Sovine II

Sovine II

„Komm schon, Fuoco, nicht so langsam! Du warst auch schon mal schneller, du kleine Floschleuder!" Sovine drehte sich um und schaute dem Wolf in die glänzenden Augen. „Komm schon, nicht einschlafen!" Sie lachte und rannte ihrem kleinen grauen Freund voraus. Nun gut, klein war er nun wirklich nicht mehr, Sovine aber auch nicht mehr. Drei Jahre waren seit dem Feuer im Wald vergangen. Drei Jahre, die sie mit ihrem Wolfsfreund Fuoco in den Wäldern verbracht hatte. Wo genau sie war, wusste Sovine schon lange nicht mehr. Das Haus ihrer Kindheit hatte sie seit der Nacht nach dem Feuer nicht mehr wieder gesehen. Nach der Wassersuche hatte sie schlicht und einfach den Weg zurück nicht wiedergefunden. Aber mit der Hilfe von Fuoco kam sie trotzdem zurecht. Sie waren ein kleines Rudel. Der Wald gab ihnen alles, was man zum Überleben brauchte. 

Fuoco, durch ihre lauten Rufe angespornt, setzte ihr mit riesigen Sätzen nach und überholte sie mit Leichtigkeit. Sovine lachte und stolperte kichernd den Abhang hinunter. Sie verlor den Halt, fiel vornüber und kam völlig verdreckt unten an. Nicht, dass das bei ihr noch groß etwas ausgemacht hätte. Sie hatte seit drei Jahren nur die paar Sachen gehabt, die sie aus dem Herrenhaus geholt hatte. Und die waren mittlerweile nicht nur sehr zerschlissen und etwas zu klein, sondern auch, trotz der ein oder anderen Wäsche im Fluss, sehr dreckig. Sofort kam Fuoco angelaufen und winselte besorgt. Sie grinste und wuschelte ihm durchs stahlgraue Fell. „Mach dir doch nicht immer Sorgen um mich, du Dummkopf!" Er legte seine Pfoten auf ihren Brustkorb und starrte sie von oben herab an.

Und genau so sehen es auch die beiden Wildermenschen, die gerade durchs Dickicht streifen. Sofort liefen sie vor und Sovine sprang erschrocken auf. Winselt rollte Fuoco zur Seite und stellte sich dann drohend vor sein einziges Rudelmitglied. Die beiden Männer konnten nur die Stirn runzeln. Ein ausgewachsener Wolf und ein hochgewachsenes Mädchen, mit abgenutzten Kleidern und kahlem Kopf. Sovine legte eine Hand in das drohend aufgestellte Fell ihres Freundes. „Beruhig' dich, Fuoco." Sie warf den Männern einen unsicheren Blick zu. 

„Wer bist du?", fragte der größere der beiden mit tiefer, einer ein wenig rasselnden Stimme. „Und was machst du hier draußen im Wald?"

Sie wich vorsichtig ein Stück zurück und der Wolf, der ihre Angst spürte, funkelte die beiden Männer nur umso drohender an. 

„Ich heiße Sovine und das ist Fuoco!", antworte sie zaghaft und trat noch einen Schritt zurück, wobei sie Fuoco und die Männer nicht aus den Augen ließ.

„Ein seltsamer Name!", stellte der etwas kleinere der beiden fest. „Bist du wirklich eine Uklenry?"

Überrascht schaute sie auf. „Sollte ich?"

„Nun ja, du streifst durch unsere Wälder und lebst mit einem wilden Tier zusammen. Wir dachten nur ..."

„Durch eure Wälder? Bin ich denn schon so weit im Osten?"

„Nun ja, streng genommen bist du im Westen der Wilderlande. Wo dachtest du denn dass du bist?"

