Die Reise zum großen See
Mina legte deprimiert das Buch zur Seite. Allein das Lesen lernen hatte sie schon viel Konzentration gekostet, aber das Erlernen der Magiekontrolle war reinste Folter für sie. Avredon hatte ihr zwar versichert, sie sei für ihr Alter schon ungewöhnlich gut, aber sie war unzufrieden. Ihre Illusionen waren höchstens für einen normalen Menschen glaubwürdig. Doch das reichte ihr persönlich nicht. Denn sobald sie sich in einen Drachen verwandelte, erkannten ihr scharfen Augen sofort tausend Details die ihre Illusionen wie lächerliche Zeichnungen einer sechsjährigen aussehen ließen.
Sie stand auf. Wenn sie sich so festgefahren hatte, brauchte sie meistens eine Pause. Sie verließ die Höhle und trat ins Sonnenlicht.
Sie war sehr gewachsen und ihre kindlichen Züge, das runde Gesicht und die großen Augen, waren einem schmalen, edlen Gesicht gewichen. Sie hatte ihr dunkles Haar im Nacken gebunden und auch sonst war sie eher streng gekleidet. Ihr Kleid war schlicht und bodenlang, ihre Bewegungen wie die einer Katze. Sie griff in ihren Gedanken nach ihrer Verwandlungskraft. Dies war mittlerweile keine Anstrengung mehr für sie. Ihr Körper wuchs. Ihre Haare verwuchsen mit ihrem Rücken, das Kleid wurde zu einer Art zweiten Haut und wurde mit silbernen Schuppen bedeckt. Aus ihren Schultern sprossen Flügel und auf ihrer Stirn wuchsen drei große Hörner. Sie erhob sich mit wenigen Flügelschlägen in die Luft, kurz darauf schwebte sie in weitläufigen Kreisen über Inur-Entora.
Nur wenige Drachen blickten zu ihr herauf. Nicht weit entfernt sah sie auch zwei weitere Jungdrachen. Sie stieß zu ihnen herab. Rubeen und Karthek glichen einander wie ein Ei dem anderen. Beide waren gleichgroß und hellgrün. Eine schöne Farbe, für zwei kräftige junge Kämpfer wie sie.
„Wieso lernst du nicht?“, fragte Karthek mit gekünstelt vorwurfsvoller Stimme.
Mina stieß ihn spielerisch nach hinten. Es hatte wenig Wirkung, die Zwillinge waren um einiges größer als sie.
„Warum hörst du dir nicht die endlosen Reden über Krieg und Gerechtigkeit von Kartanan an?“
Sie schauderte bei dem Gedanken an Tukiyans unfreundlichen Vater.
„Das ist etwas anderes. Auf dir lastet die Verantwortung unseres Volkes.“, verteidigte er sich mit feierlicher Stimme.
Nun stieg auch Rubeen in das Spiel ein.
„Genau, du bist die Trägerin und es wird deine Aufgabe sein, unser Volk endlich wirklich mit den anderen Reichen zu vereinigen!“
Mina war erstaunt, wie fehlerfrei er dieses Zitat von Avredon wiedergab, sie hatte es ihm nur ein oder zwei mal vorgesagt.
„Meiner Meinung nach, kannst du auf die Magier verzichten.“, flüsterte er ihr verschwörerisch zu. Sie schnaubte auf, was eine kleine Rauchwolke zur Folge hatte.
Karthek wollte gerade wieder einsteigen, wahrscheinlich um ebenfalls ein Zitat los zulassen, als Avredon kräftige Stimme über den Berg halte. Mina zog demonstrativ den Kopf ein und erhob sich wieder in die Luft. Karthek kicherte leise.
Mina landete direkt vor der Höhle, bereit sich Avredons Tadel einzufangen. Doch dieser schaute sie nur streng an, drehte sich um und lief Richtung Königssaal. Verdutzt folgte sie ihm. Dort angekommen sah sie, dass einiger hoher Besuch dort drinnen wartete. Tekmea, die Trägerin der Feuerelfen aus Ku-Enefk und an ihrer Seite: Fero. Er zwinkert ihr zu, dann wandte er sich wieder mit ernstem Gesicht Meladon zu.
