Ein Schritt näher an der Wahrheit

Mit einem mulmigem Gefühl im Herzen lief Legolas durch den finsteren Gang. Immer seinem Vater hinterher.

Irgendetwas sagte ihm, dass er geradewegs in eine Falle lief. Aber er konnte einfach nicht anders, als Thranduil zu vertrauen. Immerhin wollte er zu Tiara. Sollte sein Vater ihr irgendetwas angetan haben, so würde er die Kontrolle über sich vollständig verlieren und seinen Vater seine Wut spüren lassen.

Natürlich gab es zwischen ihm und Thranduil gewisse Vater und Sohn Gefühle. Aber wirklich stark waren diese nie gewesen. Als Legolas selbst noch ein Elb von wenigen Jahren gewesen war, war der Umgang mit Thranduil auch viel freundlicher gewesen als er heute war. In den letzen Jahrhunderten hatte sich Thranduils Herz, welches ohnehin schon eisige Temperaturen verbreitete, noch mehr zurückgezogen. Familiäre Gespräche hatte es lange nicht mehr gegeben. Und wenn, dann wurden sie unter Zorn geführt.

Nein, Thranduil und er hatten wirklich keinen guten Draht zu einander. Der letzte Faden, der Legolas noch zu seinem Vater in Freundschaft verbunden hatte, war gerissen, als dieser Tiara entführt hatte.

Der Tunnel zog sich eine Weile dahin, bis Legolas in der Ferne flackerndes Licht ausmachen konnte. Fackeln.

Kurz darauf gelangten sie an ein Eisengitter, welches Thranduil aufschloss. Und als er die Tür öffnete, hindruch trat und noch einige Meter weiter ging, konnte Legolas schemenhaft Umrisse eines Körpers erkennen, der, an Ketten gefesselt, an der Wand stand und den Kopf hängen ließ.

Das Licht der wenigen Fackeln, die hier an den Wänden hingen, schien auf die dunklen Haare und des erschöpfen Körpers.

Im ersten Moment weigerte sich Legolas' Verstand zu glauben, wer dort an der Wand teilweise stand, teilweise hing. Aber als die Person mit Mühe ihren Kopf hob und ihre grünen Augen mit deutlicher Erschöpfung zu Legolas empor blickten, verlor der Prinz die Kontrolle um sich....

"Tiara!"

In wenigen Sätzen eilte er zu der gefangenen Elbin, legte ihr die Hand unter das Kinn und schob es sanft nach oben. So, dass Tiara ihn ansehen konnte. Schmerzerfüllte grüne Augen blickten ihn an. Eine einzelne Träne glitzerte darin.

"Legolas"

Tiaras Flüstern klang müde und erschöpft. Der Waldelb konnte nicht glauben, was er hier sah. Tiara sah aus, als wäre sie Wochenlang gefoltert worden. Wut entfachte in ihm. Und wie schon so oft an diesem Tag konnte er sich selbst nicht mehr bremsen.

"Was hast du ihr nur angetan?" brüllte er wütend durch das dunkle Verließ hinüber zu Thranduil.

Dieser jedoch ignoriere seinen aufgebrachten Sohn gekonnt und bewegte sich elegant auf Tiara und Legolas zu. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos und unbeteiligt. Ihn schien es nicht zu interessieren, wie es Tiara ging oder was sie fühlte.

"Ich habe nur dafür gesorgt, dass sie das bekommt, was sie verdient" antwortete er irgendwann vollkommen unbeteiligt und blickte gelangweilt auf Tiaras erschöpftes Gesicht.

Legolas runzelte die Stirn und schüttelte verwirrt den Kopf.

"Von was redest du? So etwas hat sie nicht verdient. So etwas hat niemand verdient" erwiderte er laut.

"Oh doch, denn sie ist daran Schuld, das hunderte Elben den Tod fanden. Damals, als ihr Dorf in Flammen aufging. Es war ihre Schuld. Ihr Verbrechen. Ihr Feuer!" fauchte Thranduil seinen Sohn an.

