Noch mehr Befreiungen
Das Schloss knackte und die Eisentür sprang auf.
"Ich danke dir" flüsterte Tauriel leise, als sie hinaus trat, "aber ich kann unmöglich weiter arbeiten. Was soll ich jetzt machen? Wo soll ich hin?"
Legolas legte den Finger auf die Lippen, zum Zeichen, dass sie still sein sollte.
"Ich kann auch nicht bleiben. Wir überlegen uns etwas. Aber zuerst müssen wir an unsere Waffen kommen. Folge mir" raunte er ihr zu.
"Wie meinst du das, du kannst auch nicht bleiben? Was ist mit deinen Waffen?" fragte die Elbin verwirrt.
"Das erkläre ich dir später" flüsterte er und eilte zur Treppe. Tauriel folgte ihm.
Leise und vorsichtig schlichen die beiden Elben die Stufen hinauf, eilten durch einige Korridore und erreichten schließlich das Waffenlager.
Dieses wurde, wie Legolas wusste, nicht bewacht, sondern war nur verschlossen. Zu seinem Glück war der Schlüssel für die Waffenkammer auch an seinem Schlüsselbund.
Er schloss auf, trat in den großen Raum ein und verschloss die schwere Holztür von innen, als auch Tauriel eingetreten war. Die wenigen Fackeln an den Wänden spendeten genügend Licht, um die vielen Schwerter, die ordentlich geschichtet und die unzähligen Pfeile, welche sorgfältig verstaut waren, zu erkennen. Auch gab es viele Speere, Schilde, Dolche, Messer und Bögen.
"Was ist überhaupt passiert? Warum musst du auch fort? Geht es Tiara gut?" fragte Tauriel sofort.
"Ja. Nein. Ich weiß es nicht. Ist mir auch egal" winkte Legolas ab und begann mit der Suche nach seinen Waffen. Sie müssten doch auch hier sein.
"Wie meinst du das, es ist dir egal?" fragte Tauriel deutlich irritiert.
"Sie ist im Kerker. In einem geheimen Kerker. Ist nicht so wichtig. Wir nehmen uns jetzt einfach Waffen und verschwinden von hier" antwortete Legolas, nahm einen Bogen von seiner Halterung und testete ihn. Ja, der dürfte seinen Zweck erfüllen.
"Sie ist im Kerker und du willst sie nicht befreien? Was ist los mit dir?"
Tauriel starrte Legolas an, an wäre dieser verrückt geworden.
"Sie wird schon befreit. Von Bilbo" meinte Legolas beiläufig und suchte sich zwei geeignete Zwillingsdolche.
"Bilbo? Er ist hier? Ich dachte, er wäre bei Oroma! Könntest du mir mal endlich erklären was hier vor geht!? Warum musst du auch von hier weg? Du hast doch Verpflichtungen. Gegenüber deinem Volk und deinem Vater!" sagte die rothaarige entscheiden.
Legolas, der ihr den Rücken zugewendet hatte, schnaubte verärgert und drehte sich zu ihr um.
"Mein Vater!" fauchte er, "Thranduil ist nicht mein Vater".
Die letzten Worte sagte er leiser. Tauriel sah ihn ungläubig an. Doch noch ehe sie etwas sagen oder fragen konnte, sprach Legolas schon weiter.
"Ja, es ist kompliziert. Und ich werde dir alles erklären, sobald wir hier raus sind. Alles, was du wissen musst, ist, dass meine Eltern tot sind und Thranduil mein Onkel ist" sagte er.
"Onkel? Moment, er hat doch von einem Bruder gesprochen..." setzte die Elbin an und Legolas nickte.
"Sein Zwillingsbruder war mein Vater" erkläre er und griff nach einem Köcher mit Pfeilen.
Tauriel konnte es nicht fassen. Diese ganze Geschichte wurde immer verdrehter und seltsamer.
"Und was hat das mit Tiara zu tun? Warum willst du sie nicht auch befreien?" fragte Tauriel weiter.
