Juneii, die Hauptstadt der Moore

Ich weiß, dieses Kapitel hat wieder etwas länger gedauert, dafür ist es aber auch ein Bisschen länger als das letzte Kapitel ;)

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„Nicht dort hintreten Mina!“

Schnell zog ich meinen Fuß zurück und ging den Weg entlang, den Eldan mir wies. Das ging jetzt schon seit fünf Tagen so. Sobald ich wieder auf dem richtigen Weg war, wandte sich Eldan um und ging weiter. Bei ihm sah es so einfach aus. Er setzte jeden Schritt sicher und konnte sich gleichzeitig darum kümmern, dass keiner von uns im Moor versank.

„Tukiyan, bleibt weg von dieser Stelle.“

Auch Tukiyan zog sich schnell zurück. Ich warf einen Blick auf die untergehende Sonne Yriske. Bald würde es dunkel werden. Wir brauchten ein Lager. Eldan schien das gleiche zu denken. Der Schmied zog kurze Stöcke aus seinem Gepäck und steckte damit einen Kreis ab. Hier würden wir diese Nacht schlafen. Ich konnte mir schöneres vorstellen.

Karthek zog Decken und ein Bündel mit Brot und Käse aus seinem Beutel. Ich setzte mich und schlang eine Decke um mich. Auch Eldan setzte sich und ließ den Blick über mich und meine Gefährten wandern. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. Tatsächlich schauten meine drei Freunde sehr griesgrämig drein.

"Morgen werden wir gegen Mittag in Juneii ankommen. Und von dort aus führen feste Straßen in die Mittellande. Am besten wir halten uns am Jo-Tey. Das ist der längste Fluss hier in Tanerm und er fließt sogar durch Weyena."

"Das ist eine gute Nachricht."

"Juneii ist eine große Stadt. Eine der zwei größten in ganz Tanerm. Dort finden wir garantiert ein gutes Gasthaus. Was denkt ihr Mina, wie lang werden wir in Juneii bleiben.", er nickte in Richtung Tukiyan, Karthek und Rubeen, die immer noch böse dreinschauend ein Lager richteten. Ich grinste verstohlen. "Ich denke, ein Tag ohne Wandern und eine Nacht in einem richtigen Bett wird reichen."

"Seid ihr euch sicher?", er warf noch einen belustigten Blick zu den dreien und lachte. "Man könnte meinen, dass zumindest die beiden", er nickte zu Karthek und Rubeen. "Ein wenig ausdauernder sind. Sie sehen so aus, als wären sie hier in den Mooren geboren."

Ich nickte und lächelte, während ich mir einen triftigen Grund für ihre schlechte Laune ausdachte.

"Ihre Mutter kam von hier... Aber sie haben nie hier gelebt. Die meiste Zeit sind sie in nördlicheren Gegenden gereist."

Eldan nickte. "Am besten ihr legt euch jetzt schlafen Mina. Morgen wird noch ein gutes Stück Weg auf uns warten."

"Gute Nacht Eldan." Ich zog mich ein Stück zurück, breitete die Decke über mir aus und rollte mich auf dem kalten, harten Boden zusammen. Ein letzter Blick auf meine drei Freunde sagte mir, dass diese es mir nachtaten.

Karthek weckte mich. "Mina, Mina es geht weiter."

Ich war sofort hellwach. Karthek hielt mir seine Hand hin und ich ergriff sie dankbar. Er sah zumindest ein Bisschen besser gelaunt aus als gestern. Vielleicht war es die Vorstellung, die nächste Nacht in einem Bett verbringen zu können. Er zog mich auf die Beine. Unser einfaches Lager war schon zusammen gepackt, man hatte mich wieder bis zum letzten Moment schlafen lassen. Rubeen gab mir ein Stück Brot und wir machten uns wieder auf Weg durch die tückische Moorlandschaft. Wir sprachen nicht viel und warfen immer wieder hoffnungsvolle Blicke an den Horizont. Doch Juneii kam nicht in Sicht. Während einer kurzen Pause begann es wieder zu schneien. Eldan fluchte und trieb uns weiter zur Eile an. Und nach zwei weiteren ermüdenden Stunden Wanderung entdeckte ich endlich die erlösenden steinernen Mauern von Juneii am Horizont und wir eilten den Weg entlang, auch wenn das zur Folge hatte, dass wir das ein oder andere Mal einsanken und von den festen Wegen abkamen.

Juneii war die seltsamste Stadt, die ich je gesehen hatte. Sie war riesig, aber das vor allem in die Höhe! Die Häuser waren höher als die alte Eiche in Septim und ich konnte mir einfach nicht erklären, wie solche Gebilde überhaupt stabil seien konnten. Eine breite Gasse führte vom Südtor zum Nordtor der Stadt, aber Eldan führte uns zielstrebig in eine der verwinkelten Gassen, die sich in den unübersichtlichen Irrgarten der Häuser schlängelten. Ich versuchte mir die ganzen Biegungen und Abzweigungen, doch ich versagte.

