Zerbrochene Herzen

Tiara kam es vor, als hielt die Stille, die auf ihre Worte folgte, einige hundert Jahre an. Ihr Herz drohte zu zerspringen. Jetzt würde sich zeigen, ob Legolas zu ihr halten würde oder nicht. Doch seiner Stimme nach zu urteilen, war der Prinz des Düsterwalds nicht gerade tolerant.

Er hatte wütend geklungen.
Verletzt.
Verzweifelt.
So, als wollte er nicht glauben, dass er ihr diese Wunde zugefügt hatte.

Doch genau dies war die Wahrheit...

Nachdem Tiara die Worte "von dir" leise geflüstert hatte, war ihr Kopf wieder nach vorne gesunken. Sie hatte Angst, Legolas in die Augen zu sehen. Sie wollte die Wut, das Misstrauen und all das nicht sehen, was gerade im Prinzen vorging.

Und Legolas stand dort vor Tiara, hatte ihr Kinn wieder losgelassen, hatte den Mund einen spalt breit geöffnet und blickte mit verzweifelten, wütenden und verletzten Augen auf die Elbin, die vor ihm in Ketten lag und ihn nicht ansehen wollte. Tausende Gefühle traten in seine Augen und offenbarten seine inneren Gedanken. Etwas, das bei Elben nur dann vorkam, wenn die Emotionen zu groß wurden.

Und das war bei Legolas gerade der Fall.

Sein Vater hatte recht gehabt.
Er hatte mit allem recht gehabt.
Es war wirklich Tiara gewesen, die die Orks getötet hatte. Und das in Gestalt eines Drachens. Eines wilden, blutrünstigen Drachens.
Und die Wunde an ihrer Schulter kam auch nicht von Orks oder anderen Feinden... Nein, es war wirklich sein Pfeil gewesen, der sie durchbohrt hatte.
Und Legolas erinnerte sich. Nachdem er den Drachen getroffen hatte, war Tiara ebenfalls verschwunden. Erst später war sie wieder erschienen. Und sie war verletzt gewesen. An der Schulter!

Er passte alles zusammen. Jedes einzelne Puzzlestück fand seinen richtigen Platz. Und am Ende kam ein Bild heraus, das Legolas' Herz in tausend Stücke zerriss:

Tiara hatte ihn angelogen. Sie hatte ihm ihr Feuergeheimnis anvertraut - jedoch nicht, dass sie die Gestalt eines Drachen annehmen konnte. Nach so vielen Jahren Freundschaft, nach so viel Vertrauen... nach diesem Kuss.... hatte sie ihm immer noch nichts darüber anvertraut.
Er hatte sie angeschossen und sie hatte immer noch kein Wort darüber gesagt.
Legolas konnte es nicht begreifen. Sie war tatsächlich ein Monster. Thranduil hatte recht behalten...

Langsam reagierte der Körper des Elbenprinzen und er schüttelte langsam den Kopf. Dann taumelte er fast, ohne den Blick von Tiara zu nehmen, ein paar Schritte zurück. Weg von der Elbin. Weg von der Veräterin. Weg von dem Monster.

Irgendwann kehrte auch wieder Leben in seine Stimme zurück.

"Was bist du?" hauchte er entsetzt.

Tiara antwortete nicht. Zu sehr schämte sie sich dafür. Warum hatte sie es ihm nicht schon viel früher gesagt? Warum hatte sie ihm nichts von den Drachenkräften erzählt, als sie ihn in ihr Feuergeheimnis mit eingeweiht hatte? Warum?

"Wie ich schon sagte,... Sie ist ein Halbdrache. Sie kann, mit der Hilfe eines Amuletts, das Feuer bändigen und die Gestallt eines Drachen annehmen, die du ja schon gesehen hast" antwortete Thranduil und trat neben den Prinzen. Legolas Blick wanderte an den Hals Tiaras. Das Amulett war verschwunden.