Tekmea wandte das Wort nun an Meladon.
„Der Grund, weswegen wir hier sind, Meladon ist, dass bald in Weyena das große Ratstreffen stattfindet. Bis jetzt weiß niemand von eurer Trägerin.“, sie blickte kurz zu Mina. „Und deswegen wird auch sie Teil der Verhandlungen sein.“ Meladon brummte. „Seit wann interessiert es sie, wann uns ein Träger geschickt wird?“
Tekmea zuckte mit den Schultern. „Im Schreiben Eramons stand etwas von einer Prophezeiung aus den Tempeln Wuleeniens. Nun soll ich von Minas Existenz berichten?“
Meladon lachte dröhnend. „Wieso solltet ihr noch für uns Bericht erstatten müssen? Wie haben doch nun unsere Trägerin!“ Er warf Mina einen warmen Blick zu.
Der Gedanke schien Tekmea zu missfallen.
„Denkt ihr sie ist soweit?“
„Natürlich ist sie das. Wir werden ihr ein paar Drachen als Berater und, … nun ja“, er kicherte. „Und als Beschützer mitschicken und dann wird sich euer Rat in Weyena ordentlich wundern.“
Er lachte wieder. „Wann ist dieses Treffen?“
Tekmea presste die Lippen aufeinander und sagte nichts. Man konnte ihr deutlich ansehen, dass sie Mina noch nicht für weit genug hielt. Fero antwortete an ihrer Stelle.
„Am 25. Tag des Utrias, zum Tag der Gottesgeschwister, also in 60 Tagen.“
Tekmea nickte knapp und drehte sich um. Als sie an Mina vorbei kam flüsterte sie: „Überlegt euch das genau, Mina.“
Dann war sie verschwunden. Meladon lachte und schickte Mina und Fero hinaus. Gewiss wollte er gemeinsam mit Avredon Pläne für ihre bevorstehende Reise schmieden.
Langsam traten sie auf den Marktplatz hinaus. Wortlos liefen sie nebeneinander her, während sie den Königsberg hinabstiegen. Alles sah aus wie an jenem Abend vor etwa 3 Jahren. Am darauf folgenden Morgen hatte sie dann die vollen Ausmaße des Drachenreiches zu Gesicht bekommen. Das erste was ihr damals wie heute ins Auge fiel, war eine große, silbern leuchtende Statue eines riesigen Drachens, die auf dem höchsten der glitzernden Gipfel des Paluween-Gebirges stand. Das war, wie Avredon ihr damals erklärte, ein Abbild ihres Vater Jeorelan, als er als Drache nach Area kam, um seinem Volk in der großen Schlacht von Kia zur Seite zu stehen. Damals herrschte noch Zwiespalt zwischen den Nationen. Die Wüstenmagier hatten nordöstliche Bereiche von Ku-Enefk erobert und versuchten nun die Weststadt der Drachen, Kia zu erobern. Man sagte, seit dieser Schlacht wären die Drachen und die Magier für immer zerstritten. Damals hatten die Magier mithilfe einer List alle Drachenoberhäupter der vergiftet. Daraufhin war Jeorelan erschienen und hatte sie aus Area vertrieben, indem er in Sekunden das Paluween-Gebirge erschaffen hatte. Danach war er wieder verschwunden. Die Magier fanden, dass der Drachengott nicht hätte handeln sollen. Die Orakel sagten, dass es deswegen viel Streit unter den Göttern gab.
