verräterische Wunde

Es herrschte einen Moment lang qualvolles Schweigen, ehe Legolas anfing zu sprechen.

"Vor ein paar Tagen... haben wir uns am alten Weiher getroffen. Doch Orks haben uns überfallen. Tiara hat... Sie hat das Feuer genutzt, um die Orks zu vertreiben. Irgendwann habe ich sie aus den Augen verloren. Und es kamen immer mehr Orks. Sie haben mich gefangen genommen. Sie hätten mich auch getötet, wenn Tiara nicht plötzlich wieder erschienen wäre und sich den Orks, als Austausch gegen mich, ausgeliefert hätte".

Legolas unterbrach seine Erzählung und blickte Tiara dankbar in die Augen. Das würde er ihr nie vergessen.

Doch Thranduil schien diese Geschichte alles andere als rührend zu finden.
"Los, sprich weiter" zischte er nur ungeduldig, während er das Schwert etwas fester gegen den Hals der jungen Elbin drückte.

Und natürlich sprach Legolas weiter. Aus Angst, sein Vater würde Tiara die Klinge in den Hals rammen. Er wusste sehr wohl, dass Thranduil keinen Spaß in solchen Sachen verstand.

"Als sie sich ausgeliefert hatte und ich vom alten Weiher fort geritten bin, hat mich das schlechte Gewissen geplagt" fuhr Legolas langsam fort.

Der Elbenkönig rollte genervt mit den Augen. "Du sollst keinen Roman aus der Sache machen. Erzähl mir von diesem Drachen" fuhr er seinen Sohn an.

Legolas schluckte, ehe er weiter sprach.

"Als ich dann zum Weiher zurück geritten bin, waren die Orks tot. Alle waren sie verbrannt oder aufgeschlitzt. Teile der Wiese und einige Bäume standen in Flammen. Und inmitten dieses Schlachtfeldes stand er... dieser Drache".

Legolas schwieg wieder. Thranduil aber war gar nicht davon begeistert und drängte ihn, weiter zu sprechen.
"Ist das alles? Wie sah er aus? Wo ist er hin? Rede!"

Der Elbenkönig warf einen Seitenblick auf Tiara, welche versuchte, nur sehr flach zu atmen, da das Schwert ihr fast die Luft abschmürte.

"Er war weiß und... etwas kleiner als die Drachen des Nordens" antwortete Legolas wahrheitsgemäß.
Ihm war gar nicht wohl bei dieser Sache. Er wollte seinem Vater kein Wort mehr über den Drachen erzählen. Aber er hatte keine andere Wahl. Tiara war ihm viel zu wichtig.

"Wenn du nicht willst, dass deine kleine Freundin ein paar hübsche Narben am Hals erhält, dann sprich jetzt weiter" fauchte Thranduil ungeduldig.

"Ich habe auf den Drachen geschossen. Danach ist er geflohen" fuhr Legolas langsam fort.

Thranduils Augen leuchteten gefährlich auf. Tiara hingegen bekam es nun richtig mit der Angst zu tun. Die Wunde! Die Wunde des Pfeils war noch nicht verheilt. Oroma hatte sie zwar mit einer Salbe eingeschmiert, damit keine Narbe bleiben würde, aber verheilt war die Stelle, wo Legolas' Pfeil sie getroffen hatte, noch lange nicht.

Angst vermischte sich mit Panik.
Bitte Legolas, flehte die Elbin im stillen, sag nicht, wo dein Pfeil mich getroffen hat.

Doch genau dies geschah!

"Wo hast du das Biest getroffen?" knurrte der König leise und durchbohrte Legolas' Augen mit seinen.

"Ich wüsste nicht, warum das jetzt von Bedeutung sein sollte" erwiderte Legolas etwas trotzig.

"Sag es mir, oder..." begann Thranduil und drückte sein Schwert noch etwas fester an Tiaras Hals. Der Elbin ging langsam die Luft aus und sie hustete krampfhaft.

"An der Schulter" antwortete Legolas schnell, da er es nicht mehr mit ansehen konnte, wie Tiara um jeden Atemzug kämpfte.

"Welche?" hakte der König nach und fixierte Legolas mit seinen Eisblauen Augen genau.

"Vater, bitte tu ihr nichts" flehte Legolas schon fast, als Tiara für einen Moment überhaupt kein Luft zum atmen blieb. Angst um das Leben der Elbin stieg immer weiter in Legolas hinauf.

"Sag es mir" fuhr Thranduil den Prinzen laut an.

