Die Flucht

Die Flucht

Karthek war immer noch nicht zurückgekehrt. Ich stand vor meinem Höhleneingang und verabschiedete mich im Stillen von der Drachenstadt. Eigentlich mussten wir uns beeilen, damit die Drachen nicht misstrauisch wurden. Ich sah ein letztes Mal zu Avredons Höhle hinauf. Hinter mir in der Höhle hörte ich den gleichmäßigen Atem meiner Illusion. Sie war perfekt. Ich selbst war bereits verwandelt. Meine Uklenry-Gestalt hatte dunkelrotes Haar und eine blasse Haut, aber mit den passenden Elfenkleidern konnte ich auch problemlos als Feuerelfe durchgehen.

 Mein Blick glitt wieder auf den dunklen Himmel hinaus. Was hätte ich dafür gegeben, Karthek noch ein letztes Mal zu sehen. Doch er war nicht zurückgekehrt. Niemand hatte ihn seit unserem Streitgespräch gesehen. Er konnte überall sein und wenn er zurückkehrte würde er mich nicht mehr hier vorfinden. Sicherlich war es besser so. Man konnte keinen Abstand zueinander wahren, wenn man in einer kleinen Stadt mitten im Gebirge wohnte. Nicht einmal als Drache.

 Am Horizont wurde der Himmel bereits langsam heller, als atmete ich tief durch und setzte mich in Bewegung. Unterwegs begegnete ich einer Wache, aber sie nahm keine Notiz von mir. Alle wussten, dass heute eine größere Gruppe Feuerelfen gen Norden aufbrach. Es war ein ganz neues Gefühl, so völlig unbeachtete durch die Stadt laufen zu können.

 „Aamora?“ Ich drehte mich um. In einer der Seitengassen standen Fero und Ades. Ich spürte förmliche, wie die Blicke der wachhabenden Drachen auf die beiden gerichtet waren. Aamora war mein Tarnname. Die letzten paar Nächte in Tairasy hatte Ades mich ausschließlich mit diesem Namen angesprochen, damit ich mich nicht im entscheidenden Moment verriet. Ich lächelte. „Sind wir soweit?“ Er nickte. Fero sah nocheinmal zu den Drachen hinauf und beugte sich zu mir vor. „Sollten wir uns noch bei Mina verabschieden oder lassen wir es lieber sein?“

 „Lass sie schlafen“, empfahl ich ihm nach kurzer Überlegung. Er nickte. „In Ordnung, dann lass uns zum Rest der Gruppe gehen.“

 Diese wartete bereits auf dem Platz vor dem Tor zu Inanaill. Ich sog noch einmal all die Gassen und Höhlen, Gerüche und Geräusche in mich hinein. Wer weiß, wann ich sie wiedersehen würde, wenn ich sie überhaupt wiedersehen würde.

Mit großen, schwerbeladenen Karren verließen wir Inur-Entora durch das große Tor und betraten die Straße nach Inanaill. Nie zuvor waren mir die Felsen, die links und rechts von mir aufragten, so bedrohlich vorgekommen. Was, wenn unsere List schon jetzt aufflog? Was, wenn die Illusion verblasste oder einer der Drachen mich erkannte? Ja, Zweifel nagten an mir und dass sie hin und wieder schon mit der Stimme des Wächters in meinem Kopf herumgeisterten, machte die Sache nicht besser. Ades legte eine Hand auf meine Schulter und lächelte.

 Trotz meiner Befürchtungen erreichten wir Inanaill völlig planmäßig und ohne, dass irgendjemand Verdacht geschöpft hatte. Als wir gerade zum Nordtor hinausgehen wollten, zog sich mein Magen zu einem schmerzhaften Knoten zusammen. Dort stand Tuk neben seinem Vater. Beide beäugten mit misstrauischen Blicken die Ausreisenden. Wie ähnlich sie einander waren … vor drei Jahren hätte er anders dreingeschaut. Jetzt aber wirkte er streng und arrogant. Es war so unerträglich, dass ich die Augen abwandte und meinen Blick auf Feros Rücken heftete, bis wir die Feste verlassen hatten. Nun ging es querfeldein, aber frei war ich noch lange nicht. Wenn ich unentdeckt bleiben wollte, musste ich zwölf Tage Fußmarsch durchstehen. In diesen zwölf Tagen konnte alles mögliche passieren, aber ich versuchte meine Gedanken immer wieder davon abzulenken. Wir sprachen nur wenig in der Gruppe. Ich war mir nicht einmal sicher, ob alle Elfen wussten, wer ich war. Es war entsetzlich zu sehen, wie weit wir nach einem Tag anstrengender Wanderung erst gekommen waren. Die Weiten Areas hatte ich stets fliegend überquert, nie zu Fuß. Und mit einem schweren Karren, den wir abwechselnd hinter uns her zogen, kamen wir wirklich nur quälend langsam voran.

