Kapitel 1:

Kapitel 1:

Während der Regen draußen auf die Erde nieder prasselte, herrschte in einem Turmzimmer gedämmtes Kerzenlicht.

Auf einem Hocker stand eine Frau mit langen schwarzen Haaren, die im Licht der Kerzen rötlich schimmerten. Ihre Augen waren golden und eine Dienerin war ihr gerade dabei behilflich ein Kleid anzuziehen.

Als sie die Korsage zuzog, zischte die Frau auf dem Hocker. „Sei gefälligst vorsichtig!“, meckerte sie und die Dienerin senkte den Kopf. „Verzeiht Mylady“, machte sie eingeschüchtert und versuchte das Kleid zu zubekommen, ohne die Lady erneut zu verärgern. Aber sie schaffte es nicht und zog zu fest.

Die Schwarzhaarige drehte sich um und schlug mit der Hand nach der Dienerin. Die Wucht des Schlages ließ die junge Dienerin straucheln. „Raus mit dir“, schrie die Lady und die Dienerin zog den Kopf ein und flüchtete.

„Na na, meine Liebe“, erklang eine weibliche Stimme und eine Frau in einem eleganten, dunkelblauen Kleid betrat den Raum. Der Rock war reichlich verziert und weit ausgestellt. Aber er war nichts gegen ihre schwarzen Haare. Blumen, Perlen und Bänder waren in die Hochsteckfrisur geflochten. „Du wirst doch wohl nicht schon wieder deine Diener misshandeln“, sagte sie belustigt.

Die Frau auf dem Hocker schnaubte. „Mutter. Sie war einfach inkompetent. Sie hat nichts anderes verdient“, erklärte sie und klang verärgert.

„Sezuna, Sezuna“, tadelte ihre Mutter und kam auf sie zu. „Lass mich dir helfen.“

„Ich kann das schon selbst“, brummte Sezuna und sprang leichtfüßig vom Hocker. „Keine Widerrede“, befahl die Ältere und Sezuna seufzte und drehte sich rum. Makoto lächelte und griff nach den Schnüren, ehe sie zuzog. Sezuna keuchte. „Hab dich nicht so zimperlich“, lachte sie und band das Kleid zu. Sezuna verdrehte die Augen und wartete eben bis Makoto fertig war und sie dann umdrehte. „Perfekt“, sagte Makoto und streichelte über ihre Wange.

Sezuna verzog unwillig den Mund. „Warum mache ich das gleich nochmal?“, fragte sie und schien wenig begeistert. Nicht nur, dass sie solche Kleider mit so vielen Rüchen nicht mochte, es war auch noch beige. Nicht gerade ihre Lieblingsfarbe.

Makoto legte ihre Hand erneut an ihre Wange. „Weil du für mich an diesem Ball teilnehmen sollst“, erklärte sie und klang ein wenig bittend. „Und du willst mich doch nicht enttäuschen, oder?“, fragte sie dann und ihre Stimme wurde schärfer. Sezuna schloss ergeben die Augen. „Nein“, murmelte sie, weil sie genau wusste, was ihre Mutter tat, wenn sie von jemandem enttäuscht war. Niemand würde das freiwillig riskieren.

Makoto lächelte. „Das ist schön zu hören“, meinte sie und ließ von ihr ab, „Es ist schliesslich von grosser Wichtigkeit.“ Sezuna nickte und blickte auf den Rücken ihrer Mutter. Sie war eine Schönheit für sich.

Schön, elegant, kalt und absolut tötlich. Es gab kaum ein Geschöpf, ob nun Mann oder Frau, das sich ihr entziehen konnte. Hatte Makoto einmal etwas, dass sie wollte, würde sie es auch bekommen. So, oder so.

„Ist Yuna bereit?“, fragte sie und trat an den Spiegel, um sich ihre Haare zu machen. Sie war fast das perfekte Abbild ihrer Mutter. Außer ihre Augen, die so golden leuchteten, dass es definitiv nicht mehr menschlich wirkte. Aber sie war ein Mensch. Ein Mensch mit einer Fähigkeit, die andere dazu brachte sie zu fürchten. Alle, die bis jetzt ihre Bekanntschaft gemacht hatten, taten alles, damit sie sie nicht wiedersehen mussten. Warum auch, niemand wollte jemand fremdes in seinem Kopf.

