoco auch um mich herum haben würde, wenn ich reise, so muss ich doch eingestehen, dass es nicht möglich ist“, erklärte sie seufzend. „Wir reisen zu Pferd, manchmal auch auf magischem Wege oder in der Luft. Außerdem sind Städte wie Iyotea oder Weyena kein Ort für wilde Tiere, so gerne man sie auch überall hin mitnehmen würde. Für die Dauer aller Reisen leben sie hier im Wald und in der ersten Siedlung des Nordens kümmert man sich liebevoll um sie.“ Sie lächelte wieder. „Selbstverständlich ist es immer noch nicht das Gleiche ...“

Karthek warf einen Blick hinauf in die Bäume und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Stirnrunzelnd drehte ich mich zum ihm um und folgte seinem Blick. Sovine winkte nur ab und lachte leise. Das Rascheln und Knacken, das die ganze Zeit lang aus den Wipfeln zu uns hinab geschallt war, kam nicht von Tieren, wie ich zuerst angenommen hatte. Zumindest nicht ausschließlich.

Zwischen den Ästen versteckt und mit bräunlich-grünen Kleidern zusätzlich getarnt, saßen dort Personen in den Bäumen und starrten stumm auf uns hinab. Wir starrten stumm und perplex zurück, ehe Sovine uns aufklärte.

„Keine Sorge, das sind Späher.“ Sie hob die Hand zum Gruß und die Gäste wurde sofort erwidert. „Hier an den Grenzen verirren sich hin und wieder Menschen in den Wald, die zu weit nach Osten geraten sind. Das passiert nunmal, wenn die beiden großen Menschenstädte Tawi und Linian direkt an der Grenze liegen. Generell haben wir natürlich nichts gegen Besucher … Allerdings ...“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „Neigen manche von ihnen dazu, auf eine Art und Weise mit ihrer Umwelt umzugehen, die wir nicht gutheißen. Wer in unseren Wäldern jagt, der hat einige Regeln zu beachten, die Wesen anderer Herkunft fremd sind.“ Ihre Miene, die eben etwas düsterer geworden war, erhellte sich nun wieder. „Außerdem neigen Fremde gerne dazu, in die absurdesten Schwierigkeiten zu geraten, wenn das Umfeld plötzlich wieder wild und natürlich ist.“ Damit ging sie weiter und wir folgten ihr, auch wenn ich sowohl Karthek als auch mich selbst immer wieder dabei ertappte, wie ich hinauf ins Blätterdach schaute. Hier und da glaubte ich, eine menschenähnliche Gestalt zu sehen, doch wann immer ich dachte, etwas entdeckt zu haben, war die Gestalt im nächsten Augenblick auch schon wieder verschwunden.

Die erste Siedlung im Norden, wie Sovine sie genannt hatte, war ein winziges Dorf bestehend aus drei Häusern, die man erst auf den zweiten Blick von ihrer Umgebung unterscheiden konnte, so gut passten sie sich in das Busch- und Astwerk des Waldes ein. Die Bewohner waren fünf Ukleenry, zwei davon schon sehr alt, mit ihren entsprechenden Kzu. Ich sah einen Falken auf der Schulter eines gebrechlich wirkenden alten Mannes, eine Katze, die um die Füße einer jungen Frau mit feuerrotem Haar schlich, einen Marder, der einem kräftigen Ukleenry aus der Manteltasche schaute, eine Maus in den Händen einer weißhaarigen Frau und ein Bärenkind, das größer war als das dazugehörige Ukleenry-Kind.

Und dann war da natürlich noch … „Fuoco!“

Kaum waren wir zwischen die Häuser getreten, war etwas Pelziges mit vielen Zähnen zwischen den Häusern hervorgeschossen und hatte sich auf Sovine gestürzt, ehe irgendwer auch nur einen Finger rühren konnte und anstatt ihrer Oldiin zu Hilfe zu eilen, standen die Bewohner nur lächelnd da und schauten zu, wie sich Ukleenry und Wolf begrüßten.