 In den Nächten versuchte ich mich weiterhin mit der Kontrolle von Zeit in Tairasy. Nacht um Nacht saß ich an einem der Wasserrinnsale und Ads saß bewegungslos neben mir. Er hatte mir gezeigt, wie ich meine Vorstellungskraft verbessern konnte, aber trotz intensivster Übungen blieb ich erfolglos. Am neunten Tag unserer Reise dann erwachte ich mitten in der Nacht. Und am Horizont über den Gipfeln des Gebirges begann das Spektakel. Ich sah die schimmernden und leuchtenden Drachenkörper als kleine Punkte über den Himmel jagen. Sie suchten mich. Aus allen Richtungen strömten nun die Drachen nach Süden, aber wir, wir liefen weiter nach Norden. Die Grenze war bereits in Sichtweite. Ich wusste, im Notfall könnte ich jetzt hinüber fliegen und sie würden mich nie wieder finden. Trotzdem blieb ich bei der Gruppe, schließlich wollte ich Ades, Fero und Avredon nicht verraten.

 „Aamora?“ Ich wandte den Kopf. Fero schaute mich fragend an. Ich wurde rot. „Was? Ich war in Gedanken, Entschuldigung.“ Er lächelte und schüttelte bloß den Kopf. „Schon gut. Ich habe gefragt, ob du Hunger hast.“

 „Achso!“ Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein danke, iss du ruhig den Rest.“

Fero warf mir einen besorgten Blick zu. „Geht es dir gut? Du isst immer so wenig.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Mir geht es blendend. Ich freue mich auf Janan.“

 Er nickte langsam und wandte sich wieder seinem Essen zu. Ich versank wieder in meinen Gedanken. In den letzten Nächten hatten wir alle nur wenig Schlaf bekommen. Ständig waren Drachen über unsere Köpfe geschossen. Und doch. Wir rasteten in der Feste von Siren, so wie ich es vor einer gefühlten Ewigkeit mit meinen drei Drachenfreunden gemacht hatte und die Grenze war quasi greifbar nahe. Noch heute Mittag würden wir Area offiziell verlassen. War ich froh oder traurig? Ich wusste es nicht. Bis Janan würde ich mit der Gruppe reisen, danach würde ich alleine Septim aufbrechen, vielleicht sogar fliegen. Einen genauen Plan hatte ich nicht. Ich wollte schlicht und ergreifend einige Gespräche führen.

 Wir packten unser Gepäck zusammen und zogen weiter. Diesmal war ich mit Fero an der Reihe, den Karren zu ziehen. Es war eine schweißtreibende Arbeit, aber es brachte mich auf andere Gedanken. Und dann sah ich zum ersten Mal wieder die sanften Hügellandschaften der Feuermenschenstämme. Am liebsten wäre ich losgerannt, aber ich hielt mich an die Gruppe. Als ich das letzte Mal hier durchgelaufen war, alles noch zugeschneit gewesen, nun erstrahlte die Szenerie im Licht der immer höher steigenden Sonnen in einem intensiven grün. Das hier war der Ort meiner Kindheit.

Ich war mir nicht sicher, wann wir die Grenze wirklich übertreten hatten, aber als wir in der ausgedehnten Abenddämmerung die Tore von Janan erreichten, konnte ich mir sicher sein. Wir hatten es wirklich geschafft. Man hatte uns bereits erwartet und ein paar Zimmer in einem der Gasthäuser freigehalten, so dass wir uns sofort zu Bett begeben konnte. Ich allerdings genoss die Stadt in vollen Zügen. Ungeachtet der nächtlichen Gefahren spazierte ich sicher zwei Stunden lang durch die Gassen von Janan, auf denen auch Nachts reges Treiben herrschte. Viele warfen mir schräge und vielleicht sogar unanständige Blicke zu, aber keiner kam mir zu nahe.

