Eramon
Das ist jetzt einfach mal ein kleiner Einschub in dem ich Sachen untergebracht habe, die mir schon ewig auf der Seele lagen. Ich hoffe das macht euch nichts aus.
LG. magicstarlight
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Eramon
1809 Jahr der Vereinigung, 526 Jahre vor Minas Geburt.
Die grünen Baumkronen des großen Waldes in Neliar rauschten gleichmäßig im Wind, als der Elfenjunge Eramon das Licht der Welt erblickte. Seine Mutter, eine bescheidene Magd am Hofe des Waldherren hatte bereits vor einigen Monaten ihr kleines Zimmer im Bedienstetenhaus des Herren gegen eine kleine Hütte tief im Wald eingetauscht. Seinen Vater, einen stolzen Edelmann wie die Mutter ihn immer beschrieb, hatte der Junge nie kennen gelernt. Und so wuchs das Kind bei seiner Mutter inmitten grüner Stille und Geborgenheit auf.
Im Alter von 5 Jahren begann sie ihn in allen Künsten zu lehren. Er erlernte die Schrift der Elfen, die Mathematik und die Sprache der Menschen. Seine Mutter erzählte ihm die Geschichten der Götter und brachte ihm bei, wie man musizierte. Nie zuvor hatte er andere Elfen getroffen oder andere Bäume gesehen, als diese die um die kleine Hütte herum standen und er war zufrieden so. Aber seine Mutter sah die unglaubliche Stärke und Inteligenz in ihrem Jungen Tag für Tag anwachsen und sie musste Vorkehrungen für seine Zukunft treffen. Bald begann sie ihn in elfischer Magie zu unterrichten, sie brachte ihm bei zu helfen und für ein vielleicht zwei Jahre konnte sie ihm noch neues erzählen. Dann war ihr Wissen aufgebraucht, aber der Wissensdurst ihres Sohnes noch lange nicht. Sie gab ihm Bücher in denen die Gedanken großer Wissenschaftler niedergeschrieben waren und er las eines nach dem anderen aus. Irgendwann war die junge Mutter an der Grenze ihrer Macht angekommen, sie konnte den Jungen nicht weiter fördern, doch sich von ihm zu trennen oder diesen einsamen Teil des Waldes zu verlassen kam für sie nicht in Frage. Und so entschied der Sohn mit neun Jahren selbst, was besser für ihn und wie er glaubte auch besser für seine Mutter wäre. In einer warmen Sommernacht lief der Junge, getrieben von kindlichem Übermut fort von dem Haus seiner Kindheit und als am nächsten Morgen seine Mutter aufwachte und ihn zu suchen begann, war er schon weit weit entfernt. Die Mutter aber kniete vor ihrer Hütte nieder und betete zu den Göttern, dass sie ihn beschützen mögen, denn ihr war klar gewesen, dass dies einmal hatte geschehen müssen.
Der kleine Eramon irrte unterdessen durch den Wald. Schon bald hatte er den Wahnsinn in seinem Vorhaben erkannt. Er war gerade einmal neun und auch wenn er mit seiner hohen Gestalt und den ernsten Augen bereits aussah wie ein Zwölfjähriger, so würde man ihn sicherlich nicht alleine durch die Wildniss laufen lassen, wenn man ihn fand. Also versteckte er sich fortan immer, wenn sein Weg sich mit dem anderer Elfen kreuzte. Wenn er die Stimmen oder Schritte hörte kletterte er hoch hinauf in die Baumkronen und hielt den Atem an, um unentdeckt zu bleiben. Beinahe ein Jahr lief der Junge so durch den Wald und sein einziger Lehrmeister war die Natur. Und auch wenn er viel von ihr hatte lernen können, so fehlte ihm doch die Gesellschaft anderer, so fehlte ihm seine Mutter.