"Wo ist es? Das Amulett?" fragte er Thranduil etwas irritiert.

Der Elbenkönig griff in die Tasche seines Gewandes und zog das goldene Schmuckstück hervor.
"Ohne das hier ist sie nicht mehr in der Lage, das Feuer zu beeinflussen oder die Drachengestalt anzunehmen".

Legolas schloss die Augen für einen Moment. All das war zu viel für seinen Verstand. Die Elbin, die er so sehr mochte,... verriet ihn einfach. Hatte ihn belogen. Hatte ihm vorenthalten was sie in Wirklichkeit war. Und wenn sie ihn in diesem Punkt angelogen hatte, war die Geschichte über ihr Dorf vielleicht auch nicht wahr. Vielleicht hatte sie das Feuer doch mit Absicht herauf beschworen und somit alle Elben in den Tod geschickt.

"Du bist eine Lügnerin, Tiara. Du hattest so viele Möglichkeiten, mir zu sagen, was du bist. Aber du hast es verschwiegen. Warum hast du nichts gesagt? Bist du in Wirklichkeit auch wie Smaug? Ein gefährliches, wildes Tier, nach Gold besessen? Hast du mich auch im Bezug auf dein Dorf angelogen? Hast du das Feuer doch mit Absicht über die Häuser geschickt?"

Legolas brüllte durch den Kerker, als könnte er mit seiner Stimme all die Wut in ihm heraus schreien. Doch die Wut blieb. Und mit ihr das verletzte Gefühl...

Und dieses verletzte Gefühl war in Wirklichkeit der wahre Grund für seine Wut.
Nur wusste der Prinz dies nicht.

Tiara hob mit Mühe ihren Kopf an. In ihren Augen glitzerten immer noch Tränen.

"Ich..." begann sie leise, doch Legolas unterbrach sie.

"Nein, sei still! Ich will kein Wort mehr von dir hören. Kein 'es tut mir leid' oder 'ich wollte es dir sagen'. Du bist eine Lügnerin" brüllte Legolas laut.

Er warf Tiara einen feindseeligen Blick zu, ehe er sich umdrehte und aus der Zelle marschieren wollte. Doch weit kam er nicht. Noch bevor er die Zelle verlassen konnte, traten zwei Wachen aus dem dunklen Gang heraus und versperrten ihm den Weg.

"Lasst mich durch" knurrte der Prinz gereitz und wollte sich an den Wachen vorbei schieben, doch diese griffen ihn an den Armen und hielten ihn fest. Legolas versuchte sich los zu reißen. Doch es gelang ihm nicht.

"Ich habe dir bewiesen, dass Tiara dich belogen hat. Also steh zu deinem Wort und hör auf, dich gegen meine Wachen zu wehren" rief Thranduil und Schritt langsam auf Legolas und seine Wachen zu.

Der Düsterwaldprinz funkelte seinen Vater kurz an, gab aber dann doch nach und wehrte sich nicht mehr.

"Bringt ihn in mein Arbeitszimmer. Haltet ihn dort fest" wies der König Seine Wachen an und marschierte dann zu Tiara zurück.

Die Wachen gehorchten, zerrten Legolas in den Gang hinein und verschwanden mit ihm in der Dunkelheit.
Thranduil stellte sich währenddessen neben Tiara, die ihren Kopf wieder hatte sinken lassen.

"Ich glaube deine Freundschaftsliste hat sich um einen Namen verkürzt" raunte er ihr leise ins Ohr und lächelte dabei gehässig. "Wenn sie überhaupt je lang gewesen war. Wer will schon mit einer wie dir befreundet sein?"

Die Elbin hob langsam dem Kopf und starrte ihn aus tränenverschleierten Augen an.
"Ihr seid der Teufel" flüsterte sie dann mit hasserfüllter Stimme.

Der König lachte laut auf.
"Danke für das Kompliment, Tiara".

