Wasser und Meeresrauschen
Wasser und Meeresrauschen
Blaues Meer bis zum Horizont. Klarer Himmel. Das hypnotisierende Rauschen der Wellen, die weiße Gischt an den hellen Sandstrand von Iyotea spülten. Und Karthek, der immer wieder mit grün schimmernden Schuppen zwischen den Wassermassen auftauchte. Ein weiteres Mal bestätigte er meine Behauptung, dass er etwas von einem Neskevou hatte.
In der Stadt Iyotea, die gerade erst langsam erwachte, verbreitete sich die Nachricht von den zwei Drachen am Strand wie ein Lauffeuer. Zwischen den hellen Häusern standen bereits Schaulustige und beobachteten uns aus sicherer Entfernung. Wir waren die letzten Tage praktisch durchgeflogen, erpicht darauf, den See und die dort gewonnen Erkenntnisse für einige Zeit ruhen zu lassen. Der Wind hatte uns in die größte und westlichste Hafenstadt der Menschen getragen. Iyotea lag auf einer Landzunge und grenzte so im Norden, Westen und Osten an das Nordmeer.
Bereits aus der Luft hatte man einen guten Blick auf die hellen Straßen und Häuser gehabt. Und auf das weite Meer dahinter, das nur hier und da durch Schatten und Unruhen unter der Wasseroberfläche erahnen ließ, dass es alles andere als unbewohnt war.
Bereits jetzt erhoben sich hier und da die grünlichen Leiber der Waleen aus den Fluten und spähten interessiert zu uns herüber.
Mit einem ausgelassenen Brüllen, das wohl nur der geübte Hörer als Lachen identifizieren konnte, tauchte Karthek mal wieder ab und schoss unter der Wasseroberfläche auf mich zu, bis er sich direkt vor mir wieder aus dem kalten Nass emporhob.
„Ist irgendwas?“, fragte er mit einem Anflug von Besorgnis. „Du hast schon wieder diesen Blick ...“
Überrascht blinzelnd schaute ich ihn an. „Blick? Welchen Blick?“
„Der 'Ich-bin-besorgt'-Blick.“ Mein Drachenfreund verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
„Ich bin nicht besorgt“, stellte ich lächeln klar. „Ich war nur in Gedanken.“
„Aber nicht in glücklichen Gedanken. Wenn du in glücklichen Gedanken bist, dann schaust du anders. Ich kenn deine Blicke!“
„Ach was ...“ Ich wandte schnell den Blick ab. „Du interpretierst da zu viel rein. Möchtest du noch im Wasser bleiben oder wollen wir in die Stadt gehen?“
Mit schief gelegtem Kopf beobachtete er mich noch ein wenig, ehe er sich zu einer Antwort durchrang. „Meinetwegen können wir in die Stadt gehen … Aber ich glaube du solltest die Illusion über mich legen, du weißt schon … wegen der Größe.“
Irritiert musterte ich ihn. „Kann es sein, dass du dich ein wenig überschätzt? Klar, du bist groß, aber so groß nun auch wieder nicht.“ Kichernd schüttelte ich den Kopf, doch er sah mich nur vorwurfsvoll an.
„Hast du die Straßen hier gesehen? Ich schon, während wir über die Stadt hinweg geflogen sind! Die sind verschlungen und schmal und ganz sicher nicht für Drachen ausgelegt. Warum auch, wir sind sicher die ersten Drachen seit wer weiß wie vielen Jahren, die sich soweit in den Norden gewagt haben.“
Seufzend kümmerte ich mich um seine Illusion und nahm dann selbst meine Menschengestalt an. Vielleicht hatte er Recht. Und so wurde aus den riesigen Drachen, die mit glänzenden Schuppen alles andere als unauffällig im Wasser geschwommen waren, der dünne Mann mit wilden dunklen Locken und das kleine Mädchen mit den glatten langen Haaren. Das war unauffälliger, wenn auch alles andere als unauffällig, wie uns auffiel, als wir über den sauberen Sandstrand liefen und uns die ersten Bewohner der Stadt entgegenkamen.
Vorneweg lief ein Mann in teurem weißen Tuch und mit kantigen Gesichtszügen. Kantige Gesichtszüge, wettergegerbte Haut und wildes blondes Haar schienen insgesamt sehr verbreitet zu sein. Einer der Gründe, wegen derer wir auch in menschlichen Gestalten noch aus der Menge herausstachen, wie wir es als Drachen getan hatten.