Auch an diesem Morgen wachte er am Fuße eines Baumes gebettet in Moos auf und hörte Stimmen, die immer näher kamen. Er wich zurück zwischen die Bäume, darauf bedacht bloß kein Geräusch zu verursachen, doch es waren mehrere Wandersleute unterwegs und er konnte ihnen nicht ausweichen. Also ließ er seine Flügel aus seinen Schultern hervor brechen und flog nach oben, bis zu den Baumkronen, wo es zu eng zum Fliegen war. Dort griff er nah den Ästen und kletterte geschickt ins innere der Krone, hockte sich zwischen die Äste und richtete den Blick nach unten. Es waren anscheinend ganze Scharen an Wanderern unterwegs - oder waren es Händler? Ein großer rothaariger Elf breitete seltsame Instrumente auf dem Boden aus. Manches erkannte er, denn es war in den Büchern seiner Mutter beschrieben gewesen, anderes war ihm völlig fremd. Er erkannte einen silbernen Sternenstab, mit dem man die genaue Zeit anhand der Sterne erkennen konnte und ein hölzernes Blütenamulett, mit welchem man in Sekundenbruchteilen zu heiligen Orten reisen konnte. Nun zog der rothaarige etwas aus seinem Gewandt, das Eramon neugierig machte. Er war sich nicht ganz sicher, aber es ähnelte einem Gegenstand, der in einem Kapitel über dunkle Magie aufgeführt worden war. Ein Buch der Macht, ein schwarzes Buch, welches mit schweren Goldketten verschlossen werden musste... Dieses Buch war rot, aber die Goldketten passten perfekt auf die im Buch beschriebenen.
Vorsichtig schob er sich ein Stück weiter nach vorne, um einen besseren Blick auf den seltsamen Gegenstand zu haben. Da gab plötzlich ein Ast unter seiner Hand nach. Panisch griff er nach einem anderen Ast, aber seine Finger glitten an der glatten, kalten Rinde ab. Ein zweites Mal fuhr sein Blick zu dem seltsamen Buch, dann sprang er zurück zu dem Ast... Er war aus Metall. Im nächsten Moment gab auch noch das Geäst unter seinem Knie nach. Erschrocken strauchelte er zurück, als kräftige Arme ihn ergriffen und zurückzogen. Panisch versuchte er sich zu befreien und schlug um sich. Der Metall-Ast war eine Waffe, das hatte er nun verstanden.
Ein geflüstertes Fluchen entwich dem Fremden. Er drehte Eramon um, so dass der Junge das Gesicht des Fremden erkennen konnte und legte einen Finger auf die Lippen. Als der Junge nicht darauf einging, umklammerte der Fremde ihn noch fester und flüsterte ihm ins Ohr: „Wenn sie dich hören sind wir beide tot, also halt still verdammt.“
Eramon erstarrte in seiner Bewegung und der Fremde entspannte sich ein wenig. Die Männer unter dem Baum hatten nichts von dem Kampf über ihren Köpfen mitbekommen. Der rothaarige Elf breitete noch immer die seltsamen Gegenstände auf dem Boden aus. Nun beugten sich auch die anderen versammelten Elfen über die Güter. Der Fremde hinter Eramon beobachtete die Szene mit konzentriertem Blick und auch der Junge konnte seinen Blick nicht von den Instrumenten wenden. Bald verteilte der rothaarige die Instrumente an die Umstehenden und Geld wechselte die Besitzer. Ein Eulenschrei drang an Eramons Ohr und der Fremde erhob sich. Geduckt stand er auf dem Astwerk, welches ihn mühelos trug. Eramon drehte sich zu ihm um. „Bleib hier oben oder lauf' weg!“, flüsterte der Elf. „Aber pass' auf, dass du nicht in das Schwert von einem dieser Gauner läufst.“
Eramon nickte stumm und sah dem Fremden nach, als er lautlos den Baum hinab kletterte. Dann schaute er sich in dieser seltsamen Baumhöhle um. Die Äste waren auf eine kunstvolle Art zu Wänden verflochten. So etwas konnten nur Pflanzenmagier fertigstellen. An einer der Wände lehnte ein Langbogen aus hellem, kunstvoll verziertem Holz. Auch über diese Art von Waffen hatte er in seiner Kindheit viel gelesen. In der Theorie konnte er ein Ziel in 100 Fuß Entfernung treffen, allerdings hatte er noch nie in seinem Leben einen Bogen in der Hand gehalten.
Ein Schrei ließ ihn herum fahren. Zehn Männer, allesamt so gekleidet wie der Fremde der Eramon gerettet hatte, rannten mit erhobenen Schwertern auf die Lichtung. Den Schrei hatte einer der dort Versammelten ausgestoßen. Sofort zogen auch diese Elfen lange, gefährliche Waffen und der rothaarige Elf sammelte seine Ware zusammen. Für einen Moment schien es, als sei das Glück auf der Seite der Angreifer, doch dann hob der Rothaarige das Buch der Macht und legte die Hand auf die Ketten. Die Angreifer erstarrten. Eramon sah seinen Retter dem Rothaarigen am nächsten stehen.