 Als ich dann spät in der Nacht endlich im Gasthaus einschlief, wurde ich in Tairasy schon sehnsüchtig von Ades erwartet.

 „Mina!“ Ich dachte schon, ich müsste rauf und dich in der Stadt suchen gehen. Ich grinste. „Die Zeit der Aamora ist also vorbei? Keine Sorge, wenn wirklich etwas passiert wäre, hätte ich mich wehren können.“

 Er schüttelte nur ungläubig den Kopf und starrte in die Dunkelheit hinauf. „Und, was wollen wir jetzt machen? Ich habe die Oldiin bereits von unserer geglückten Flucht unterrichtet. Willst du wieder mit der Zeit üben oder möchtest du zu ihnen?“

 Ich verzog das Gesicht. „Üben wäre wahrscheinlich wichtiger.“

 „Nun denn.“ Er suchte sich eine stetig tropfende Wassersäule aus und ging vor ihr in den Schneidersitz. Seufzend gesellte ich mich zu ihm. Während ich mir die Tropfen vor meinem inneren Auge vorstellte, keimte plötzlich eine Frage in mir auf. Zögernd stellte ich sie. „Ades?“ Er brummte als Zeichen, dass er mir zuhörte. „Was ist eigentlich zwischen dir und Tekmea geschehen? Warum begegnet ihr einander so kühl und warum habt ihr euch sieben Jahre lang nicht mehr gesehen gehabt?“

 Ich brauchte nicht einmal die Augen zu öffnen, um zu bemerken, wie sein Körper sich anspannte. „Es tut mir Leid, Mina, aber das geht nur mich und meine Mutter etwas an.“

 „Wissen die anderen Oldiin den Grund?“, hakte ich weiter nach.

 Er stöhnte. „Ja, ich glaube Eramon hat irgendwie davon erfahren, aber … es ist nun mal so. Wenn du denkst, du könntest etwas daran ändern, muss ich dich enttäuschen.“

 Ich nickte nur und richtete meine Konzentration wieder auf das schwarze Wasser, das noch immer trotzig dem Fluss der Zeit folgte und nach unten tropfte. Diese ganze Überei kam mir verdammt nochmal ziemlich sinnlos vor.

Am nächsten Morgen weckte mich Fero. Er stand lächelnd über mir und betrachtete mich, als ich die Augen aufschlug. „Na? Gut geschlafen? Nun wo du wach bist, wird Ades hoffentlich auch bald aufstehen.“ Er richtete sich auf und streckte sich. „Kommst mit nach unten? Ich dachte, wir könnten ja noch einmal gemütlich zusammen frühstücken, bevor du dich auf den Weg machst.“

 „Keine schlechte Idee“, erwiderte ich und wie auf ein Stichwort hin, knurrte mein Magen zustimmend. Ich schwang mich aus dem Bett und Fero ließ mich allein, damit ich mich umziehen und er nach Ades sehen konnte.

 Einige Minuten später kam ich gut gelaunt zu ihnen nach unten. „Ein wunderbarer Morgen nicht wahr?“

 Die beiden Brüder wechselten einen belustigten Blick, erwiderten aber nichts. Ades und ich setzten uns an einen Tisch am Fenster, während Fero zum Tresen ging und beim Wirt unser Frühstück bestellte. „Ich weiß gar nicht, was du daran findest, Mina“, sagte Ades leise, während er einen Blick aus dem Fenster warf. „Ich habe viele Menschenstädte gesehen. Juneii, Lumbrea, Weyena, aber diese hier ist viel … ungeordneter. Alles wirkt irgendwie wild zusammengewürfelt, die Häuser …“ Er lachte leise. „Und auch irgendwie die Bewohner.“

Ich zuckte nur mit den Schultern. „Wer weiß, vielleicht ist es genau das, was mir so gut daran gefällt. Es wirkt nicht gestellt oder inszeniert, so wie sie ist, ist die Stadt nun einmal entstanden. Sie wirkt echt.“

 „Wenn du meinst ...“ Ades senkte den Blick wieder auf die Tischplatte. „Wir werden doch in Kontakt bleiben, nachdem wir uns getrennt haben, oder?“, fragte er vorsichtig.