Überrascht fuhr sie sich übers Gesicht.Von ihrem alten Zuhause war es noch ein ordentlicher Weg bis in die Wilderlande gewesen. Wenn ihr Vater dorthin gereist war, hatte er immer einige Wochen gebraucht. „Ich komme aus dem Peor-Gebirge“, erklärte sie zaghaft. „Vom Gut Norderfels.“

Nun schauten die beiden Männer überrascht drein. „Du bist vom Peor zu Fuß hier her gewandert? Wie kommt man auf so eine seltsame Idee?“ Sie verdrehte die Augen. „Das habe ich ja auch ganz bestimmt mit Absicht gemacht. Fuoco und ich sind einfach durch die Wälder gezogen und wir haben nie ein Dorf oder sowas gefunden. Wir wussten ja nicht, dass wir in einem anderen Reich sind.“

Die Männer tauschten einen belustigten Blick, was Fuoco mit einem Knurren quittierte. „Du bist also ein Menschenmädchen, dass mit einem Wolf durch die Wälder streift, richtig? Gibt es dafür auch einen Grund?“

Sie biss sich auf die Lippe und schaute auf ihren Wolfsfreund hinab. Konnte sie diesen Männer vertrauen? „Es gab ein Feuer in den Wäldern … ich weiß nicht, ob ihr davon gehört habt …“ - „Das Feuer von Norderfels? Ich vermute, selbst im äußersten Süden hat man davon gehört. Der Brand war der schlimmste, der je dokumentiert worden ist.“

„Und in diesem Brand bin ich von meiner Familie getrennt worden“, erklärte sie leise. Fuoco winselte. „Ich bin bei der Flucht vom Pferd gefallen und nun ja … ich habe keine Ahnung, wie ich überlebt habe. Alles ist verbrannt, bloß mein Körper ist beinahe unversehrt geblieben. Ich glaube sogar, der Sturz vom Pferd hat mich mehr verletzt, als die Flammen.“ Sie stockte, denn es klang wirklich äußerst absurd. „Es macht eigentlich keinen Sinn, aber als ich dann aufgewacht bin, war da Fuoco und er hat mir gezeigt, wo ich Essen und Trinken finden konnte. Seitdem streifen wir gemeinsam durch die Wälder.“

Der Große runzelte die Stirn. „Deshalb hast du auch … nun ja ...“ Er fuhr sich über den von dichtem Haar bedeckten Kopf. Sie nickte. „Ich hatte weder Kleider noch Haare, als ich wieder erwacht bin. Alles muss verbrannt sein. Und die Haare sind nie auch nur ein klein wenig nachgewachsen.“

Tiefe, nachdenkliche Falten zogen sich durch das Gesicht des Mannes, als er überlegte. „Du musst vollständig in Flammen gestanden haben … niemand überlebt sowas.“ - „Nun ja, ich lebe!“, stellte sie trocken fest. „Darf ich vielleicht auch eure Namen erfahren.“

Der kleinere der beiden lachte. „Du bist wirklich ein seltsames Kind. Mein Name ist Toka und das ist mein Bruder Keme. Und ich schlage vor, du kommst mit uns. Wir zeigen dir den Weg nach Tenorley. Von dort aus findest sicherlich auch deine Familie wieder.“

Sie zögerte. So verlockend das Angebot klang … wollte sie wirklich in ihr altes Leben zurück? Ihr gefiel es ganz gut, mit Fuoco durch die Wälder zu streifen. Was würde ihr Vater sagen, wenn sie mit einem Wolf ankommen würde … ihr Vater. Was wenn die Flammen auch ihn erwischt hatten, nachdem sie ohnmächtig geworden war? Der Gedanke war unerträglich. Sie drehte sich zu Fuoco um und er legte den Kopf schief. „Was denkst du?“ Er lief um sie herum und ließ die beiden Wildermenschen dabei nicht aus den Augen. „Dürfte ich ihn denn mitnehmen?“, fragte sie die beiden vorsichtig.