„Das ist Fuoco!“, erklärte Sovine wenig später stolz und strich dem Tier liebevoll durchs Nackenfell. Der Wolf ließ sich vor ihr auf den Boden fallen und sie kniete sich neben ihn. Erst der Umgang der beiden miteinander machte klar, wie tief die Beziehung zwischen Kzu und Ukleenry wirklich ging. Nun machte auch Sinn, was sie uns zuvor über die Regeln erzählt hatte, die viele Menschen aus Unwissenheit einfach missachten würden. Ich erschauerte beim Gedanken daran, was wohl passieren würde, wenn ein Jäger aus Versehen einen Kzu erlegen würde.

Weil es bereits spät wurde, verbrachten wir die Nacht im Dorf. Nachdem die Sonne untergegangen war, tauchten sogar einige der Späher auf, die wir bereits in den Bäumen gesehen hatten und setzten sich zu uns ans Feuer. Einige von uns sahen kaum älter aus als ich selbst. Gerne hätte ich ein paar Worte mit ihnen gewechselt, doch sie blieben unter sich und saßen meist nur schweigend da, während sie in die Flammen starrten.

„Bei uns wird vieles von Clans beherrscht“, raunte mir Sovine zu, als mein Blick mal wieder an einem Mädchen hängen blieb, das kein Jahr älter seien konnte als ich.

„Wie meinst du das?“, flüsterte ich zurück.

Sie zuckte mit den Schultern. „Alles hängt von den Kzu ab. Späher haben meist kleine Vögel oder gut getarnte Tiere als Kzu, weil sie dann ebenso unauffällig sind.“ Sie nickte in Richtung des Mädchens, auf dessen Schulter eine kleine Echse saß. „Meist bestimmt sich schon bei der Findungszeremonie die weitere Zukunft eines Kindes. Ukleenry mit Pferden als Kzu zieht es hinaus in die wenigen waldlosen Ebenen, starke Kzu wie Bären oder Wölfe sind Voraussetzungen für den Beitritt in Krieger-Clans, wobei Wölfe lieber nur unter sich bleiben.“ Sie strich ihrem Fuoco abwesend durchs dicke Fell.

„Das heißt der Kzu entscheidet über das spätere Leben?“,irgendwie fand ich diese Vorstellung wenig attraktiv.

„In vielen Fällen, ja.“ Sovine zuckte mit den Schultern, als hätte sie sich schon vor einiger Zeit mit diesem Gedanken abgefunden. Höchstwahrscheinlich war es ja auch so. „Nach dem Findungsritual kehren die meisten mit ihren Eltern zurück in die Clans in denen sie geboren sind … nur wenige Clans achten auch schon bei den Jüngsten auf die Kzu, allerdings kommt es natürlich trotzdem immer wieder vor, dass ein besonders strenger Wolfs-Clan kein Kind mit einer Maus als Kzu aufnehmen möchte.“ Sie seufzte. „Aber spätestens wenn sie alt genug sind verlassen viele Kinder ihre Geburtsorte und streifen durch die Wälder auf der Suche nach einem Clan, der besser zu ihnen passt.“

„Und ihre Familien?“, fragte Karthek stirnrunzelnd. Er schien die Vorstellung ebenso abschreckend zu finden wie ich.

„Ich weiß, auch ich komme nicht von hier und ich fand den Gedanken auch schrecklich, damals als ich hierher kam. Doch für die Familien ist die Sortierung in Clans etwas ganz Natürliches. Sie gehen immer davon aus, dass es kein besseres Umfeld für einen Kzu gibt, als ein Clan mit Gleichgesinnten, einfach weil sie so unter Leuten sind, die einen ganz ähnlich Charakter haben wie sie.“

„Aber es wird immer Ausnahmen geben ...“, wandte Karthek ein und sie nickte mit ernstem Gesicht.

„Es kommt vor, dass jemand aus dem Clan plötzlich den Kzu eines verfeindeten Clans hat oder dass sich ein Ukleenry im eigenen Clan Feinde macht. Genauso wie ein Wolf nicht genauso ist wie ein anderer, so unterscheiden sich auch die Ukleenry eines Clans und manch einer zieht das Exilleben dem Clanleben vor.“

„Und dann ist er völlig auf sich allein gestellt?“, fragte ich geschockt.