Ich nickte. „Was hast du jetzt eigentlich vor? Wirst du nach Ku-Enefk gehen? Oder zurück in richtung Weyena?“ - „Ich weiß nicht so recht. Wenn Fero zurück nach Ku-Enefk reist, werde ich wahrscheinlich eher richtung Weyena reisen. Wenn er ein anderes Ziel hat, werde ich mich möglicherweise an ihn halten. Auf jeden Fall werden wir noch einige Tage hier bleiben.“ Er lächelte. „Ich werde dir Bescheid sagen, wenn ich genauere Pläne habe.“

 Seufzend rieb ich mir mit den Fingern über die Augen. „Würde es etwas bringen, wenn ich Fero fragen würde, was dich und deine Mutter so zerrüttet hat?“

 „Nein, denn ich habe keinen blassen Schimmer von dem, was vorgefallen ist“, erwiderte Fero, der gerade mit ein paar Tellern an den Tisch kam. „Von einem Tag auf den anderen haben sie kein Wort mehr miteinander gesprochen und Ades hat angefangen, irgendwo in der Weltgeschichte herum zu reisen.“

 Etwas zu laut stellte er die Teller vor uns ab und ging nochmal zum Tresen, um unsere Getränke zu holen. Ades senkte die Stimme. „Er war sehr jung, als es passiert ist. Ich dachte, er würde irgendwann darüber hinwegkommen, aber nach sieben Jahren ist es für ihn genauso schlimm wie am ersten Tag. Danke Fero.“ Er nahm seinem Bruder die Tonbecher ab und verteilte sie auf dem Tisch. „Setzt dich.“

 „Wenn du denkst, dass ich nicht wüsste, dass ihr gerade über mich gesprochen habt, dann hast du dich geirrt, Ades“, antwortete er schlicht und reichte mir etwas Brot. „Solltest du jemals herausfinden, was zwischen den beiden vorgefallen ist, dann gib mir Bescheid, ja?“

 Ich grinste und wandte mich meinem Essen zu. Zum ersten Mal seit unendlichen vielen Tagen hatte ich wieder richtig Appetit.

 Die Stunden vergingen und so Leid es mir tat, der Abschied kam immer näher. Die beiden Brüder hatten so viel für mich getan und erwarteten scheinbar auch noch keinerlei Dank. Allein schon deswegen konnte ich mich erst mittags wirklich von ihnen losreißen. Von Ades war der Abschied nicht ganz so schlimm, schließlich würden wir uns aller Voraussicht nach schon heute Nacht wiedersehen, aber Fero … ihn kannte ich noch länger als Ades und er war immer für mich da gewesen. Ich suchte nach Abschiedsworten, doch es gab nichts, was ich sagen konnte, nichts, was wirklich angemessen gewesen wäre.

 „Danke. Für deine Hilfe, für eure Hilfe, für alles.“

 Fero starrte mich gütig an und umarmte mich. „Für dich würde ich das immer wieder tun, Mina.“

 Damit verließ ich Janan durch das Osttor und wanderte in die dunklen Nadelwälder hinein, die so typisch für diese Gegend waren. Als ich mich im vollständigen Schutze der Bäume wusste, ließ ich die Drachengestalt herausbrechen. Wahrscheinlich sah die Bewohner von Janan lediglich ein paar Bäume irgendwo im Wald schwanken.

 „WO – BIST – DU?!“ Erschrocken zuckte ich zusammen, als die Stimme in meinem Kopf ertönte und neben mir kippte geräuschvoll ein Baum um. Mühsam zog ich um mich herum geistige Mauern hoch und dehnte sie rasch aus, damit der fremde Geist erst gar nicht die Chance hatte, meine Position zu erfassen. Resigniert seufzend erhob ich mich mit ein paar kräftigen Flügelschlägen in die Luft – noch ein paar weitere Bäume fielen mir zum Opfer – und begann meine Reise nach Septim. Ich hätte mir ja denken können, dass die Drachen auf diese Weise nach mir suchen würden. Es war die einfachste Methode, um mit jemandem Kontakt aufzunehmen, ich selbst hatte mich schon unzählige Male ihrer bedient. Besser ich brachte den Flug so schnell wie möglich hinter mich, damit ich bald wieder eine Gestalt annehmen konnte, die die Drachen nicht aufspüren konnten.

 Es war unsagbar schön, über den Wald hinweg zu fliegen. Unter mir deuteten immer wieder aufgeregt Bewohner kleinerer Dörfer auf mich, aber ich war mir sicher, dass meine Ankunft in Weyena auch schon hier bekannt war, so dass die Leute keine Angst vor mir hatten.