Keme lachte schallend. „Du bist hier unter Uklenry. Wir haben alle unser Kzu dabei.“ Er drehte sich um und pfiff. Flügelschlagen erklang, dann stürzte sich ein riesiger Adler durch die Bäume hinab und landete auf dem Arm des großen Mannes. Sovine betrachtete den Adler erstaunt, Fuoco hingegen knurrte misstrauisch. Doch sein Knurren verstummte, als ein zweites Tier durch die Bäume trat und sich vorsichtig an Toka lehnte. Ein Wolf mit rostbraunem Fell. Sovine unterdrückte ein Grinsen, als sie die geradezu kindliche Erwartung in den Augen ihres Freundes sah. Auch Toka sah es und lächelte schelmisch. „Das ist Ay. Meine Kzu.

„Und das ist Rya“, fügte Keme hinzu und hob seinen Arm. Der Adler schlug wie zur Bestätigung mit den Flügeln. „Und, wirst du mit uns kommen?“

Sovine schaute noch einmal zu ihrem kleinen Freund hinab. Ihn zu fragen, hatte wohl keinen Sinn. Er würde dieser Wölfin wahrscheinlich bis ans Ende der Welt folgen. Und sie vermisste ihre Familie, ihre Brüder, ihre Schwester, ihren Vater. Es war egal, wie er reagieren würde, Hauptsache sie sah ihn wieder. „Ja … ich glaube, es wäre wirklich das beste.“

„Gut!“ Keme strich seiner Adlerdame über die Federn und drehte sich um. „Wir haben unweit von hier unser Lager. Es heute noch abzubauen, wird sich nicht mehr lohnen. Wir werden sehen, ob wir noch irgendwo einen guten Schlafplatz für dich finden. Raki wird entzückt sein.“

Damit begannen sie ihren Marsch quer durchs tiefste Gestrüpp. Es war einer dieser Wege, von denen Sovine allein mit Fuoco lieber Abstand gehalten hatte, auch mit Rücksicht auf ihren Freund. Aber der wäre Ay nun wirklich überall hin gefolgt. Wie ihr grauer Schatten arbeitet er sich durch die beschwerliche Landschaft und versuchte sie laufend zu beeindrucken.

Das Lager erreichten sie gegen Abend und die Bezeichnung 'Lager' war eigentlich eine Untertreibung. Es war eine Zusammenschluss kleinerer Baumhäuser, die in vier, fünf Metern Höhe an den dicken Baumstämmen befestigt waren. Auch die Bezeichnung Zeltlager hätte gepasst, denn auf den hölzernen Baumhaus-Plattformen standen grüne und weiße Zelte. Brücken aus langen, verknüpften Getreidehalmen verbanden die Baumhäuser und eine Strickleiter aus dem gleichen Material ermöglichte den Aufstieg auf die größte Plattform, die zwischen zwei dünneren Bäumen aufgebaut worden war. Drei Zelte waren auf ihr errichtet worden. Nun wies Toka auf die Leiter. „Einfach da hoch.“ Sovine zögerte und drehte sich zu Fuoco um. „Kann ich nicht lieber irgendwo hin, wo er auch hinkommt?“

„Er und die anderen Kzu haben einen kleinen abgesicherten Bereich dort trüben unter dem großen Baum ganz für sich allein. Es wird ihm gefallen – Siehst du? Ay zeigt ihm bereits den Weg.“

Widerstrebend sah sie zu, wie ihr kleiner trotteliger Freund der Wölfin hinterher lief. Dann erklomm sie vorsichtig die Leiter und sah sich um. Keme lächelte und zog sich hinter ihr auf die Plattform. „Willkommen in unserer bescheidenen Unterkunft. Warte, wo ist bloß ...“ - „Da seid ihr ja endlich, verdammt noch mal ihr wolltet nur kurz eine Kontrollrunde drehen und dann … wir haben uns Sorgen gemacht und ...“ Die Frau, die soeben aus dem vordersten Zelt getreten war, schaute Sovine verdutzt an. „Wen findet ihr denn mitten im Wald?“

„Sovine“, erklärte Sovine trocken. „Sovine von Norderfels.“

Keme grinste noch breiter. „Wir haben sie und ihren wölfischen Freund Fuoco gut drei Stunden westlich von hier gefunden. Auf unserer Runde haben wir ihre Spuren entdeckt. Sie läuft wohl schon seit dem großen Brand im Peor hier durch die Wälder und kommt ursprünglich aus Norderfels.“