„Nicht, wenn er die Reise nach Tenorley macht“, erklärte Sovine. „Das ist die einzige große Stadt, die du in den Wilderlanden finden würdest und es ist der einzige Ort, an dem alle Fehden beiseite gelegt werden. Verfeindete Clans, ausgestoßene Clanmitglieder oder Familienstreitigkeiten sind Tenorley zumindest temporär vergessen. Und wer es als Exilant schafft dort eine Existenz aufzubauen, der lebt mitten im wilden Durcheinander der Stadt, wo die Ukleenry mit den unterschiedlichsten Kzu miteinander auskommen, einfach weil es sich ergeben hat. Die Wachen, die durch die Wälder der Wilderlande streifen und schlimmste Ausschreitungen verhindern, werden von Tenorley gestellt und sind bei allen Clans anerkannt.“

„Dann lebst du wohl in Tenorley“, stellte ich fest und mein Blick wanderte wieder zum Wolf zu ihren Füßen.

„So ist es. Da es auch die Hauptstadt ist und jeder große Clan einen Abgesandten in den Rat dort schickt, gibt es keinen besseren Ort für mich als Tenorley.“

„Der Ort, an dem Kinder ihre Kzu bekommen ist gleichzeitig der einzige Ort, an dem die Kzu einen nicht in Clans einengen“, murmelte Karthek und ich lächelte leicht, während ich meinen Kopf gegen seine Schulter fallen ließ.
Wieder wanderte mein Blick hinüber zu den Spähern, deren abgeschottetes Verhalten plötzlich mehr Sinn machte. Sie waren ein eigener Clan, der unter sich blieb, so wie jeder andere Clan auch. Das Mädchen mit dem Echsen-Kzu schaute auf und begegnete meinem Blick. Sie hatte sehr helle, sehr grüne Augen und ein bleiches Gesicht. Sie runzelte kurz die Stirn und wandte kurz ein paar geflüsterte Worte an einen der anderen Späher. Der Angesprochene, ein Mann mit langen Gesichtszügen und dunklen Augen, schaute auf und hob die Augenbrauen, als sein Blick auf mir landete. Dann antwortete er dem Mädchen und wandte sich wieder dem Feuer zu.

Wie richteten hellgrüne Augen auf mich, doch diesmal lag ein anderer Gesichtsausdruck auf den Zügen des Mädchens. Sie warf einen raschen Blick auf die anderen Kzu, dann erhob sie sich und kam zu uns, wo sie sich unschlüssig neben mich ans Feuer hockte.

„Ihr seid die Oldiin der Drachen?“

Ich nickte und lächelte. „Ja, ich bin Mina.“

Sie nickte und richtete den Blick auf ihre Füße. „Ich bin Tami und das ist Zreke.“ Sie deutete auf die kleine Echse, die noch immer regungslos auf ihrer Schulter hockte. Dann nickte sie Sovine zu. „Oldiin Sovine.“

„Schön dich einmal wiederzusehen, Tami“, erwiderte Sovine. An uns gewandt fügte sie hinzu. „Ich habe Tami damals zu den Spähern gebracht, nachdem der Clan ihrer Eltern sie verstoßen hat.“

„Es war ein recht strenger Zusammenschluss von Katzen-Kzu“, erklärte sie, wobei sie etwas errötete. „Seit Generationen war jeder Neuzugang ebenfalls mit einer Katze als Kzu beschenkt. Es war ein wenig schockierend für sie, als mir bei dem Ritual in Tenorley eine Echse zugelaufen ist.“

Sovine nickte ernst. „Dies ist ein anderer Grund, warum die Zeremonien nur dort stattfinden. Wann immer ein strenger Clan ein so junges Mitglied verstoßen würde, können andere eingreifen. Tami ist Tenorley aufgewachsen, ehe ich vor zwei Jahren eine Verbindung zu den Spähern hier an der Grenze aufgebaut habe.“
„Wofür ich immer dankbar sein werde“, fügte Tami lächelnd hinzu, ehe sie den Blick wieder senkte.

Sovine überlegte kurz, dann erhellten sich ihre Züge wieder. „Könntest du Mina die Kzu der anderen Oldiin zeigen“, fragte sie Tami lächelnd. „Ich habe ihr auf der Hinreise von ihnen erzählt.“

„Gerne.“ In einer fließenden Bewegung erhob sich Tami und folgte ihrem Beispiel.