„Waffen fallen lassen!“, rief der Elf mit dem Buch. Als nicht passierte schloss er die Hand um die goldenen Ketten. „Es ist mir ernst!“
Zögernd ließen die Angreifer ihre Waffen sinken. Gebannt starrte Eramon auf das Buch. Wenn er sich richtig erinnerte, konnte die ungebändigte Kraft dieser Bücher ganze Landstriche verwüsten. „So“, rief der Elf mit hämischer Stimme. „Ich werde jetzt gehen!“ Er ging langsam rückwärts, die Hand immer noch auf dem Buch. Dann erreichte er einen kleinen Elfen mit braunen Haaren und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Mit hochgezogenen Brauen zog der Elf das Blütenamulett und Eramons Augen weiteten sich, als er die Absicht des Mannes erkannte. Der Rothaarige wollte mit dem Blütenamulett verschwinden. Doch der Plan des Elfen war noch viel teuflischer, als Eramon dachte, denn nun schloss der Elf die Finger noch fester um die Ketten des Buches und ein diabolisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Er würde bereitwillig die Magie des Buches entfesseln und mit dem Amulett verschwinden.
Ein stummer Schrei kam über Eramons Lippen und mit zitternden Fingern packte er den Langbogen. Ohne den Blick von dem Rothaarigen zu wenden tastete er auf dem Boden nach einem Pfeil und legte an. Er schaffte es nur die Bogensehne zu spannen, weil er das ganze letzte Jahr lang auf Bäume geklettert war. Er rief sich alles ins Gedächntis, was er je über Bogenkunst gelesen hatte und richtete die Pfeilspitze auf den Elfen. Dann ließ er die Sehne los und der Pfeil sirrte durch die Luft direkt ins Herz des Rothaarigen. Der Elf riss erschrocken die Augen auf und das Buch fiel aus seinen Händen. Der Braunhaarige neben ihm drehte den Anhänger und beide verschwanden. Alle sowohl die Angreifer als auch die restlichen Elfen starrten in die Richtung aus der der Pfeil gekommen, doch Eramon wandte den Blick nicht von der Stelle ab, an der der Rothaarige verschwunden war. Er hatte den Elfen tief in die Brust getroffen... er hatte ihn getötet. Die Szene verschwamm vor seinen Augen, als ihm klar wurde, was er getan hatte. Alles was ihm seine Mutter immer beigebracht hatte war zu helfen. Nun hatte er ein Leben beendet. Er sank auf seine Knie. Die Angreifer wurden nun problemlos mit den restlichen Händlern fertig, aber der Elf, der Eramon gerettet hatte kletterte wieder den Baum hinauf. Er sah den kleinen blonden Jungen unbewegt dasitzen. Der dünne Junge zitterte, er trug kaum mehr als ein dünnes, löchriges Hemd und eine zu kurze Hose. Er nahm den Bogen aus den Händen des Kindes und trug ihn hinab. Eramon nahm es kaum wahr. Am Boden angelangt ignorierte der Fremde die fragenden Blicke der anderen und trug den Jungen zwischen den Bäumen hindurch zu einem braunen Pferd. Er hob den Jungen hinauf und zog sich dann hinter ihm auf den Sattel. Sein Verbündeten holten ebenfalls ihre Pferde, doch er ritt bereits voraus. Es war bereits dunkel, als sie am hohen Haus seines Herren ankamen. Er übergab das Pferd einem Dienstjungen und trug den Kleinen nach drinnen. Er brachte den Jungen in die Unterkunft der Krieger, legte ihn in sein eigenes Bett und ging dann mit den anderen Kriegern zu einer Besprechung mit dem Gutsherren.
Als er spät am Abend wieder kam, saß der Junge auf dem Bettrand und sah sich um. Er hockte sich vor ihm hin. „Wie heißt du?“
Der Junge wandte den Kopf und antwortete mit leiser Stimme: „Eramon.“
„Ich heiße Hatai.“, antwortete der Elf und lächelte. „Woher bist du dort am Baum so plötzlich gekommen?“, fragte er mit ruhiger Stimme.