Der Frau klappte die Kinnlade nach unten. „Bitte was? Das ist drei Jahre her. Und ich wusste gar nicht, dass die Familie Norderfels auch Uklenry einschließt.“

„Ich bin keine Uklenry“, antwortete Sovine. „Ich bin durch und durch Mensch.“

„Da hörst du's.“ Toka grinste breit. „Denkst du wir finden hier noch irgendwo einen ordentlichen Platz für sie? Wir wollen sie nach Tenorley bringen, damit sich endlich wieder jemand um sie kümmern kann. Ihren Wolf haben wir schon unten zu den Kzu gebracht.“

Die Frau überlegte. „Vielleicht noch drüben im Zelt bei Zuka und mir.“ Sie wandte sich Sovine zu. „Ich bin übrigens Raki. Und eins verstehe ich immer noch nicht, wenn du durch und durch Mensch bist, warum sprechen die beiden dann andauernd von 'deinem Wolf'?“

„Er ist einfach nur mein Freund, ich hab ihn nach dem Feuer getroffen.“ Raki runzelte die Stirn, erwiderte aber nichts. Sie wandte sich zu den beiden Männern um. „Jope möchte euch sehen. Er erwartet euch im Hauptzelt. Ich zeige dem Mädchen mal unser Zelt, wir sehen uns beim Abendessen.“ Die beiden nickten und verschwanden, während Sovine mit Raki zurück blieb. Sie wies auf eine der Brücken. „Da lang, bitte. Du schläfst mit mir und einer guten Freundin von mir in einem Zelt, wenn es dir nichts ausmacht. Dann kannst du auch gleich meinen Kzu kennenlernen.“

„Ich dachte, die Kzu wohnen irgendwo unten“, sagte Sovine misstrauisch, während sie ebenso misstrauisch die Brücke vor sich beäugte. Sie sah nicht sonderlich vertrauenswürdig aus.

„Tov ist so klein, dass er genauso gut bei mir in der Tasche schlafen kann“, erklärte Raki gutmütig und ging an ihr vorbei auf die Brücke. „Und diese Brücken würden einen ausgewachsenen Drachen aushalten, glaub mir. Sie sind vollkommen sicher.“

Damit trat sie auf die nächste Plattform und Sovine folgte ihr vorsichtig. „Hast du denn schonmal einen ausgewachsenen Drachen gesehen?“, fragte sie interessiert.

Raki lachte. „Nein das habe ich nicht und ich glaube, du wirst hier auch keinen anderen finden, der jemals einen Drachen gesehen hat. Wir verlassen die Wilderlande eigentlich nie und soweit im Norden fliegen die Drachen schon lange nicht mehr.“ - „Aber sie sind einmal hier geflogen? Früher meine ich?“ Raki nickte. „Irgendwann, lange vor unserer Zeit. Es gibt nur wenige Überlieferungen, aber wenn man ihnen Glauben schenkt, dann herrschte zwischen Uklenry und Drachen einmal ein überaus freundschaftliches Verhältnis.“

„Irgendwann möchte ich mal richtigen, echten Drachen begegnen“, stellte Sovine fest und folgte Raki über eine weitere Brücke auf ein kleines grünes Zelt zu.

„Wenn du meinst?“ Raki lachte nocheinmal und zog dann eine der Stoffbahnen zur Seite. „Willkommen in unserem Zelt. Zuka ist wohl noch draußen. Wir werden sehen, wo wir dich schlafen lassen. Oh … genau ...“ Sie fuhr mit der Hand unter eine große, weiße Decke und zog etwas kleines und pelziges hervor. „Hier ist Tov.“

Tov war eine kleine braune Maus, die neugierig über Rakis Finger lugte. Sovine lächelte und strich der Maus zögerlich durchs Fell. „Er ist wirklich … hübsch.“