"Weil Tiara nicht das ist, was sie zu sein scheint" fauchte der Prinz gereizt und drückte der Elbin einen Bogen und einen Köcher mit Pfeilen, sowie zwei Langdolche in die Hand.
Tauriel versuchte aus Legolas' Antworten, die er auf ihre Fragen gab, schlau zu werden. Doch für die Elbin ergab vieles keinen Sinn. Ohne die Waffen, die Legolas ihr gab, weiter zu beachten, attackierte sie den Prinzen sofort mit weiteren Fragen.
"Was soll das heißen, sie ist nicht das, was sie zu sein scheint? Was ist sie denn?" fragte sie und sah zu, wie Legolas einige Messer begutachtete, sich zwei davon aussuchte und in seinen Gürtel schob. Tauriel wusste nicht, ob der Prinz nur zu beschäftigt und in Eile war, oder ob er ihr mit Absicht nicht antwortete. Jedenfalls sagte er nichts.
"Legolas, rede mit mir. Was ist denn mit dir los?" rief sie nun etwas lauter. Auch ihre Geduld hatte irgendwann Grenzen.
"Schh..." zischte der Elb leise und drehte sich zu ihr um, "willst du, dass sie uns finden?"
Tauriel verdrehte die Augen.
"Sag mir einfach nur, warum dir Tiara plötzlich egal ist. Ihr seid doch so gute Freunde" sagte sie leise und blickte Legolas tief in die Augen.
Der Prinz seufzte und trat auf Tauriel zu.
"Du kennst meinem Großvater Oroper, nicht wahr?" fragte Legolas, der sich offensichtlich etwas beruhigt hatte.
"Nun ja, er starb bevor ich geboren wurde. Aber jeder Elb in Düsterwald kennt die Könige der vergangenen Zeiten" antwortete die Elbin leicht irritiert. "Warum fragst du?"
"Weißt du, wie er gestorben ist?" In Legolas' Stimme war etwas, das Tauriel nicht gefiel. Es war mehr, als nur unterdrückte Wut. Der Prinz sah im Schein der Fackeln fast schon etwas bedrohlich aus.
"Er fiel im Krieg" sagte Tauriel nur.
Legolas schüttelte den Kopf.
"Falsch".
Tauriel legte den Kopf schief.
"Er fiel nicht im Krieg. Er wurde ermordet. Vom einem.... einem" Legolas bekam das Wort schier nicht über die Lippen. Für ihn Klang es immer noch fremd und falsch.
"Von einem was?" drängte Tauriel, deren Geduldsfaden langsam zu reißen schien.
"Von einem Drachen!" fauchte der blonde Elb und seine Augen blitzen gefährlich auf.
Tauriel wusste nicht so recht, was sie mit dieser Nachricht anfangen sollte. Es klang so unlogisch. Und doch hatte Legolas sie noch nie zuvor angelogen. Weshalb sollte er jetzt damit anfangen? Immerhin gab es diese Kreaturen wirklich.
"Ein Drache?" wiederholte die Elbin skeptisch, worauf der Prinz nickte.
"Aber... ich verstehe nicht. Was hat das mit Tiara zu tun?" fragte sie verwirrt.
"Eine Menge. Denn der Drache, der meinen Großvater tötete,.... War einer von Tiaras Vorfahren"
Legolas wusste, dass er damit ein Thema angerissen hatte, welches eine Explosion von Fragen in Tauriel auslösen würde. Und so war es letzt endlich auch.
Während Legolas versuchte, seiner Freundin alles was wichtig war in kurzer Zeit zu erklären, hatte es Bilbo bereits geschafft, den Schlüssel für den geheimen Kerker von Thranduil zu stehlen. Auch nach dem Amulett hatte er gesucht.
Vergeblich.
Das ganze Arbeitszimmer, die Gewänder des Königs und auch das riesige Schlafgemach des Herrschers hatte er durchsucht. Ohne auch nur die Spur eines Amulettes zu finden.
Mit jeder Minute, die verstrich, wurde Bilbo nervöser. Denn Tiaras Zeit lief ab.
Wie eine Sanduhr, die man nicht anhalten konnte.