„Valima Makasi, oberster Stadtrat von Iyotea!“, stellte sich der Mann vor und verbeugte sich respektvoll vor uns. „Die Stadt ist erfreut, Euch in unseren Straßen begrüßen zu können, Oldiin.“
Ich entschied mich etwas unsicher dafür, ebenso respektvoll den Kopf zu neigen. Noch immer war es hier und da etwas schwierig mit den Höflichkeiten anderer Leute richtig umzugehen.
„Danke für die freundliche Begrüßung Stadtrat Makasi und entschuldigt, dass wir uns nicht früher vorgestellt haben, aber es ist das erste Mal, dass wir das Meer mit unseren eigenen Augen sehen.“ Langsam wandte ich mich zu Karthek um, dessen Augen bei Erwähnung des Meeres sofort wieder zu leuchten begannen. „Dies ist mein Begleiter, Karthek, Krieger von Inur-Entora, der Königsstadt der Drachen.“ Irgendwas veranlasste mich dazu, ihm diesen Titel zusammenzudichten. Vielleicht, damit ihm der nötige Respekt entgegengebracht wurde …
„In der Tat, dann wurde es Zeit, dass Ihr das Meer zusehen bekommen habt, Oldiin“, erwiderte der Stadtrat milde lächelnd. „Es ist seit jeher Fluch und Segen von uns Küstenleuten und ein Geschenk der Götter.“
„Da mögt ihr wahrlich Recht haben“, antwortete ich und ließ meinen Blick abermals auf meinem Drachenfreund ruhen, dessen menschliche Mimik ich noch immer besser deuten konnte, als die seines Drachengesichtes. „Es ist eine Schande, dass wir Drachen soweit von diesem Göttergeschenk entfernt leben. Ich bin mir sicher, dass die meisten von uns das Meer wahrlich vergöttern würden.“
Ein leichtes Lächeln auf Kartheks Lippen. Zustimmend, amüsiert … und ein wenig schwermütig, weil er wusste, dass die Drachen, die er kannte, wohl so schnell kein Meer zu Gesicht bekommen würden. Zögernd bot ihm ihm meine Hand an und er ergriff sie, drückte sie fest.
„Wir würden uns sehr gerne ein wenig die Stadt ansehen“, erklärte ich dem Mann und er nickte lächelnd.
„Jederzeit, jederzeit. Wenn Ihr wünscht, kann ich jemanden kommen lassen, der Euch Iyotea zeigt.“
Das Lächeln erwidernd, lehnte ich ab. „Vielen Dank für das Angebot, Stadtrat, aber wir bitten darum, dass nicht solch ein Aufwand betrieben wird, nur weil wir hier sind. Wir werden einfach ein wenig durch die Stadt laufen und uns ihrer schönen Architektur erfreuen“, erklärte ich und er nickte wieder.
„Dann möchten wir Euch nicht im Wege stehen, Oldiin. Bloß … wenn Euch einen Besuch des Hafens und des Marktes empfehlen darf, sie sind wunderbar anzuschauen in dieser geschäftigen Jahreszeit, außerdem die Botschaft von Waleen, sie ist ebenfalls in Hafennähe anzufinden. Generell sind alle genannten Orte kaum zu verfehlen.“ Er lächelte wieder breit und erst jetzt fiel mir auf, wie wohltuend dieses Lächeln war. Es war ehrlich und nicht so höflich-gezwungen, wie es mir schon oft entgegengebracht worden war.
„Danke für den Rat, wir werden diesen Orten auf jeden Fall einen Besuch abstatten.“
Wir verbeugten uns ein weiteres Mal voreinander und die Menge teilte sich, um uns passieren zu lassen. Wir betraten die eigentliche Stadt über eine breite Treppe aus hellem Stein, die zu einer höher gelegenen Promenade hinauf führte. Dahinter begannen die Häuser der Stadt. Allesamt hell und sauber, beinahe etwas zu sauber für meinen Geschmack. Ebenso wie die Straßen aus holprigem Pflaster, in dessen Rillen sich hier und da feiner Sand angesammelt hatte. Noch waren sie beinahe leer, bis auf die Schaulustigen, die sich immer wieder schnell in die Schatten zurück zogen, wenn wir vorüber kamen.