„Nicht wahr?“ Raki sah glücklich auf ihren Kzu hinab. Erst jetzt wurde Sovine klar, welche Bedeutung die Kzu für die Wildermenschen haben mussten. Ewige Freunde, ein ganzes Leben lang. Dabei war ihre dreijährige Freundschaft mit Fuoco dem gar nicht so unähnlich. Während Sovine noch darüber nachdachte, zog Raki ein paar Decken aus einem Bündel und breitete sie vor dem Eingang des Zeltes aus. Erst jetzt schaute Sovine sich richtig um. Viel Platz war wirklich nicht. Links und rechts vom Eingang waren bereits zwei Schlaflager eingerichtet und zwischen ihnen stapelten sich Körbe und Bündel, sowie Holzscheite in einer kleinen, als steinerne Schale in die Plattform eingelassenen Feuerstelle. Trotzdem wirkte es gemütlicher als alles, was Sovine in den letzten Jahren gehabt hatte und plötzlich sehnte sie sich danach, sich einfach in die Decken fallen zu lassen und zu schlafen. Tagelang. Auch Raki schien das zu sehen. Sie lachte wieder und hielt mir eine saubere Hose und ein weißes Hemd hin. „Hier, zieh dir erstmal etwas sauberes an, dann gehen wir essen und dann darfst du so lange schlafen wie du willst.“

Sovine nahm die Sachen entgegen und zog sich dann ihre alten Sachen aus. Sie waren kaum noch zu gebrauchen, aber sie waren Erinnerungen an ein fast vergessenes Leben, also stopfte sie alles in ihr Bündel zu ihren restlichen 'Schätzen' und zog sich dann die neuen Sachen an. Sie passten erstaunlich gut und waren nur an den Ärmeln etwas zu lang.

Dann folgte sie der Uklenry über die Brücken zurück in eines der Zelte auf der Hauptplattform. Der Geruch von Essen stieg ihr in die Nase und ihr Magen rumorte unheilvoll. Raki lachte und hielt ihr den Zelteingang auf, damit sie hinein kriechen konnte. Drinnen wimmelte es nur so von Uklenry und kleineren Kzu. Die meisten drehten sich neugierig um, als das Mädchen mit dem kahlen Schädel hinein kam. Ein Mann auf der anderen Seite der Feuerstelle erhob sich. Er hatte rotes, zottiges Haar und einen gewaltigen Bart. Zu seiner Linken und Rechten saßen Toka und Keme.

„Das ist also die kleine Wolfsfreundin aus dem Feuer“, dröhnte er über die verhaltenen Gespräche hinweg und es wurde still. Sovine wurde rot und nickte. „Meine Söhne haben mir erzählt, du hättest das Feuer unbeschadet überstanden, stimmt das?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin vom Pferd gefallen und habe das Bewusstsein verloren, als etwas brennendes zwischen mich und meinen Vater gefallen ist. Als ich aufgewacht bin, war alles um mich herum verkohlt, auch meine Kleider und meine Haare. Aber mehr ist mir nicht passiert.“

Ein Murmeln ging durch die Versammelten, doch der Rothaarige brachte sie mit einer einzigen kleinen Geste zum Schweigen. Es herrschte eine gespannte Stille, während er offensichtlich über etwas nachdachte. „Konntest du … kannst du gut mit Tieren umgehen?“, fragte er langsam. Sie zuckte wieder mit den Schultern. „Ich konnte gut reiten … ja, ich bin vom Pferd gefallen, aber daran war ein Ast Schuld … und ich lebe nunmal mit Fuoco zusammen.“