Nachdem er auch den letzten Winkel von Thranduils Gemach durchsucht hatte, musste er Schließlich einsehen, dass es keinen Sinn mehr machte, weiter zu suchen.
Er brauchte Hilfe.
Und die würde er sich holen.
Doch zuerst musste er Tiara hinaus schaffen. Raus aus dem Palast.
So schnell, wie ihn seine kleinen Beine trugen, sauste er zurück in den Festsaal und durch den Tunnel zurück zum Kerker.
"Tiara!" rief Bilbo und flehte, dass sie noch am Leben war.
"Hast du den Schlüssel und das Amulett?" kam die leise Antwort der Elbin zurück.
"Ich konnte das Amulett nirgendwo finden" rief Bilbo enttäuscht und schloss die Zelle auf, "Es tut mir so leid. Ich werde Legolas überzeugen, mir zu helfen. Aber zuerst muss ich dich hier raus bringen".
Bilbo öffnete die Gittertür und eilte auf den schlaffen, an der Wand hängenden Schatten Tiaras zu. Als er sich ihr näherte, wurde ihm erst das Ausmaß des fehlenden Amulettes bewusst.
Die Elbin sah überhaupt nicht gut aus. Ihre Haut war blass, ihre Augen müde, verweint und blutunterlaufen. Kraftlos hing die dort an ihren Ketten, ließ den Kopf hängen. Ihre Haare verdeckten teilweise ihr müdes Gesicht. Sie wirkte plötzlich nicht mehr ewig jung, sondern schien um Jahre gealtert zu sein.
"Wie fühlst du dich?" fragte Bilbo vorsichtig und betrachtete mit Entsetzen das totenbleiche Gesicht seiner Freundin.
"Leer. Als ob sämtliche Kraft von mir gesaugt worden wäre" murmelte die Elbin müde. Sie versuchte erst gar nicht stark zu wirken.
"Es tut mir so leid, dass ich das Amulett nicht gefunden habe" entschuldigte sich Bilbo traurig.
"Ist schon gut. Es ist nicht deine Schuld. Du hast es versucht. Das bedeutet mir sehr viel" sagte Tiara leise und versuchte zu lächeln.
Bilbo erinnerte sich plötzlich wieder an seine Aufgabe: Tiaras Leben retten. Und das tat man am besten, indem man etwas tat und nicht einfach nur herum stand.
Schnell schloss er Tiaras Fußfesseln auf. Bei den Händen musste er etwas improvisieren, da sie zu weit in der Luft hingen. Schließlich gelang es ihm, an der kantigen Felswand empor zu klettern und die Fesseln zu lösen.
Kaum waren beide Hände der Elbin frei, verlor diese ihren Halt, wankte einen Augenblick und sank dann kraftlos auf die Knie. Bilbo, der sich noch an der Wand festhielt, sprang hinunter auf den Boden und ging zu Tiaras gesenktem Kopf.
"Wirst du es schaffen?" fragte er vorsichtig.
"Ich werde es versuchen" erwiderte Tiara leise und blickte dem Hobbit dankbar in die Augen.
Es kostete Tiara einiges an Kraft, sich von dem kalten Steinboden zu erheben und einige Schritte zu gehen. Doch mit Bilbo an ihrer Seite, hatte sie ein Gefühl der Vertrautheit und der Kraft. Das half ihr, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Der Hobbit hatte ihre Hand ergriffen, um Tiara zu ermutigen. Um ihr Kraft zu geben.
Tiaras Beine Schmerzen bei jedem Schritt. Schrieen nach Ruhe. Doch sie ging weiter. Schritt für Schritt kämpfte sie sich durch ihre Zelle, durch den Tunnel und hinaus in die Korridore des Palastes.
Sie wusste nicht, wohin sie ging. Schließlich war sie nur ein oder zwei Mal im Palast gewesen. Als Kind.
Doch Bilbo, der sich mittlerweile in den Hallen Thranduils auskannte, führte Tiara durch solche Korridore, die selten, oder fast gar nicht genutzt oder bewacht wurden.