Weitere Kriege zwischen Drachen und Magiern folgten und als sich die sieben Nationen zu einem Bündnis zusammenschlossen, blieben die Fronten zwischen Magiern und Drachen verhärtet. Bei Abstimmungen waren sie grundsätzlich gegen die Meinung des jeweils anderen. Doch durch die Gabe der Magier, je einem Wesen aus einem anderen Volk magische Kraft zu schenken, hegten viele Vertreter der anderen Nationen mehr Sympathie den Magiern gegenüber und einzig das Volk der Feuerelfen blieb den Drachen, nachdem Jeorelan Ku-Enfek's Osten von den Magiern befreit hatte, ausnahmslos treu. Nachdem die Magier eine weitere Abstimmung für die Verbannung von Straftätern in die Nähe Areas gewannen, gaben die Drachen bekannt, dass sie die Versammlungen nicht mehr besuchen würden. Das war vor mehr als 300 Jahren gewesen. Seit dieser Versammlung erfuhren die Drachen alle wichtigen Informationen über die Feuerelfen, die die Versammlungen weiterhin besuchten und falls sie dem Rat wichtige Informationen mitteilen wollten, taten sie auch dies durch die Feuerelfen. Avredon selbst missfiel die Feindschaft der beiden Völker, da doch ihre Götter sogar Zwillingsgötter waren und beide Völker unbestritten die mächtigsten Nationen des Bündnisses waren. Vielleicht fand er ihre Feindschaft auch so schrecklich, weil ihm selbst eine Wüstenmagierin Magiekontrolle geschenkt hatte, als er ein junger Drache gewesen war und sie aus einem der Sümpfe von Tanerm gerettet hatte, als sie zu versinken drohte und selbst zu geschwächt war, um Magie anzuwenden. Damit war er nun auch der letzte Drachenmagier gewesen, bevor Mina kam. Er selbst war etwa 3400 Jahre alt und alle anderen Drachenmagier, die durch die seltenen Bündnisse und Freundschaften zwischen Drachen und Magiern vor dem Austritt aus dem Rat ihre Kräfte erlangt hatten, waren bereits verstorben. Der letzte war Tjoavon gewesen und er war vor 150 Jahren im Alter von knapp 4000 Jahren in Kia verstorben. Avredon erzählte immer heldenhafte Geschichten von ihm. Tatsächlich schienen aber nur wenige Drachen die Drachenmagier zu schätzen. Tukiyan wollte nicht viel mit Avredon zu tun haben, obwohl Byna und Mina ihn sehr oft drängten netter zu dem Drachen zu sein, der neben dem alten Daldoevar einer der ältesten Drachen von Area war.
Sie hatten den Fuß des Berges erreicht.
„Meine Mutter hat bestimmt ihre Gründe, wenn sie dich nicht nach Weyena schicken will.“, brach es plötzlich aus Fero hervor. „Sie traut dir eine Menge zu, aber wenn sie so zögert, sollte man sich Sorgen machen. Du solltest hier bleiben und warten.“
„Ich schätze deine Mutter - und natürlich auch dich und deine Ansichten, aber wie Meladon richtig gesagt hat, bin ich die Trägerin der Drachen. Es ist meine Aufgabe und auch wenn ich selber ein Bisschen Respekt davor hab, werde ich da hingehen. Ich werde Tukiyan mitnehmen und er wird aufpassen, dass ich nichts Falsches sage und dann komme ich zurück.“, es verwunderte sie, dass auch er sich Sorgen zu machen schien. „Es tut mir Leid, aber ich sehe keinen Grund; tatsächliche habt ihr uns keinen Grund genannt; weshalb ihr mir das nicht zutraut. Ich will dir und auch deiner Mutter nicht vorwerfen, aber ich weiß nicht...“
Er schüttelte den Kopf: „Ich auch nicht, aber meine Mutter. Ich sehe sie selten und...“, er stockte, wurde rot und wandte den Kopf ab. „Ich rede nicht viel mit ihr und ich wurde von anderen Elfen aufgezogen und ich liebe viele von ihnen wie eine richtige Mutter. Aber was ich sagen will ist, dass ich weiß, wann meine Mutter sich wirklich Sorgen macht und sie ist erfahren genug, um solche Dinge abzuwägen.“
„Das ist Meladon auch.“, warf Mina ein.