Sezuna nickte. „Sie ist gleich so weit, wir treffen uns in der Eingangshalle“, erklärte sie. Makoto strich ihr Kleid glatt und sah sie durch den Spiegel an. „Das ist gut. Ich möchte, dass ihr so viel wie möglich ans Licht bringt“, sagte sie ernst, „Leben hängen davon ab.“

Sezuna nickte verstehend und steckte die letzte Strähne zurecht. Makoto mochte es, wenn sie hübsch aussah. Süß und unschuldig. Doch das war sie nicht. Nicht mit dem Talent jede Waffe benutzen zu können. Selbst jetzt trug sie potentielle Waffen, in Form ihres Schmucks, mit sich. Manchmal wünschte sie sich wieder zurück in ihre Kindheit. Zurück zu dem Zeitpunkt, als sie noch unbeschwert hatte mit ihrer Schwester spielen können. Bevor Makoto ihr Talent erkannt hatte. Bevor sie Yuna gezwungen hatte… Sezuna schüttelte leicht den Kopf. Es war nicht gut daran zu denken, was Yuna getan hatte. Was sie ihr angetan hatte. Sie konnte nichts dafür.

Sezuna verdrängte alle Gedanken daran. Die Zeiten waren vorbei. Es zählte allein das Hier und Jetzt. Zum Beispiel der Auftrag, den sie bewältigen musste. Im Grunde einfach: Sie ging auf einen Ball und schnüffelte unauffällig rum. Das schwierige daran war, dass der Ball von der Herrscherfamilie der Stadt organisiert war: Den MacRaes.

Makoto vermutete, dass sie Drachen waren. Etwas, dass sich nicht besonders leicht nachweisen ließ. Vor allem, da sie vorsichtig sein musste. Die MacRaes waren eine starke und einflussreiche Familie. Würden sie bemerken, dass sie in etwas ihre Nase steckte, dass sie nichts anging, könnte das ihr Untergang sein. Drachen hin oder her, die Leute würden ihr erst glauben, wenn sie einen Beweis hatten. Das war das dumme an den ordentlichen Bürgern. Sie glaubten lieber eine Lüge, die sie immer wieder gehört hatten, als eine neue Wahrheit. Zudem hatten die Leute Angst vor Drachen. Den riesigen, fliegenden Echsen von denen einige Feuer, Eis oder Säure spucken konnten. Selbst ohne diese Fähigkeit waren Drachen überaus gefährlich.

Vor den Drachen herrschte sogar mehr Furcht als vor ihrer Familie. So viel Furcht, dass ihre Familie, trotz ihren seltsamen Kräften, zu den Beschützern der Stadt ernannt worden waren. Von den MacRaes. Was schon sehr seltsam war und eigentlich dafür sprach, dass sie keine Drachen waren. Doch Makoto hatte einen Riecher für solche Sachen. Niemals würde sie es einfach so sagen. Etwas musste ihre Aufmerksamkeit auf diese Familie gelenkt haben.

„Kommst du jetzt?“, fragte eine Stimme und Sezuna sah auf. Im Türrahmen lehnte ihre Schwester Yuna. Ihr schneeweißes Haar floss in Wellen über ihre Schulter und nur ein kleiner silberner Schmetterling diente als Schmuck. Auch ihr hellblaues Kleid sah im Gegensatz zu Sezunas recht schmucklos aus. Makoto hatte wohl entschieden, dass Yuna sie als ‚Dienerin’ begleiten würde. Was ihr Verhältnis zueinander auch recht gut beschrieb. Yuna war eher passiv, was zu ihrer Fähigkeit passte. Zudem konnte sie nicht gerade viel Vertrauen erlangen, da sie so gut wie nie lächelte. Eine Maske aus Eis, wie Sezuna gerne behauptete.

Sezuna nickte und wandte sich zu ihr um. „Lass uns gehen. Wir haben eine lange Nacht vor uns“, sagte sie. Yuna nickte nur knapp. Lange Nächte machten ihr nichts aus. Sie zog eine lange, dunkle Nacht sogar einem hellen, langen Tag vor. In der Nacht fühlte sie sich sicher und unbeobachtet. Auch wenn das nur Illussion war. Makoto sah alles. Immer und überall.