„In der Tat.“ Er strich sich über den Bart. „Iss erst einmal, ich werde derweilen mit den anderen beraten, was getan werden muss.“ Raki gab ihr eine Schüssel Suppe und ging dann zu dem Rothaarigen. Mit gesenkten Stimme berieten er und ein paar andere Uklenry, was zu tun war. Sovine beobachtete sie misstrauisch. Erst nachdem sie bereits ihre dritte Portion gegessen hatte, erhob sich der Mann wieder. Die anderen Uklenry schauten erwartungsvoll auf. „Nun denn“, erklärte er mit dröhnender Stimme. „Wir haben unsere Pläne geändert. Wir werden morgen unser Lager abbrechen.“ Einige der Männer und Frauen nickten zustimmend. „Anschließend werden wir uns Richtung Nordosten aufmachen. Ins Herz der Schattenberge.“ Nun wurde nicht mehr genickt. Viele schüttelten verständnislos die Köpfe, doch der Mann ließ sie nicht zu Wort kommen und wandte sich nun an Sovine. „Du wirst mit uns kommen und wir werden dich behandeln, wie eine der unsrigen. Außerdem würde ich gerne mehr über deine Kindheit in Norderfels erfahren … Mein Name ist übrigens Jope. Ich bin Herr dieser Wachgruppe.“

Stirnrunzelnd nickte Sovine. „Toka hat gesagt, es wäre das beste, nach Tenorley zu gehen.“ Einige der Umstehenden nickten zustimmend, doch Jope schüttelte nur den Kopf. „Toka war noch nicht auf dem Stand der Dinge, als er dir das gesagt hast. Natürlich kannst du auch gerne wieder in den Wald gehen, wenn das dein Wille ist, aber besser wäre es, wenn du uns vertrauen würdest. Es ist wichtig, dass du mit uns in die Schattenberge kommst.“

„Warum?“ Er lächelte kopfschüttelnd und beugte sich vor. „Weil du uns so unglaublich ähnlich bist“, erklärte er geheimnisvoll. „Und nun, ab ins Bett. Ihr alle. Morgen wird ein anstrengender Tag.“

Teilweise murrend, teilweise zustimmend erhoben sich die meisten Uklenry und Sovine schaute sich nach Raki um. Sie stand neben Jope, also ging sie um die Feuerstelle herum auf sie zu. Raki lächelte, doch Sovine machte ein eher mürrisches Gesicht. „Warum müssen plötzlich alle Pläne über den Haufen geworfen werden?“, fragte sie wütend. „Ich möchte meine Familie wiederfinden und nicht in irgendein Gebirge klettern.“

„Ich verspreche dir, dass ich dir helfe deine Familie zu finden. Ich verspreche es dir. Aber zuerst muss ich einem Verdacht meinerseits nachgehen. Und das können wir nur im tiefsten Herz der Schattenberge“,sagte Jope leise. „Wir können dich natürlich nicht zwingen … aber wir können dich bitten uns zu vertrauen. Ich weiß, du kennst uns kaum, aber ich glaube, du kannst dich schneller als andere Menschen auf neue Situationen einlassen. Du bist etwas besonderes!“

Sovine schürzte die Lippe und Raki legte einen Arm um sie. „Komm, wir gehen in unser Zelt. Zuka und Mitch sind bestimmt auch schon da.“ Widerstrebend ließ sie sich von der großen Frau aus dem Zelt bringen. Den Weg über die zwei Brücken zurück zum kleinen Zelt gingen sie schweigend. Raki lächelte unentwegt. Sie öffnete den Eingang des Zeltes und spähte hinein. „Ah Zuka, du bist also auch schon da.“

Das kleine braune etwas auf Rakis Schulter huschte blitzschnell nach unten und ins Zelt hinein. Tov, Rakis kleine Maus. Neugierig kroch Sovine hinter der jungen Frau ins Zelt hinein. Auf dem Lager rechts von der Tür saß nun eine kleine Frau mit großen dunklen Augen und schneeweißem Haar. Sie sah nicht alt aus … oder zumindest nicht faltig-alt. Sie hatte augenscheinlich mehr Lebenserfahrung als Sovine und Raki zusammen, aber das sah man an ihren Augen und nicht an ihrer Haut.