„Schon, aber ich denke, manchmal handelt er ein Bisschen vorschnell und ...“- „Willst du damit sagen, er ist in dieser Hinsicht nicht zurechnungsfähig?“
Sie starrte ihn einen Moment lang fassungslos an, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte die Stufen hinauf.
Mina:
Als Fero Anstalten machte, mir zu folgen ließ ich den Drachen in mir heraus und erhob mich in die Luft. Ich flog ohne einen Blick zurück zu werfen über die Stadtmauern hinaus. Das war verboten, doch es gab in ganz Area keine anderen silbernen Drachen, also vertraute ich darauf, das niemand mich angreifen würde. Ich erwartete fast, dass Fero mir hinterher flog, doch er hielt sich an die Gesetze. Erstaunt merkte ich, dass mich das noch wütender stimmte. Ich flog weiter, ich konnte Inur-Entora schon lang nicht mehr hinter mir sehen, doch ich hatte keine Angst. Ich flog recht tief und später würde ich einfach höher fliegen, dann hätte ich die Stadt schon wieder im Blick. Unter mir erstreckte sich ein Meer aus Bergen, allesamt aus kahlem, glänzendem Sangniva. Ich sah mich selbst in ihnen, die Flügel weit ausgebreitet und die braunen Augen vor der langsam untergehenden Sonne verengt. Ich sah mich tausend mal, in jeder Bergwand aufs neue, immer ein Bisschen verändert. Die Dunkelheit kroch langsam aus den Tälern tief unter mir, immer höher, auf den Himmel zu, der vom Sonnenuntergang der vierten Sonne Yriske immer noch blutrot leuchtete.
Ich wendete. Ich würde mir schon so einen strengen Blick und einen Tadel von Avredon einfangen.
20 Tag der Vizia
Die letzten Tage waren lang und stressig gewesen. Man hatte Mina auf ihre Reise vorbereitet. Avredon hatte weiter Illusionen mit ihr geübt, damit sie Tukiyan in einen Menschen verwandeln konnte, jedenfalls äußerlich. Tukiyan war unterdessen meisten zusammen mit Meladon im hinteren Teil der Königshöhle. Dort befand sich, filigran in den Stein gearbeitet, eine riesige Karte, die die ganze Wand ausfüllte und die Vereinigten Länder zeigte.
Mina war aufgeregt, zum einen auf die Reise zum anderen auf das Treffen mit den anderen Oldiin.
Um sie auf dieses vorzubereiten, hatte Avredon stundenlang Geschichten von den anderen Oldiin erzählt. Nachdem sie von den großen Heldentaten dieser Männer und Frauen gehört hatte, legte sich ihre Aufregung nicht gerade.
Rubeen und Karthek versuchten ihr Möglichstes um sie abzulenken. Zu Minas großer Freude, würden auch die beiden Brüder sie begleiten, nur für den Fall eines Falles, wie Meladon betonte.
Heute würden sie endlich los reisen. Sie hatten entschieden, Mina anonym zur Versammlung in Weyena zu schleusen. Das hieß, sie würde um Tukiyan, Karthek und Rubeen während der ganzen Reise Illusionen aufrecht erhalten müssen und diese Reise würde mindestens 30 Tage dauern.
Der Morgen begann kalt und klar. Es war der 20. Tag der Vizia und die Tage der Vizia waren die kältesten im ganzen Jahr. Mina wunderte sich, dass es nicht schneite, schließlich waren es bis zur Utrias-Wende, dem Beginn der wärmeren Utrias-Tage, noch geschlagene 29 Tage.
Sie freute sich über das gute Wetter. Heute würden sie bis zur Grenze fliegen und danach zum großen See wandern. Durch Septim würden sie nicht kommen, aber durch Janan, die größte der Feuermenschenstädte. Ob die Ausgestoßenen auch diese Stadt erobern konnten? Janan war größer und mächtiger als Septim, hatte aber viel seltener mit Ausgestoßenen zu tun. Schließlich lag die Stadt ein gutes Stück weiter westlich als Septim.