Legolas war bewusst, was sein Vater damit meinte. Tiara hatte ihm ausführlich erzählt, wie das Dorf durch ihre Flammen zerstört worden war,...
Wie ihr Feuer die Häuser gefressen hatte...
Ja, es war ihr Feuer,... Ihre Magie gewesen, welches die Orks in das Dorf gelockt hatte. Aber Tiara hatte dies nicht mit Absicht gemacht. Das hatte sie mehrfach gesagt. Und er glaubte es auch. Denn das Herz dieser Elbin hing am rechten Fleck. Niemals hätte sie ihre Freunde in den Flammentod geschickt. Schon gar nicht ihre eigenen Eltern. Was hätte sie denn auch für einen Grund gehabt?

"Sie hat das nicht mit Absicht getan, Ada" sagte Legolas leise um seinen Vater zu beruhigen.

Thranduils Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig von wütend und siegessicher zu irritiert und erstaunt. Natürlich war er verwirrt. Niemals hätte er gedacht, dass sein Sohn doch von Tiaras Kräften wusste.

"Woher weißt du davon?"
Durch all den Hass hindurch, hörte Legolas noch etwas anderes in der Stimme seines Vaters: nämlich Angst.

Doch wovor hatte er Angst?

"Sag mir, woher du es weißt! Woher weißt du von ihren Kräften?" drängte Thranduil den Prinzen und durchbohrte erneut mit seinen Augen die seines Thronerben.

Legolas jedoch schwieg. Langsam ließ er Tiaras Kopf los, welcher sofort wieder ein Stück nach unten sank. Er richtete sich auf, antwortete aber immer noch nicht.

"Du wirst mir auf der Stelle alles erzählen! Wann hat dieses Stück Abschaum wieder meinen Wald betreten? Woher weißt du von ihren Kräften? Wer hat es dir erzählt? Etwa diese alte Moorschnecke Oroma?"
Mit jedem Wort wurde Thranduil lauter. Den letzten Satz brüllte er schon fast durch den dunklen Kerker.

Als Legolas aber immer noch nichts darauf sagte, sondern seinen Vater einfach nur wütend anstarrte, zählte der König eins und eins zusammen.

Seine Augen weiteten sich ein Stück.

"Jetzt verstehe ich..." hauchte er entsetzt, "Du hast nicht nur die ganze Zeit gewusst, das Tiara hier im Düsterwald ist,... Du hast auch die ganze Zeit von ihren Kräften gewusst... Sie hat es dir erzählt, nicht wahr? Als sie meinen Wald wieder betreten hat,... und du sie wieder getroffen hast,.. da hat sie dir alles erzählt, nicht wahr?" schloss Thranduil aus dem Schweigen seines Sohnes heraus.

"Und wenn es so ist? Du hast sie verbannt, nur weil sie die Kontrolle verloren hat. Die meisten Elben sind den Orks zum Opfer gefallen. Nicht dem Feuer. Das weißt du genauso gut wie ich. Ich habe all die Jahre gedacht sie wäre tot! Du hast mir gesagt, sie wäre tot! Warum hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt? Und ja, ich war oft bei Tiara im Wald, seit ich sie wieder getroffen habe. Weil ich ihre Geschichte hören wollte! Die wahre Geschichte. Die, in der sie von dir verbannt worden ist. Und nicht deine Geschichte, die von vorne bis hinten erlogen war und in der Tiara bei dem Brand umgekommen ist!"

Stille.
Nach diesen Vorwürfen, die Legolas seinem Vater ins Gesicht geschriehen hatte, wusste nicht einmal Thranduil, was er sagen sollte. Tiara blickte erstaunt und dankbar zu Legolas auf.

Er verteidigte sie. Und das, obwohl er noch nicht einmal die ganze Wahrheit kannte. Doch wie lange diese Wahrheit noch verborgen bleiben würde, wusste sie nicht...

"Du kennst also ihr Geheimnis..." begann Thranduil leise zu sprechen und trat ein Schritt auf seinen Sohn zu, "...und trotzdem hältst du zu ihr? Zu diesem... Monster?"

Angewidert und entsetzt über seinen Sohn huschten die Augen des Königs zwischen Legolas und Tiara hin und her.

"Monster? Du übertreibst, Vater. Nur, weil sie eine Fähigkeit besitzt, die wir nicht haben, ist sie kein Monster!" erwiderte Legolas aufgebracht und machte unbewusst einen Schritt auf Tiara zu. Dabei verlor er seinen Vater aber nicht aus den Augen.

"Du bist geblendet von ihr, Legolas. Merkst du das nicht? Ihre Rasse ist gefährlich, tödlich, zerstörerisch" rief Thranduil laut.