Schließlich wäre es ihr Tod, wenn sie jetzt mit Wachen, oder gar mit Thranduil zusammenstoßen würden.
Zur gleichen Zeit, nur an einem anderen Ort des Palastes, zweifelte Tauriel an Legolas' Aussagen über Tiara. Die Elbin stand mit verschränkten Armen vor dem Prinzen, so, als wollte sie sich selbst vor seiner Geschichte schützen.
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das glauben soll, Legolas" meinte Tauriel skeptisch. "Ich meine, ein Drache? Tiara? Findest du nicht, dass sich das wie ein Märchen für Kinder anhört?"
"Ich habe es gesehen. Ich habe sie gesehen. In der Gestalt eines weißen Drachens. Gut, ich wusste nicht, dass sie es war. Aber allein ihr Feuer beweist doch, das es wahr ist" entgegnete der Prinz gereizt.
Tauriel seufzte schwer. "Angenommen du hast recht, warum bist du so wütend auf sie?"
"Die eigentliche Frage lautet: Warum bist du nicht wütend auf sie? Wir hatten beide angenommen, dass Tiara unsere Freundin ist" giftete der Prinz zurück.
"Sie ist unsere Freundin!" erwiderte Tauriel kühl.
"Freunde vertrauen einander. Sie vertrauen sich alles an. Und Tiara hat uns nie etwas gesagt. Warum hat sie ihr Geheimnis mit dem Feuer erst jetzt preisgegeben? Warum nicht früher? Warum sagte sie nichts über ihre Drachenkräfte?" Legolas schleuderte Tauriel diese Fragen zu, ohne auf eine Antwort zu warten.
"Sie vertraut uns nicht, Tauriel. Ich weiß nicht, was wir beide für sie waren. Aber Freunde bestimmt nicht".
Tauriel sah Legolas lange schweigend an. Schließlich schüttelte sie entschlossen den Kopf.
"Hast du vielleicht schon mal daran gedacht, dass sie uns nichts gesagt hat, weil sie Angst hatte? Oder weil sie es nicht durfte? Vielleicht wollte sie es uns immer sagen. Nur wurde es ihr von jemandem verboten. Du solltest mit ihr sprechen. Sie fragen, warum! Und weshalb! Und sie nicht angreifen, indem du ihr in den Rücken fällst. Ihr seid doch so gute Freunde. Vielleicht sogar mehr, Legolas. Rede mit ihr".
Während Tauriel entschlossen ihren Vortrag hielt, um Tiara zu verteidigen, führte Bilbo diese weiterhin quer durch den Palast. Oft änderte er abrupt die Richtung und suchte nach Wegen, die unbewacht zu sein schienen. Tiara ließ alle Strapazen über sich ergehen und kämpfte sich verbissen weiter. Doch sie wusste, dass sie nicht mehr viel Kraft in sich hatte und das ihr Leben an einem extrem seidenen Faden hing, der jeden Moment zu reißen drohte.
Keuchend blieb sie irgendwann stehen und lehnte sich erschöpft gegen die kalte Steinmauer. In ihrem Kopf und vor ihren Augen drehte sich alles. Die schloss die Augen für einen Moment.
"Wir haben es bald geschafft. Nur noch ein kurzes Stück" versprach Bilbo, der Tiara besorgt von unten ansah. "Komm".
Bilbo streckte seiner Freundin die Hand hin. Als Tiara die Augen öffnete und dies sah, wurde ihr etwas wärmer ums Herz. Sie schmunzelte dankbar, ergriff für einen Moment die Hand des Halblings und drückte sie sanft. Dann ließ sie diese wieder los und eilte mit Bilbo weiter durch unendlich viele Korridore.
Bisher hatten sie Glück gehabt.
Bisher waren sie niemandem begegnet.
Weder Wachen, noch Dienern.
Doch dies sollte sich bald ändern.
Als Tiara und Bilbo in einem recht engen und dunklen Korridor um die nächste Ecke bogen, blieben sie wie angewurzelt stehen.
Vor ihnen standen zwei Elben. Und einer von ihnen, der Tiara sofort ins Auge stach, hatte lange blonde Haare...
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