Sie verdrängte die Gedanken und versuchte sich zu freuen. Sie würde einen Großteil von Avredons Unterricht los sein. So sehr sie ihn auch schätzte, wenn es ums Unterrichten ging war er streng. Den einzigen Unterricht, den sie haben würde, war der Unterricht über Verhalten, Höflichkeit und das Auswendiglernen der vielen Titel und Anreden, die die anderen Oldiin innehatten. Das würde Tukiyan übernehmen.
Der Flug in der kalten Luft mitten in den Sonnenaufgang der Sonne Galdiin hinein, war atemberaubend. Sie flogen direkt über dem lemdri sinjen, dem großen Fluss, der im Paluween entsprang und in den großen See mündete, und der übersetzt „starkes Wasser“ hieß. Ein ziemlich einfacher Name für so einen gefährlichen Fluss.
Nach etwa zwei Stunden, der Mond Vorduun war gerade untergegangen, entdeckten sie unter sich Meleka, ein kleines Dorf indem höchstens 5 oder 6 Drachen lebten und indem es vor einem Jahr Nachwuchs gegeben hatte. Das kleine Drachenmädchen Selira konnte bereits fliegen und kam ihnen freudestrahlend entgegen. Auf ihre Bitte hin blieben sie bis zum Aufgang der Sonne Rikia in Meleka.
Mina:
Danach ging es weiter, wir flogen schweigsam und sehr tief, hin und wieder ließen wir unsere Pfoten in das kühle Wasser fallen und spritzten uns gegenseitig nass. Ich wusste schon jetzt: Das war der schönste Teil unserer Reise!
Im Verlauf des Tages sahen wir nur noch selten Drachen und mit dem Aufgang der Sonne Yriske wurde zog sich der Horizont mit dicken Wolken zu und zum 4. Sonnenaufgang, dem Aufgang der Sonne Tieven, fing es wieder an zu schneien. Und mit dem letzten Sonnenuntergang legten wir uns schlafen. Wir suchten uns ein paar gut erhaltene Höhlen in einer alten Kriegsfeste namens Siren, die seit der Vereinigung hier an der Grenze verwahrloste.
Am nächsten Morgen war die Ruine von einer hohen Schicht Schnee bedeckt. Sie flogen jetzt vorsichtig, um nicht gesehen zu werden und entschlossen, den Fußmarsch schon ein ganzes Stück vor der Grenze zu beginnen, damit keine verräterischen Fußspuren im Schnee zu finden waren. Nicht auszumachen, was ein Mensch tun würde, wenn er plötzlich die riesigen Spuren eines Drachens auf seinem zugeschneiten Acker entdecken würde.
Es kostete sie einiges an Konzentration, schon so früh am morgen Illusionen herauf zu beschwören, doch es gelang ihr. Während die drei Männer vor ihr in ihre Kleidung schlüpften, betrachtete Mina ihre Gesichter eingehend. Sie hatten ihre Augen behalten. So waren Tukiyans Augen immer noch opalgrün und die Augen der Zwillinge hellgrau. Jedoch entsprachen sie sonst nicht sonderlich Minas Erwartungen. Sie hatte schwarze Haare und mandelförmige Augen erwartet, Tukiyan hatte jedoch viel rundere Augen und sein Haar war hellrot. Auch die Zwillinge trafen nicht ihre Erwartungen, ihre Haare waren dunkelbraun und lockten sich in alle Richtungen.
„Du findest uns so wohl viel attraktiver, was?“, fragte Karthek.
Mina streckte ihm demonstrativ die Zunge heraus und Karthek runzelte die Stirn.
„Was ist das, ein geheimer Gruß?“, fragte er.
Mina und Tukiyan brachen in schallendes Gelächter aus, das reichte als Antwort.
Zu Fuß war die Strecke viel anstrengender. Sie erreichten die Grenze erst zur Mittagszeit und das Wetter wollte ihnen wohl auch nicht behilflich sein. Diesiger Nebel lag über dem Schnee und die Temperaturen waren noch weiter gesunken. Allerdings lag Janan wirklich nah an der Grenze, die Bürger Janans waren hart gesottene Bauern und Schmiede, die sich nicht mal vor Drachen richtig fürchteten. So erreichten sie diese zum dritten Sonnenuntergang.