"Seid ihr schon mal hier gewesen, Eldan?", fragte ich unsicher.

"Ich kenne den Weg Mina, wenn ihr das meint. Ich bin bei einem Schmied hier Juneii in die Lehre gegangen."

"Und wo genau gehen wir hin?", fragte Tukiyan und schloss zu dem Schmied auf.

"Wir gehen zu einem Freund. In wenigen Tagen wird hier Utrias-Wende gefeiert. Alle billigen Absteigen werden bereits besetzt sein, aber ich kenne jemanden, der sich mittlerweile ein ziemlich teures Gasthaus aufgebaut hat. Ich habe ihm am Anfang geholfen, er hat Geld gebraucht, ich hab ihm geholfen. Vielleicht hat er noch ein wenig Platz. Dort hinten ist es!"

Er deutete auf ein hohes Haus aus weißem Stein. Es war bestimmt noch einige Stockwerke höher als die umstehenden Häuser und die riesigen, hölzernen Türflügel wurden von riesigen Säulen flankiert.

"Solche Freunde habt ihr, Eldan?"

Er lächelte mir flüchtig zu, dann stieß er die Tür auf und betrat einen von vielen Kerzen beleuchteten Saal. Ein grüner Teppich bedeckte den gesamten Boden des Raumes und prunkvolle Gemälde zierten die Wände. Eldan trat an einen breiten Tresen aus teurem Holz und räusperte sich. Sofort trat eine schwarzhaarige Frau aus einer kleinen Kammer. Sie hatte Locken, wie es für die Moorbewohner üblich war, allerdings waren ihre Augen nicht so hell. Sie grüßte uns höflich, aber ihr abschätziger Blick, der über unsere dreckige Kleidung wanderte, sprach eine ganz andere Sprache.

"Sie wünschen ... Herr?"

"Ich wünsche den Herren des Hauses zu sprechen."

Sie rümpfte die Nase. "Das wird wohl kaum möglich sein. Herr Regis ist beschäftigt. Er hat keine Zeit für ... Euch!"

"Er wird Zeit für mich haben. Bitte geht zu ihm und nennt ihm den Namen Eldan."

"Ich fürchte, das kann ich nicht tun.", erwiderte sie hochnäsig.

Eldan lächelte und es war kein gutmütiges Lächeln. "Aber es wäre doch ziemlich abschreckend für ihre hochwohlgeborene Kundschaft, wenn ich und meine dreckigen Begleiter den ganzen Tag vor dem Gasthaus auf den Herrn Regis warten. Oder, noch schlimmer, wenn uns jemand vor dem Anwesen des Herrn Regis in der Schneidergasse sieht."

Die Frau schaute erschrocken auf. "Woher wisst ihr... Wie...?"

"Eldan, nennt ihm einfach den Namen Eldan."

Sie nickte knapp und verschwand auf einer schmalen Treppe. Wir warteten geduldig und schweigend im Saal, bis wir endlich wieder hastige Schritte auf der Treppe vernahmen. Ein hochgewachsener Moormensch trat mit ausgebreiteten Armen auf Eldan zu.

"Eldan, mein alter Freund! Du bist endlich wieder in der Stadt! Sag, was hast du mit Britta, meiner jungen Mitarbeiterin gemacht? Und wer begleitet dich hier? Ihr seht aus, als hättet ihr eine lange Reise hinter euch."

"Das haben wir Regis, das haben wir. Und die gute Frau mussten wir nur davon überzeugen, dich zu holen. Ich denke, dass sie sich gesträubt hat ist nur ein Zeichen ihrer Kompetenz."

"Ja kompetent, das ist sie. Nun denn, tretet ein. Katharine, wir brauchen ein gutes Mahl!"

Eine weitere Frau, rundlich und mit grauen Locken, trat aus einem der Säle zu unserer linken. Sie nickte, dann trat sie zur Treppe und rief nach Britta.

Regis führte uns in einen angrenzenden Saal. Hochwertige, teure Holztische standen an den Wänden. Ein junger Mann, vielleicht 17 Jahre alt, sprang auf und holte ein paar Stühle aus dem Nebenzimmer.

"Ich danke dir, Jonathan.", der Junge verschwand und Regis bot uns ein paar Stühle an. "Setzt euch, setzt euch. Und nun lieber Eldan erzählt mir, was ich für euch tun kann und wer eure Begleiter sind."