„Aus dem Wald.“, murmelte der Junge und sah sich wieder im Raum um.
„Schon, aber wo wohnst du?“, fragte Hatai immer noch lächelnd. Er fragte sich, wie alt der Junge wohl war.
„Im Wald.“, antwortete Eramon ihm unbeirrt und deutete auf die Wand. „Aus was sind die Wände gemacht?“
„Aus Stein.“, antwortete Hatai verwirrt und musterte den Jungen besorgt. War er krank?
„Aber Stein hat keine solche Farbe.“, stellte der Kleine fest und richtete seine hellen Augen auf seinen Gegenüber.
„Sie wurden angemalt.“, sagte dieser und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht.
„Mit Farbe?“, fragte der Junge und Hatai nickte. „Hast du so etwas noch nie gesehen?“, fragte er vorsichtig. Eramon nickte und legte den Kopf schief. „Das Haus von meiner Mutter ist aus Holz...“
„Du wohnst also doch irgendwo?“, fragte Hatai hoffnungsvoll nach. Der Junge schüttelte den Kopf: „Ich finde den Weg nicht zurück, also wohne ich im Wald.“
„Und wie lange schon?“, fragte der Elf vorsichtig und langsam verstand er die Situation des Jungen.
Dieser zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht... lange.“ Hatai lehnte den Kopf gegen den Bettpfosten und betrachtete den Jungen. „Und wie alt warst du, als du noch zu Hause gewohnt hast?“
Der Junge schloss nachdenklich. „Ich bin 9 Jahre alt geworden, als die Blüten der... Das ist es, ich weiß wie lange ich nicht mehr zu Hause bin!“, rief der Junge aufgeregt und richtete sich auf. „Die Nira-Blüte hat einmal geblüht, seit ich nicht mehr bei meiner Mutter gewesen bin und immer wenn die Nira blüht, werde ich ein Jahr älter! Ich bin 10 Jahre alt.“, er lächelte glücklich.
Hatai hob erstaunt die Augenbrauen. „Für einen Zehnjährigen konntest du sehr gut mit dem Bogen umgehen...“
Das Lächeln verschwand von Eramons Gesicht. „Ich hab davon gelesen.“, flüsterte er leise. Tränen traten in seine Augen und er murmelte heiser: „Ich wollte ihn nicht töten!“
Hatai sah dem Jungen in die Augen. „Du hast unser aller Leben gerettet, das weißt du, oder?“
Der Junge schüttelte den Kopf. „Ich bin ein Mörder!“
Hatai schüttelte den Kopf und nahm das Gesicht Eramons in seine Hände: „Ein Leben verloren und mehr als 11 Leben gerettet. Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen!“ Er wischte dem Jungen die Tränen weg. „Schlaf weiter. Morgen schauen wir, ob der Hausherr Lamith dir Arbeit in den Pferdestellen gibt. Dann kannst du hier bleiben.“ Der Junge nickte. „Und wo schläfst du?“
Hatai zuckte mit den Schultern. „Einige von uns sind noch unterwegs. Hier gibt es eigentlich immer ein paar freie Betten.“ Damit verließ er den Raum und Eramon legte sich wieder in das Bett. Wenige Minuten später schlief er wieder tief.
Am nächsten Morgen wurde er von Hatai geweckt. Er hatte ihm ein paar einfache Sachen mitgebracht. Nachdem Eramon sich umgezogen hatte ging er mit Hatai direkt ins Herrenhaus. Staunend betrachtete der Kleine die kunstvolle Architektur des Hauses. Alles war größer, bunter und massiver als alles, was er je zuvor gesehen hatte. Vor der Tür zum Herrensaal hielten sie inne und Hatai wechselte ein paar Worte mit einem der Bediensteten. Dieser öffnete die schwere Holztür und sie betraten den Saal. Dort drinnen warteten noch mindestens ein Dutzend anderer Leute mit ihren Anliegen. Sie setzten sich geduldig auf ein paar Stühle an der Wand des Saals, auch wenn Eramon viel lieber etwas gegessen hätte. Doch seine Mutter hatte ihn immer Geduld und Höflichkeit gelehrt, also blieb er brav sitzen und schaute zu, wie die Elfen ihre Anliegen einem großen, blonden Elfen vortrugen. Er nahm sich Zeit für alle und er schien gerecht zu urteilen. Doch ein Fall schien in besonders zu beschäftigen und auch wenn der Junge darauf bedacht war, bloß nicht zu lauschen, bekam er doch mit, worum es ging. Es ging um das seltsame Buch der Macht, welches dem Rothaarigen gehört hatte. Er und einer der Krieger saßen nun schon seit fast einer halben Stunde über das rote Buch gebeugt und rätselten über dessen Bedeutung. Frustriert lehnte der Gutsherr sich nun zurück und wischte sich die widerspenstigen Haare aus dem Gesicht. „Weiß denn keiner eine Antwort?“, rief er niedergeschlagen.