"Die Rechte" rief Legolas verzweifelt und glaube, ein ganzes Nebelgebirge würde ihm vom Herzen fallen, als Thranduil das Schwert sinken lies. Sofort schnappte Tiara nach Luft, die hier im Kerker sehr stickig war. Aber es war immerhin besser als gar keine Luft.

Der Elbenkönig lächelte böse, als er einen Schritt von Tiara weg machte. Legolas stand einfach nur da und wünschte sich, nichts gesagt zu haben. Denn er hatte es Tiara versprochen. Warum er nichts über den Drachen erzählen sollte, wusste er bis heute noch nicht. Aber es war Tiaras Wunsch gewesen. Und er hatte es ihr versprochen. Dies war das erste mal, dass Legolas ein Versprechen gebrochen hatte. Aber er hatte es für Tiara getan. Für sie und niemanden sonst.

Tiara blickte ängstlich zu Thranduil. Sein Lächeln gefiel ihr überhaupt nicht. Er wusste es. Er wusste, dass Legolas sie gesehen hatte. Denn er wusste schließlich auch, dass sie den Körper ein weißen Drachens annehmen konnte. Und weiße Drachen gab es überaus selten. Selbst im hohen Norden waren solche Exemplare eine Sensation. Er wusste, dass Legolas sie gesehen hatte und nicht einfach nur einen wilden Drachen, der sich zu weit in den Süden gewagt hatte. Nur hatte Legolas nichts davon gewusst. Nichts geahnt. Doch das sollte sich bald ändern....

Thranduil würde ihr Geheimnis aufdecken. Er würde es beweisen können. Und Legolas? Würde er es mit diesem Beweis glauben? Würde er glauben, dass er sie, Tiara, am alten Weiher angeschossen hatte? Würde er es glauben, wenn er die Wunde sehen würde?

Wie würde er reagieren?

Tiaras Herz drohte aus ihrer Brust zu springen. Solche Angst hatte sie vor dem Kommenden.

"Soso,... Er hat mit einem Pfeil auf dich geschossen,... dich verletzt.... und du hast kein Verlangen danach, dich zu rächen? Das ist ja rührend!" begann Thranduil schließlich und sah abwechselnd zwischen Tiara und Legolas hin und her.

"Was redest du da? Ich habe nicht auf sie geschossen, sondern auf einen Drachen!" fauchte Legolas gereitz.

"Du Narr! Bist du wirklich so blind, Legolas? Sie ist der Drache!" brüllte Thranduil so laut, dass das Echo seiner Stimme noch lange von den Kerkermauern zurückgeworfen wurde.

Stille.

Keiner sagte ein Wort.

Tiara schloss die Augen und wünschte sich nichts sehnlicheres, als an einem anderen Ort zu sein. Irgendwo, wo es friedlich war. Wo Freunde waren...
Ihre Gedanken schweiften zu Bilbos Erzählungen von Auenland. Ja,... dort war es mit Sicherheit sehr schön... Warum konnte sie nicht dort sein? Mit Bilbo durch das Land wandern,... Die kleinen Dörfer voller Hobbits erkunden,... In Frieden leben...

Aber nein. Sie war hier! Hier in den Kerkern Thranduils! Hier, kurz vor der Offenbarung ihrer Kräfte! Hier, ganz nah an der Grenze zum Tod!

Plötzlich wurde sie von Legolas aus ihren Gedanken gerissen. Der Düsterwaldprinz lachte kurz auf, begann dann aber weiter gegen seinen Vater zu reden.

"Du bist von allen Sinnen, Vater. Allein die Vorstellung, dass sich eine Elbin in... In einen Drachen verwandelt... Ist so absurd" sagte Legolas laut und schüttelte dabei den Kopf.

Er tat es wieder. Er verteidigte sie. Aber wie lange noch?

"Ach ja?" fauchte Thranduil, "Ich könnte mir gut vorstellen, dass du über die Vorstellung, eine Elbin könnte das Feuer beherrschen, genau so gedacht hast. Und jetzt hälst du es für ganz natürlich".

Legolas erwiderte nichts darauf. Und das aus einem einfachen Grund: Es stimmte! Er hatte Tiara zuerst nicht geglaubt, als sie ihm von ihren Fähigkeiten mit dem Feuer erzählt hatte. Aber nachdem er es mit eigenen Augen gesehen hatte, war die Vorstellung für ihn zwar immer noch einzigartig und magisch, aber nicht neu und unvorstellbar.

"Wenn ich dir beweise, dass der Drache, den du angeschossen hast, Tiara war,... wirst du dann aufhören, gegen mich zu reden? Wirst du dann aufhören, dich mir zu widersetzen?" fragte der Elbenkönig mit kalter und lauter Stimme.