„Also ...“, begann Karthek langsam. „Wohin zuerst?“
Schulterzuckend schaute ich mich um, als ob ich hoffte, die Antwort irgendwo auf der Straße zu finden. „Wie wäre es mit einem der Orte, die uns der Stadtrat vorgeschlagen hat? Der Markt … oder diese Botschaft.“ Glücklich lächelte ich ihn an. Glücklich, weil ich mich so frei fühlte. Einfach so durch die Stadt spazieren, nur mit einem wagen Ziel vor Augen. Purer Genuss in meinen Augen.
„Die Botschaft? Die würde mich auch interessieren.“
„Na dann, auf zur Botschaft.“ Etwas orientierungslos drehte ich mich im Kreis. „Hast du irgendeine Ahnung, wo lang wir müssen? Dieser Stadtrat hat gesagt, es wäre kaum zu verfehlen, aber irgendwie ...“
Karthek lachte, hielt mich sanft an den Schultern fest und drehte mich in Richtung der Sonne. „Wie wäre es mit dem großen, glitzernden Gebäude dahinten?“, fragte er mit amüsiertem Unterton. „Kuppeldach, höher als die Wohnhäuser, nah am Wasser, mit meerischen Schriftzeichen verziert? Schreit nach Waleen-Botschaft, wenn du mich fragst.“
Ich lief rot an und drehte mich zu ihm herum. „Schon gut, du hast selbst mit menschlicher Illusion noch wunderbar-scharfe Drachenaugen, danke, dass du das bewiesen hast.“
Er lachte noch mehr und zog mich an sich. „Ich brauch keine wunderbar-scharfen Drachenaugen, um das Offensichtliche zu erkennen, Mina“, flüsterte er mir ins Ohr und die Haare in meinem Nacken stellten sich auf.
„Schon klar, lass mir doch meinen Spaß“, murmelte ich ebenso leise.
„Wenn du nett darum bittest.“ Wieder kicherte er leise und schaute sich dann in gespielter Ratlosigkeit um. „Dann lass uns mal diese komische Botschaft suchen, irgendwo hier muss sie doch sein.“
Lachend griff ich mir gleich noch seine zweite Hand und zog ihn hinter mir her. Wunderbar frei, es war, als würde man Luft holen, nachdem man sie Jahre lang angehalten hatte. Erfrischend und … ungewohnt.
Der Weg zwischen den Häusern entlang führte auf das nun auch in meinen Augen kaum zu übersehende Botschaftsgebäude hin und zog sich länger als erwartet. Allerdings gab uns das auch Zeit, ausgiebig die hellen Häuser von Iyotea zu betrachten. Sie waren alle nicht sonderlich hoch, nicht wie die Gebäude in Städten wie Weyena oder Juneii, hatten höchstens zwei bis drei Stockwerke, meist quadratische große Fenster und flache Dächer, auf denen Gräser im Wind wehten. Offenbar befand sich auf ihnen Erde, sodass die Stadt, wenn auch eigentlich ein Meer aus Stein und Sand, auch Grün zu bieten hatte.
Grinsend beobachtete ich, wie die Leute in den Häusern wiederum uns beobachteten und immer wieder schnell hinter Vorhängen verschwanden, wenn sie merkten, dass ich sie bemerkt hatte. Einerseits irritierte mich das Starren, andererseits störte es mich aber auch viel weniger, als es es früher getan hatte. Ich konnte nicht sagen, ob ich diese dazugewonnene Routine gut oder schlecht fand, aber in Anbetracht unserer Lage hier, war es wohl besser, sich nicht allzu sehr an Schaulustigen zu stören.
Karthek sah das offenbar anders. Immer wieder huschte sein Blick von einem Fenster zum anderen und fixierte diejenigen, die dahinter standen. Immer wieder verzog er sein Gesicht kaum merklich, gerade so viel, dass ich es bemerkte.
„Stör dich doch nicht daran“, versuchte ich besänftigend einzuwenden.
„Sie benehmen sich wie kleine Kinder. Starren, kichern und dann in Deckung gehen, damit man selbst nicht gesehen wird.“
„Na dann benehmen sie sich halt wie Kinder. Na und? Es kommt nicht alle Tage ein Oldiin in die Stadt und Drachen sehen wahrscheinlich ein Großteil dieser Leute zum ersten Mal in ihrem Leben. Lass sie halt starren, guck mich an, wenn es dich stört.“ Mit einem halbherzigen Lächeln versuchte ich seine Aufmerksamkeit von den heimlichen Beobachtern abzulenken.