„Wenn ihr eine Frage nennen würdet?“, antwortete Hatai und erhob sich. Der Gutherr Lamith erhob sich ebenfalls, nahm das Buch und zeigte es Hatai. „Dieses Buch.“, sagte er mit etwas ruhigerer Stimme. „Trägt eine unglaubliche Macht in sich, aber es ist kein gewöhnliches Buch der Macht. Die Frage ist: Was ist es dann?“
Unauffällig beugte sich Eramon vor und betrachtete das Buch genauer. Nun, wo er es bei hellem Licht und aus dieser Nähe sah, konnte er dunkelrote Schriftzeichen darauf erkennen. Es war die Schrift der Magier. Er hatte früher einige Zeichen dieser Schrift gelernt, um ein Buch zu entziffern, welches von Magiern verfasst worden war.
„Blut ist Macht, denn es bedeutet Leben und Leben bedeutet Macht. Macht über Leben, Macht über Blut. Kontrolle und Kraft und Geschicklichkeit und Macht.“, murmelte er leise, die Zeichen ergaben keine Sätze.
„Was sagst du da?“, fragte Lamith und schaute ihn misstrauisch an. Eramon blickte zu ihm auf. „Das steht dort, Herr, auf dem Bucheinband, aber die Worte ergeben keinen richtigen Sinn.“
„Doch, doch rief der Elf aufgeregt. Lese weiter Junge!“ Stirnrunzelnd beugte sich Eramon über das Buch und versuchte die nächsten Zeichen zu verstehen. Sie wurden immer krakeliger und hier und dort zierten unheilvolle dunkelrote Flecken den Einband. „Ich kann nicht alles erkennen... ein Buch mit Macht und Blut … Würde dem Besitzer und … kein Leben ohne Tod und keine Magie ohne Blut und Leben und Tod … Beschwörung der Magie … unvorstellbar … stärker als die Götter.“, er schaute auf. „Weiter kann ich nicht lesen, die Schrift wurde immer unleserlicher, Herr.“
Doch Lamith schienen diese Wort mehr gebracht zu haben. Er richtete sich auf. „Diese Worte sind Teil einer Beschwörung, die normalerweise über wertvolle Schmuckstücke wird. Nur sehr wenige Leute führen eine solche Beschwörung aus und noch weniger beenden sie.“
„Warum?“, fragte Eramon neugierig.
„Weil der Ausführende während der Beschwörung Stück für Stück stirbt, er verblutet förmlich...“, er räusperte sich. „Wenn dies vor der Beschwörung ein Buch der Macht war, so ist es jetzt die furchtbarste Waffe überhaupt! Auf ihr liegen ungeahnte Kräfte!“, er wandte sich zu seinen ursprünglichen Gesprächspartnern um. „Ihr sagtet gestern Abend, ein Junge hätte uns vor dieser Katastrophe bewahrt...“, er hielt inne und drehte sich wieder zu Eramon und Hatai um. „Du, hast Eminiel mit dem Pfeil getroffen oder?“
Eramon schluckte und versuchte sich unter Kontrolle zu halten. „Wenn Eminiel der Rothaarige war, dann ja, Herr... ich wollte ihn nicht in die Brust treffen.“, flüsterte er leise.
Lamith schüttelte den Kopf. „Es ist unglaublich, dass du ihn überhaupt aus der Entfernung und mit einem so großen Bogen getroffen hast. Wie alt bis du Junge?“
„10 Jahre alt bin ich, Herr.“, sagte Eramon und trat nervös von einem Bein aufs andere, denn mittlerweile waren alle Blicke auf ihn gerichtet.
„Zehn? Das ist wahrlich jung. Und wo hast du es gelernt, derart mit dem Bogen umzugehen?“, fragte der Gutsherr erstaunt.