Eldan ließ sich Zeit. Er ließ den Blick über die prunkvolle Ausstattung des Esssaals und die teure Kleidung Regis wandern. "Wir sind nur auf der Durchreise, unser eigentliches Ziel ist Weyena. Wir brauchen bloß ein Bett für die Nacht und ein warmes Essen, allerdings ist das kurz vor der Utrias-Wende leichter gesagt als getan."

Regis nickte verstehend. "Ich biete euch gerne einige meiner Zimmer an, 2 oder 3 im Dachgeschoss sind noch leer und der Großteil meiner Kundschaft wird erst ein oder zwei Tage vor den Festlichkeiten anreisen. Und schließlich würde das alles hier ohne euch Eldan gar nicht existieren. Die schwarzhaarige Britta, die gerade mit ein paar Schüsseln Suppe zu uns trat, starrte Eldan überrascht an und wurde rot. Sie stellte die Schüsseln vor uns ab und eilte zurück in die Küche.

"Nun denn Eldan. Bitte stellt mir doch eure Begleiter vor. Sähe das junge Fräulein nicht so exotisch aus, würde ich sie für eure Tochter halten."

Eldan lachte, doch es klang nicht so ehrlich und warm wie sein Lachen gestern Abend.

"Oh, das sind Freunde, wandernde Händler, die zufällig durch unser Dorf kamen, da ich eh nach Weyena wollte, reisten wir zusammen weiter. Sie haben mir angeboten, ein paar meiner Waren aufdem Markt anzubieten und die letzten Tage in den Mooren haben uns zu guten Freunden gemacht, wenn ich das so sagen darf."

Ich blickte ihn fragend an. Warum erzählte er seinem Freund nicht die ganze Wahrheit? Doch er schüttelte nur den Kopf. "Das ist Mina aus Septim, einer Stadt der Feuermenschenstämme. Und das sind Tukiyan, Karthek und Rubeen, die eigentlichen Händler."

Regis nahm meine Hand und verbeugte sich. Unsicher neigte auch ich den Kopf. "Eine reizende Dame. Und die Namen Karthek, Rubeen, Tukiyan. Wirklich außergewöhnliche Namen, sehr südlich, beinahe Alael."

Ich verschluckte mich an der Suppe, als er Alael die Drachensprache nannte. Auch Tukiyan hob die Augenbrauen. Er kam mit menschlicher Mimik immer besser zurecht.

"Nun den Eldan, alter Freund, ich möchte euch nicht länger vom Essen abhalten. Ich kümmere mich um eure Zimmer.", er erhob sich und verließ den Raum.

"Warum habt ihr ihm nicht...", begann ich, doch sein Blick ließ mich verstummen. Er schüttelte noch einmal den Kopf, dann beugte er sich über seine Suppe. Nach einem Braten und einem süßem Dessert trat Regis wieder ein.

"Ihr habt den gesamten oberen Stock für euch Eldan. Soll ich euch begleiten?"

Eldan verneinte und Regis verabschiedete sich mit einer tiefen Verbeugung. Wir stiegen sie Treppe hinauf und je höher wir kamen, desto mulmiger wurde mir. Konnte so ein riesiges Haus stabil genug sein? Ganz oben angekommen betraten wir einen kurzen Flur, an den drei Zimmer mit je zwei Betten angrenzten. Doch bevor wir uns aufteilten, gingen wir alle in das vorderste Zimmer. Eldan schloss gewissenhaft die Tür und die Fenster, ehe er sich uns zuwandte.

"Ich vergaß es euch zu sagen: Kein Wort von den Ausgestoßenen zu den Einwohnern von Juneii! Die Bewohner der Moorlande haben sich lange und teils auch gewaltsam gegen die Regelungen betreffend der Ausgestoßenen gewehrt. Sie haben protestiert, weil sie die Ausgestoßenen-Lande nicht so nah bei sich haben wollten. Es ist wichtig, die Versammlung in Weyena zu informieren, aber wir müssen mit Diskretion vorgehen. Eure Nachricht vom Angriff der Ausgestoßenen könnte eine Massenpanik, eine unüberlegte Aktion auslösen."

Wir nickten. Das leuchtete ein. Eldan fuhr fort. "Wenn ich mit Sicherheit wüsste, dass Regis ein verschwiegener Mann ist, würde ich ihm alles erzählen, aber leider weiß ich, dass er gerade das Gegenteil davon ist. Er ist gutmütig und selbstlos, aber auf keinen Fall verschwiegen.", er lächelte und stand auf. "Genießt diese Nacht. Bis Weyena sind es noch einige Tage Wanderung und die Nächte werden wir höchstwahrscheinlich auch unter freiem Himmel verbringen."

Er verließ das Zimmer und ich lehnte mich zurück. Er hatte Recht. Wir sollten diesen Abend genießen.

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