„Ich kann das aber nicht!“ Nun klang er wirklich aufgebracht. „Wir werden auf Schritt und Tritt beobachtete, dabei sind wir nicht einmal in Drachengestalt.“ Er schaute mir direkt in die Augen. „Auch wenn ich dich ansehe, spüre ich ihre Blicke im Nacken, als wären sie … ich weiß doch auch nicht. Vielleicht sind das Drachenreflexe, wer weiß. Auf jeden Fall sollen sie aufhören zu schauen.“
Es verwunderte mich wirklich, wie sehr ihn die Blicke störten. Schließlich war das hier nicht das erste Mal, dass es so war. Ohne es zu beabsichtigen, hatte ich wohl eine Diskussion angefangen, die dem Drachen näher ging, als ich es im Entferntesten vermutet hatte.
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um. Behutsam nahm ich sein hilflos verzehrtes Gesicht in meine Hände und zwang ihn, all seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. „Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist“, erklärte ich wahrheitsgemäß und versuchte all meine Überzeugungskraft in meinen nächsten Worte zu stecken. „Aber sollten wir nicht lieber jeden Moment nutzen, jeden noch so kleinen Moment, der uns gegeben ist? Ich merke ihre Blicke auch, Karthek. Aber in diesem Moment ...“ Tief Luft holend fuhr ich mit den Händen durch die Luft, vielleicht auch, um die Spanne des angesprochenen Momentes klar zu machen. „In diesem Moment gibt es etwas wichtigeres … jemand wichtigeren!“ Die Entspannung, die augenblicklich durch seine Züge glitt, übertrug sich auch auf mich. Kraftlos ließ ich die Arme sinken. „Ich glaube nicht, dass wir all deine Wünsche erfüllen können … Du hast gesagt, dass du nochmal die Unbedarftheit von früher erleben möchtest, aber ich befürchte wir sind daraus herausgewachsen ...“
Er lächelte. „Das befürchte ich auch … egal was wir versuchen, irgendwie enden wir dann doch wieder in tiefgreifenden Diskussionen über alles und nichts.“ In einer langsamen, fließenden Bewegung nahm er nun seinerseits mein Gesicht in seine Hände. „Aber am Ende … reicht es schon, dass du da bist.“
Ich verdrehte die Augen. „Machst du das bei allen Mädchen so? Verdrehst ihnen den Kopf mit diesen poetischen Gedanken und alle dem?“
Verwirrt musterte er mich und ich musste augenblicklich anfangen zu kichern. „Wie meinst du das? Bei allen Mädchen? Du bist … die Einzige.“
„Aber doch ganz sicher nicht die Erste!“
Nun lachte er tief und ungewohnt grollend, fast wie ein Schatten seines Drachen-Lachens. „Wen sollte ich denn … du kennst doch die Drachenmädchen in Inur-Entora. Mehr habe ich doch nie wirklich kennengelernt.“
„Ich bin die Erste?“
„Die Einzige“, bestätigte er schmunzelnd und nutzte seine Hände an meinem Gesicht, um die letzte Distanz zwischen uns zu überbrücken.
Der Kuss war kurz, viel zu kurz für meinen Geschmack, doch als er sich langsam wieder zurückzog, meine Hand nahm und wir weiter durch die Straße schritten, lächelte er selig.
„Du hattest Recht!“
„Womit?“
„Wenn ich mich ganz fest auf dich konzentriere, dann vergesse ich die Blicke dieser Menschen beinahe.“
Wir hatten die Botschaft erreicht. Nun, wo wir vor ihr standen, war sie noch viel eindrucksvoller als aus der Ferne. Sie wirkte noch größer, noch fremder und noch unpassender, am Rande der Häuserflut aus all den geraden, würfeligen Steinhäusern.
Das Gebäude hatte einen kreisförmigen Grundriss und eine Kuppel aus, wie erst aus nächster Nähe auffiel, tausenden von dünnen Glasscherben, die in einem verwirrenden Mosaik zusammengesetzt waren. Direkt unter diesem außergewöhnlichen Dach zogen sich entlang der Wand große meerische Zeichen, deren Bedeutung mir vollkommen verborgen blieb. Sicher, einige von ihnen hatte ich auch bereits während unseres 'Ausfluges' in den See gesehen, aber sonst? Sie hatten keinerlei Ähnlichkeiten mit jeglicher Art von Schriftzeichen, deren Lesens ich mächtig war.