„Ladys, die Kutsche erwartet Euch“, erklärte ein Diener und verneigte sich. Yuna nickte ihm zu und nahm den Regenschirm entgegen. Sie spannte ihn auf und hielt ihn so, dass Sezuna nicht nass wurde. Sie selbst hatte nicht unbedingt Platz darunter und so war ihr Kleid nass, als sie in die Kutsche stiegen. Yuna ignorierte das. Sie hatte schon schlimmeres erlebt. Zudem würde es während der Fahrt etwas trocknen. Der Weg zum Anwesen der MacRaes war lang. Sezuna sass ihr gegenüber, doch keine der beiden sprach ein Wort. Sezuna fühlte sich unwohl, aber sie musste das Spiel mitspielen. Yuna tat es, also musste sie es auch.

Die Minuten vergingen und der Regen hatte leicht nachgelassen, als ihre Kutsche ins Eingangstor des Anwesens fuhr. Mehrere Kutschen waren bereits vorgefahren, hatten ihre Insassen an der eleganten Marmortreppe ausgeladen und verliessen das Anwesen durch den Kreisel wieder. Als die Kutsche hielt, entfuhr Sezuna ein Seufzen. Sie konnte nichts dafür, diese Stille war einfach erdrückend. Sie hasste es.

Ein Diener öffnete die Tür und sie stiegen aus. Keiner der beiden Damen bemerkte, wie eine junge Frau in Dienergewand hinter der Kutsche hervor huschte und sich zu den anderen Dienern stellte, die ebenfalls von Gästen mitgebracht wurden. Es war Brauch, dass jeder Gast die Anzahl an Dienern mitbrachte, die er glaubte zu benötigen. Diese Diener versorgten ihre Herren oft in der Nacht, wenn der Gastgeber sich zur Ruhe legte. Doch weder Sezuna, noch Yuna wussten von dieser einen Dienerin. Denn Makoto hätte niemals gewollt, dass gerade diese mit von der Partie war.

Sezuna und Yuna stiegen anmutig die Treppen hinauf und traten ins Innere. Wie zu erwarten, hatten die MacRaes keine Kosten und Mühen gescheut. Das auch so beeindruckende Gebäude war reichlich herausgeputzt und verziert. Sezuna kam nicht umhin zu bemerken, dass das ihre Maßstäbe an Luxus bei weitem übertraf. Sie sah nach vorne und entdeckte ein Paar, das neben der breiten Doppeltür stand, die wohl zum Saal führte. Die Frau hatte dunkelbraune, gelockte Haare, die sie mit Ketten hochgesteckt hatte. Ihr Kleid war prunkvoll, wirkte an ihr aber überhaupt nicht übertrieben. Sie lachte, wobei sie sich die behandschuhte Hand vor den Mund hielt und ihre grünen Augen blitzten amüsiert auf.

Der Mann an ihrer Seite war gross und imposant. Sein Haar war dunkelblond und zu diesem Anlass zusammengebunden, sein Vollbart war schlicht zurechtgestutzt worden. Eisblaue Augen machten das Bild von Wallace MacRae komplett. Er sah liebevoll auf seine Frau Rachel hinab und legte ihr einen Arm um die Taille. Obwohl die beiden schon lange verheiratet waren, wirkten sie wie ein junges, frischverliebtes Paar und galten als Idol-Paar der umliegenden Länder.

Und sie nährten die Herzen der jungen Mädchen auch einmal so glücklich zu sein. Aber Glück war etwas, dass sich Sezuna hart erkämpfen musste. Das wusste sie.

Sezuna setzte ihre Hofmaske auf. Ein Lächeln, das zwar freundlich und ein wenig verführerisch wirkte, aber nicht echt war. Es erreichte ihre Augen nicht und doch reichte es oft, um die Männer zu täuschen oder den Adel um den Finger zu wickeln.