„Kommst du mit, Karthek“, fragte ich meinen Drachenfreund, doch er schüttelte nur lächelnd den Kopf und richtete den Blick wieder in die Flammen.

Schulterzuckend folgte ich dem Ukleenry-Mädchen, das bereits an den Häusern vorbei in den düsteren Wald trat und sich dort fortbewegte, als kenne sie den Wald in- und auswendig. Eine Weile lang liefen wir schweigend nebeneinander her und erst als wir ein gutes Stück von den drei Häusern entfernt waren, hob meine Begleiterin wieder die Stimme.

„Ich weiß, es ist eine seltsame Bitte, aber könntest du mir zeigen, wie ein Drache aussieht?“ Sie klang, als hätte sie die Bitte schon die ganze Zeit lang loswerden wollen und ihre Augen leuchteten vor Aufregung. Ich warf ihr einen überraschten Blick zu, dann lächelte ich.

„Immer gerne … allerdings bräuchte ich dazu einen Ort, an dem ein wenig mehr Platz ist.“

„Natürlich, natürlich.“ Ein breites Lächeln schlich sich auf ihre Züge. „Der Ort, an dem die Kzu der Oldiin leben ist eine Lichtung … ich denke mal, sie wird breit genug sein, obwohl ich natürlich nicht weiß, wie groß ...“
Irgendwie war ihre aufgeregte gute Laune ansteckend und wir beschleunigten unsere Schritte, auch wenn es für mich immer schwieriger wurde, den Wurzeln und Ästen am Waldboden auszuweichen. Tami hingegen lief über den unebenen Untergrund wie über Kopfsteinpflaster und musste immer wieder innehalten, damit ich überhaupt hinterher kam.

Die Lichtung, von der sie gesprochen hatte, war überraschend hell. Tatsächlich erleuchtete der Mond die gesamte freie Fläche mitten im Wald mit seinem silbernen Licht und damit auch die Gestalten in der Mitte der Lichtung.

Tami trat in die Mitte der Lichtung und bedeutete mir ihr zu folgen. Um uns herum schlichen Wildkatzen, Wölfe, einige Pferde hielten sich am Waldrand auf und aus den Bäumen erklang Vogelgeschrei.

„Ukleenry sehen sich nur selten mit Situationen konfrontiert, in denen sie ihre Kzu hier zurücklassen müssen. Die meisten nehmen sie einfach mit, wenn sie reisen, aber da die Oldiin so viel auf so unterschiedliche Art reisen, leben die Kzu die meiste Zeit hier mit anderen zurückgelassenen Tierbegleitern und wilden Tieren aus den Wäldern. Außerdem ist das Risiko für die Oldiin zu groß, wenn ihren Kzu etwas geschehen würde ...“ Sie ließ den Satz unvollendet und schluckte. „Man sagt, auch die Kzu von Verstorbenen kehren hier ein, bis ihr eigener Tod sie ereilt.“

„Sowas geschieht?“

Das Ukleenry-Mädchen nickte bedrückt. „Kzu leben länger als normale Tiere, doch sobald ihre Ukleenry sterben, endet dieses lange Leben auch für die Tiere. Die meisten leben danach vielleicht noch ein Jahr … Andersherum ist es genauso.“ Sie erschauerte bei dem Gedanken und wandte den Blick ab. „Wenn ein Kzu stirbt, warum auch immer, dann wird der Ukleenry ihm bald folgen.“

Ich nickte betreten und ließ meinen Blick über die versammelten Tiere wandern. Manche sahen alt und mitgenommen aus, andere noch jung und kräftig. Es gab kaum Hinweise darauf, welche wohl zu Verstorbenen gehören könnten, doch einige bewegten sich mit einer so auffälligen Schwerfälligkeit und strahlten eine so deutliche Trauer aus, dass ich mir sehr sicher war, dass es für sie keine lebenden Ukleenry mehr gab.

Tami wanderte durch die Lichtung, bis sie bei den Pferden angelangte, die nervös am Waldrand standen. „Irgendwas wühlt sie alle auf“, erklärte sie leise. „Irgendwas macht sie noch nervöser, als sie sonst schon sind.“ Sie legte die Hand auf ein Pferd, dessen weißen Fell im Mondlicht noch mehr strahlte als das der anderen. „Das hier ist Amber, die älteste Kzu von der jemals berichtet wurde und Eramons Begleiterin.“ Das Tier hob bei der Erwähnung des Namens den Kopf, die Augen jedoch blieben weiter rastlos und schienen etwas zu suchen. Etwas wichtiges.