Ein bogenförmiger offener Durchgang ins Innere der Botschaft lud geradezu zum Eintreten ein und da nirgendwo eine Wache oder ein Verbotsschild zu sehen war, folgten wir der stummen Aufforderung des Durchganges. Zuerst gelangten wir in einen runden Gang, der wahrscheinlich einmal im Kreis an der Außenwand des Gebäudes entlang führte, doch immer wieder führten Türen von diesem Gang aus in andere Räume. Einige waren verschlossen, andere standen offen da.
Karthek warf mir einen ratlosen Blick zu und ich zuckte ebenso ratlos mit den Schultern. Bis jetzt waren wir noch niemandem begegnet.
Eine plötzliche Bewegung in einem der Zimmer ließ mich innehalten. Es war ein kleiner Raum, lediglich ausgestattet mit ein paar Tischen, zwei hohen Schränken und einer augenscheinlich eigentlich nur unter Wasser vorkommenden Pflanze, die in einer Art Glaskasten in der Mitte des Raumes stand.
Und direkt an diesem Glaskasten lehnten zwei Gestalten, die Rücken uns zugewandt. Eine von ihnen erkannte ich sofort, warum auch immer und selbst Karthek schien klar zu sein, wer da stand. Berion. Das Haar mittlerweile lang und blond und die Statur so, dass er mich ohne Probleme überragte. Was es auch war … seine Haltung, die Hand, mit der er gerade weit ausholend durch die Luft gestikulierte oder die mittlerweile recht tiefe Stimme, die kaum hörbar für menschliche Ohren bis zu uns getragen wurde.
Neben ihm ein Mädchen, ebenso blond wie er. Wahrscheinlich auch Halb-Waleen. Ein wenig kleiner. Lange Haare mit eingeflochtenen Perlen. Eine Stimme, die für meinen Geschmack etwas zu hoch war und nun gerade das Wort 'Gäste' murmelte. Sie und Berion drehten sich gleichzeitig um und im gleichen Augenblick setzten Karthek und ich unseren Weg durch den Gang im stillen Einverständnis fort. Ich wollte Berion und seine Freundin ganz sicher nicht stören.
Kaum zu überhören war, dass nun Bewegung im Raum aufkam. Wir waren gerade mal einige Schritte weiter gekommen, da schlitterte hinter uns jemand in den Kreisgang – und erstarrte. Natürlich war klar warum. Zögernd hielt ich wieder inne und drehte mich um. Karthek lief der Höflichkeit halber noch einige Schritte weiter und wartete dann geduldig. Berion starrte mich unterdessen mit unverhohlener Überraschung an. Grinsend kam ich wieder ein Stück näher zu ihm.
„Guten Morgen, Berion.“
Er schluckte, warf einen kurzen Blick zu dem Mädchen, das auf halbem Wege zur Tür innegehalten hatte und starrte dann wieder mich an. „Mina.“ Karthek hinter mir gab mit einem leisen Glucksen zu verstehen, was er von dieser hochgeistigen Feststellung hielt und das schien Berion dann auch zurück in die Wirklichkeit zu holen. „Jaaaa … schön dich zu sehen.“ Energisch winkte er das Mädchen zu sich. „Mina, das ist Liliin. Liliin … Mina. Wir sind zusammen in Septim aufgewachsen … ähm … du wirst wahrscheinlich schon von ihr gehört haben …“
Liliin nickte schüchtern, rührte sich aber nicht vom Fleck. Mitleid für sie kam in mir auf. Ich hatte sie und Berion wirklich nicht stören wollen, also suchte ich hastig nach den passenden Worten. „Hör mal, Berion … ähm … ich will euch nicht stören, wirklich nicht. Wir sind hier nur zum Schauen. Einfach mal so die ganze Baukunst, du weißt schon.“
Er nickte hastig, schaute wieder zu dem Mädchen hinüber und nickte dann wieder, diesmal ergeben. „In Ordnung … Ihr … solltet euch den Festsaal anschauen. Der Rest hier ist eher unspektakulär, aber der Festsaal … Er ist auf jeden Fall ganz oben, ihr müsst einfach da drüben zur Tür rein und dann die Treppen hoch bis es nicht weiter geht. Mein Vater müsste auch dort sein.“
Er verharrte unschlüssig und biss sich unsicher auf die Unterlippe. Seufzend beugte ich mich vor, bis mein Mund nur noch wenige fingerbreit von seinem Ohr entfernt war. „Wenn du nicht sofort wieder dadrinnen bei deiner Freundin bist, jag ich dir irgendeine Art von Magie auf den Hals.“
Unsicher suchte er meinen Blick … grinste dann zurückhalten und drehte sich auf dem Absatz um. „Wir kommen gleich nach!“, versicherte er trotzdem und ich stellte sicher, dass er genau mitbekam, wie ich meine Augen als Antwort darauf verdrehte.