 Die Schönheit dieses Fluges wurde lediglich von einem Detail getrübt. Es lag am Horizont, allerdings bewegte ich mich genau darauf zu. Ödes Land. Grau-braune Landstriche lagen dort im Osten, wo das Unheil seien Anfang nahm. Zum ersten Mal war ich wirklich erleichtert, dass ich noch nicht dorthin musste, auch wenn aufgeschoben nicht aufgehoben war.

 Als die Sonnen langsam hinter den Hügeln im Westen versanken, landete ich zwischen den Bäumen. Ich nahm meine menschliche Gestalt an und entspannte meinen Geist. Endlich waren keine Barrieren mehr nötig. Gut gelaunt stapfte ich durchs Unterholz auf die Stadtmauern zu, die man bereits zwischen den Ästen hindurch erkennen konnte.

 Wie wollte ich am besten hineinkommen? Zuerst dachte ich über eines der Haupttore nach, dann kam mir eine andere Idee. Der Wald zog sich ein Stückchen um die Stadt herum. Wenn man nördlich um die Stadt herumging, kam man im Osten der Stadt zu einem gewaltigen Baum. An den Straßen, die von den Toren aus durch den Wald zogen, musste ich ein wenig aufpassen, weil hier in der Abenddämmerung noch immer viel Betrieb war, aber als ich schließlich die altbekannte Lichtung erreichte, blühte etwas in meiner Brust auf. Es war wunderbar. Die alte Eyche. Geradezu übermütig zog ich mich an den Ästen des gewaltigen Baumes hinauf, soweit, wie sie mich gerade noch tragen konnten. Von hier aus blickte ich nach Osten. Hier hatte alles Angefangen, hier hatte ein Ausruf von Kelifa einen Stein ins Rollen gebracht und er rollte noch immer.

 Die Sterne standen bereits am finsteren Himmel, als ich mich langsam wieder hinab hangelte und leichtfüßig im Gras landete. Sollte ich die Nacht hier draußen verbringen oder jetzt gleich hineingehen? Aber wahrscheinlich würde die Tageszeit auch nicht bestimmen, ob ich sonderlich freundlich empfangen wurde oder nicht, also machte ich mich in der Dunkelheit auf die Suche nach dem Geheimgang.

 Es war wirklich nicht ganz einfach. Der Weg war viel verwucherter als früher. Mehrmals schlug ich die völlig falsche Richtung ein oder ging im Kreis. Erst nach einer geschlagenen halben Stunde stieß ich mit der Hand auf Fels.

 Hier war es! Allerdings benötigte ich einen Schlüssel. Stöhnend sank ich neben der Tür ins Gras und lehnte den Kopf gegen den Stein. Ich starrte hinauf in die Sterne und dachte an Ades. Wahrscheinlich machte er sich schon wieder Sorgen um mich. Vielleicht sollte ich doch hier draußen übernachten. Ich könnte mir mithilfe meiner Magie ein einigermaßen ansehnliches Lager errichten und … - Ich erstarrte mitten im Gedankengang. Magie! Am liebsten hätte ich mir gegen die Stirn gehauen. Wozu hatte ich drei Jahre lang bei Avredon Unterricht in Magiekontrolle bekommen? Konnte eine verschlossene Tür einer Magierin ein Hindernis sein? Sicherlich nicht. Ich rappelte mich auf und suchte mit den Fingern nach dem Schlüsselloch. Dann legte ich die Handfläche darauf und schloss die Augen. Den Rest erledigte die Magie fast von ganz alleine. Man musste sie nur lenken.

 Vergnügt lehnte ich mich mit der Schulter gegen die Tür und stieß sie auf. Drinnen herrschte vollkommene Schwärze. Ich hob die freie Hand und ließ Flammen in ihr auflodern. Sie erleuchteten eine traurige Szenerie. Die Höhle, in der wir uns früher immer versammelt hatten, wirkte nicht nur viel kleiner als damals, sie war auch, wie der Weg zur Eyche vollkommen verwahrlost. Spinnen hatten den Raum mit ihren weit gefächerten Spinnennetzen erobert und überall spross Unkraut aus Wänden und Boden.

 Ich bahnte mir einen Weg durch das klebrige Durcheinander, bis ich an der gegenüberliegenden Wand angekommen war. Mit zusammengekniffenen Augen ging ich in die Hocke. Irgendwo unten links müsste das Schlüsselloch sein. Im Licht der flackernden Flammen entdeckte ich das kleine Loch und legte die Hand darauf. Es klickte und die Tür schwang nach innen auf.