Yuna neben ihr blieb stehen und hielt ein wenig Abstand. Ließ Sezuna vorgehen, um ihre Gastgeber zu begrüßen. „Lady MacRae. Lord MacRae“, sagte sie und trat auf die Beiden zu, ehe sie den Kopf neigte. Yuna hinter ihr vollführte einen Knicks, wie es sich in ihrer Position gehörte. „Danke für die herzliche Einladung.“ Rachel MacRae wandte sich ihr mit einem strahlenden Lächeln zu. „Aber nicht doch, meine Liebe. Das ist doch selbstverständlich. Ihr sorgt dafür, dass wir des Nachts in Ruhe zu Bett gehen können. Wir versuchen nur, uns erkenntlich zu zeigen“, meinte sie galant und neigte leicht den Kopf. Lord MacRae nickte dazu. „Ich kann meiner Frau nur zustimmen“, sagte er und schmunzelte, „geniesst das Fest, Lady Kaya.“

„Das werde ich, vielen Dank“, sagte Sezuna und neigte abermals den Kopf. So, wie Rachel ihre Hand auf Wallace‘ Brust gelegt hatte, verstärkte sie den Eindruck, dass Wallace das sagen hatte, wie es üblich war, doch Sezuna wusste durch Makoto, dass im Hintergrund, die Frau der Drahtzieher war. Sie war der dominantere Part.

Etwas, was zu der heutigen Zeit sehr seltsam war. Aber bei ihnen war es ja nicht anders. Makoto hatte das Sagen. Allerdings war es in ihrer Familie normal, dass die Frau das Oberhaupt war, denn ihre besonderen Fähigkeiten vererbten sich nur im weiblichen Geschlecht. Bisher war noch kein Mann mit ihren Gaben geboren worden. Sowieso gab es sehr wenig männlichen Nachwuchs. Oft hatte eine Familie 5 bis 8 Mädchen, bevor sie überhaupt einen Jungen zur Welt brachten.

Sie lächelte zurück und sah sich dann auf dem Fest um. Vielleicht sollte sie sich zunächst mit den drei Söhnen der Gastgeberin unterhalten. Vielleicht fand sie so etwas heraus. Also lief sie in den Saal und sah sich um. Sofort viel ihr eine kleine Gruppe Frauen auf, die sich um einen attraktiven, jungen Mann geschart hatten. Er kam ganz nach seiner Mutter: dunkles Haar, welches im Nacken ein bisschen länger war, grüne Augen und die kräftige Statur des Vaters. Beeindruckend und männlich. Er lächelte gewinnend und befasste sich mit allen Frauen gleichzeitig. Ein Frauenschwarm.

Ihr Blick glitt weiter und sie sah einen zweiten Wallace. Zumindest schien es so. Auch er hatte dunkelblondes, gewelltes Haar und scharfe, eisblaue Augen und war gutaussehend, jedoch trug er keinen Bart und wirkte um einiges jünger. Er lachte und unterhielt sich mit zwei älteren Männern. Das musste Hamish MacRae sein, der jüngste Sohn. Man sagte ihm ein ruhiges Gemüt nach. Ob das stimmte, würde Sezuna heute noch herausfinden.

Der zweite Sohn war nirgends zu entdecken.

Also hatte sie die Wahl zwischen Riley, dem älteren – wie es aussah ein Frauenschwarzm und sehr begehrt – oder Hamish dem jüngsten. Nun. Irgendwo musste sie anfange und es wäre am unauffälligsten, wenn sie sich zu der Gruppe Frauen gesellen würde. Doch das war nicht ihr Stil. Niemals würde sie sich zu einer Horde Frauen stellen, nur um mit einem Mann zu reden. Das war es nicht wert. Also lief sie langsam auf Hamish zu, während ihr Blick durch den Raum glitt, die Gäste unter die Lupe nahm und nach Ausgängen und Waffen suchte.

Alles ein Teil ihrer Ausbildung und mittlerweile war es ihr so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie es nicht mehr abstellen konnte. Als sie ihn erreichte, dicht gefolgt von Yuna, neigte sie den Kopf. Hamish wandte sich ihr mit einem sanften Lächeln zu. Er nahm ihre Hand und küsste sie galant. „Hamish MacRae, es ist mir ein Vergnügen“, sagte er und lächelte. Zwei Grübchen zeigten sich und sie musste zugeben, dass er seinem ältesten Bruder ähnlich war. Auch er wäre ein Frauenschwarm wenn er es ausnutzen würde. Sezuna setzte ihr gekünsteltes Lächeln auf. „Sezuna Kaya, ebenfalls ein Vergnügen.“ Sie klimperte mit den Wimpern. Sie sah, wie seine Augen kurz Aufblitzen, doch sie konnte nicht sagen ob es Interesse oder etwas anderes war. Es war zu schnell verschwunden.

Sein Blick glitt zu Yuna und er neigte leicht den Kopf.