Sie richtet sich auf, als sie Sovine sah und lächelte. „Du musst das kleine Mädchen sein, von dem alle sprechen. Das Kind aus dem Feuer. Eine interessante Geschichte.“ Sie kicherte. „Ich habe deinen Wolfsfreund eben unten getroffen. Ein echter Wildfang.“

Sovine musste ebenfalls lächeln. „Ja, Fuoco ist kaum zu bändigen.“

„Oh, ich glaube Ay hatten ihn ganz gut im Griff.“ Ihre Augen leuchteten. „Nun denn, ich möchte euch nicht vom Schlafen abhalten. Ich bin heute auch schon seit Morgengrauen auf den Beinen.“ Damit verkroch sie sich unter ihre Decken und schon wenige Minuten später hörte man ihren regelmäßigen Atem. Sovine warf Raki einen fragenden Blick zu und sie grinste. „Sie ist die älteste von uns. Irgendeine Großtante von Jope sagt man und der ist auch nicht mehr der Jüngste“, raunte sie. Sovine warf einen Blick auf die schlafende Frau. Neben ihr lag etwas kleines, geflecktes. Raki deutete mit dem Finger darauf. „Das ist Mitch, ein Kaninchen. Tov kann nicht genug von ihm bekommen.“

Sovine grinste, als sie sah, das die kleine Maus an Mitch geschmiegt da lag. Raki kroch unterdessen zurück zu ihrem Lager und kroch unter ihre Decke. „Du solltest jetzt auch schlafen gehen“, sagte sie leise. „Egal wie du dich entscheidest, Schlaf ist kostbar.“

See nickte und kroch in ihr provisorisch errichtetes Lager direkt vor dem Eingang. Aus ihrem Beutel zog sie ein kleines zerlesenes Buch, einen Abenteuerroman, der ihre letzte richtige Verbindung zu ihrem alten Leben darstellte. Es gehörte zu ihrem Tagesablauf, dass sie jeden Abend ein paar Seiten daraus las, auch wenn sie es mittlerweile sicherlich auswendig gekonnt hätte. Manchmal hatte sie für sich alleine gelesen, manchmal hatte sie Fuoco daraus vorgelesen. Es war ein festes Ritual, dass sie um nichts in der Welt vergessen wollte. Also las sie im spärlichen Licht des kleinen Feuers, bis ihr die Augen zu fielen.

Am nächsten Tag ging alles ganz schnell. Als sie von Raki geweckt wurde fühlte sie sich so ausgeruht wie seit Jahren nicht mehr. Sofort packte sie ihr Zeug zusammen und kletterte über Brücken und die Strickleiter zurück auf den Waldboden, wo sie von Fuoco erwartet wurde. Sie strich ihm glücklich durchs graue Fell und wusste in diesem Moment, dass sie mit ins Gebirge gehen würde. Allein schon, damit ihr kleiner Freund weiter mit Ay herumtollen konnte.

Nach einem kurzen Frühstück wurde das Lager offizielle abgebaut. Zelte wurden auseinander genommen und Gepäck wurde auf Pferde verladen. Es würde ein langer und beschwerlicher Fußmarsch werden, dass wussten alle.

Schließlich waren da nur noch die hölzernen Plattformen an den Bäumen. Grinsend beugte sich Toka zu Sovine hinüber. „Ich glaube, das wird dir gefallen.“

Sie schaute auf und sah, wie Keme, Jope und ein paar andere Männer zum dicksten Baum hinüber gingen. Jope klopfte mit den Knöcheln gegen die Rinde und eine kleine Tür schwang auf. Er griff hinein und zog ein Seil heraus. Mit vereinten Kräften zogen die Männer daran und die Plattformen in den Bäumen bewegten sich nach oben. Ihre Unterseiten waren mit Laub und Ästen verziert und sobald sie ganz oben waren, setzten sie sich kaum noch von den Baumkronen ab.

„Unglaublich“, flüsterte sie leise, während Fuoco misstrauisch knurrte. Toka grinste. „Wir haben mindestens hundert von diesen Lagern überall im Wald verstreut. Sie sind ziemlich praktisch.“

„Alle Mann auf die Füße, es geht los!“, rief Jope mit dröhnender Stimme über die versammelten Leute hinweg und wie zur Bestätigung erklang ein lautes Brüllen hinter ihm. Erschrocken zuckte Sovine zusammen.