Irgendwie überraschte es mich, dass Eramons Charakter am besten zu dieser Stute passte. Und doch … die ruhige und friedliche Art des ältesten Oldiins schien sich in der Persönlichkeit des Tieres widerzuspiegeln, auch wenn man einige Zeit brauchte, um das zu realisieren.

Etwas kam urplötzlich aus den Bäumen gesprungen und landete beinahe lautlos vor uns auf dem Boden. Die Pferde schreckten auf und suchten schleunigst das Weite, Amber mit ihnen.

Das Tier, das für die Unruhe gesorgt hatte, war eine erschreckend große, samtig schwarze Wildkatze mit intelligenten gelben Augen, die uns aufmerksam musterten. Es gab nur einen, zu dem dieses Tier gehören konnte.

„Das ist Tekmeas Kzu, nicht wahr?“, fragte ich lächelnd, während der lange schwarze Schwanz der Wildkatze um unsere Beine strich.

Tami nickte. „Das ist Garmin … Bis jetzt hat jeder, der Oldiin Tekmea gut kannte auch ihren Kzu sofort erkannt. Es ist erstaunlich, wie offensichtlich es zu sein scheint.“

Damit ließ Garmin von uns ab und trottete weiter in die Mitte der Lichtung, wo sich bereits einige Tiere versammelt hatten. Tami runzelte die Stirn und folgte der Katze mit etwas Abstand, doch bevor auch ich ihr nachgehen konnte, kam etwas flügelschlagend vom Himmel gesegelt und landete in mitten der versammelten Tiere, was einige erschrocken nach allen Seiten flüchten ließ.

„Martha“, flüsterte meine Ukleenry-Begleiterin beeindruckt. „Oldiin Volkums Kzu.“ Der Fischreiher klapperte ungehalten mit dem Schnabel und schritt auf langen dünnen Beinen auf uns zu.

„Damit fehlen nur noch zwei andere“, murmelte Tami mit abwesenden Blick und deutete dann auf ein kleines Tier, das geschickt zwischen den Ästen der an die Lichtung grenzenden Bäume flitzte. „Und das dort müsste Sabii sein. Der Begleiter von Oldiin Zitamun ...“ Sie runzelte die Stirn und ließ den Blick ein weiteres Mal über die Lichtung gleiten. „Fehlt nur noch Luna ...“

Während meine Augen noch immer an Zitamuns kleinem Eichhörnchen-Kzu hingen, wurde mir plötzlich schlecht. Luna. Tami hatte erzählt, dass Kzu von Verstorbenen bis zu ein Jahr lang weiter lebten. Sern-Minos Kzu musste Luna sein. Das Tier, das jetzt suchte. Sie hatte erzählt, dass die anderen Tiere in Aufruhr waren. Ich konnte mir keinen besseren Grund vorstellen als den Tod Sern-Minos'.

Mit einem Knurren trat ein weiteres Tier auf die Lichtung und alle anderen verstummten und hielten inne, Tami und ich mit einbegriffen. Mit vorsichtigen, langen Schritten trat Fuoco auf die versammelten Tiere zu und hinter ihm kam Sovine aus dem Wald getreten, das Gesicht ausdruckslos.

Die Tiere traten beiseite, machten voll Ehrerbietung Platz. In ihrer Mitte sah ich ein Tier liegen, dessen helles Fell im Mondlicht fast eben so hell leuchtete wie das von Amber. Eine weiße Wölfin lag auf dem Boden, den Kopf auf den Pfoten und Fuoco beugte sich beschützend über das zierlichere Weibchen. Es gab keinen Zweifel, das war Luna.

Das Ukleenry-Mädchen neben mir schien etwas sagen zu wollen, doch als sich Sovine langsam neben die helle Wölfin sinken ließ, hatte ich das Bedürfnis ihnen eine gewisse Privatsphäre zu lassen und zupfte Tami am Ärmel.