„Ich habe davon gelesen, in Büchern meiner Mutter.“ Der Gedanke an seine Mutter ließ alte Schuldgefühle in dem Jungen heranwachsen.
„Unglaublich.“, murmelte Lamith. „Allein durch das Lesen dieser Bücher hast deine Fähigkeiten erworben?“ Eramon nickte schüchtern. „Ich denke es war auch eine Menge Glück dabei.“, sagte er leise.
„Und eine Menge erstaunliches Talent.“, stellte der Elf lächelnd fest und wandte sich an Hatai. „Und mit welchem Anliegen seid ihr zur mir gekommen, Hatai?“
Hatai richtet sich auf. „Es geht um diesen Jungen, Eramon ist sein Name. Er hat kein wirkliches Zuhause, deshalb dachte ich, erkönnte vielleicht auf Eurem Gut unterkommen, Herr, und vielleicht in den Pferdestellen arbeiten.“
Lamith lachte laut auf. „In den Pferdestellen, mein lieber Hatai, wo denkt ihr hin. Ich habe wahrlich genug Knechte und Pferdejungen.“ Eramon senkte den Blick. Das hieß wohl, er musste zurück in den Wald und in die Einsamkeit. Lamith betrachtete den Jungen eingehend. „So ein heller Kopf wie er, wäre mir eher als Schüler nützlich. Man bekommt selten solche Talente zusehen und noch seltener bekommt man die Chance, ein solches Talent auszubilden. Ich werde ihn bestimmt nicht zwischen Vierbeinern und Heu verkommen lassen.“
Eramon schaute auf und der Elf lächelte gütig. „Möchtest du Eramon mein Schüler werden.“
Der Kleine nickte stumm, immer noch überwältigt und Lamith lachte wieder.
Von da an wurde Eramon von Lamith in vielen hohen Künsten ausgebildet. Eramon lernte schnell und wurde einer der engsten Vertrauten Lamith' . Er erlernte alle Künste, auch den Kampf mit Waffen, doch er lernte nie zu töten. Seine Abneigung dem Tod gegenüber ging so weit, dass er nicht einmal Tiere tötete und den Verzehr von Fleisch vehement ablehnte. Trotz oder gerade wegen dieser seltsamen Angewohnheit nahm Lamith den vierzehnjährigen Eramon im Jahr 1814 der Vereinigung mit zum größten Friedenstreffen der damaligen Zeit. Es fand in Weyena statt.
Als Eramon an diesem Morgen erwachte, fiel im zuerst auf, dass er sich nicht in seinem gewohnten Zimmer in Lamith Haus befand. Er brauchte einige Zeit, um sich an ihre Reise nach Weyena zu erinnern. Verschlafen schaute er aus dem Fenster. Die Sonne stand schon hoch am Himmel. Erschrocken sprang der Junge aus dem Bett und zog sich hastig um. Bereits in wenigen Stunden würde das Friedenstreffen beginnen.
Er eilte die Treppe hinunter und blieb in der Tür zum Ess-Saal wie angewurzelt stehen. An dem langen Esstisch saßen außer Lamith auch noch vier andere Männer, die eindeutig hohe Ränge in ihren Völkern bekleideten. Rechts von Lamith saßen zwei Menschenmänner und links von ihm ein Wassermensch und eine Feuerelfe. Ich wurde rot, denn alle Blicke waren auf mich gerichtet.