Er wandte sich ab von ihr und verließ die Zelle mit einem leichten Grinsen im Gesicht. Einem teuflischen Grinsen.
Nachdem er die Zellentür verschlossen hatte und in der Dunkelheit des Ganges verschwunden war, brachen sämtliche Tränen aus Tiara heraus, die sie nur mit Mühe bis jetzt zurück gehalten hatte.

Ohne Ende kullerten sie ihr über die Wange, bis hin zum Hals.

Warum?
Warum musste es nur soweit kommen?
Warum musste sie auch unbedingt den Düsterwald betreten?
Warum hatte sie das getan?
Es wäre alles besser gewesen, wenn sie den Zwergen niemals gefolgt wäre...

Während Tiara ihren verzweifelten Gedanken hinterher hing, wurde Legolas von den Wachen wieder ins Arbeitszimmer des Königs gebracht. Zu Anfang hatte er sich noch gegen diese gesträubt. Doch nach einer Weile hatte er eingesehen, dass es keinen Sinn machte, Widerstand zu leisten.

Und so zerrten die Wachen ihn weiter bis sie ihr Ziel erreichten. Thranduil folgte ihnen mit erhobenen Haupt. Im Arbeitszimmer angekommen, wies er seine Wachen an, Legolas los zu lassen. Sie gehorchten, ließen den Prinzen los und positionieren sich dann links und rechts neben der Tür.

"Setzt dich" sagte Thranduil in einem seltsam ruhigen Ton. Legolas aber blieb stehen. Zu groß war noch die Wut auf Tiara. Zumindest redete er sich ein, dass Tiara all seine Wut ausgelöst hatte. Aber tief im Innern war er sich gar nicht so sicher, worauf er eigentlich wirklich wütend war.

Thranduil ließ sich auf seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch sinken.
"Das war ein Befehl" setzte er noch leise hinzu.

Nach kurzem zögern setzte sich der Prinz dann doch. Darauf folgte dann langes Schweigen. Thranduil versuchte mit aller Macht in Legolas' Augen irgendeine Gefühlsreaktion zu erkennen. Doch der Prinz zeigte nicht eine einzige.
Ausdruckslos starrte er auf den Tisch, der zwischen ihm und Thranduil stand.

Irgendwann brach der König das Schweigen.

"Du hast allen Grund, sie zu hassen" begann er langsam zu sprechen, "Sie hat es dir vorenthalten. Sie hat dir nicht vertraut. Es ist wahr, was du sagst. Sie ist eine Lügnerin. Ein Monster. Keine von uns. Und wie du siehst, hatte ich auch recht mit dem, was ich über die sagte. Ich verlange von dir eine Entschuldigung".

Legolas blickte auf und sah seinen Vater ausdruckslos an. Dann endlich zeigten seine Augen eine Reaktion. In ihnen sah Thranduil, wie verletzt Legolas doch war. Und das führte ihn zu einem Schluss...

"Sag mir,... kann es sein, dass du eventuell mehr in dieser Bestie siehst, als du zu gibst?" fragte der König mit leiser, aber auch gefährlicher Stimme.

Der Prinz aber erwiderte nichts darauf, sondern lies seinen Blick nur wieder zum Tisch hinab wandern.

"Also ja" knurrte der König, "lass dir eins sagen, Legolas. Solltest du auf dumme Gedanken kommen und versuchen, dieses Stück Abschaum zu befreien... dann wirst du Tauriel im Kerker Gesellschaft leisten. Für sehr lange Zeit".

Diese Drohung hatte aber keinerlei Einfluss auf den Legolas. Er hob nur leicht den Kopf, sah Thranduil mit ausdruckslosen Augen an und sagte dann: "Keine sorge, Vater. Ich will sie nicht befreien".
Er ließ seinen Blick wieder auf den Tisch sinken.
"Ich will, dass sie dort bleibt, wo sie ist" murmelte er dann leise und Thranduil kam es so vor, als hörte er eine große Enttäuschung in Legolas Stimme.