„Du wolltest einen Drachen sehen, nicht wahr?“, fragte ich so leise wie möglich und zog sie dabei ein Stück von den beiden Wölfen weg.
Sie nickte verwirrt und spähte über meine Schulter hinweg weiter auf die traurige Szene, die sie nicht verstehen konnte. Sie wusste nicht, dass Sern-Minos tot war und dass seine kleine zierliche Wölfin nun dem gleichen Schicksal entgegensehen musste.

„Wenn du in der Nähe eine weitere Lichtung findest, dann verwandle ich mich dort für dich“, bot ich an. „Dann kannst du meine Drachengestalt sehen.“

„Aber was ist mit Luna?“, fragte sie verwirrt.

Ich senkte den Blick. „Ihr Oldiin Sern-Minos ist vor wenigen Nächten verstorben. Ich denke, daher kommt auch die Unruhe unter den Tieren … wir sollten sie jetzt lieber allein lassen.“
Sie nickte sofort und ich sah die Erkenntnis in ihren Augen. Erkenntnis und Trauer. Sie nahm meine Hand und gemeinsam verschwanden wir im Wald, während eine Ukleenry und zwei Wölfe in der Mitte der Lichtung verweilten und beschienen vom fahlen Mondlicht einen Toten betrauerten.

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Zur gleichen Zeit in Inur-Entora ...

Tukiyan zog seine Kreise über der Stadt. Es war die Aufgabe, die er von seinem Vater bekommen hatte und es war immer sein größtes Streben gewesen, Kartanan glücklich zu machen. Nichts hatte ihn jemals mehr erfüllt als der Gedanke, dass der strenge Drache zufrieden mit ihm war – bis Mina aufgetaucht war.

Das kleine Menschenmädchen versteckt in einem großen Steinhaufen vor Diones. Zwar war sie auch eine Oldiin, das Kind eines Gottes, trotzdem würde er sie immer so in Gedanken sehen. Klein, nass und zwischen den Steinen. Erfüllt von ganz anderen Wertevorstellungen als die Drachen. Aufgewachsen ohne die immer sturen Drachen oder den allgegenwärtigen Hass auf die Magier, wie jeder noch so junge Drache ihn bereits tief in sich trug.

„Tuk!“

Überrascht schaute auf und verfluchte sich innerlich dafür, dass er so unaufmerksam gewesen war. Das hier war uraltes Kriegsprotokoll, er flog Wache und merkte nicht einmal, dass Rubeen heran geflogen war.

„Rubeen, ist deine Wache schon vorbei?“

Der andere Drachen erwiderte seinen kritischen Blick gleichgültig. „Beinahe … Und wirklich … wer wäre so verrückt und versucht eine Stadt anzugreifen, in der sich alle Drachen des Landes gerade für einen Krieg rüsten?“

Tukiyan richtete seinen Blick wieder in die Ferne. „Wenn Mina davon erfährt, wird sie außer sich vor Wut sein.“

„Jaaa ...“ Rubeen schluckte und wandte den Blick ab. „Und sie hat auch allen Grund dazu.“

Augenblicke lag Tukiyans Blick wieder auf seinem Freund. „Es ist beschlossene Sache des Rates!“

„Das macht es nicht weniger irrsinnig.“ Die Worte waren nur leise geäußert, dass nahm ihnen aber nicht ihre Bedeutung.

„Rubeen!“, fing Tukiyan mit gedämpfter Stimme an. „Du darfst so nicht reden … wenn andere dich so reden hören ...“

„Was sollen sie tun?“, ereiferte sich der Drache nun mit weitaus lauterer Stimme. „Mich vor den Herrscher der Stadt bringen? Der sitzt leider in seiner Höhle und spielt Vergeltungskrieg. Vielleicht sollte man den Heermeister der Stadt über mein Fehlverhalten informieren? Aber nein, der sitzt in derselben Höhle und dem macht das Krieg planen sicher ungemein viel Spaß. Und der nächste in der Rangordnung? Das ist der stellvertretende Heermeister, Zedajek tenji Inur, und vor den müsste man mich gar nicht bringen, weil ich bereits direkt vor ihm stehe. Was willst du jetzt machen, Heermeister?“

Tukiyan senkte den Blick, unfähig auch nur irgendetwas darauf zu erwidern.

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