„Es freut mich, dass ihr Beide unserer Einladung gefolgt seid. Es ist selten, zwei der Töchter an einem Ort vorzufinden“, sagte er und es war Sezuna kurz so, als würde er etwas anderes meinen, als er sagte. Doch sie wusste nicht was. Sezuna lächelte und gab sich Mühe es echt wirken zu lassen. „Wir sind viel beschäftigt“, erklärte sie und versuchte dann das Thema in eine andere Richtung zu lenken. „Aber das scheint ihr auch zu sein, wenn nur zwei von euch anwesend sind.“ Hamish blinzelte und lächelte dann verlegen. „Gideon hat sich noch nie viel aus Pünktlichkeit gemacht“, gestand er, „Er lebt nach seinen eigenen Regeln und manchmal ist es schwer zu verstehen, was in seinem Kopf vor sich geht. Aber Ihr werdet ihn bestimmt noch zu sehen bekommen.“ Sezuna nickte zufrieden. So lange sie mit ihm reden und so etwas herausfinden konnte, war es ihr egal, wann er auftauchte.

„Dann scheint er ein Einzelgänger zu sein“, bemerkte sie und nahm sich ein Glas von dem Diener, der ihr ein Tablett hinhielt. Auch Hamish nahm sich eines und schien zu überlegen. „Ja das ist er in der Tat“, sagte er, schien aber eher in Gedanken. Sezuna lächelte, griff aber nebenbei nach dem Geist ihrer Schwester. *Yuna, ich möchte dass du dich näher mit Hamish befasst* wieß sie ihre Schwester an und diese legte eine Hand an ihren Rücken, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte.

Sezunas Fähigkeiten erlaubten ihr auch eine kurzzeitige geistige Verbindung einzugehen, solange das ‚Opfer’ es zuließ. So konnte Sezuna ihre Stimme in den Kopf der Person projezieren. Allerdings war sie noch nicht weit genug, um ihre Gedanken zu hören. Nicht so direkt. Aber sie konnte unterschwellige Gefühle spüren. Und jetzt spürte sie den Missmut ihrer Schwester. Yuna hatte es noch nie gemocht wenn sie das tat.

Seltsamer Weise heiterete Sezuna diese Tatsache ein wenig auf. Auch wenn Yuna es nicht mochte, ließ sie es doch zu. Es war ein kleines Eingeständnis. Sezuna schenkte Hamish erneut ein Lächeln. „Es war nett, Sie kennenzulernen“, sagte sie und neigte den Kopf. „Das Vergnügen war ganz meinerseits“, entgegnete Hamish und verneigte sich leicht. Sehr höflich, ja wirklich. Sezuna wandte sich ab und ging in Richtung des Ältesten.

Hamish sah der jungen Dame stirnrunzelnd nach. Etwas an ihr hatte ihn beunruhigt. Etwas, das ihn dazu drängte seine Kräfte einzusetzen. Er schüttelte den Kopf. Er durfte, nein konnte nicht. Nicht hier vor all den Leuten und besonders nicht vor seinen Eltern. Sie hätten es nie verstanden.

Ein Räuspern riss ihn aus den Gedanken und er merkte, dass die weisshaarige Begleiterin geblieben war. Er war leicht überrascht, setzte jedoch sofort wieder sein charmantes Lächeln auf. „Ihr seid Yuna, wenn ich mich recht entsinne?“, fragte er und machte Anstalten auch ihre Hand zu küssen.

Ihr Blick huschte ganz kurz zu Sezuna, als würde sie ihr Einverständnis einholen und dann ließ sie zu, dass Hamish ihre Hand nahm und sie küsste. „Es freut mich Eure Bekanntschaft zu machen“, erklärte er und war mehr als nur fasziniert. Makoto hatte lange Zeit lang ein sehr großes Geheimnis aus Yuna gemacht, dass wusste er. Und sie selbst fühlte sich ebenfalls an, wie ein Geheimnis. Ihre Hand war weich und zart und strahlte doch eine Kälte ab, die ihn noch mehr dazu drängte seinen Fähigkeiten zu nutzen. Wie gut, dass er ein Meister in der Selbstkontrolle war – meistens. Yuna nickte kühl. „Ganz Eurer Meinung“, sagte sie, doch es klang überhaupt nicht so. Wie konnte man nur so kalt sein? Es irritierte ihn und warf ihn fast aus der Bahn. Er war sich ganz sicher, dass niemand so kalt geboren wurde. Was war also mit ihr geschehen? „Wollen Sie einen Drink?“, fragte er und machte eine ausholende Geste. Er würde ihr holen, was sie wollte.