Wieder an Kartheks Seite folgten wir der Wegbeschreibung in ein kleines Treppenhaus, in dem eine Wendeltreppe hinauf in die Obergeschosse der Botschaft führte. Während alle Stockwerke, in die wir beim Aufstieg immer wieder kurze Blicke erhaschen konnten, eher dämmrig gehalten waren, war es oben hell und blau, beinahe als wäre man irgendwo unter der Wasseroberfläche. Woran das lag wurde offensichtlich, wenn man den Kopf in den Nacken legte und an die gläserne Kuppeldecke hinaufschaute. Die Tausenden und Abertausenden von blauen Glasscherben schienen niemals zweimal genau den gleichen Farbton zu haben und tauchten so den Saal in dieses unwirkliche Farbenspiel.
Berion hatte mehr als Recht damit gehabt, dass dieser Raum spektakulär war. Und außerdem hatte er auch Recht damit gehabt, dass wir hier oben seinen Vater finden würden. Galeon stand über einen Tisch an der Wand gebeugt da und unterhielt sich schnell und aufgeregt mit … irgendwem. Außer ihm und uns war der Raum leer. Einen verwirrten Blick zwischen Karthek und mir später, war das Gespräch auch schon beendet, der blonde Mann drehte sich auf dem Absatz herum – und erstarrte. Mit offenem Mund schaute er uns an, bis ihm wohl erst langsam wieder klar war, was er sagen wollte. „Mina“, brachte er mühsam hervor und neben mir ertönte ein unterdrücktes Stöhnen von Kartheks Seite.
„Ja, also … hallo Galeon“, versuchte ich den unverbindlichen Beginn eines Gespräches, in der Hoffnung, er würde über die Verwunderung schneller hinweg kommen, als sein Sohn zuvor. Sie wurde erfüllt. Der hochgewachsene Halbwaleen straffte sichtlich die Schultern und verbeugte sich kurz und respektvoll. „Schön Euch wiederzusehen, Mina.“ Sein Blick wanderte kurz zu Karthek hinüber, während ich mich innerlich noch über die übertriebene Höflichkeitsform ärgerte.
„Karthek!“, stellte sich mein Freund also kurzerhand selber vor und verbeugte sich ebenfalls. „Schön denjenigen kennenzulernen, durch den Mina damals den Weg zu uns Drachen gefunden hat.“
„Jaaaa.“ Galeons Blick schwirrte seltsam gehetzt durch den Raum, als hätte er in viel zu kurzer Zeit viel zu viel zu tun. „Der bin ich wohl. Wir haben uns Weyena kurz gesehen, glaube ich ...“ Wieder schweifte er ab, ehe sein Blick sich wieder auf uns legte. „Entschuldigt bitte meine … Zerstreutheit. Der See hält uns in Aufruhr. Irgendwelche Behauptungen, von wegen der Zerstörung von Alt-Nial … Das ist ein uraltes Höhlensystem voller Kulturgut. Wenn sich diese Behauptungen auch nur annähernd der Wahrheit entsprächen, wäre das ein Tragödie ...“ Fahrig strich er sich das blonde Haar zurück, das nicht wie sonst ordentlich zurück gebunden war, sondern locker über seine Schultern fiel.