„Wenn ich vorstellen darf, mein junger Schüler Eramon. Er hat uns damals bei dem Vorfall mit dem Blutbuch wahrscheinlich vor einer Katastrophe gerettet. Geistig ist er ein Wunder, aber Pünktlichkeit ist nicht seine Stärke.“ Eramons Gesicht hatte mittlerweile eine tiefrote Farbe angenommen. Lamith lächelte. „Setz' dich doch Junge und iss mit uns.“
Eramon senkte den Blick und setzte sich auf den Platz seinem Lehrmeister gegenüber. Dieser begann wieder zu sprechen. „Wo waren wir, bevor uns Eramon mit seinem Erscheinen so amüsiert hat … ach ja dieser Herr, Isild ist sein Name, hat uns angeboten, dass er uns gleich ein wenig die Stadt zeigen wird, bevor wir zu dem Treffen gehen. Nun... um dir auch die anderen Vorzustellen, dieser Herr neben Isild heißt Gridal.“, er deutete auf den zweiten Menschen. „Dieser Herr dort ist Kaori, ein Priester und Seher aus Waleenia und diese reizende Dame“, er deutete auf die Feuerelfe „ist Anechwe, eine Gesandte von Ku-Enefk.“
Mit immer noch hochrotem Kopf nickte Eramon allen Genannten der Reihe nach zu und griff sich dann eine Schüssel und etwas Brot. Während er aß unterhielten sich sein Meister und seine Gäste weiter über politische Themen, doch Eramon hörte nur mit halbem Ohr zu. Als er schließlich fertig war, erhob sich Lamith und lächelte in die Runde. „Nun denn, lasst uns losgehen, bevor wir zu unserer Pflicht gerufen werden.“
Sie verließen das Haus und traten hinaus auf eine der strahlenförmig verlaufenden Straßen, die sich wie die Zacken eines Sterns vom Marktplatz bis zur Ringstraße zogen. Isild ging mit ihnen zuerst die Ringstraße ab, um ihnen die kunstvoll verzierten Tore Weyenas zu zeigen, dann ging er den anderen voran auf einer der Strahlenstraße zum Marktplatz. Das rege Treiben der Händler und Käufer aus allen Nationen beeindruckte Eramon sehr. Zwar war auf dem Gutshof eine Menge Betrieb und viele gingen aus und ein, aber es war nicht zu vergleichen mit diesem Markt. Isild führte uns am Rande des Marktes entlang und Eramon konnte seinen Blick nicht von der riesigen Kathedrale abwenden, die über alledem aufragte. Dann bahnten sie sich ihren Weg durch die Händlerscharen zur Kathedrale hin. Über eine schmale Brücke gelangten sie auf den prunkvollen Vorhof der Kathedrale, wo sie von Wachen kontrolliert wurden, ehe sie durch einen steinernen Türbogen ins kühle Innere der Kathedrale traten. Auch hier schien sich Isild problemlos orientieren zu können, Eramon hingegen erschienen alle Gänge gleich. Nach einiger Zeit traten sie wieder nach draußen auf den Innenhof des Gebäudes. Hier befand sich das eigentliche Herzstück der Stadt, ein steinernes Denkmal in Form eines riesigen Pfeils, auf dessen Spitze ein Adler hockte. Neugierig traten sie näher. Auch Eramon sein Interesse nur schwer verbergen. Staunend trat er näher an das Denkmal heran. Auf einer Metallplatte unter dem Denkmal waren Worte eingraviert. Vorsichtig schob der Junge ein paar Blätter beiseite, um die Schrift besser entziffern zu können. Wer als Mensch alle Pfade gegangen ist, der sieht die große Macht der Menschheit.
Er runzelte die Stirn und versuchte hinter den Sinn dieser Worte zukommen, als Lamith ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Lasst uns zu Ehren der Götter auch vor dem Denkmal des Menschengottes niederknien Junge.“
Eramon nickte und trat wieder zu den anderen. Sein Meister kniete nieder und er tat es ihm nach, so wie er es auch schon unzählige Male vor dem heiligen Baum in Neliar gemacht hatte.
Ein seltsames Rauschen umfing ihn. Er öffnete die Augen und fand sich in einem seltsamen Raum wieder. Seine Begleiter waren verschwunden, er war eingehüllt von weißem Licht. Er schwebte oder glaubte zumindest zu schweben, denn in diesem Raum gab es weder Oben noch Unten. Das grelle Licht brannte in seinen Augen, aber er konnte sie nicht davor verschließen.
„Eramon!“, flüsterte eine Stimme hinter ihm und dann wieder: „Eramon!“ Er wollte sich umdrehen, aber noch immer war er vollkommen bewegungsunfähig. Nun wiederholten auch andere Stimmen seinen Namen. „Eramon! Eramon!“ Sie wurden immer lauter, bis ihre Rufe zu einem Dröhnen in seinen Ohren wurde. Gerade als er dachte, dass er es nicht länger aushalten konnte verstummten die Rufe und ein stechender Schmerz schoss durch seine Schläfe. Er presste seine Hand auf die Stelle – und spürte plötzlich den kalten Steinboden unter sich. Er hörte wieder Stimmen, doch es waren vertraute Stimmen. Sein Meister hockte neben ihm und versuchte ihn an zusprechen. Langsam richtete Eramon sich auf. Der stechende Schmerz wich einem unangenehmen Pochen. Vorsichtig löste er die Hand von der Stelle. Lamith keuchte überrascht auf.