„Sehr gern“, erwiderte sie, doch noch immer klang es kalt und als wolle sie ihm den Tod an den Hals wünschen. Sehr seltsam.

Hamish nickte und nahm den nächstbesten Diener ein Getränk ab und reichte es mit einem Lächeln an Yuna weiter. Diese streckte die Hand aus und schien dann kurz zu zögern, fasste aber das Glas. Hamish konnte nicht verhindern, dass sich seine Augen leicht weiteten, als er sah, wie das Glas langsam von Raureif überzogen wurde. Ausgehend von ihrer Hand. Er hatte schon davon gehört, es aber noch nie gesehen. Es gab wohl auch Menschen mit Gaben, die diese nicht richtig einsetzen konnten. Yuna schien eine davon zu sein. Was erklärte, warum Makoto so ein Geheimnis um sie machte. Er merkte erst, dass sie ihn ansah, als sich ihre Blicke begegneten. Er lacht auf. „Eine interessante Fähigkeit“, sagte er und nickte zum Glas. Es war offenbar ein schlechtes Thema, denn ihre Miene wurde noch kälter. „Manchmal“, erwiderte sie nur und sah weg. Hamish biss sich auf die Unterlippe. „Entschuldigt, wenn ich ein Thema angekratzt habe, dass Euch unangenehm ist“, entschuldigte er sich und sah sie besorgt an. Yuna war leicht verwirrt. Normalerweise war es jedem egal, was sie dachte.

„Es ist nichts, worüber ich mit jemanden sprechen darf“, erklärte sie und ihre Stimme nahm wieder an Kälte zu. Ihre Fähigkeiten waren etwas, das ihr nur Schwierigkeiten einbrachte. Und da das größte Problem, das aus ihrer Fähigkeit entstanden war, in der Nähe war, wollte sie nicht noch mehr Ärger. Ja, sie liebte ihre Schwester. Liebte sie über alles, doch immer öfter hatte sie das Bedürfnis aufzuhalten, was mit ihr geschah. Selbst wenn sie Sezuna dafür töten musste. Doch das war etwas, dass sie sich niemals gestatten würde. Sie war Schuld an dem, was Sezuna nun war und sie würde es irgendwie wieder in Ordnung bringen. Und solange sie noch nicht wusste wie, würde sie zumindest alle weiteren Probleme versuchen einzudämmen. Irgendwie.

Hamish nickte langsam und wandte sich einem anderen Thema zu. Seine Brüder hätten jetzt nachgebohrt, aber er war nicht so. Er respektierte ihr Nein. Außerdem wollte er ihr keine Probleme bereiten. „Nun denn, was haltet Ihr von dem Ball?“, fragte er und lächelte, ehe er einen Schluck nahm.

Yuna zuckte elegant die Schultern. „Ich war noch nie gern zwischen so vielen Leute“, erklärte sie wahrheitsgemäß und ihre Ehrlichkeit faszinierte ihn. Dann nahm sie einen Schluck und Hamish schauderte leicht. Das Getränk musste eiskalt sein. Ob das besonders gut war? „Es ist wirklich sehr voll hier“, sagte er und reichte ihr einen Arm. „Wollt ihr vielleicht ein wenig in den Innenhof? Es hat aufgehört zu regnen.“

Yuna musterte kurz Hamishs Arm und dann hatte der junge Mann kurz das Gefühl ihre Lippen würden sich zu einem Lächeln verziehen, doch dem war nicht so. Aber es waren ihre Augen die lächelten. Auch wenn jemand, der weniger Menschenkenntnisse besaß als Hamish, das wohl niemals aufgefallen wäre. „Das wäre mir sehr recht“, sagte sie emotionslos und ließ sich von ihm wegführen.  Hamish geleitete sie durch die Gänge und schob sie durch eine Tür, die in den Innenhof führte. Es war recht gross und besass neben einem Brunnen auch hübsche Beete. Ein kleiner, idyllischer Garten.

Es war schön, doch Yuna versuchte den Blumen nicht zu nahe zu kommen. Sie wollte sie nicht kaputt machen.

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