"Das war nicht Tiara. Es war irgendein Drache aus dem Norden!" rief Legolas laut, in der Hoffnung, sein Vater würde endlich damit aufhören, Lügen zu erzählen.

Doch Thranduil lachte nur.
"Und wie, mein Lieber, erklärst du dir dann das hier?"

Mit diesen Worten machte er einen schnellen Satz auf Tiara zu, griff an ihre rechte Schulter und riss den Stoff der Tunika und den Umhang darüber so heftig zur Seite, dass die Schulter der Elbin fast vollständig entblößt wurde. Es fehlte gerade so viel Stoff, dass man die faustgroße, fast verheilte Wunde erkennen konnte, die etwas unterhalb vom Schlüsselbein lag.

Tiara glaubte, eine Welt würde für sie zusammen brechen...

Sie wusste nicht, wohin sie sehen sollte... Zu Legolas? Zu Thranduil? Auf den Boden? An die Wand?

Schließlich schloss sie einfach die Augen und ließ den Kopf hängen.

Legolas, der kurz davor gewesen war, seinen Vater von Tiara weg zu ziehen, hielt abrupt inne und starrte, ungläubig das zu begreifen was er sah, auf die Wunde in Tiaras Schulter.
Millionen von Gedanken jagten quer durch seinen Kopf. Hunderte Gefühle taten es gleich. Zorn, Verwirrung, Trauer, Ungläubigkeit... Und Misstrauen...

Was ging hier vor? Hatte sein Vater also doch recht? Hatte seine Geschichte einen wahren Hintergrund? Oder kam die Wunde doch von etwas anderem?

"Nun? Glaubst du es jetzt?" fragte Thranduil ihn leise.

Legolas ignorierte ihn. Er wollte es wissen! Und zwar von Tiara selbst! Hatte sein Vater recht oder nicht?

Geistesabwesend schüttelte er langsam den Kopf und marschierte dann schnurstracks auf Tiara zu.

Wäre sie nicht so schwach gewesen, hätte er sie am liebsten grob geschüttelt. Aber noch wusste er nicht, ob Tiara wirklich ein Halbdrache war und so ließ er die Finger von ihr und benutze nur seine Stimme.

"Woher hast du die?"

Legolas hatte eigentlich vorgehabt, besorgt und mitfühlend zu klingen. Denn die Wunde sah alles andere als gut aus. Zwar heilte sie, aber trotzdem sah sie sehr schmerzhaft aus.
Nein, statt leise, besorgt und mitfühlend zu klingen, war seine Stimme laut und voller Zorn und Misstrauen.

Tiara erwiderte nichts. Sie wusste nicht, was sie sagen konnte. Was sie tun konnte... Nein, sie ließ einfach den Kopf weiterhin nach unten hängen, sodass ihre Haare ihr Gesicht verdeckten und hoffte, dass alles schnell vorübergehen würde.

"Antworte mir! Woher hast du diese Wunde?" fauchte der Prinz die Elbin an.

Er wollte nicht glauben, dass Tiara in Wirklichkeit ein halber Drache war.... Er wollte nicht glauben, dass er sie mit einem Pfeil getroffen hatte...
Er wollte nicht glauben, dass er ihr diese Wunde zugefügt hatte.

"Tiara, bitte sag mir, dass es nicht wahr ist, was mein Vater sagt!" fauchte Legolas, dessen Puls gerade am durchdrehen war, weiter.

Thranduil ließ Tiaras Tunika los, sodass der Stoff wieder über die Wunde ruschte. Dann trat der König einige Schritte zurück und wartete mit geheimnisvollem Lächeln, wie sich die Sache entpuppte.

Legolas verlor nun entgültig die Beherrschung, griff, etwas grober als er eigentlich wollte, unter Tiaras Kopf und drückte diesen nach oben, sodass sie ihn ansehen musste. In ihren Augen glitzerten Tränen. Ihre Unterlippe zitterte leicht.

"Sag es mir, Tiara. Woher hast du diese Wunde?" Legolas' Stimme bebte vor Wut, als er sprach.

Er hatte Angst vor der Antwort. Tief in sich wusste er aber, welche Antwort er bekommen würde....
Was die Wahrheit wahr...
Doch glauben wollte er es nicht.

Er hoffte so sehr, dass Thranduil log. Er hoffte so sehr, dass Tiara kein Halbdrache war.
Er hoffte so sehr, dass sie diese Wunde nicht von ihm hatte...

Aber all seine Hoffnungen wurden zunichte gemacht, als Tiara den Mund öffnete und mit zitternder, leiser Stimme antwortete:

"Von dir"

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