Wieder ein kurzer Blickwechsel zwischen Zweien, die es besser wussten, dann ein Seufzen. „Es ist eine Tragödie … aber leider um einiges mehr als eine Behauptung. Oziim-Dwa hat sich selbst geopfert, um die Welt vor einem noch schlimmeren Schicksal zu bewahren.“
Galeons Gesicht, schon zuvor ein Bild der Übernächtigung, schien endgültig in sich zusammenzusacken. Er ließ sich auf eine Bank an der Wand sinken und rieb sich mit den Händen über das Gesicht. „Sicher?“
„Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.“
Waleenische Worte folgten. Ich war mir ziemlich sicher, dass eine Übersetzung von ihnen äußerste kreative Flüche offenbart hätte. In eben diesem Moment kamen Berion und das Mädchen hinter uns die Treppe hoch. Beim Ertönen der unbekannten Worte zuckten beide gleichermaßen zusammen.
„Ich muss sofort nach Nial!“, stellte Galeon nun fest und kämpfte sich wieder auf die Füße. „Kaum zu glauben … Oziim-Dwa hat bis jetzt noch so viel überlebt ...“
„Aber wir sind gerade erst hier angekommen!“, beschwerte sich Berion leise und ich sah deutlich, wie seine Finger sich um die Hand des Mädchens schlossen.
Galeon schaute nicht mal auf, war schon dabei, seine Unterlagen in einem Beutel zu verstauen. „Ich sagte, dass ich nach Nial muss, Berion, du hast hier nun deine Ausbildung und …“ Er schaute auf. „Und Liliin. Du bist denke ich alt genug um auch ohne mich auszukommen und die Ereignisse im See ...“
Berions Gesichtszüge entglitten ihm für einige Augenblicke, ehe er sich wieder fasste und nickte. „Wann?“
„Wie ich schon gesagt habe, sofort!“ Der blonde Mann warf seinem Sohn einen kurzen Blick zu und zurrte dann sein Bündel zusammen. „Ich brauche nur noch ein paar Kleider, etwas Essen aus der Küche und irgendeine Reisemöglichkeit. Ich schätze, in weniger als einer Stunde bin ich weg!“ Mit düsterem Gesichtsausdruck hastete er die Treppe hinab und wir vier blieben oben zurück, wo sie dich stille wie ein Zelt über uns spannte, bis Berion sich schließlich räusperte.
„Das kam … unerwartet … das alles hier, meine ich. Eure Ankunft, seine Abreise." Ein nervöses Lächeln lag auf seinen Zügen.
„Nun ja, wo immer ich hinkomme, kommt Unruhe auf. Ist irgendwie eine schlechte Eigenschaft von mir.“
Wieder unangenehmes Schweigen, dass wie eine dichte Wolke zwischen uns hing und wieder war es Berion, der diese Wolke nach einigen Augenblicken durchbrach.
„Weißt du auch nicht, was du sagen sollst?“, fragte er mit einem schiefen Grinsen, welches ich sofort erwiderte.
„Es ist zum verrückt werden, aber ja ... ich habe keine Ahnung.“
„Dabei haben wir uns nie wirklich viel gesagt“, fuhr er nachdenklich fort.
Verwirrt versuchte ich seinen Gedanken zu folgen. „Wie meinst du das?“
Kichernd zuckte er mit den Schultern. „So wie ich es gesagt habe. Erst war es immer Sängerknabe, dann einen Abend lang beste Freunde, dann deine Flucht. Jahre lang überhaupt kein Kontakt, dann kurzes Wiedersehen in Weyena, ehe ihr auch von dort wieder übereilt abgereist seid. Es müsste eigentlich unendlich viele Dinge geben, die man einander erzählen könnte, oder?“
Das gab Sinn. Grinsend erinnerte ich mich an die 'Sängerknabe-Zeiten' und daran, wie es von einem Tag auf den anderen umgeschlagen war. „Ich würde ja gerne etwas daran ändern, aber leider weiß ich noch immer nicht, was ich sagen soll“, erklärte ich frei heraus und er grinste.
„Ich habe eine Lehre bei Liliins Vater begonnen ...“ Es war ein kaum ernst gemeinter Versuch, doch ich ging darauf ein.
„Tatsächlich? Als was?“
„Seemann, er hat eines der Schiffe, die nur von Halbwaleen bewegt werden können. Bald beginnt die erste große Reise.“
„Ja … also … das freut mich für dich.“
Beinahe gleichzeitig brachen wir in Gelächter aus. Zu gestellt klang das Ganze. „Vielleicht sollten wir beim schweigen bleiben“, schlug ich grinsend vor.