In Janan zogen sie neugierige Blicke auf sich. Reisende, die so exotisch aussahen wie sie, waren hier wohl nicht oft unterwegs.
Sie nahmen zwei Zimmer in einem kleinen Gasthaus und saßen dort noch bis in den späten Abend hinein und erzählten Geschichten. Als jedoch die Schmiede aus den Schmieden kamen und begannen um die Wette zu trinken, schickte Tukiyan Mina und die Zwillinge in die Zimmer. Er kam kurz danach hoch.
„Ich hab unsere Herkunft herausgefunden.“, erklärte er freudestrahlend.
„Unsere … was?“, Mina sah ihn fragend an.
„Unser Aussehen. Ich sehe aus wie jemand aus den Hafenstädten, ich sage mal ich komme aus... Iyotea und ihr beide seht aus wie Moormenschen, die Menschen, die in den Mooren von Tanerm leben. Sagen wir mal, ihr kommt aus Juneii.“
„Du kennst alle Städte auswendig?“
„Nur die Großen.“
Mina schüttelte den Kopf. „Ok. Also, Karthek und Rubeen aus Juneii und Tukiyan aus... Itea??“
„Iyotea“
„Ich gehe schlafen.“ murmelte Karthek. „Wenn mich jemand nach meiner Herkunft fragt, verwandele ich mich und dann fragt er nicht mehr.“
Mina lachte und Tukiyan zog seine Stirn kraus.
Sie hatten nur eine kurze Nacht und verbrachten die ersten Morgenstunden verschlafen im Schankraum. Dann ging Tukiyan nach oben um zu packen. Jetzt war Minas Moment gekommen. Sie beugte sich über den Tisch, zu den Zwillingen.
„Würde es euch was ausmachen, wenn ich mich ganz kurz umhöre, ob sie was über Septim wissen?“, fragte sie zuckersüß.
Die beiden wechselten einen skeptischen Blick.
„Nur einen winzigen Moment lang.“, flüsterte Rubeen mit gespielter Strenge.
Mina sprang auf und ging zum Tresen. Dort bestellte sie beim Wirt einen Tee und blickte sich verstohlen um. Die Schmiede starrten sie an, wie eine Sinnestäuschung und erst mit der Zeit wurde ihr klar, dass sie zwar aussah wie ein Mädchen aus den Feuerstämmen, dass die Zeit in Area sie aber trotzdem sehr geprägt hatte. Andere Mädchen in ihrem Alter waren stämmig und von der Arbeit geprägt, sie war schmal und zierlich, ihre Haare glänzten und ihre Augen sahen Drachenaugen sehr ähnlich. Sie lächelte höflich, dann wandte sie sich verschwörerisch einem der Männer zu, der ihr am nächsten saß.
„Ich bin in letzter Zeit nicht oft hier gewesen und war mit meinen Cousins unterwegs...“, sie nickte in Richtung der Zwillinge. „Man hört im Norden nicht viel über die Feuerstämme, versteht ihr. Ich komme ursprünglich aus Septim und als ich los ging -“, der Mann schien verstanden zu haben.
„Ihr meint das Problem mit den Farakehnern, nicht war junge Frau?“
„Ja genau, ist es gelöst worden?“
„Ich fürchte nein. Es kommen selten Leute von dort. Nur einer, der Musiker, der reist viel herum. Er sagt, sie leben nun unter der Herrschaft der Ausgestoßenen und an eine Art Aufstand der Bürger glaubt er auch nicht.“
Das waren gute und schlechte Nachrichten. Die Ausgestoßenen herrschten jetzt über Septim, aber Galeon lebte noch.
„Wisst ihr, ob der Sohn des Musikers wohlauf ist?“, fragte sie vorsichtig.