"Ihre Rasse?" Legolas wurde hellhörig. Es gab mehrere Elben, die das Feuer bändigen konnten?

"Oja... Ihre Rasse... Die Halbdrachen" antwortete Thranduil gelassen.

Wieder herrschte komplette Stille.

Legolas starrte seinen Vater an, als hätte dieser soeben die Zwerge zum Festessen eingeladen. Und genau aus diesem Blick heraus, schloss Thranduil, dass Legolas doch nicht alles über Tiara gewusst hatte.

Für Tiara selbst war gerade das Herz stehen geblieben. Nun war es raus. Und nun würde sich zeigen, wie Legolas reagieren würde... Doch genau vor dieser Reaktion hatte sie Angst.

"Von was redest du?" fragte Legolas etwas verwirrt und warf einen kurzen Blick zu Tiara, ehe er sich dann komplett seinem Vater zuwendete.

"Da siehst du es. Du hast geglaubt, alles über Tiara zu wissen. Du kanntest sogar ihr kleines Feuergeheimnis. Doch wie mir scheint, hat sie dir ihr größtes Geheimnis verschwiegen" sagte Thranduil nun und blickte gelangweilt auf Tiara, die vor lauter Angst und Erschöpfung den Kopf wieder sinken gelassen hatte.

"Sag mir, was du mit Halbdrachen meinst" forderte Legolas laut und machte einen Schritt auf seinen Vater zu.

Thranduils Augen funkelten böse.
"Ihre Seele. Ich habe sie niemals Monster genannt, weil sie das Feuer bändigen kann. Nein, sie ist ein Monster, weil ihre Seele eine andere ist als unsere. Sie hat eine Drachenseele. Sie kann die Gestalt eines Drachen annehmen. Begreifst du es jetzt?" brüllte der Elbenkönig laut.

Legolas schien mit der Aussage seines Vaters vollkommen überfordert zu sein. Sein Gesicht zeigte deutliche Verwirrung. Er war sich nicht sicher, ob er den Worten seines Vaters glauben schenken konnte oder nicht. Es klang einfach zu märchenhaft.
Schließlich schüttelte der Prinz entschlossen den Kopf.

"So etwas gibt es nicht, Vater. Halbdrachen... Sie sind ein Mythos. Ein Kindermärchen. Es gibt nur die großen Feuerdrachen des Nordens. Und diese kommen nur selten in den Süden. Smaug und der Drache am alten Weiher waren Zufälle und-"

Legolas brach seinen Satz abrupt ab. Denn jetzt wurde ihm schlagartig bewusst, dass er zu viel gesagt hatte. Er hatte Tiara versprochen nichts über die Geschehnisse am alten Weiher zu verraten. Doch jetzt?

Thranduil hatte bei den Worten seines Sohnes schlagartig die Augen aufgerissen.

"Wie war das?" fauchte er und starrte Legolas mit scharfem Blick an.

Dieser wandte sich schnell ab von seinem Vater und hin zur Kerkerwand.
"Nichts" murmelte er leise.

"Oh nein, sag es ruhig. Was für ein Drache? Du hast etwas im Wald gesehen. Ist es nicht so? Sag es!" zischte Thranduil gefährlich und riss sein Schwert hervor. Bedrohlich deutete die Spitze in Legolas' Richtung.

Der Prinz aber ließ sich nicht von der Klinge beeindrucken. Regungslos blieb er stehen und erwiderte den kalten Blick seines Königs.

"Verstehe," knurrte Thranduil leise, "ich habe dich gelehrt keine Angst vor der Klinge zu haben. Aber was ist..." Thranduil machte einen Satz auf Tiara zu und presste ihr das Schwert an den Hals, "...wenn ich sie töte?"

"Nein" kam es plötzlich panisch von Legolas, "tu ihr nichts. Bitte".
Seine Stimme war fast schon ein Flehen.

"Dann sag mir, von was du eben gesprochen hast. Erzähl mir von diesem Drachen!" knurrte der Elbenkönig und funkelte Tiara kurz an.

Ja, er hatte so eine Vermutung, was Legolas gesehen hatte....

Der Sindar-Prinz wirkte für einen Moment unschlüssig. Doch dann senkte er demütig den Kopf.

"In Ordnung"

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