 Seufzend ließ ich mich auf die Knie fallen und krabbelte durch die Tür. Auch sie hatte früher um einiges größer gewirkt … Beim Anblick des ehemaligen Tunnels durch die Mervas-Sträucher verließ mich beinahe der Mut. Alles war wild zugewuchert und die Pflanzen streckten ihre dornenbesetzten Zweige zu allen Seiten aus. Ich zögerte einen Moment, dann erschuf ich eine Art Schutzkugel um mich herum und begann den mühsamen Weg mitten durchs Gestrüpp. Am Ende des 'Tunnels' wurde ich erneut enttäuscht. Irgendjemand hatte das Loch in der Mauer behelfsmäßig mit Holz und Lehm gestopft. Das hielt mich nicht auf, aber es nervte. Natürlich konnte ich nun wieder den ganzen Weg zurück gehen, aber nach unzähligen Dornen und Spinnenweben stand mir nicht gerade der Sinn danach. Hier musste man wohl ein bisschen mit Gewalt nachhelfen.

 Ich legte meine Hand auf eines der Holzbretter und schloss die Augen. Ein unschönes Knacken durchdrang die nächtliche Stille und Staub umwirbelte mich. Ich unterdrückte ein Husten und hielt mir den Ärmel vor Mund und Nase, bis der Schutt sich gelegt hatte. Dann zog ich mich durch das Loch, schob die Äste des Strauches zur Seite, der das Loch früher verdeckt hatte und richtete mich auf.

 Es war dunkel und ruhig in der Stadt. Die meisten Häuser erkannte ich wieder, aber hier und da waren sie leicht verändert. Vielleicht hatte man sie nach dem Kampf wieder aufbauen müssen. Wie in Trance schlich ich im Schatten der Mauer entlang, auf der Suche nach einem ganz bestimmten Haus. Dazu musste ich in den Norden der Stadt. Sorgfältig darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, überquerte ich die Straße und verschwand in den Gassen der Stadt.

 „Ich glaube, es kam von hier drüben!“ Ich fuhr zusammen und hechtete in eine kleine, versteckte Seitenstraße – gerade noch rechtzeitig. Drei uniformierte Wachposten gingen zügig die Straße an der Mauer entlang. Ich hielt den Atem an und schielte angespannt um die Ecke. In der Nähe des Strauches hielte sie inne und schauten sich um. „Ich hätte schwören können, dass ich hier gerade jemanden gesehen habe, Tashim“, sagte der eine misstrauisch. Langsam ging er auf den Strauch zu. Gleich würde er das Loch in der Mauer entdecken.

 Eine Straße weiter klapperte etwas über das Kopfsteinpflaster und laute Schritte halten zwischen den Häusern entlang. Die Wachen zuckten erschrocken zusammen und rannten dann mit klirrenden Schwertern los, weg von der Mauer.

 Erleichtert atmete ich aus und zog mich noch weiter in den Schatten der dunklen Straße zurück. Das war knapp gewesen, zu knapp. Ich wollte nicht zu viel aufsehen erregen und hatte trotzdem für größtmögliches Durcheinander gesorgt.

 „Bei Utrias! Du bist es wirklich!“

 Ich sprang auf die Beine und Flammen loderten in meinen Handflächen auf. Ich war bereit, mich zu wehren, wenn es sein musste. Dann fiel mein Licht auf das Gesicht des Fremden. Dieser lächelte mit leuchtenden Augen und ich erkannte ihn sofort. Sein dunkles Haar war länger geworden und auch sein Gesicht wirkte schmaler und markanter. Er hatte eine längere Nase als früher und war beneidenswert groß geworden. Aber in seinen Augen glitzerte noch immer die gleiche Neugierde wie früher.

 „Timon!“

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Und damit sind wir wieder da, wo wir vor 34 Kapiteln angefangen haben =) Vielleicht ist dieser Moment für euch ja auch so besonders, wie für mich :D

Danke an alle, die jetzt noch dabei sind, nach über 130 Seiten Drachenmädchen, ihr seid alle super und motiviert mich immer wieder zum weiterschreiben (*_*) Nur wegen euch, gibt es überhaupt so viele Kapitel dieser Geschichte.

GANZ liebe Grüße an alle! magicstarlight

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