Hinter dem Anführer tauchte eine große, hellbraune Wildkatze auf. Sie war ein gutes Stück größer als Fuoco und sah sich mit funkelnden Katzenaugen auf dem Lagerplatz um. Toka zwinkerte Sovine zu. „Das ist Trivi, die Kzu von Jope. Lass dir von ihr nichts vormachen. Sie ist lieb wie ein Lämmchen und gibt nur hin und wieder gerne an.“

Die Wanderung zu den Schattenbergen war lang und beschwerlich. Sicher 50 Tage lang ging es durch die wechselhaften Landschaften der Wilderlande und langsam bereute Sovine, dass sie sich für die Mitreise entschieden hatte. Schon nach wenigen Tagen Reise hatten sie die ersten Ausläufer der Schattenberge erreicht und mussten kleinen, gewunden Bergfaden immer höher ins Gebirge folgen. Die Lager in den Bäumen nahmen mit der Zahl der Bäume ab und bald schliefen sie auf blankem Fels.

Trotzdem versuchten Toka, Keme, Jope und Raki das Menschenmädchen so gut es eben ging bei Laune zu halten. Jope wollte alles über ihre Kindheit wissen, welche Tiere sie kennengelernt hatte, wie viel Zeit sie im Wald verbracht hatte, alles. Außerdem interessierte er sich brennend für ihre Mutter und ihren Vater. Sie versuchte seine Fragen bestmöglich zu beantworten, aber da sie kaum etwas über ihre verstorbene Mutter wusste, konnte sie nicht viel erzählen.

Nach langen Tagen und kurzen Nächten, weiten steilen Pfaden und kärglichen Mahlzeiten erreichten sie schließlich das, was die Uklenry das Herz der Schattenberge nannten. Und es trug diesen Namen zurecht. In einem tiefen Tal umgeben von schroffen Bergen und verborgen von tiefhängenden Wolken lag ein dunkles, kleines Häuschen. Es war weder groß, noch prunkvoll. Tatsächlich war es klein und windschief und wirkte verlassen.

„Man sagt, Kosk habe ein Teil seiner Zeit hier in der Welt der Sterblichen in diesem Haus hier verbracht. Um ihn zu verbergen, haben sich die Berge erhoben und ihn eingeschlossen. Nur wenige kennen den Weg hierher.“

Ehrfürchtig betrachtete Sovine das kleine Häuschen, dass den Uklenry soviel mehr bedeutete, als alle Schlösser und Burgen der Welt. Jope kniete nieder und die anderen folgten seinem Beispiel. Sie warf Keme einen fragenden Blick zu und er nickte. Also kniete auch sie nieder und schloss die Augen – und glitt hinüber in einen weißen Raum, den schon zwei andere Oldiin vor ihr betreten hatten. Sie hörte die Stimmen ihren Namen rufen, laut und leiser, aus allen Richtungen. Und erst als Keme sie an der Schulter packte, glitt sie zurück ins Herz der Schattenberge, wo unzählige Augenpaare auf sie gerichtet wurden.

„Es stimmt also wirklich“, sagte Jope leise. „Sie ist die Tochter von Kosk, unserem geliebten Gott!“

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Vielen Dank nochmal für die vielen Namensvorschläge, ein paar haben schon Verwendung gefunden, ein paar behalte ich weiterhin im Hinterkopf. Was das Cover angeht, danke für eure ehrlich Meinung, mal sehen, was ich als nächstes ausprobiere ;)

Falls ihr Fehler in der Erzählperspektive gefunden habt, verzeiht es mir ... ich hab es einfach nicht geschafft, dieses Kapitel ordentlich aus Sicht der dritten Person zu schreiben. Alle paar Sätze bin ich zurück gerutscht. Ich habe versucht, alle Ausrutscher zu verbessern, aber wie ich mich kenne, ist mir das nicht gelungen.

Nun denn, ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen,

gaaanz liebe Grüße und ein ganz großes Danke an alle, die kommentiert und geliked haben,

magicstarlight :D

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