„Was bei der Göttin ist das?“, fragte er hin und her gerissen zwischen Faszination und Entsetzen. Kaori, der Priester der Wassermenschen trat zu ihm und betrachtete das seltsame Mal an der Schläfe des Jungen. Er strich sich über das lange dunkle Haar. „Ist das möglich...“
„Was?“, wandte sich Lamith zu ihm um. „Was ist das für ein Zeichen?“
„Was für ein Zeichen?“, fragte Eramon erschrocken und richtete sich auf. Sein Lehrmeister legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „An deiner Schläfe befindet sich ein Mal in der Form eines Adlers.“ Die Augen des Jungen weiteten sich. Lamith wandte sich wieder dem Wassermenschen zu. Dieser überlegte noch eine Weile, dann wandte er sich an einen der beiden Menschen: „Bitte Herr, geht hinein in die Klosterhallen und schickt nach Priester Makoto. Man wird euch sagen, dass er beschäftigt ist, aber ihr müsst ihnen sagen, dass es um die Prophezeiung geht, die vor 80 Jahren gemacht wurde. Sagt ihm, es geht um die Gotteskinder-Prophezeiung.“, der Mann hob die Augenbrauen, aber er drehte sich um und eilte zurück in die Kathedrale.
Lamith drehte sich wieder zu Kaori um. „Von welcher Prophezeiung sprecht ihr?“ Der Wassermensch winkte ab. „Gleich werdet ihr alles erfahren... es geht um eine Prophezeiung die vor mehr als 80 Jahren ausgesprochen wurde. Wir nahmen sie nicht sonderlich ernst. Vor mehreren hundert Jahren empfing Makoto noch viele Prophezeiungen doch er wurde alt und so schwanden seine Fähigkeiten. Damals glaubte kaum einer seinen Worten.“
Ungeduldig warteten sie ab. Eramon lehnte immer noch am Denkmal, als der Mann gefolgt von einem gebeugten alten Wassermenschen. Sein langes weißes Haar hing ihm strähnig über seine Schultern. Als er Eramon erblickte humpelte er mit einer, für einen Mann seines Alters sehr erstaunlichen Geschwindigkeit auf den Jungen zu. Er packte ihn am Kinn und drehte seinen Kopf. Mit der freien Hand strich er ihm das wilde Haar von der Schläfe und sog erstaunt die Luft ein. „Junge“, sagte er mit zittriger Stimme. „Du bist der Beweis für meine Prophezeiung, du bist das Kind von Utrias!“
„Aber er ist ein Elf.“, flüsterte Anechwe, die junge Feuerelfe, doch der Waleen zuckte nur mit den Schultern. „Wenn ihr Beweise wollt, dann schaut her.“
Er ließ Eramons Gesicht los. „Schließ die Augen, Junge.“ Widerwillig tat Eramon, was der Alte verlangte. „So und nun suche in dir nach Dingen, die neu in dir sind.“
Der Junge runzelte die Stirn, doch auch jetzt tat er wie geheißen. Und tatsächlich, da war viel in ihm, was neu war. Er nickte und der alte sprach weiter. „Und jetzt geh in eines dieser Dinge hinein. Stell sie dir wie Blasen vor, in die du hinein kannst.“
Eramon zögerte kurz, dann trat er direkt in eine der Blasen hinein und ein seltsames Gefühl erfüllte seinen Körper. Er wuchs und sein ganzer Körper veränderte seine Form. Sein Haar wuchs mit seinem Rücken zusammen und glänzend grüne Schuppen bedeckten seinen Leib. Ein überraschter Aufschrei drang an seine Ohren und er hörte ihn vollkommen klar. Noch nie hatte er so gut hören können. Langsam öffnete er die Augen und wieder drang eine ungewohnte Menge an Reizen auf ihn ein. Er sah alles unglaublich scharf und genau. Tief unter ihm standen die anderen. Ein krächzendes Lachen kam über die Lippen des Alten. „Herzlichen Glückwunsch Junge, du bist ganz eindeutig der Sohn eines Gottes. Du bist Utrias Sohn.“
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