„Für's erste wäre das wohl besser. Aber wer weiß, vielleicht irgendwann mal, wenn wir mehr Zeit haben, wenn das Durcheinander vorbei ist.“
Zweifel, tief in meiner Brust. Zwanghaft versuchte ich sie zurück auf ihren Platz zu verdrängen, ich wusste aber auch, dass es mir nicht restlos gelingen würde. Und Karthek sah es, wie er bis jetzt noch immer in mir hatte lesen können wie in einem Buch. Mit sanftem Druck griff er nach meiner Hand, ohne Worte, nur die Berührung, die den Keim des Zweifels vernichten wollte.
„Du glaubst nicht, dass es wieder ruhig wird, oder?“ Das kam von dem Mädchen, Berions kleiner Freundin. Sie betrachtete mich eingehend, eine Sorgenfalte zwischen den Brauen.
„Ich bin mir lediglich ... unsicher“, spielte ich das ganze herunter.
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, erwiderte Berion und legte einen Arm um seine Freundin. „Von allen Wesen, Menschen, Waleen, Elfen - und ich habe einige von ihnen getroffen in letzter Zeit, unter allen denen ist nur eine, bei der ich mir vorstellen könnte, dass sie die 'Katastrophe' fertig macht!“
„Du kannst sie nicht überzeugen, Berion“, wisperte Liliin leise in sein Ohr und senkte den Blick. Stirnrunzelnd schaute ich zu ihr hinüber, doch sie zuckte nur mit den schmalen Schultern. „Die wenigsten Leute können mir etwas vorspielen, ich spüre deine Emotionen, merke sogar die meisten Lügen.“
„Ist das noch so ein Talent von Waleen? Genauso wie einige von ihnen Prophezeiungen aussprechen können?“
„Vermutlich.“ Noch immer ruhten ihre Augen mit messerscharfem Blick auf mir und ich wandte mühsam meinen Blick ab.
„Aber warum sollte eine Prophezeiung ausgesprochen werden, wenn du keine Chance hättest?“, fragte Berion und fand so zum ursprünglichen Thema zurück. „Du wirst etwas besonderes an dir haben, etwas, was dir die Fähigkeit gibt, sie zu besiegen.“
„Und selbst wenn ich es schaffe, was garantiert mir, dass ich zurückkommen werde?“ Kartheks Griff wurde stärker, als wollte er zeigen, dass er alleine das garantieren könnte.
„Wir sollten weiter“, erklärte er zwischen zusammengepressten Zähnen, als wären Berion und Liliin Schuld an meiner negativen Einstellung. „Wir wollten noch zum Hafen und zum Markt.“
„Ja, vielleicht sollten wir auch noch einmal nach deinem Vater sehen, bevor er abreist.“ Sie griff nach seinem Arm. Wahrscheinlich spürte sie das emotionale Chaos in Karthek.
Berion schaute zwar etwas enttäuscht, nickte aber augenblicklich. „Es war schön, dich mal wieder zu sehen“, sagte er leise und ich nickte.
„Ja, das war es auf jeden Fall.“
„Dann … Auf Wiedersehen. Nein! Keine Widerrede. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns noch mindestens einmal wiedersehen.“ Zwinkernd wandte er sich zum Gehen und ich blieb mit Karthek zurück.
Wir schauten uns nicht an, blieben einfach nebeneinander stehen, bis wir uns irgendwann in Bewegung setzten und das Gebäude verließen, ohne noch einmal irgendwem zu begegnen. Draußen angekommen seufzte ich und warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. Über das geschehene zu reden wäre wahrscheinlich zwecklos. Wir waren beide grottenschlecht in sowas. Also entschied ich mich dazu, einfach fortzufahren, wo wir vor dem Betreten des Gebäudes gestoppt hatten. „Hafen oder Markt?“
Er überlegte kurz, dann zuckte er mit den Schultern. „Hafen.“
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Sorry wegen der ewigen Pause, irgendwie habe ich mal wieder viel zu lange gebraucht, um das Kapitel endlich fertig zu bekommen. Lehrer und Klassenarbeiten ... Unberechenbar wie eh und je und leider sehr nervenaufreibend. Ich hoffe das Kapitel gefällt euch trotzdem. Danke für alle, die noch immer dabei sind, ich weiß das zu schätzen ;)
LG. magicstarlight
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