Sollte er doch enttäuscht sein. Er hatte es verdient. Er hatte Tiara vertraut... Und wer den Halbdrachen vertraut, wird seinen Fehler irgendwann büsen.

"Ich verstehe nur eins nicht, Vater" Legolas blickte wieder zu Thranduil auf, "Woher weißt du so viel über... die Halbdrachen?"

Thranduil sah den Prinzen lange an, ehe er schließlich aufstand und zum großen Fenster ging, von dem aus man den halben Düsterwald überblicken konnte. Was keiner gemerkt hatte, war, dass die Nacht sie inzwischen verlassen hatte und die Sonne sich im Osten nun langsam erhob. Die ersten Strahlen des Tages funkelten schon durch die Blätter der Bäume, während der Himmel einen leicht rosafarbenen Ton angenommen hatte.

Thranduil beobachtete mit nachdenklichem Blick diese Sonnenstrahlen. Er hatte Legolas nie erzählt, wie sein Großvater wirklich gestorben war. Nie.

Legolas folgte seinem Vater an das große Fenster. Schräg hinter ihm blieb er stehen.

"Vater?"
Ungeduld und Misstrauen erwachte wieder in der Stimme des Elbenprinzen.

"Woher ich mein Wissen habe, kann dir egal sein, Legolas" sagte der König irgendwann.

"Und wenn es mir nicht egal ist?" Legolas' Stimme wurde lauter.

"Dann musst du wohl oder übel damit leben. Lass dir nur eins sagen. Halbdrachen sind genau wie Vollblutdrachen. Gierig, zerstörerisch,.... Gefährlich" knurrte Thranduil leise und drehte sich zum Prinzen um.
"Einer von ihnen hat deinen Großvater getötet".

Legolas' Augen weiteten sich.
"Was?" hauchte er ungläublig, "Wie? Wann?"

"Es ist schon lange her. Damals warst du noch nicht geboren. Hast du dich nie gefragt, warum keiner über den Tod Orophers spricht?" Thranduils Stimme wurde wieder etwas kühler.

Der Prinz schüttelte langsam den Kopf. "Du hast mir erzählt, er sei in der Schlacht des letzten Bündnisses gefallen".

Legolas wunderte sich über seine relativ ruhige Stimme. War er doch noch immer voller Wut.

"Das sagte ich..." murmelte Thranduil gedankenversunken, "Aber weißt du was? Es war eine Lüge" knurrte er leise und seine Augen verengten sich ein Stück.

"Was meinst du?"
Legolas' Stimme wurde wieder etwas lauter.

"Ich meine es so, wie ich es sage" begann Thranduil und entfernte sich vom Fenster.

"Was genau war eine Lüge?" fragte Legolas noch lauter und folgte seinen Vater mit misstrauischem Blick.

"Alles, Legolas! Alles!" brüllte der König plötzlich laut und fuhr herum.
"Dein Großvater starb nicht in einer Schlacht. Er wurde von einem Halbdrachen getötet. Von einem aus Tiaras Sippe".

Der Elbenkönig brüllte dies durch sein Arbeitszimmer, als wollte er das Weinglas auf seinem Tisch, die Scheiben des Fensters und die Scheiben der Glasvitrine, in der einige Antike Elbengegenstände lagen, zum zersplittern bringen.

Legolas' Blick verwandelte sich von Misstrauen zu Ungläubigkeit. Wie viele Überraschen sollte er denn noch aushalten?

Nun,... noch eine große Überraschung wartete auf den Prinzen des Waldlandreiches... und es war vermutlich die heftigste, die Legolas je zu spüren bekommen würde...

"Vater, ich verstehe nicht..." begann er leise. Doch er wurde von Thranduil unterbrochen.

Und was der König nun durch den Raum brüllte, veränderte alles...

"Und nenn' mich nicht Vater. Ich bin nicht dein Vater!"





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