„Der Sohn? Er war nie mit seinem Vater hier, aber der erzählt oft von ihm, also denke ich, es geht ihm gut.“
Mina hörte Tukiyans Schritte auf der Treppe.
„Vielen Dank, ihr habt mich von vielen bösen Vermutungen befreit.“, sagte sie eilig, legte das Geld für den Tee auf den Tresen, ließ diesen unangerührt stehen und eilte zurück zu den Zwillingen.
Sie verließen Janan durch das Nordtor und wanderten auf einer belebten Straße am Ufer des lemdri sinjen, der hier Zea genannt wurde, weiter Richtung Norden. Der Schnee auf dem Weg hatte sich in grauen Schneematsch verwandelt und die Sonne schien wieder. Dieses Jahr war die Vizia milde gestimmt. Noch vor dem dritten Sonnenuntergang erreichten sie den großen See, Wuleenia, das Südreich der Wassermenschen. Der Anblick war bezaubernd. Der glitzernde See lag still da, während die Sonne Tieven in ihm zu versinken schien, und den Schnee an den Ufern in ein helles Orange tauchte.
Diese Nacht bekamen wir nur ein Zimmer. Die einzige Stadt im Umkreis war Le-Chessa. Eine Ansammlung von Häusern auf hohen Holzstelzen, die mit wackligen Brücken verbunden waren.
Es gab in Le-Chessa sechs Gasthäuser, jedes nach einem der sechs Himmelskörper benannt. Und alle waren voll. Sie hatten ein Zimmer im Gasthaus „Feodeen“ ergattert, es war nach einem der Monde benannt.
Viel taten sie diesen Abend nicht mehr. Rubeen lies die Gruppe in die Fährlisten eintragen. Sie wollten morgen so früh wie möglich mit einer Fähre die Überfahrt beginnen. Diese würde volle 10 Tage dauern.
Mina saß den ganzen Abend lang am Fenster des Zimmers und blickte auf das Wasser hinaus. Dass es im Norden noch das Nordmeer geben sollte, das noch riesiger war, konnte sie sich kaum vorstellen. Auch wurde sie von dem See beinahe magisch angelockt.
Sie hatte noch nie Gebrauch von ihrer Wassermenschen Gestalt gemacht. Tukiyan würde das nie erlauben, obwohl. Momentan saß er unten im Gastraum mit Karthek. Sie schwang ein Bein aus dem Fenster, unter ihr war der stille See. Sie tastete in ihrem Inneren nach Wasser, wogenden Wellen und fand etwas. Tief in ihr versteckt fand sie es, sie ließ sich darauf ein und ließ sich ins Wasser fallen.
Ihr Körper wurde größer, ihr Gesicht lang und unter ihren Wangenknochen öffneten sich Kiemen. Zwischen ihren langen Fingern und Zehen waren Schwimmhäute und ihr Haut war bleich wie die Haut eines Toten.
Es war still. Es dauerte ein Weile bis sie begriff, dass sie nichts hörte. Dafür fühlte sie. Sie fühlte jede kleinste Welle in ihrem Gesicht. Wenn man sich daran gewöhnte, war es wie.... Wellenrauschen.
Sie blieb noch einige Augenblicke unter Wasser, dann schwamm sie wieder nach oben. Wieder ins Zimmer zu kommen, erwies sich als schwierig. Sie musste in ihrer Wassermenschen Gestalt ans Ufer laufen, sich dort in eine Elfe verwandeln und zum Fenster fliegen. Und das ohne gesehen zu werden. Als sie endlich wieder in Menschengestalt im Zimmer stand, fiel ihr Blick zuerst auf Karthek, der mit verschränkten Armen in der Raummitte stand und sie mit betont strengem Gesicht musterte.
„Leg dich sofort ins Bett!“, sagte er streng, dann lächelte er. „Und tu' gefälligst so, als ob du schläfst, Tukiyan kommt gleich hoch.“
Sie lächelte ihm dankbar zu. Tukiyan war ihrer Meinung nach momentan viel zu streng mit ihr.
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